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Mysterium Schaufler

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HÜRDEN DER DAMWILDHEGE

Einen Damwildbestand richtig zu bewirtschaften, ist leichter gesagt als getan. Wildmeister Jens Krüger zeigt, auf was beim Abschuss geachtet werden sollte.

20 Jahre lang hatte ich mich als Schriftführer unserer Hegegemeinschaft in der niedersächsischen Tiefebene mit verschiedenen Jagdzeitenverordnungen und Landesjagdgesetzen auseinanderzusetzen. Ich beobachtete in dem Zeitraum nicht nur das Sozialverhalten unseres Wildes, sondern auch das von Jägergenerationen. Eines hatte ich dabei schnell gelernt: Sind Jäger erst einmal verwöhnt, das heißt, hinsichtlich hoher Wildbestände verdorben, so lassen sie sich kaum noch davon abbringen, dass derartig hohe Bestände nicht ihre selbstverständliche Berechtigung haben. Für einen Sinneswandel braucht eine Hegegemeinschaft dann wenigstens eine Jägergeneration – und das ist ein Verflucht langer Zeitraum.

Aus Fehlern haben wir im Laufe der Jahre gelernt. Früher gaben wir Damwild stets im Geschlechterverhältnis 1:1 frei. Schließlich werden ja Kälber in einem solchen Verhältnis gesetzt. Das war eine kaum zu korrigierende Fehldenke, da der natürliche Abgang in der männlichen Mittelklasse (Schaufler ab dem 5. Kopf ) enorm ist. Der Verlust tritt auffallend häufig nach der Brunft auf. Damhirsche benötigen einen Großteil der Stoffwechsel-Produkte für den Körperaufbau. Dort liegt das Problem. Sie sind mit etwa dem fünften Kopf ausgewachsen. Von da an legen sie alles in Feistdepots an. In der Feldflur finden sie einen mit Weizen-, Raps,- Mais-, Kartoffel- und Rübenschlägen reich gedeckten Tisch. Die Feldgröße sorgt dafür, dass die Hirsche das „Schlaraffenland“ noch nicht einmal zu verlassen brauchen. Was folgt, ist fast schon als „Wohlstandskrankheit“ zu bezeichnen. Würde auf die Feiste nicht die Brunft mit einer einhergehen den extremen Fastenzeit folgen, so wäre das Ansetzen von Feist nicht dramatisch. In kürzester Zeit verlieren zur Brunft die ausgewachsenen Schaufler an Gewicht. Eine Vielzahl an Faktoren führt dann zum Verlust von Hirschen. Bei keiner Wildart ist die geringe Nahrungsaufnahme während der Brunft so dramatisch ausgeprägt wie bei Damhirschen. Anstatt sich nach der über Wochen dauernden Brunft mit leicht verdaulichen „Diät-Pflanzen“ körperlich aufzubauen, stopfen sie sich heißhungrig den Pansen mit Mais, Eicheln, Bucheckern und jungem Raps voll. Die Folge kann eine Azidose – eine Pansenübersäuerung – sein. Im akuten Fall führt diese zum raschen Tod. Erkrankte Hirsche sind daran zu erkennen, dass sie in der Nähe der Brunftplätze apathisch liegen und auf nichts mehr reagieren. In Mastjahren werden mehr Hirsche verludert gefunden als in Jahren ohne Baumfrüchte. Zudem beharkt und forkelt sich kaum eine andere Wildart in der Brunft so vehement untereinander wie das Damwild. Verletzungen sind an der Tagesordnung. In Folge des Dauerstresses, den sich die leidenschaftlichen Recken antun, schüttet die Nebennierenrinde Stresshormone aus, die wiederum die Abwehrkräfte des Immunsystems herabsetzen. Die hohe Brunftmortalität der Hirsche im Alter zwischen dem 5. und 9. Kopf scheint eine Kombination aus ungünstiger Ernährung, schlechtem physiologischen Zustand und starker Beanspruchung auf den Brunftplätzen zu sein.

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Die Mortalität bei Damhirschen ist höher als bei anderen Hirscharten. Brunftkämpfe bis zum Äußersten (1), hohe Verluste durch Strangulieren (2), Aufnahme von unverdaulichen Stoffen (3) und Wildunfälle (4) sind die Hauptgründe dafür.

Ein Patentrezept zum Verringern der Verluste gibt es nicht. Das übermäßig gute natürliche Äsungsangebot kann der Jäger nicht abschalten. Von wichtiger, positiver Bedeutung ist sicherlich ein natürlicher Altersklassenaufbau mit einem Geschlechterverhältnis von 1:1. Dahin wollen auch wir in unserer Hegegemeinschaft. Es gilt, die psychische wie auch physische Beanspruchung zu vermeiden. Ideal wäre, wenn sich das Brunftgeschehen dezentralisieren ließe, um das Risiko hoher körperlicher Beanspruchung auf großen Brunftplätzen zu vermeiden. Nur spielt dabei das Damwild nicht mit. Je weiter verteilt, je großflächiger Damwild in einer Hegegemeinschaft vorkommt, desto vorteilhafter wirkt sich das bei den Hirschen auf die Brunft aus. Daher sei angeraten, nicht gleich jedes junge Damtier und auch stärkere Schmaltier in den Randbereichen zu erlegen. Sobald in Revierteilen erst einmal kein Kahlwild mehr steht, werden diese oft nur langsam wieder besiedelt. Man kann sich zunutze machen, dass vor allem Alttiere unglaublich standorttreu sind. Die Abschüsse von männlichem zu weiblichem Wild sollten im Verhältnis 40 : 60, besser noch 30 : 70 erfolgen. Wirft man einen Blick auf den Bundestrend der Abschusserfüllung bei Hirschen und Kahlwild, so lässt sich ein Verhältnis von 1 : 3 feststellen. Dabei denke ich gerne an ein Zitat von Prof. Dr. Axel Siefke anlässlich einer unserer Kreisversammlungen: „Unsere Damhirsche scheinen mitunter dubiose Wege zu gehen und bleiben unauffindbar!“ Hinzu kommen Fehlabschüsse beim Damhirsch. Solche sind keine Seltenheit, da sie schwer anzusprechen sind. Die Schaufeln prahlen mächtig bei gutem Licht in der Sonne und haben schon manchen unerfahrenen Jäger verleitet.

Männliches Damwild wandert weiter als Kahlwild und hat einen größeren Raumbedarf. Gerade die Geweihten legen zwischen ihren Winter-, Sommer- und Feisteinständen große Entfernungen zurück. Vor allem in der Brunft katapultieren bei ihnen die Unfallzahlen an Verkehrsstraßen nach oben. Zäune sind üble Todesfallen. In unserer Region strangulieren sich viele Damhirsche an Elektrozaun-Litzen, aber andere Zäune birgen eine ebenso große Gefahr. Jüngere Hirsche haben die Angewohnheit, an Weidezäunen, herumliegenden Netz-, Bindegarn- und Drahtresten zu schlagen. Schnell haben sie sich darin mit dem Geweih verfangen und bleiben am Ort gefesselt oder schleppen sich mühselig davon. Die Kunststofflitze lässt sich selbst bei großen Anstrengungen nicht zerreißen, stranguliert das Wild, wirkt letztlich wie eine Schlinge.
Eine weitere Eigenart des Damwildes ist es, in der Landschaft herumliegende Teile von Siloplanen, Plastiktüten, Bindegarnen und Schnüren aufzunehmen. Warum es das tut, ist bis heute nicht bekannt. Die Damwild-Fachleute Dr. Erhard Ueckermann und Paul Hansen führen sogar drei Prozent der Verlustursachen auf unverdauliche Körper zurück. Kleinere Teile dürften zwar den Darmkanal passieren oder die Bildung von Magensteinen (Bezoare) veranlassen, aber große Fremdkörper unterbinden den Durchgang des Magen-Darm-Kanals. Immer wieder bin ich überrascht, welche Unmengen Fremdkörper beim Öffnen eines Pansens zum Vorschein kommen. Schmaltiere und Schmalspießer dürfen in Niedersachsen landesweit im Mai bejagt werden. Das ist ein großer Vorteil, da sie sich einfach ansprechen lassen. In unserer Hegegemeinschaft verzichten wir freiwillig auf den Abschuss von Schmalspießern. Darüber sind sich nahezu alle einig. Während beim Rotschmalspießer die Stangenlänge eine überwiegend zuverlässige Ansprechhilfe auf die spätere Geweihentwicklung ist (kurze Spieße stehen in der Regel im Zusammenhang mit Wildbretschwäche), ist das beim Damschmalspießer nicht gegeben. Bei ihnen spiegelt nur das Wildbretgewicht die erblich bedingte Konstitution wieder. Knopfspießer können hohe Gewichte von über 40 Kilogramm erreichen. Dagegen haben normal entwickelte Jährlinge mit keulenartigen Verdickungen und hohen Spießen vergleichsweise nicht annähernd die Konstitution. Zudem sind viele Spieße abgebrochen, was selbst beim genauen Ansprechen nicht zu erkennen ist. Maßgebend für gut veranlagte Spießer ist der Rosenstockdurchmesser. Doch das lässt sich nur am erlegten Stück feststellen – und dann ist es zu spät.

Das Damwild mit seinem ausgeprägten Sozialverhalten wird sich immer im Verbreitungsgebiet ungleichmäßig verteilen. Die Damwildhege mag dem Nichtkenner einfach erscheinen, doch das ist sie bei Weitem nicht. Im Gegenteil: Erfahrung, Feingefühl und fundierte Kenntnisse sind von der Jägerschaft gefragt.

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