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Stöhnend zum Elch

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In den Wäldern und Sümpfen östlich von Minsk ziehen die heimlichen Cerviden meist ungesehen ihre Fährten. Während der Brunft lassen sie sich jedoch aus der Reserve locken. MARKUS DEUTSCH erlebte eine spannende Jagd auf das urige Wild

Elch
Foto: Markus Deutsch

Andrej Andrejewitsch Schimtschuk greift zum Hirschruf. Mit der linken Hand hält er ihn vor den Mund, mit der rechten kneift der Oberjäger seine Nase zu. Drei-, viermal stöhnt er ein kurzes nasales „Eoh“. Dann lauscht er konzentriert in Richtung Waldrand. Stille. An den Birken regt sich keines der goldgelben Blätter. Über die Kahlschlagfläche wabern Nebel und hüllen die zahlreichen Reisighaufen ein. „Da! Ein Elch“, wispert der Weißrusse und deutet zu einer Erlengruppe hinüber. Angestrengt stieren wir zur Bauminsel, doch schon hat sich ein Nebelschleier davorgeschoben. Als er sich verflüchtigt, kommt anstatt eines Elches ein weiterer Reisighaufen zum Vorschein. Also Fehlanzeige.

Plötzlich knackt es, dann ist ein leises Platschen zu hören. Andrej hält den Zeigefinger vor den Mund. Jetzt nur keinen Mucks! Minuten vergehen. Nichts tut sich. Vorsichtig nimmt der Jagdführer den Hirschruf hoch. Ganz leise ahmt er erneut den stöhnenden Lockruf des Elchwildes nach. Diesmal erhalten wir Antwort aus dem Wald. „Der ist wahrscheinlich gerade über den Bach. Da gibt es einen alten Wechsel. Vierzig, fünfzigMeter von hier“, raunt mir der Berufsjäger zu.

Ein Anpirschen verbietet sich. Zum einen ist die Kahlschlagfläche, auf der wir hinter einem Wurzelteller Posten bezogen haben, mit Herbstlaub und trockenem Astwerk übersät. Zum anderen hat ein leichter Wind eingesetzt, der unseren Pirschgang frühzeitig vereiteln könnte. Bei dem extrem gut vernehmenden und windenden Elchwild bleibt also nichts anderes übrig als zu warten und auf Andrejs Lockkünste zu setzen. Aber irgendetwas scheint den Hirsch in den Bann zu ziehen, und das sind leider nicht wir. Denn seine Antwort kommt immer aus derselben Ecke des Bestandes. Der Cervide macht keinerlei Anstalten, in unsere Richtung zu ziehen. Ganz im Gegenteil: Langsam entfernt sich das Stück und das näselnde „Eoh“ wird immer leiser. Mit einem Wink deutet Andrej an, dass wir zum Wagen zurückgehen sollen. Vorsichtig packen wir unsere Siebensachen zusammen und schleichen uns, immer auf Falllaub und herumliegende Äste achtend, von der Lichtung.

Der Rückweg zur Jagdbasis führt durch große Mischwälder, die immer wieder von Bächen und unbegehbaren Sumpfflächen durchzogen sind. Ab und an säumen einige der typischen Holzhäuser den Weg. Dann wieder öffnen sich große Acker- und Weideflächen. „Heute Abend setzen wir uns auf die andere Seite vom Bachtal“, schmiedet Andrej Pläne für den nächsten Ansitz. Der Mittvierziger kennt sich in dem 88000 Hektar großen Jagdgebiet Teterinskoje bestens aus und weiß, wo das Wild seine Einstände hat.

Unverkennbar hat hier ein Stück Elchwild seine Trittsiegel hinterlassen. Foto: Markus Deutsch

Als Oberjäger führt er bereits seit vielen Jahren die Riege der Teterinskojer Berufsjäger an. Dementsprechend fragt er seine Kollegen nach deren Anblick an diesem Morgen aus, nachdem wir auf den Hof der Basis gefahren sind. Mitte September ist die Brunft des Rot- und Elchwildes in vollem Gange. Das bedeutet für die weißrussischen Waidmänner wenig Schlaf und viel frische Luft. Wenn sie keine Jagdgäste führen, sind sie im Revier unterwegs, um Hirsche zu verhören. „Nach dem Frühstück machen wir eine kleine Erkundungstour. Nicht weit vom Nachbardorf sind Wölfe gesehen worden. Wollen mal sehen, wo die abgeblieben sind“, verabschiedet sich Andrej und braust mit dem UAZ-Geländewagen von dannen.

Das Dorf, in dessen Nähe die Grauhunde gesichtet wurden, liegt auf einer kleinen Anhöhe. Um dorthin zu gelangen, durchqueren wir einen Flusslauf. Direkt neben der holprigen Furt deuten abgebrochene Pfähle darauf hin, dass bis vor Kurzem eine Brücke das Passieren bequemer gemacht hat. „Die wurde in diesem Frühjahr vom Hochwasser weggerissen“,
erklärt der Weißrusse, während er mit langem Hals unser Gefährt ans gegenüberliegende
Ufer bugsiert. Der Sandweg, der sich über die Anhöhe schlängelt, führt direkt zum kleinen Dorf Salosje, was man frei mit „Siedlung hinter dem Elch“ übersetzen könnte. Ein solcher Ortsname weckt Erwartungen. Doch während ich bereits mit Vorfreude an den abendlichen Ansitz denke, bremst Schimtschuk abrupt. „Hier sind sie über die Straße und dann weiter in die Sümpfe.“ Der erfahrene Waidmann deutet auf die Wolfsfährten am Wegesrand. „Im Winter können wir sie dort bejagen, wenn das Eis trägt. Jetzt ist da wenig zu machen“, zuckt Andrej resignierend mit den Schultern.

Gerade wollen wir wieder ins Auto steigen, als wir ein Röhren vernehmen. Der Oberjäger schnappt sich seinen Hirschruf und röhrt ebenfalls. Der Edelhirsch antwortet ihm. Dass der Brunftbetrieb hier auch am helllichten Tage stattfindet, liegt daran, dass das Wild in den oft schwer zugänglichen Wäldern weitestgehend Ruhe hat.

Der Weg ins Revier führt vorbei an kleinen, bunten Holzhäusern. Foto: Markus Deutsch

„Das hört sich nach einem Reifen an. Da kann Pawel nachher mit seinem Jagdgast hin“, freut sich mein Jagdführer und fordert mich zum Einsteigen auf. „Jetzt fahren wir mal zu der Wiese, an der wir heute Abend unser Glück versuchen.“ Quer durch den Wald geht es die ausgefahrene Sandpiste entlang. Als es mit dem Geländewagen nicht mehr weitergeht, satteln wir auf Schusters Rappen um. Über einen alten, bemoosten Rückeweg geht es zügigen Schrittes zur Waldwiese. Sie fällt leicht zum Bach hin ab, der nur durch einen schmalen Baumgürtel verdeckt wird. „Da ist heute Morgen der Elch durchgezogen, den wir von der anderen Talseite gehört haben.“ Andrej deutet in Richtung eines Erlenbruchs. „Vielleicht kriegen wir ihn heute Abend zu Gesicht.“ Kurz bevor wir wieder am Auto sind, entdeckt der Jäger eine freigescharrte Stelle im Waldboden. Er greift sich etwas feuchte Erde aus der Mulde, riecht daran und hält sie mir unter die Nase. Brunftgeruch! „Die Kuhle ist frisch. Da kann der Elch nicht weit sein“, zwinkert mir Andrej zu.

Mit dem Einachstrecker fahren die weißrussischen Berufsjäger die Beute zum Streckenplatz. Foto: Markus Deutsch

Bereits um fünf Uhr sitzen wir – mit Blick auf den Bruch – auf einer Leiter, die mitten auf der Lichtung steht. Es vergeht keine halbe Stunde bis wir das erste Platschen hören. Leise fängt Schimtschuk an zu locken. Zwei kurze „Eohs“ – dann Pause. Vom Bach her hören wir ein Knacken, dann die Antwort eines Elches. Plötzlich ertönt auch aus dem Erlenbruch ein stöhnender Lockruf. Der Berufsjäger hält Zeige- und Mittelfinger hoch: Es sind zwei Stück Elchwild. Allem Anschein nach war Andrejs Locken eine Art Initialzündung, denn jetzt kommt Leben in die Sache. Das Brechen der Äste lässt uns ahnen, dass die beiden Rivale aufeinander zuziehen. Dabei nähern sie sich immer weiter dem Bestandsrand.

Der Jagdführer stößt mich an: Ich soll mich fertig machen. Kürzer und energischer werden die Brunftlaute. Unmittelbar bevor sie den Rand der Baumgruppe erreichen und damit für uns sichtbar werden, treffen die Elche aufeinander. Was sich im Bestand abspielt, können wir nur erahnen. Das kurze Stöhnen wächst sich zu einer Art Schrecken aus. Dann bersten Äste. Offensichtlich nimmt einer der beiden Reißaus. Es vergehen zirka zehn Minuten,
ohne dass sich etwas tut. Dann zeigt Andrej nach links. Der Verlierer der lautstarken Begegnung verlässt die Walstatt. Leider ist er für einen Schuss zu weit entfernt. Zudem schwindet das Büchsenlicht. Im großen Bogen zieht der Stangenelch seiner Wege. Er ist noch nicht lange zwischen den Birken verschwunden, da meldet ein Rothirsch jenseits des Baches. Als dann noch vier Sauen austreten, bin ich der festen Überzeugung, dass wir auf jeden Fall am nächsten Morgen hierher zurückkommmen sollten.

Nach einer kurzen Nacht sitzen wir wieder an der Waldwiese. Diesmal hinter einem umgestürzten Baum. Als der Morgen dämmert und das Büchsenlicht ausreicht, beginnt Andrej mit dem Locken. Nichts tut sich. Erneut setzt er den Hirschruf an und näselt ein paar „Eohs“ in Richtung Bruch. Stille. Dann greift der Oberjäger zu einem dicken Ast und schlägt mit Schwung auf die umstehenden Büsche ein. Auf meinen fragenden Blick hin flüstert er mir zu: „So imitiere ich das Fegen.“ Ich staune noch über die Wahl der Mittel, als Andrej mitten in der Bewegung erstarrt.Im Augenwinkel sehe ich einen schwarzbraunen
Kegel am Rand des Bruchwaldes. In Zeitlupe drehe ich mich. Gleichzeitig wandert die Büchse Stück für Stück hoch.

Die Strecke eines Morgens: ein vierjähriger Elch und ein Rothirsch vom zehnten KopfFoto: Markus Deutsch

Ein Stangenelch sichert unmittelbar am Waldrand aufmerksam in unsere Richtung. Ganz langsam führt mein Jagdführer die Hand zur Nase, drückt die Nasenflügel zusammen und lockt leise. Zunächst verharrt das urige Wild. Dann setzt es sich in scharfem Troll in Bewegung. Direkt auf uns zu. „Schieß!“, zischt der Oberjäger mir zu. Ich fasse den Stich mit dem Zielstachel und lasse fliegen.

Der Elch stoppt abrupt, dreht über die Hinterhand und ist im Wald verschwunden. Wir lassen die obligatorische Viertelstunde verstreichen und gehen zum Anschuss. Auf einem welken Pappelblatt findet Andrej einen stecknadelkopfgroßen Schweißtropfen. Wir gehen an die Stelle, an der der Elch im Wald verschwunden ist. Es dauert ein wenig, bis sich unsere Augen an die Dunkelheit gewöhnt haben. Da winkt Andrej mich ran. Auf zwanzig Meter ist ein heller Fleck zu erkennen. Ein Hinterlauf. Der Recke liegt! Es ging alles so schnell, dass ich mein Glück noch gar nicht fassen kann. Zwar ist es „nur“ ein Spießer, aber für mich das erste Stück Elchwild überhaupt. Während wir den Hirsch versorgen, klingelt das Dienst Handy: Der von Pavel geführte Jagdgast hat einen reifen Rothirsch gestreckt. Vielleicht ist es der, den wir am Morgen zuvor verhört hatten. „Na, da können wir gleich zwei Hirsche zur Strecke legen“, freut sich der Oberjäger über den Jagderfolg.

Nachdem die Beute dieses strahlend schönen Septembermorgens von allen Anwesenden der Jagdbasis begutachtet wurde, geht es zum Kühlhaus. Viele flinke Hände schlagen in Windeseile die Geweihten aus der Decke. Andrej ist sichtlich zufrieden. Während einer der Berufsjäger die beiden Häupter zum Abkochen bringt, nimmt mich mein Jagdführer zur Seite: „Und beim nächsten Mal schießt Du bei uns einen Rothirsch. Denn wer einmal in Teterinskoje gejagt hat, kommt wieder!“

Hirschjagd in Weißrussland – Teterinskoje

Revier: Das 88 000 Hektar große Jagdgebiet liegt ungefähr 200 Kilometer östlich von Minsk. Große Mischwälder wechseln sich mit Sumpf- und großen landwirtschaftlich genutzten Freiflächen ab.

Wildarten: Hauptsächlich ziehen in diesem Gebiet Rot-, Elch-, und Schwarzwild ihre Fährten.

Abschussgebühr: Die Gebührenliste für Elchabschüsse beginnt bei zirka 900, für Rothirschabschüsse bei ungefähr 400 Euro.

Einreise: Für Weißrussland werden ein Visum und eine Waffeneinfuhrgenehmigung benötigt.

Zusätzliche Informationen: Die beschriebene Jagd wurde von Westfalia Jagdreisen organisiert. Weitere Anbieter finden Sie im Internet und im WILD UND HUND-Anzeigenteil.

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