ZUM BEGINN DER JAGDZEIT AUF REHWILD
Die alljährlichen Streckenstatistiken belegen es nachdrücklich: Das Rehwild ist und bleibt die Hauptwildart der deutschen Jäger. Der 1. Mai ist in fast allen Revieren folglich ein besonderes Datum, das WILD UND HUND auch in diesem Jahr wieder entsprechend würdigen möchte. Doch abweichend von der bisherigen Regel soll den Schmalrehen etwas mehr Raum gewidmet werden als üblich.
Andreas David
Während früher der Schnepfenstrich in vielen Regionen das neue Jagdjahr eingeläutet hat, ist es heute der Beginn der Bockjagd beziehungsweise der Schmalreh-Bejagung am 1. Mai. Viele Jäger gucken sich bereits in den Wochen zuvor „ihren“ Bock aus, andere freuen sich, einfach wieder rausgehen zu können und harren der Böcke, die da kommen werden. Andere wiederum beginnen Anfang Mai nach dem Motto „Zahl vor Wahl“ mit der Abschussplanerfüllung bei den Rehböcken ebenso wie bei den Schmalrehen.
Das war nicht immer so. Das Reichsjagdgesetz sah für Rehböcke eine Jagdzeit vom 1. Juni bis zum 15. Oktober vor. Jene der Schmalrehe dauerte damals wie die der Ricken und „Rehkälber“ vom 16. September bis zum 31. Dezember. Gemäß der ersten Bundesverordnung nach dem 2. Weltkrieg (1952) wurde dann vom 16. Mai bis zum 15. Oktober auf Böcke und vom 16. September bis zum 31. Januar auf Schmalrehe gejagt. Im Jahre 1976 wurde der Beginn der Schmalreh-Jagdzeit auf den 16. Mai terminiert, und erst 1999 fasste der Bundesrat einen entsprechenden Entschluss, den Beginn der Jagdzeit auf Schmalrehe und Rehböcke vom 16. auf den 1. Mai vorzuverlegen. Das jeweilige Ende am 15. Oktober (Rehböcke) beziehungsweise am 31. Januar (Schmalrehe) wurde nicht angetastet. Zumindest nicht im Bundesjagdgesetz. Doch haben acht Bundesländer das Ende der Jagdzeit auf Schmalrehe ebenfalls vorverlegt oder die Jagdzeit unterbrochen (siehe Kasten). Für die Rehböcke hingegen hat die Regelung des Bundesjagdgesetzes in sämtlichen Bundesländern nach wie vor Bestand (1.5.–15.10.).
Einige Bundesländer änderten ihre Jagdzeiten auf Schmalrehe jedoch schon vorher, wichen vom 16. Mai ab und verschoben den Aufgang der Schmalrehjagd in die zweite Jahreshälfte. So begann vorübergehend auch in Schleswig-Holstein und Niedersachsen deren Jagdzeit, wie jene auf Kitze und Ricken, erst am 1. September. Heute aber geht es auch dort wieder Anfang Mai los. Aus Sicht des Wildes, seinem Lebensrhythmus sowie aus jagdpraktischen Gründen sprechen alle Argumente für einen möglichst zeitigen Aufgang der Jagdzeit.
So sieht es oft schon Mitte Mai aus: hohe Vegetation und Probleme beim Ansprechen, besonders, wenn sich das Wild niedergetan hat. Ein Grund mehr, den Jagdbeginn ab 1. Mai intensiv für die Bejagung der Einjährigen zu nutzen
Worum geht es? Ganz sicher nicht darum, möglichst frühzeitig den dicksten aller „Grenzböcke“ auf die Decke zu legen. Nein, es geht vor allem um das Jungwild, um Schmalrehe und Jährlingsböcke! Sie sollten in dieser Zeit im Fokus unserer Jagdausübung stehen. Es kommt also wieder einmal nicht nur darauf an, wieviel Rehe die Jäger vor Ort erlegen, sondern welche Stücke hinsichtlich ihres Geschlechts und Alters zur Strecke kommen.
Denn bei den einjährigen Rehen herrscht bei beiden Geschlechtern fast allerorten ein nicht zu unterschätzender Überhang. Dies vor allem deshalb, weil der Zuwachs vielerorts häufig unterschätzt wird oder weil (aus Bequemlichkeit?) im Jagdjahr zuvor zu wenig Kitze erlegt wurden. Einen mitentscheidenden Ausschlag für die damalige Vorverlegung gaben letztlich aber auch umfangreiche Auswertungen von Verkehrsfallwild-Statistiken. Diese zeigten, dass die meisten Schmalrehe in den Monaten April bis Mai (Juni) und das Gros der Jährlingsböcke schwerpunktmäßig im Mai auf der Straße überfahren werden. Die Jährlingsböcke werden von den etablierten, territorialen älteren Rehböcken „auf Schwung gebracht“, die Schmalrehe von ihren hochbeschlagenen oder bereits wieder führenden Müttern abgeschlagen.
Durch ein Herabsetzen der Einstandsund Äsungskonkurrenz durch den frühzeitigen Abschuss der Jährlinge beider Geschlechter Anfang Mai wird uns also unter anderem die Möglichkeit eingeräumt, die hohe Zahl der straßentoten Rehe signifikant zu reduzieren.
Dass dies gelingt – sofern konsequent umgesetzt –, zeigt ein Pilotprojekt im niedersächsischen Landkreis Hildesheim, an dem die Jägerschaften Alfeld und Hildesheim beteiligt sind. Dort beginnt man allerdings schon am 20. April mit der Bejagung von Schmalrehen und Jährlingen. Durch diese Vorgehensweise wurde die Fallwildquote von 34,3 Prozent der Gesamtstrecke auf den bisherigen Tiefstwert von 16,5 Prozent, also um etwas mehr als die Hälfte herabgesetzt!
Zwei kräftige JährlingenEnde April. Ob sie dernKugel ein paar Tage später anheim fallen, entscheidet der Qualitätsdurchschnitt im Revier
Fraglos ein Ergebnis, das sich sehen lassen kann. Desweiteren sollte durch die Vorverlegung der Jagdzeit der Jungwildanteil an der Gesamtstrecke erhöht werden, weil – wie bereits beschrieben – der Zuwachs meist unterschätzt und/oder nicht genutzt wird. Entsprechende Zuwachs-Zählungen, die stets nur Mindestwerte(!) sein können, und ein späterer Abgleich mit der Strecke in einer großen Hegegemeinschaft im Landkreis Hildesheim zum Beispiel zeigen, dass dort in den zurückliegenden drei Jagdjahren nur zwischen knapp 75 und 84 Prozent des jährlich ermittelten Mindestzuwachses tatsächlich auch abgeschöpft wurde.
Dabei dürften unter Berücksichtigung aller bekannten Probleme bei der Zählbarkeit von Rehen die tatsächlichen Zuwachsraten um einiges höher, die tatsächliche Nutzungsrate folglich noch deutlich geringer gewesen sein. Doch beziehen sich diese Werte nur auf eine Hegegemeinschaft.mIm gesamten Hildesheimer Projektgebiet – etwa 100 000 Hektar, davon 23 Prozent Wald – wurde der Jungwild-Streckenanteil trotzdem von etwa 30 Prozent auf etwa 50 bis 60 Prozent verdoppelt. So, wie es in der Fachliteratur (z. B. UECKERMANN 1996) empfohlen wird.
Und nun steht sie erneut unmittelbar bevor, die Jagdzeit auf Böcke und Schmalrehe. Und diese Chance sollten wir nutzen. Denn in keiner Zeitphase eines jeden Jahres sind die Jährlinge, noch dazu bei guten Lichtverhältnissen, aktiver und folglich so häufig zu beobachten. Und zu keiner Zeit sind die Schmalrehe leichter anzusprechen und einfacher zu erbeuten – vor allem in Waldrevieren.
Die Gründe sind offensichtlich: Schmalrehe sind allein durch ihren „kindlichen“ Habitus zweifelsfrei von den deutlich stärkeren Ricken zu unterscheiden, die – entweder hochbeschlagen oder bereits führend und folglich an der meist prall gefüllten Spinne – zu erkennen sind. Weiterhin ist die Vegetation in dieser Frühlingsphase noch sehr niedrig, was uns einerseits ein Ansprechen unter Zuhilfenahme des gesamten Körpers erlaubt und andererseits den Blick zwischen die Keulen der weiblichen Stücke ermöglicht. Schmalrehe zeichnen sich besonders durch einen schmalen Träger und Kopf sowie einen schwachen Rumpf aus, wodurch die Läufe überproportional lang wirken. Besonders die Vorderläufe erscheinen dabei sehr enggestellt – genau wie bei den Jährlingsböcken. Später im Jahr dagegen gleichen sich Schmalrehe und Ricken figürlich immer weiter aneinander an. Die Schmalrehe werden erwachsen oder besser „ausgewachsen“, einige dabei zwar deutlich schneller als ihre Jahrgangsgenossinnen, doch sind weibliche Rehe generell früher ausgewachsen als männliche Stücke.
Das Verfegen der Jährlinge kann sich bis in den Juni hinein verzögern. Hier zwei Brüder – mit und ohne Bast
Die Gefahr, versehentlich eine führende Ricke zu erlegen, steigt deshalb von Monat zu Monat. Die Kitze werden immer selbstständiger, und die Laktation der Ricken geht im Laufe des Sommers, spätestens mit Beginn der Brunft – hormonell gesteuert – zurück. Und wer über etwas Erfahrung im Umgang mit dem Rehwild verfügt, weiß, dass die Kitze schon im Frühsommer gar nicht selten bereits einige Zeit vor der Ricke aus der
Deckung treten und umgekehrt. Rehkitze sind, im Unterschied zu den Kälbern des Rotwildes, frühreif und neigen zu kurzen Alleingängen im Umfeld der Ricke. Zum einen sind sie sehr viel früher, etwa ab Mitte, Ende Juli weitgehend unabhängig von der Milch der Mutter, zum anderen vollzieht sich die relative Gewichtszunahme, in Relation zum jeweiligen Geburtsgewicht, deutlich schneller als bei den Rotwildkälbern. Und nicht zuletzt sollten wir getreu dem Motto „Was Du heute kannst besorgen…“ auch das Ende der Jagdzeit im Auge behalten. Denn dort, wo es möglich ist, sollte vor allem in Waldrevieren um Weihnachten oder Neujahr herum weitgehend „Hahn in Ruh“ herrschen, danach zumindest aber nicht mehr mit großen Hundemeuten auf Bewegungsjagden agiert werden.
Zu welchen Verschiebungen in der Streckenstruktur mögliche Versäumnisse führen können, zeigte sich bei einem eigenen Rehwildprojekt in der Landesforstverwaltung Niedersachsen (Forstamt Rosengarten) – damals allerdings zwangsweise herbeigeführt. Nachdem das damalige Forstinisterium Mitte der 90er Jahre den Beginn der Jagdzeit auf Schmalrehe auf den 1. September zurückdatierte, sank die Schmalrehstrecke um 50 bis 80 Prozent im Vergleich zu den Jahren zuvor, in denen die Jagdzeit damals noch am 16. Mai begann. Andererseits wurde in diesen Jahren im Projektgebiet allerdings auch kein (!) Fehlabschuss registriert. Es kam eben kein weibliches Stück Rehwild vor dem 1. September zur Strecke.
Jährlinge wie diesen sollte man schießen, wenn er einem begegnet. Auf ein späteres Zusammentreffen zu warten, ist meist von wenig Erfolg gekrönt
In den ersten Maitagen ist es ein Leichtes, in die Klasse der unerfahrenen, mweil führungslosen Jährlinge einzugreifen
Zur Bejagung von Schmalrehen im Frühling oder Frühsommer mag nun jeder seine eigene Philosophie entwickeln. Sinnvoll aber ist sie allemal, wie die vorstehenden Absätze gezeigt haben. Über eine zeitige Schmalrehbejagung kann eine gute Streckenstruktur hinsichtlich der Alterspyramide herbeigeführt und die Zahl der Verkehrsopfer in der Fläche gesenkt werden. Überhaupt sollten derartige Überlegungen auf große Flächen,
beispielsweise auf Hegeringbasis, bezogen werden. Denn unsere Reviere sind und bleiben offene Systeme mit einem fortwährenden Austausch, mit einer fortlaufenden Zu- und Abwanderung. Das bisher zu den Schmalrehen Gesagte gilt mit leichten Abweichungen auch für die Jährlingsböcke. Ihre Ansprache bereitet in der Regel keine Probleme, und sie sind in dieser Periode besonders leicht zu erlegen. Gerade in dieser Zeit ist die Bewegungsaktivität der Jährlinge (und älteren Böcke) noch hoch, was ihre Sichtbarkeit und unsere Chancen auf Jagderfolg erhöht. Schon im Laufe des Wonnemonats aber geht diese gesteigerte Aktivität deutlich zurück, um im Juni in der so genannten Frühsommerruhe zu münden, auch wenn es hier, in Abhängigkeit von den Revierverhältnissen, der Wilddichte und dem Geschlechterverhältnis zu Abweichungen kommen kann.
Trotzdem sollte im Zweifel, beispielsweise bei Geschwistern, eher auf die Schmalrehe als auf die Jährlingsböcke angelegt werden. Denn die männlichen Stücke sind auch etwas später noch leicht anzusprechen. Die noch immer zu hörende Behauptung, durch einen frühzeitigen Bockabschuss die Gesamtbestände – dort wo nötig – nachhaltig reduzieren zu können, ist überdies falsch. Denn Böcke setzen bekanntlich keine Kitze. Folglich lässt sich eine Rehwildpopulation über einen wie auch immer erhöhten Bockabschuss mittel- oder langfristig nicht reduzieren. Die Auswertungen von
Abschussstatistiken zeigen darüber hinaus, dass bereits vor der Vorverlegung der Jagdzeit vom 16. auf den 1. Mai unverhältnismäßig mehr Jährlingsböcke als Schmalrehe erlegt wurden. Und daran hat sich bis heute kaum etwas geändert. Die Gründe dafür sind sicher vielfältig. Ansprechprobleme, die Priorität einer wenn auch geringen Trophäe oder die noch immer weit verbreitete „innere“ Abneigung gegen die zeitige Schmalrehbejagung oder den Abschuss weiblicher Rehe überhaupt dürften dabei im Vordergrund stehen.
Dabei ist jedoch – über den Schmalrehabschuss hinausgehend – Folgendes zu bedenken: Beim Setzen pendelt das Geschlechterverhältnis mit leichten Abweichungen noch durchschnittlich um den Wert 1:1. Zahlreiche Untersuchungen zeigen aber, dass sich das Geschlechterverhältnis mit zunehmendem Alter zu Gunsten des weiblichen Rehwildes verschiebt. Diese Erkenntnisse erklären, warum wir vielerorts trotz eines leichten Überhangs weiblicher Rehe oder einer ausgeglichenen Bilanz auf der Strecke nicht auf ein halbwegs ausgeglichenes Geschlechterverhältnis im lebenden Bestand kommen. Die üblichen Abschussplanungen in einem ausgeglichenen Geschlechterverhältnis führen also häufig zu einer weiteren, ungewollten Verschiebung zu Gunsten des weiblichen Rehwildes, bei einer meist ohnehin gegebenen Unterschätzung des weiblichen Anteils im Bestand. Grundsätzlich empfiehlt es sich also, bei sich bietender Gelegenheit die Abschüsse gerade beim weiblichen Rehwild nicht aufzuschieben. Denn wer kennt ihn nicht, den unangenehmen Druck, gegen Ende der Jagdzeit dann noch das eine oder andere weibliche Stück Rehwild erlegen zu müssen? Die Tage sind kurz und das Rehwild wenig aktiv. Um etwaigen Missverständnissen vorzubeugen: Bei allen bisherigen Hinweisen auf die Vorteile eines rechtzeitigen Abschusses von Schmalrehen darf dieser beim Eingriff in den weiblichen Teilbestand unter dem Strich selbstverständlich zahlenmäßig nicht dominieren. Stets sollte die Zahl der erlegten Rickenkitze und der Ricken, jeweils für sich, jene der Schmalrehe deutlich übersteigen.
Keine Zeit im Jahr eignet sich besser zur Bejagung der Schmalrehe als der frühe Mai. Der schmutzige Spiegel sollte hier zusätzliche Motivation sein
Zum Abschluss noch einige Sätze zur Bejagung der Jährlingsböcke und Schmalrehe in der offenen Landschaft. Durch das landwirtschaftlich bedingte Ausräumen der Feldreviere, durch Fokussierung auf einige wenige Fruchtarten und deren großflächigen Anbau ist es hier und dort generell gewiss nicht einfacher geworden, Strecke zu machen. Zu Beginn der Vegetationsperiode aber weichen Schmalrehe und Jährlinge notgedrungen auch auf das noch weitgehend freie und
wenig Deckung bietende Feld aus. Äsung finden sie dort bereits genug. Im Herbst und im frühen Winter jedoch wird es noch schwieriger, den Abschuss zu erfüllen. Auf vielen hundert Metern bleiben dann nicht selten die Altgras- oder Strauchbestände unter den Hochspannungsmasten und meist winzige, weitgehend entlaubte Feldholzinseln die einzige Deckung. Doch wie auch immer: Wir alle sollten uns vorbehaltlos auf den neuerlichen Beginn der Jagdzeit freuen, sie nutzen und uns trotz aller anderen Notwendigkeiten die Freude über einen „dicken“ Rehbock nicht nehmen lassen, vor allem wenn er eine rote Decke trägt.