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Digitale Sauen

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digitale Sauen
Foto: Karl Heinz Volkmar

INFORMATIONSSYSTEM
Wo stecken die Schwarzkittel, wo gehen Sie zu Schaden? Zwei Projekte in Bayern helfen mit technischen Mitteln, Zusammenhänge zu erkennen. Vivienne Klimke hat sich die  bundesweit bisher einzigartigen Modelle genauer angesehen.

 

Max Peter Graf von Montgelas kämpft an der Front. Dass der Krieg vermeintlich fast verloren, drei Viertel des Freistaats Bayern unterlegen sind, entmutigt ihn nicht. Seine Augen leuchten passioniert, während er die neuesten Taktiken präsentiert. „Jetzt kommt das Killerfeature“, sagt er und hackt ein paar Kommandos in den Computer. Von Montgelas ist seit zwei Jahren Schwarzwildreferent des Bayerischen Jagdverbands (BJV). Ein Amt, um das sich wohl niemand reißen würde. Denn das Schwarzwild ist ein Schwarzer Peter der bayerischen Jägerschaft. Jedes Jahr im Herbst, wenn die Jagdstrecken bekannt gegeben werden, schickt das Landwirtschaftsministerium zwei Karten zur Ausbreitung der Wildschweine in Bayern an die Presse. Die eine, von 1987/88, ist überwiegend weiß bis rosa gefärbt – weil sehr viele Hegegemeinschaften damals keine bis geringe Sauenstrecken vermeldeten. Die aktuelle Karte hingegen sieht aus, als wäre sie zu drei Vierteln von Schweiß getränkt: Heute werden in den meisten bayerischen Hegegemeinschaften bis auf den Süden mehr als 50 Sauen erlegt. Unaufhaltsam, so die Botschaft, erobern die Schwarzkittel das Land.

Schon 2009 hob der Bayerische Jagdverband das Programm „BJV digital“ aus der Taufe, das im vergangenen Jahr durch eine Kooperation mit der Firma ESRI professionalisiert wurde. Das Geographische Infomationssystem soll vor allem im Schwarzwildmonitoring und -management helfen. An einem solchen „Schwarzwild-Informationssystem (SIS)“ tüftelt auch der Bayerische Bauernverband (BBV) in fünf Modellregionen. Parallel zueinander werden in Bayern also zwei gleichartige Programme entwickelt, von denen man in anderen Bundesländern kaum etwas gehört hat oder die man gar für überflüssig hält, wie eine Anfrage von WILD UND HUND bei den übrigen Landesjagdverbänden ergab. BJV-Referent von Montgelas hält das für zu kurz gesprungen. Er greift sich ein exemplarisches Revier auf dem Bildschirm heraus. „Hier sieht man ein Feldrevier, das von großen Waldflächen quasi umzingelt ist“, beschreibt er. Die Äcker und Grünlandflächen sind mit bunten Stecknadelköpfen gespickt: Schadens-, Sichtungs- und Abschussmeldungen häufen sich. In den umliegenden Wäldern sind sie wesentlich dünner gesät. Dann wendet der Graf sein „Killerfeature“ an: „Wenn ich jetzt mal die Dichte der Abschüsse auf 100 Hektar in einer eigenen thematischen Karte auf Revierebene darüber lege, wird klar ersichtlich, wo das Problem seine Wurzeln hat.“ Die Rate im Feldrevier liegt mit dunkelblauer Färbung weit über jener im Waldgebiet. „Dasselbe kann ich zum Beispiel mit der Fläche der Abschussschneisen in Relation zur Maisfläche oder vielen anderen Daten machen“, erklärt von Montgelas. Die thematische Karte verrät also nicht mehr nur das „Was“ sondern gibt auch eine Ahnung vom „Warum“. Doch die Fakten, aus denen solche Karten entstehen können, müssen erst einmal herbeigeschafft werden. Der Schwarzwildreferent wertet alle relevanten bayernweiten Statistiken aus, an die er gelangt, vor allem die Abschüsse pro Hegegemeinschaft, die die Oberste Jagdbehörde zur Verfügung stellt. Im BJV-eigenen Schwarzwildmonitoring, an dem mit rund 360 etwa die Hälfte aller bayerischen Hegegemeinschaften mitwirken, werden sie sogar gesondert nach Alter und Geschlecht erfasst – das gibt wertvolle Zusatzinfos.
Parallel unterstützt der BJV die Bildung von Schwarzwildringen. Hier halten langjährige Kenner der Wildart Vorträge, bei denen durchaus auch mal wieder präparierte Schädel zum Einsatz kommen, wie viele Waidmänner sie vielleicht zuletzt in der Jägerprüfung gesehen haben. Wann schieben noch mal die Molaren? Die Jäger sollen in die Lage versetzt werden, solide Daten zu erheben, digital zu erfassen und zu analysieren. Nur dann können aus den Kenntnissen die richtigen Schlüsse gezogen und letztlich bei der Jagd umgesetzt werden.
„Für ‚BJV digital‘ brauchen wir ehrenamtliche Teamplayer“, sagt von Montgelas. Da kommt ihm sehr zupass, dass die jüngeren unter den Jägern ohnehin nicht mehr gewillt sind, ihre Zeit mit Fragebögen und Bürokratie zu verplempern. Solche sind zum Beispiel der EDVler Dr. Werner Dondl und Franz Tuscher junior vom ein Jahr jungen Schwarzwildarbeitskreis Ebersberg. Anfangs schlugen sich die engagierten WaidFotos männer mit individueller Datensammlung auf Zetteln herum, dann war ihre Geduld erschöpft. „Heute haben wir ein digitales Formular auf unserer Homepage, in das jeder seine Beobachtungen oder Meldungen am Computer selbst eintragen kann“, so der 28-jährige Tuscher.
Dazu zählen natürlich Zeitangaben, aber die beiden Tüftler haben es auch geschafft, die Positionierung laut GPS so ins Formular einzubauen, dass wirklich jeder sie benennen kann. Das macht es auch möglich, die Beobachtungen am Computer zeitlich animiert ablaufen zu lassen. Im besten Fall entsteht so ein Bewegungsprofil einer Rotte, das als Wegweiser für die nächste Drückjagd genutzt werden kann. Parallel dazu läuft nach wie vor das Pilotprojekt „Schwarzwildinformationssystem (SIS)“ des Bayerischen Bauernverbandes. Eine Konkurrenz zwischen den beiden Projekten ist nicht von der Hand zu weisen. Es geht nicht nur um JagdabgaDaten sammeln, Wissen weitergeben und Hilfestellung für Jäger, Landwirte und Politik leisten ist Graf Montgelas‘ Ziel. bemittel sondern auch um Beteiligung: Wie Teilnehmer des BBV-Projekts zugeben, hätten sie gar nicht die Zeit, ihre Daten auch beim BJV einzupflegen – schließlich handelt es sich um ehrenamtliches Engagement.

Laut BBV wurde für das SIS die Denzlinger Firma Geofis (Geoinformatik-Fern-erkundung-Inventur-Statistik) engagiert. Die Karten entstammen dem Geoverwaltungsprogramm des Freistaats Bayern. In das SIS geben Jäger, Jagdgenossen und Mitarbeiter der Bayerischen Staatsforsten (BaySF) ihre Meldungen ein. In der Region Nittenau zum Beispiel, einer von fünf Pilotregionen in Bayern, wurde das SIS 2012 aktiv in Betrieb genommen, wie Administrator Heinrich Hofstetter berichtet. Rund 50 Personen sind in dem ungefähr 15 000 Hektar umfassenden Gebiet für Meldungen an das SIS registriert, davon laut Hofstetter etwa die Hälfte Landwirte und fünf Mitarbeiter der BaySF, der Rest Jäger. Häufig melden verschiedene Personen für das gleiche Revier, erklärt der Jagdvorstand. „Dadurch, dass sie aus verschiedenen Interessengruppen kommen, entsteht eine Art Selbstkontrolle.“
Hofstetters eigenes Revier bei Fischbach liegt mit viel Grünland und Wasser in einer ungünstigen Kesselsituation umzingelt von großen, teils staatlichen Forsten. „Wir kämpfen seit den 1970er-Jahren mit den hohen Schäden. Früher sagten die Landwirte einfach, die Forsten täten zu wenig.“ Kann das SIS daran etwas ändern? Wer sich die öffentliche Demo-Version im Internet ansieht, erkennt eine Anzahl bunter Buchstaben auf dem  Kartenhintergrund – das sind räumlich verortete Meldungen. Von den dahinter liegenden
Informationen sind nur die Art der Begegnung, zum Beispiel Schadensmeldung oder Abschuss, und das Jahr öffentlich freigegeben. Der Rest erschließt sich nur den im Programm Registrierten. Über die Möglichkeit, thematische Karten zu erstellen, wissen weder Heinrich Hofstetter noch der örtliche Geschäftsführer des Bauernverbandes, Josef Wittmann etwas zu berichten.

Doch Hofstetter betont: „Der Austausch, vor allem zwischen den Staatsforsten und den privaten Jägern, hat sich sehr verbessert. Schuldvorwürfe gehören der Vergangenheit an, und es gibt eine hervorragende Zusammenarbeit. Wir treffen uns alle vier bis sechs Wochen.“ Auch Otto Storbeck,  Vorsitzender der am SIS beteiligten Jägervereinigung Nittenau des BJV, lobt die gute Kooperation. „Heute nehmen sich die Beteiligten gegenseitig viel ernster.“ So liegen die Stärken des SIS offenbar in der Praxislösung vor Ort – während Max Peter Graf von Montgelas in „BJV digital“ eher ein Zukunftsinstrument sieht. Schon jetzt wird es nicht mehr nur im Schwarzwildbereich eingesetzt. „Durch
unsere Kooperation mit der Firma ESRI nutzen wir das selbe System wie zum Beispiel
viele Landkreise“, hebt er hervor. Das erschließt Möglichkeiten zur Vernetzung. Darauf greift der Verband zum Beispiel zurück, wenn er auf seiner Homepage die regionalen Wildschadensberater nennt. Statt einer simplen Liste findet sich da eine Karte, und der Nutzer kann dorthin klicken, wo er sich gerade befindet und wo der Berater vonnöten ist – auch wenn das nicht sein heimatliches Revier ist, und er sich mit den Ortsnamen gar
nicht auskennt. Von Montgelas ist es übrigens dank des GIS auch gelungen, die blutrote Karte des Staatsministeriums in ein etwas differenzierteres Bild zu verwandeln. Denn eine
Jagdstrecke von 50 Sauen pro Hegegemeinschaft bereits als Grenze zum Maximum
zu definieren, ist nicht wirklich aussagekräftig, wenn doch mancherorts bis zu 800 auf der Strecke liegen, findet er. Dunkelrot sind für den BJV deshalb jene Hegegemeinschaften, in denen über 456 Sauen pro Jahr erlegt werden. Damit kristallisieren sich Schwerpunkte
deutlicher heraus. Und die bilden eher einen großen Halbmond über den Norden, Osten
und dann quer durch die untere Mitte Bayerns. Unter 50 Sauen hingegen werden immer noch in gut der Hälfte der Hegegemeinschaften gemeldet.

Geografisches Informationssystem –
Was ist das?
Mithilfe eines Geographischen Informationssystems können Daten mit Karten, Satellitenbildern oder Raummodellen verknüpft werden. Beim Schwarzwild heißt das: Sichtungen oder Schäden werden nicht nur in einem Fragebogen aufgenommen, sondern auch in einer digitalen Karte oder einem Satellitenbild am Ort ihres Auftretens verankert und mit zugehörigen Sachdaten verknüpft. Das ermöglicht zuerst einmal räumlichen Überblick (z. B. Wo treten die größten Schäden auf, wie ist die Landschaft dort beschaffen?). Je mehr Daten aufgenommen werden, desto komplexere Abfragen kann das Informationssystem „räumlich beantworten“. Hierdurch ist man in der Lage, Verteilungsmuster aufzudecken, deren Ursachen bisher vielleicht noch gar nicht bekannt waren. Mit einem Geographischen Informationssystem kann man in einem weiteren Schritt auch verschiedene andere Themenebenen (z.B. zu Hydrologie, Geologie, Wetterdaten, Lärmausbreitung, Richtfunkstrecken etc.) zusätzlich hinterlegen, um bisher verborgene Zusammenhänge eventuell zu klären oder eine geeignete Hypothese zu entwickeln.

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