Oft läuft auf der Jagd alles nach Plan. Doch manchmal treibt sie seltsame Blüten.
Peter Schmitt
Das hatte gut geklappt. Das Hinterfeld, eine abgelegene Wiese am Revierrand, wird im Winter jagdlich oft vernachlässigt. Seine Nähe zum benachbarten Staatsforst verspricht aber immer gute Chancen auf Reineke. Und tatsächlich lag der Fuchs bereits nach etwa zehn Minuten. Nach weiteren 30 drehte der Wind. Ein längeres Ausharren wäre sinnlos gewesen.
Die Nacht ist zwar schon beträchtlich vorangeschritten, aber auf der anderen Revierseite ist mir ein roter Freibeuter bekannt, auf den ich es noch ein Stündchen probieren will. Auf der Fahrt passiere ich eine auf drei Seiten vom Wald umschlossene Heuwiese. Sofort sehe ich aus Hunderten Metern Entfernung, dass das komplette hinterste Drittel nicht wie die Landschaft drumherum weiß vom Schnee, sondern fast komplett schwarz ist. Inmitten dieser Fläche enthüllt das Wärmebildgerät sechs kompakte Punkte – Sauen!
Sofort beginnt es zu rattern: Es ist nach 2 Uhr, um 8 Uhr ist Antritt im Büro. Bis ich mich rangepirscht, im Idealfall eine Wutz erlegt und sie geborgen habe – bei dem matschigen Boden inklusive Nassschnee mit der hohen Wahrscheinlichkeit, dabei den Wagen zu versenken –, anschließend in die Wildkammer gefahren bin, aufgebrochen und alles geputzt habe – viel Schlaf kommt da nicht mehr herum.
Da ist die Fuchsjagd doch deutlich bequemer: Reineke muss weder aufgebrochen noch in die Wildkammer gebracht werden und kann problemlos am Folgetag gestreift werden. Aber die Rotte weiterhin das Grünland verwüsten lassen, ist auch keine Option. Da weit und breit kein anderes Wild zu sehen ist, entschließe ich mich zu einem kurzen Hupkonzert. Auch auf 400 m Entfernung verfehlt es seine Wirkung nicht. Die Wutzen trollen sich in den anliegenden Wald.
Gerade als ich losfahren möchte, tauchen die Punkte nach und nach wieder am Waldrand auf. Kaum eine Minute ist vergangen, und die Bande bricht einfach weiter! Erneutes Hupen zeigt keine Wirkung mehr.
Fuchs und Frischling: Bei dem einen dauerte die Jagd zehn Minuten, beim anderen kostete sie die halbe Nacht und zahlreiche Nerven.
Foto: Peter Schmitt
Dann werden eben doch andere Seiten aufgezogen. Ich schnappe mir Schneehemd, Pirschstock sowie Büchse und mache mich auf den Weg. Der führt durch eine Senke, zudem ist die Wiese, auf der die Sauen brechen, stark kupiert. Der nicht gefrorene Boden ist durch den tauenden Schnee klitschnass, bildet bereits Wasserlachen, und der Pappschnee knirscht trotz aller Vorsicht, dass man es im Nachbarort hören müsste.
Als ich endlich die entscheidende Kuppe erreiche, sehe ich, was ich vermutet habe – nichts. „Hätte mich auch gewundert, wenn sie das ausgehalten hätten“, denke ich, betrachte die Schäden und mache mich zurück zum Auto. Dort angekommen sind Schuhe und Socken triefnass. Zeit, schleunigst nach Hause zu kommen. Nachdem ich alles im Wagen verstaut habe, glase ich die Gegend noch einmal ab. Unglaublich! Auf der Heide, wo ich eben noch stand, brechen jetzt wieder vier Sauen. Wenig später folgen auch Nummer fünf und sechs. Mir reicht es! Ich versuche es noch einmal mit Hupen. Fehlanzeige. Also wieder los, diesmal aber ohne die dicke Ansitzkleidung.
Der zuvor gebahnte Pfad ermöglicht nun ein etwas leiseres Vorankommen, trotzdem kann man es beim besten Willen nicht unter Pirsch verbuchen. Wie sollte es anders sein: Als ich über die Kuppe komme, ist die Bühne leer. Noch kurz überlege ich, mich auf der nahen Kanzel einzurichten, aber da ich bis zu den Waden durchnässt bin, verwerfe ich den Gedanken und trete abermals den Rückzug an.
Da man ja schließlich aus Fehlern lernt, warte ich mit einem erneuten vergewissernden Rundumblick diesmal nicht, bis ich wieder komplett am Auto bin, sondern wage ihn auf halber Strecke. Das Resultat vermag mich nicht mehr zu überraschen. Am oberen Rand der Heide steht die Rotte im Gebräch, als sei nichts gewesen.
Spätestens jetzt wird es persönlich. Zudem machte die Bache diesmal den Fehler, den Überläufer sowie die vier Frischlinge auf und nicht hinter der Kuppe ins Freie zu führen, sodass ich die Wutzen mit Sichtkontakt angehen kann, was schließlich auch gelingt. Jedoch verschwimmen die Wutzen durch das Brechen auf der Kuppe von meiner Warte aus mit dem schwarzen Waldrand. Nur die kugelrunde, kurz vor dem Frischen stehende Bache stünde passend. Von hier unbemerkt auf die Kanzel zu kommen – unmöglich. Ich beschließe, weiter bergauf direkt auf die Rotte zuzupirschen, um einen besseren Sichtwinkel zu bekommen.
Als mich nur noch etwa 60 m von der Bande trennen, sollte es gehen. Ich positioniere den Schießstock mit Vorder- und Hinterschaftauflage. Noch eine letzte Korrektur, dann müsste es passen. Doch irgendwie gehorcht mir der Zielstock nicht mehr. Wie in einem Traum sehe ich, dass sich etwas von mir wegbewegt und mit einem Knirschen in den Schnee fällt. Ich weiß nicht ob ich lachen oder heulen soll. Die Ständer des Schießstocks waren so weit im Schneematsch versunken, dass der hintere Teil einfach stecken blieb, während ich den vorderen versehentlich aus seiner Fixierung zog. Ich benutze dieses Utensil bestimmt schon vier Jahre, aber das gab es noch nie. Die Bache sichert zwar misstrauisch, wendet sich dann aber doch wieder dem Gewürm zu. Zeit für mich, im Schnee kniend den Schießstock zu reparieren, was gegen den hellen Hintergrund glücklicherweise auch ohne Licht gelingt.
Wenig später stehe ich vor meinem hart verdienten 30-kg-Frischling. Die Bergung stellte sich als weiterer Höhepunkt heraus. Es sei nur verraten, dass sie mehr Schweiß aus Angst gekostet hat, als die drei Pirschgänge zuvor aus Anstrengung zusammen, und dass ein spontaner, ungewollter Umweg über einen Rapsacker notwendig war, um den Geländewagen nicht unwiederbringlich zu versenken.
Als ich schließlich aus der Wildkammer komme, lohnt sich ein richtiger Schlaf auch nicht mehr. Warum also nicht noch nach dem bestätigten Fuchs schauen? Der kommt mir auf dem Weg zum Sitz schon entgegen. Eine Minute später landet auch er im Kofferraum. Warum kann es nicht immer so sein?