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Das Ende einer Mär

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VAGABUNDIERENDES DAMWILD

„Damwild ist unstet“, beklagen viele Jäger. Aber stimmt das überhaupt? Dr. Egbert Gleich räumt mit diesem und weiteren Gerüchten über die Hirschart mit der gepunkteten Sommerdecke auf.

Wissensdefizite bei Damwild beseitigen, das war das Ziel einer GPS-Telemetriestudie im nördlichen Brandenburg. Das Untersuchungsgebiet liegt zu großen Teilen in der südlichen Uckermark und ist ein Bestandteil des Biosphärenre servates Schorfheide-Chorin. 2005 begannen die Arbeiten mit dem ersten Stück am Sender und endeten 2011 mit dem Abnehmen des letzten Halsbandes. Insgesamt wurden 17 Stück Damwild besendert – zehn männliche, sieben weibliche. Das Projekt ging primär der Frage nach, wie das Wild seinen Lebensraum nutzt. Zudem boten die umliegenden Feldfluren die Möglichkeit zu untersuchen, wie die Stücke die verschiedenen landwirtschaftlichen Flächen annehmen. Das Ergebnis: Interessante Fakten zum Wanderungs- und Lebensraumnutzungsverhalten, die mit so mancher sich hart näckig haltenden Märaufräumen.
Welche Habitate bevorzugt das Damwild?
Mithilfe der sogenannten Wildökologischen Lebensraumbewertung wurden alle Habitatelemente des Untersuchungsgebietes quantitativ als auch qualitativ ermittelt. Über die Lage der Ortungspunkte der besenderten Stücke konnte so die Nutzungsintensität der einzelnen Elemente bestimmt werden. Interessant war, dass sich 69,4 Prozent (%) aller Messpunkte auf nur zehn Habitatelementen befanden (siehe Tabelle Seite 22). Die übrigen 101 Elemente spielten nur eine untergeordnete Rolle. Erstaunlich ist, dass es sich bei den Waldhabitat elementen um Flächen mit niedrigem Verjüngungspotenzial handelt. Der Schwerpunkt auf den Agrarflächen zeigt, dass das Damwild vorrangig auf den bestellten Agrarstrukturen zur Äsung zog. Bei Wald-Feld-Habitaten, eine in Brandenburg sehr zahlreich anzutreffende Wildlebensraumkombination, nutzt das Wild den Wald mehr als Ruhebereich denn als Äsungsplatz. In der Literatur wird die Drahtschmiele (Deschampsia flexuosa) stets als Hauptäsung des Damwildes beschrieben. Die Ergebnisse unserer Telemetriestudie konnten das nicht bestätigen. Die Habitatelemente „Drahtschmielen-Locker-decken-Kiefern-Lichtwald“ oder „Draht-schmielen-Kiefern-Lichtwald“ wurden nur mäßig vom besenderten Damwild angenommen. In diesen Habitatelementen kommt die Drahtschmiele flächendeckend und in sehr großer Menge vor. Die Gesamtfläche, auf denen diese zwei Habitatelemente im Untersuchungsgebiet vorkommen, beträgt immerhin beachtliche 194,8 Hektar (ha). Trotzdem wurde das Damwild weitaus mehr von Kulturgräsern (Getreide), Wiesengräsern und Ackerfutterflächen angezogen.
Wie weit wandern die Stücke?
Es ist wichtig zu wissen, welche Wegstrecke ein einzelnes Stück innerhalb seines Streifgebietes zurücklegen kann. Große Streifflächen implizieren nämlich für den Jäger immer mehr Arbeit, mehr Präsenz. In der Telemetriestudie hatten die Hirsche ausnahmslos größere Streifgebiete als die weiblichen Stücke. In der Vergangenheit wurde unterstellt, dass in einem großen Streifgebiet auch eine proportional größere Strecke zurückgelegt wird. Im Ergebnis der Berechnungen der Wegstrecken bei den im 10-Minuten-Takt georteten Stücken ergab sich, dass die auf einem bedeutend kleineren Streifgebiet lebenden Alttiere fast identische Wegstrecken wie die Hirsche zurücklegten. Die Geweihten nutzten zugleich ein dreifach größeres Areal als die Alttiere. Diese starke Aktivität der Alttiere auf geringer Fläche wird in erster Linie mit der Ernährung der heranwachsenden Kälber zusammenhängen. Zu Beginn des Beobachtungszeitraumes waren die Kälber etwa zwei Monate alt. In dieser Zeit sind sie noch sehr auf die Führung durch das Alttier angewiesen. Gerade dann muss es neben dem eigenen Bedarf auch den des Kalbes decken. Ein Hirsch deckt hingegen in dieser Zeit lediglich seinen Erhaltungsbedarf. Die Bildung des Bastgeweihs ist weitgehend abgeschlossen, und der Schaufler befindet sich in der Feistzeit. Der Tagesablauf eines Hirsches besteht aus Äsen und Ruhen. Im Gegensatz dazu hält das Kalb aufgrund eines verstärkten Hungergefühls durch den noch wenig entwickelten Pansen die Ruhephasen der Muttertiere kurz. Die Aktivität steigt somit. Dementsprechend kommt auch gerade in der Feistzeit sehr viel mehr Kahlwild in Anblick. Häufig wird dadurch der Kahlwildbestand über- und der Hirschbestand unterschätzt.
Vagabundiert Damwild?
Der Wildart Damwild wird gemeinhin unterstellt, dass sie in ihrem Lebensraum sehr unstet ist und ihre Aufenthaltsorte kaum vorhersagbar sind. Der Jäger beklagt dieses – auch als Vagabundieren bezeichnete Verhalten –, da es die Jagd und Beobachtung des Damwildes erschwert. Entspricht diese Wahrnehmung aber tatsächlich der Verhaltensspezifik der Wildart? Nein. In Untersuchungen der vergangenen Jahre wird dem Damwild eine sprichwörtliche Standorttreue bescheinigt. Das trifft für die Forschungen von Stubbe et al. 1999, Mahnke 2000, nitze et al. 2006, FiMpel 2009, STIER EL AL. 2010 und GLEICH 2017 gleichermaßen zu.

Es besteht somit ein erheblicher Unterschied zwischen dem, was der Jäger wahrnimmt und dem, was uns wissenschaftliche Studien verraten. Ursache dafür dürfte unter anderem sein, dass die Aktivitätsspitzen des tagaktiven Damwildes nicht in die Hauptansitzzeit der meisten Jäger fallen. Folglich: Das Wild ist immer noch im gleichen Areal. Aber der Jäger versucht es in einem Zeitraum zu beobachten, in dem es nicht mehr aktiv ist. In unserer Telemetriestudie wird der Beweis für die sprichwörtliche Standorttreue dieser Wildart sehr anschaulich erbracht. Alle 17 besen derten Stücke bewegten sich über ein Gesamtstreifgebiet von 14848 ha. Dabei befanden sich 99,8 % aller verwertbaren Messpunkte auf einer wesentlich konzentrierten Fläche von 7 217 ha. Ausreißer nach Norden und Osten wurden durch mehrtägige Expeditionen zweier Hirsche erzeugt. Nachdem die Messdaten (siehe Seite 26) ausgewertet wurden, war klar ersichtlich, dass die saisonalen Streifgebiete fast identisch liegen und sich nur geringfügig in ihrer Dimension unterscheiden. Bei beiden Stücken ist eine Erweiterung in der Brunft erkennbar. Der Hirsch „DW_H_2057_CM“ machte an einem Tag in der Brunft eine Expedition auf einen südlich von seinem Hauptstreifgebiet gelegenen Brunftplatz. Danach kehrte er in sein Hauptstreifgebiet zurück und nutzte den Brunftplatz inmitten seines Streifgebietes. Ebenso sind die Ausreißer beim Alttier „T_2076_X“ zu beurteilen. In den zwei Brunften des Beobachtungszeitraumes ist dieses Tier je einen Tag zum Beschlag auf den nächstgelegenen Brunftplatz gewechselt. Nicht alle Studien der jüngeren Vergangenheit ermitteln derartige saisonale Übereinstimmungen. NrrZE ET AL. 2003, Fimpel 2010 UND STIER ET AL. 2010 fanden Einstandsverschiebungen insbesondere bei den Hirschen.

Wie gut ist das Orientierungsvermögen?
Einen Nachweis, wie gut sich Damwild in seinem Lebensraum koordinieren kann, erhielten wir mithilfe eines besendereten Schmalspießers. Darüber hinaus zeigte sich dabei, wie stark dieses Wild an einen bestimmten Standort gebunden sein kann.
Der junge Hirsch wurde in seinem Streifgebiet, östlich der Bundesautobahn 11, betäubt und besendert (siehe Seite 25). Im Anschluss daran transportierte man ihn in das Areal westlich der Autobahn. Nach sechs Tagen und 17 Stunden war er wieder in sein ursprüngliches Gebiet zurückgezogen. Zwischen diesem und dem Ort, an dem er ausgesetzt wurde, befand sich eine Luftliniendistanz von fünf Kilometern. Der junge Damhirsch überquerte bereits am dritten Tag die damals noch ungezäunte Autobahn. Dabei benutzte er nicht die Grünbrücke, eine dort
installierte Videoüberwachungsanlage hätte dies ansonsten dokumentiert. Danach zog er noch weitere vier Tage durch ein ihm bis dahin unbekanntes Gebiet und erreichte schließlich seinen ursprünglichen Lebensraum.
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