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JVG 408: Kitztötung im Mai

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von Mark G. v. Pückler

I. Zwei Fälle

1. Ein Landwirt mähte Ende Mai 20 ha Wiesen mit seinem Traktor, an dem ein Kreiselmähwerk montiert war. Aus den Vorjahren war ihm bekannt, dass sich zu dieser Jahreszeit Kitze in der Wiese befinden. Auch wusste er, dass diese bei Gefahr nicht fliehen, sondern sich an den Boden drücken und nicht regen würden, sodass sie vom Fahrersitz aus kaum zu sehen waren.
Da am Mähtag eine Benachrichtigung der Jäger fehlgeschlagen war und er selbst keine Rettungsmaßnahmen unternommen hatte, habe er auch mit mehreren getöteten Kitzen gerechnet. Während des Mähens habe er dann an den Geräuschen im Mähwerk gehört, dass er mehrere Kitze ausgemäht habe. Auch habe er mehrfach das Klagen der Stücke gehört. Am Ende waren zwölf Kitze getötet oder so schwer verletzt, dass sie erlöst werden mussten.

Das Amtsgericht verurteilte den Landwirt wegen vorsätzlicher Tötung mehrerer Wirbeltiere ohne vernünftigen Grund zu einer Geldstrafe von 100 Tagessätzen zu je 20 €. Erschwerend berücksichtigte es die rücksichtslose Gesinnung des Landwirts, da er die Tötung der Kitze bemerkt und trotzdem seine Arbeit unbeirrt fortgesetzt habe, sodass weitere getötet wurden. Strafmildernd bewertete das Gericht, dass der Täter geständig war und sehr kurzfristig vom Betreiber der Biogasanlage aufgefordert wurde, die Mahd alsbald abzuliefern. Dadurch habe er sich in einer Zwangslage befunden.
Amtsgericht Celle, Urteil v. 28.3.2019 – 20b Ds 1601 Js 34385/18 (25/19) –

2. Im Saarland mähte ein Landwirt Mitte Mai mehrere Flächen mit einem Schlepper, an dem ein Mähwerk mit rund neun Metern Arbeitsbreite angebracht war. So fuhr er mit einer Geschwindigkeit von circa 30 km/h über die Grünflächen und hinterließ eine Strecke des Grauens: Insgesamt wurden 12 Kitze, zwei Böcke und eine ­Ricke kurz vor dem Setzen getötet oder so schwer verletzt, dass sie erlöst werden mussten.
Vorbeugende Maßnahmen zum Schutz des Wildes hatte er nicht unternommen. Weder hatte er vorher die Flächen abgesucht noch Maßnahmen zur Vergrämung der Tiere ergriffen. Auch eine Benachrichtigung der Jäger hatte nicht stattgefunden. Nach Hinweisen auf sein Fehlverhalten setzte er das Mähen ohne anzuhalten mit erhöhter Geschwindigkeit fort, ohne das verletzte Wild zu erlösen. Das Gericht zeigte dafür kein Verständnis. Es verurteilte den Landwirt wegen Wilderei (!) zu einer Geldstrafe von insgesamt 7 200 €.
Amtsgericht Ottweiler, Urteil vom 9.4.2019 – 2 Ds 24 Js 1041/18 –

II. Anmerkungen

1. Strafbarkeit der Tötung

Jeden Mai das gleiche Desaster. Man muss nur am Tag nach der Mahd die gemähten Flächen nach Ansammlungen von Krähen absuchen, um die verletzten und getöteten Kitze zu finden. Nach Schätzungen anerkannter Stellen fallen jedes Jahr knapp 100 000 Kitze den Mähmaschinen zum Opfer, von den Verlusten anderer Tiere wie Bodenbrütern ganz zu schweigen. Das muss nicht sein, denn man kann die Verluste erheblich vermindern, wenn Landwirte und Jäger kooperativ zusammenwirken. Hierzu sind beide gesetzlich verpflichtet: der Jagdpächter als Jagdausübungsberechtigter aufgrund seiner Hegepflicht, der Landwirt als Verursacher und, falls er ­Eigentümer der Fläche ist, zusätzlich als Inhaber des Jagdrechts, das ebenfalls mit der Hegepflicht untrennbar verbunden ist. Jeder kennt die Maßnahmen, wie ­z. B. Vergrämen, Absuchen, Einsatz von Drohnen und Wärmebildgeräten, Anbringen von Kitzrettern, Mähen der Fläche von innen nach außen usw.
Nach § 17 Nr. 1 Tierschutzgesetz wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wer vorsätzlich ein Wirbeltier ohne vernünftigen Grund tötet. Das absichtliche Erlegen von Wild im Rahmen ordnungsgemäßer Jagdausübung erfolgt mit vernünftigem Grund, das vorsätzliche Töten durch landwirtschaftliche Maschinen in der Regel nicht.
Strafbar ist nur die vorsätzliche Tat, wozu es ausreicht, dass der Täter den Tod der Kitze billigend in Kauf nimmt, er also damit rechnet, dass er Kitze ­töten wird und trotzdem mäht. Fahrlässigkeit genügt nicht. Aber jeder Landwirt weiß, dass im Mai die Kitze gesetzt werden. Und da er auch weiß, dass dies häufig im Schutz hoch gewachsener Wiesen oder Felder geschieht, meistens auf Flächen, in denen schon in den Vorjahren Kitze betroffen waren, ist in der Regel von Vorsatz auszugehen. Ausreden gibt es da nicht.
Anders ist es nur, wenn der Landwirt rechtzeitig die Pächter benachrichtigt oder selbst wirksame Schutzmaßnahmen getroffen hat, indem er tätig wurde oder geeignete Dritte damit beauftragte. Restlos verhindern kann man solche Verluste natürlich nicht, aber doch erheblich vermindern. Es ist zu begrüßen, dass die Gerichte inzwischen sehr sensibilisiert sind und die Verurteilungen sowie Strafhöhen deutlich zunehmen, seit der Tierschutz in Art. 20a des Grundgesetzes verankert ist.
Im 2. Fall verurteilte das Gericht den Landwirt wegen Wilderei, weil er vorsätzlich Wild getötet hat. Nach § 292 Abs. 1 Strafgesetzbuch begeht Wilderei, wer unter Verletzung eines fremden Jagd­ausübungsrechts Wild erlegt, wobei Erlegen jede Form des vorsätzlichen Tötens bedeutet, also auch durch landwirtschaftliche Maschinen. Das mag überraschen, weil bisher wegen Verstoßes ­gegen das Tierschutzgesetz verurteilt wurde. Der Grund dafür ist, dass bei vorsätzlicher Tötung von Wild ohne vernünftigen Grund sowohl der Tatbestand des § 17 Tierschutzgesetz als auch der des § 292 Strafgesetzbuch verwirklicht werden. Es stellt sich also die Frage, welche der beiden Gesetzesvorschriften Vorrang hat. Das Gericht hat sich für Wilderei entschieden und erklärt, dass die Tierquälerei gegenüber der Wilderei zurücktritt (vgl. Fischer, StGB, RandNr. 24 zu § 292). Auch bei Wilderei muss der Täter mit bis zu drei Jahren Freiheits- oder einer Geldstrafe rechnen.

In Deutschland fallen jedes Jahr circa 100 000 Kitze der Mahd zum Opfer.
Foto: Daniel Bastian

2. Ersatz für getötete Kitze?

Ausgangspunkt ist, dass durch die Tötung der Kitze die künftige Ausübung des Aneignungsrechts dem Jagdausübungsberechtigten unmöglich gemacht wird. Unzweifelhaft kann sich der Pächter die toten Kitze sofort aneignen, um sie z. B. präparieren zu lassen. Ansonsten sind sie jedoch wertlos. Aber darum geht es hier nicht. Die Frage ist vielmehr, ob er pro getötetem Kitz den Wildbretwert verlangen kann, den das Kitz ab Beginn der Jagdzeit im September haben würde.
In dieser Frage gehen die Meinungen der Gerichte stark auseinander. Die einen vertreten die Ansicht, dass der Verlust der Aneignungsmöglichkeit noch keine Verletzung des Aneignungsrechts darstelle, da nur eine ungewisse Aussicht auf einen künftigen Eigentumserwerb bestehe. Es sei ungewiss, wie viele der Kitze zur Jagdzeit noch lebten und sich im Revier aufhalten würden.

Andere sehen bereits im Wegfall der Aneignungsmöglichkeit einen ersatzpflichtigen Schaden. Dem ist nach meiner Ansicht zuzustimmen, weil der Verlust des Aneignungsrechts endgültig ist und sich Rehwild sehr standorttreu verhält. Die Kitze folgen der Ricke den Winter hindurch, sodass mit großer Wahrscheinlichkeit davon auszugehen ist, dass sie auch während der Jagdzeit noch Standwild im Revier sein werden.
Anders ist es bei der Tötung erwachsener Stücke. Hier steht fest, der Täter muss den Wert des Wildbrets erstatten, weil Unfallwild grundsätzlich nicht mehr veräußert werden darf. Ebenso ist es bei der Tötung von Wild durch Wilderei oder wildernde Hunde.

III. Ergebnis

1. Das vorsätzliche Ausmähen von Kitzen, Junghasen und Gelegen von Federwild ohne vernünftigen Grund ist nach dem Tierschutzgesetz eine Straftat, die mit einer Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder einer Geldstrafe geahndet wird.

2. Der Landwirt handelt grundsätzlich vorsätzlich und ohne vernünftigen Grund, wenn er weder selbst Schutzmaßnahmen getroffen oder veranlasst hat noch die Jagdpächter spätestens
72 h vor dem Mähen unterrichtete. In solchen Fällen nimmt er die ­Tötung von Kitzen in der Regel billigend in Kauf, wenn er trotzdem mäht, weil ihm die Gefahren für das Wild aus der Fachpresse und den Vorjahren bekannt sind.

3. Die Frage, ob pro getötetem Kitz der Wildbretwert in Höhe des vermutlichen Gewichtes zur Jagdzeit zu ersetzen ist, wird uneinheitlich beantwortet. Anders bei adulten Stücken: Hier ist der konkrete Wildbretwert zu erstatten.

Auch das vorsätzliche Ausmähen von Gelegen ist eine Straftat.
Foto: Dieter Hopf

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