Altersbestimmung leicht gemacht
Der Zahnabschliff verrät nur grob, wie viele Jahre ein Stück Schalenwild zählt. Wenn Sie es genauer wissen wollen, gibt es eine Methode, die Sie mit etwas Übung auch zu Hause anwenden können. Prof. Dr. Hans-Dieter Pfannenstiel hat sich diese von einem Experten zeigen lassen.
Fehlabschuss, roter Punkt! Durch ein derartiges Urteil einer höchst ehrenwerten und sachkundigen Trophäenbewertungs-Kommission wurde schon so manchem Jäger die Freude an seiner Trophäe vermiest. Und das war dann noch ein harmloser Fall. Schlimmer konnte es kommen, und kommt es mancherorts auch noch heute, wenn nach einer solchen Entscheidung die Trophäe eingezogen oder eine saftige Geldbuße fällig wird. Dem Abschuss eines „falschen“ Hirsches, dem nach Ansicht der Kommission noch ein oder zwei Lebensjahre zum Zielalter fehlten, folgt oft eine mehrjährige Abschusssperre für den Erleger oder sogar für das ganze Revier. Doch worauf gründen sich solche Feststellungen?
Leider wird oft auch heute noch der Abschliff der Molaren als wichtigstes Kriterium zur Altersbestimmung bei wiederkäuenden Schalenwildarten herangezogen. Eigentlich sollte sich aber inzwischen herumgesprochen haben, dass damit allenfalls eine grobe Schätzung des Alters möglich ist. Zu unterschiedlich sind von Ort zu Ort das Äsungsangebot und der genetisch oder gesundheitlich beeinflusste Zustand der Zähne.
Es gibt verschiedene Untersuchungen, bei denen Unterkiefer von als Kalb oder Kitz markierten Stücken Kommissionen zur Begutachtung vorgelegt wurden, die dann deren Alter mit mehreren Jahren Differenz nach oben und unten „festgestellt“ haben. Im Prinzip kann aber jeder zu Hause am Küchentisch das Alter seiner erlegten Stücke selbst bestimmen. Die Methode mit der höchsten Aussagekraft ist das Zahnzementzonen Verfahren. Dafür benötigt man lediglich ein paar Werkzeuge, etwas Muße und Zeit. Probieren Sie es doch einfach mal aus. Tasten Sie sich mit „entbehrlicheren“ Unterkieferästen zunächst vor. Sie werden sehen, es lohnt sich.
Zahnzement und Ersatzdentin (mehr dazu siehe Kasten “Wissenswertes zum Zahn) werden mit einer gewissen Jahresperiodik in Schichten abgelagert. Eine breite, meist helle Schicht Zahnzement entsteht im Sommer, während im Winter eine schmale meist dunklere Schicht folgt. Zählt man diese Schichten, weiß man, wie viele Jahre schon seit der ersten Ablagerung vergangen sind. Rechnet man dann etwa beim Backenzahn M1 noch ein Jahr hinzu, ergibt sich exakt das Alter des Stückes. Das zusätzliche Jahr geht darauf zurück, dass die Molaren erst im Dauergebiss angelegt werden, wenn das Stück etwa ein Jahr alt ist. Mit den Ersatzdentinzonen funktioniert das Verfahren nur bei jüngerem Wild bis etwa zum Alter von fünf oder sechs Jahren. Danach ist die erste Ersatzdentinschicht bereits wieder abgenutzt und verschwunden. Die Zahl der Ersatzdentinzonen wächst also nicht proportional zum Alter an, weil zwar jedes Jahr eine Schicht neu gebildet wird, oben aber Schichten nach und nach abgeschliffen werden. Mit dem Zahnzement geht das besser. Dessen Zonen bleiben auch bei älteren Stücken erhalten, und mit einiger Übung kann man sie zählen. Dazu muss der Zahn aber entsprechend vorbereitet werden, um die Jahreslinien sichtbar zu machen.
Dr. Egbert Gleich vom Landeskompetenzzentrum Forst Eberswalde ist Experte auf diesem Gebiet. Er verwendet zur Altersbestimmung den ersten Molar (M1) im Unterkiefer. Kiefer und Zähne sollten vor der Prozedur nicht mit Wasserstoffperoxid gebleicht werden. Vollständig ausgetrocknete Kiefer werden vorher für ein paar Stunden in Wasser eingeweicht, da die Zähne sonst zu spröde sind und beim Herausziehen schnell brechen könnten.
Mit einer Diamanttrennscheibe (Durchmesser: 45 mm) auf einer Welle wird dieser Zahn am höchsten Punkt der Zahnzementablagerung zwischen den beiden Teilen halbiert. Die Trennscheibe sollte mindestens mit 15.000 Umdrehungen pro Minute, besser mit 20.000 betrieben werden. Das Gerät, das im Landeskompetenzzentrum zum Einsatz kommt, ist etwa 20 Jahre alt und stammt aus der Dentaltechnik. Grundsätzlich ist aber jedes Gerät aus dem handwerklichen Bereich, das eine Welle ähnlich einspannt und die entsprechenden Umdrehungen erreicht, für diese Arbeit geeignet. Um eine möglichst glatte Schnittfläche zu erzielen, sind mit gesinterten Industriediamanten beschichtete Trennscheiben am besten. Beim Einsatz gröberer Scheiben muss die Schnittfläche anschließend glatt poliert
werden.
Nun kommt der schwierigere Teil, für den man ein wenig Erfahrung benötigt. Die Schnittfläche des Zahns wird mit einer stark vergrößernden Leselupe (sechs- bis achtfach) begutachtet. Bei Rot- und Damwild lassen sich dann bereits die Zahnzementzonen erkennen und zählen. Bei Rehwild schaut man sich die Schnittfläche am besten unter dem Mikroskop an. Das kann ein einfaches Schülermikroskop sein oder eine Stereolupe. Oft sind die Zonen einfacher zu erkennen, wenn man die Schnittfläche etwas mit Wasser benetzt. Technisch gesehen ist die ganze Sache demnach sehr einfach zu handhaben. Etwas Übung benötigt man, um die Zementzonen zu erkennen. Lohn der Arbeit ist eine exakte Bestimmung des Alters der betreffenden Stücke. In der Praxis können Hegegemeinschaften die Kosten für hochwertige Gerätschaften sicher problemlos aufbringen. Und vermutlich findet sich ein Mitglied, das sich in das Verfahren einarbeitet. Damit sollten die ewigen Streitereien um das Alter der Hirsche – und um die geht es ja meistens – der Vergangenheit angehören. Dass solche Streitigkeiten aus wildbiologischer Sicht unsinnig sind, sei nur am Rande bemerkt.
Wissenswertes zum Zahn
Der Hauptteil eines Zahnes besteht aus Zahnbein (Dentin). Im Zahnbein ist ein Hohlraum, die Zahnhöhle (Pulpa), in die Nervenfasern und Blutgefäße ziehen. Die Zahnkrone, der Teil des Zahnes, der aus dem Zahnfach (Alveole) über das Zahnfleisch hinausragt, ist von Schmelz bedeckt. Schmelz ist die härteste Substanz, die ein Säugetier in seinem Körper produzieren kann. Um die Wurzeln des Zahnes herum findet sich Zahnzement. Wiederkäuer müssen ständig zähes und festes Pflanzenmaterial zerkauen. Im Laufe der Zeit nutzen sich also die Schneide- oder Kauflächen der Zähne ab. Wenn nicht gegengesteuert würde, müssten die Stücke im Alter „auf der Felge“ kauen. Durch ständige Ablagerungen von Zahnzement um und zwischen den Zahnwurzeln wird ein Zahn im Laufe der Jahre aus der Alveole nach oben geschoben. Damit wird zumindest teilweise der abnutzungsbedingte Verlust an Zahnhöhe ausgeglichen, bis schließlich im Greisenalter die Zähne ausfallen. Bei sehr alten Stücken kann man am Unterkiefer zwischen den Zahnwurzeln hindurchsehen, weil die Zähne durch die Zahnzementablagerungen schon weit aus den Alveolen herausgedrückt worden sind. Außerdem wird oben in der Pulpa von innen her Dentin, sogenanntes Ersatzdentin, abgelagert. Dadurch wird eine Öffnung der Pulpa bei zunehmender Zahnabnutzung verhindert.
Fast identisch: Wie wenig der Abschliff aussagt, zeigen die beiden Damwildkiefer eines 18-jährigen (v.) und eines zehnjährigen Stückes.
Fünf Schritte zur Alstersbestimmung
Schritt 1: Vor dem Schneiden sollten Sie Kieferäste, die schon länger liegen, wässern. Dadurch wird vermieden, dass die eventuell spröde gewordenen Zähne brechen.
Es muss nicht unbedingt ein Schneidegerät aus der Dentaltechnik sein (Bild).
Entscheidend ist, dass es 15.000 bis 20.000 Umdrehungen pro Minute schafft.
In Schritt 2 wird der erste Molar am höchsten Punkt der Zahnzementablagerung in zwei Teile geschnitten.
In Schritt 3 wird der zerteilte Zahn vorsichtig herausgezogen.
Der M1 ist halbiert und entnommen. Je hochwertiger die Trennscheibe, desto sauberer der Schnitt. Diamant-Trennscheiben sind ideal. Auf ein Nachschleifen kann so verzichtet werden. Ansonsten müssen Sie im vierten Schritt mit immer feinerem Papier nachschleifen.
Schritt 5: Zahn unters Mikroskop oder die Lupe legen und Zonen zählen. Rechnen Sie zum Ergebnis ein Jahr dazu, und Sie wissen, wie alt das Stück ist.