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Hermann Löns – Der andere Heidjer

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Hermann Löns

HERMANN LÖNS
Vor hundert Jahren fiel der bekannte Schriftsteller zu Beginn des Ersten Weltkriegs in der Champagne. Danach setzte eine regelrechte Mythologisierung des viel gelesenen Autors ein. Die dunklen Seiten des zur  Lichtgestalt avancierten Heidedichters sind bis heute
jedoch eher unbekannt. Markus Deutsch

Fotos: Alexander Möhlen, Stadtbibliothek Hannover, Hermann-Löns-Archiv, Markus Deutsch

Als am 2. August 1935 Soldaten der Reichswehr den Sarg mit den Hermann Löns zugeschriebenen Gebeinen in einen sandigen Heidehügel des Tietlinger Wacholderhains
absenken, haben die sterblichen Überreste eine wahre Odyssee hinter sich. Es ist die letzte von mehreren Beisetzungen und setzt den Schlusspunkt unter ein makaber anmutendes Hickhack um den bekannten und verehrten Heidedichter. Gefallen ist Hermann Löns bereits zwei Jahrzehnte früher: Gleich bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs im August 1914 versucht er wie viele weitere kriegsbegeisterte Zeitgenossen auch, als Freiwilliger in die Armee aufgenommen zu werden, allerdings zunächst erfolglos. Aufgrund seines Alters –
Löns ist zu dem Zeitpunkt bereits fast 48 Jahre alt und hat zudem nie einen Militärdienst
abgeleistet – nimmt ihn kein Regiment auf. Erst nach mehreren Versuchen gelingt es ihm, im Füsilier-Regiment 73 in Hannover unterzukommen. Auf seinen ausdrücklichen Wunsch hin gelangt der bekannte Schriftsteller Mitte September in Frankreich an die Front. Den
ihm nahegelegten Dienst als Kriegsberichterstatter in den rückwärtigen Linien lehnt er vehement ab. Er führt ein Kriegstagebuch, in dem er seine Erlebnisse, darunter auch immer wieder Naturbeobachtungen, notiert. Doch das wahre Gesicht des von ihm freudig begrüßten Krieges setzt dem Dichter zu: „Augen voll Dreck, Nase, Gesicht, Hände voller
borkiger Wunden. Ein Schweineleben.“ Löns leidet unter Koliken und Erbrechen. Sein letzter Eintrag vom 25. September lautet: „Frohe Stimmung, und es geht in die Linie.“

Am nächsten Morgen rückt seine Einheit in der Nähe der Zuckerfabrik von Loivre, zehn Kilometer nördlich von Reims, gegen französische Alpenjäger vor. Im Sturmangriff sollen die Stellungen der Franzosen genommen werden, doch die Gegenwehr ist heftig. Ein Kamerad von Löns beschreibt dessen Ende: „Mir gelang es, einen etwas vor mir liegenden Granattrichter zu erreichen. In diesem Augenblick sah ich, wie Hermann Löns fiel, und zwar direkt auf das Gesicht.“ Löns‘ erster Kampfeinsatz ist damit auch sein letzter. Vermutlich
durch Kopf- oder Herzschuss stirbt der Schriftsteller, der zu Kriegsbeginn geschrieben hatte: „Das Leben ist so schön jetzt, dass es sich lohnt zu sterben!  Was bin ich froh, dass ich mich 1911 nicht erschoss!“ Der Hinweis auf die Selbstmordgedanken verweist auf die düsteren Kapitel im Leben des Dichters. Diese wurden von einigen Löns-Freunden in der
nach seinem Tod verstärkt einsetzenden Verklärung gern ausgeblendet oder umgedeutet.
Der am 29. August 1866 im westpreußischen Culm als erstes von vierzehn Kindern geborene Löns wächst nach Übersiedlung der Familie in Deutsch-Krone an den Ausläufern der Tucheler Heide auf. Dort durchstreift er als naturinteressierter Schuljunge die Felder
und Wälder. Dabei eignet er sich bereits ein umfangreiches Wissen um Flora und Fauna seiner Heimat an.

Nach dem im zweiten Anlauf bestandenen Abitur in Münster, die Familie Löns ist erneut umgezogen, schreibt er sich entgegen seiner naturwissenschaftlichen Interessen auf Wunsch des Vaters zunächst in Münster, dann in Greifswald für Medizin ein. Doch schon bald tritt ein Problem auf, mit dem sich Löns während seines ganzen Lebens immer wieder herumschlägt: Er neigt zu Alkoholexzessen. Das dürfte auch ein Grund dafür sein, dass es zum Bruch mit dem Vater kommt. 1890 bricht Löns sein Studium, mittlerweile studiert er in Münster Mathematik und Naturwissenschaften, ohne jeglichen Abschluss ab. Daraufhin unternimmt er die ersten beruflichen Gehversuche als Journalist in Kaiserslautern und Gera, wo ihm jedoch in beiden Fällen nach kurzer Zeit wegen Disziplinlosigkeit und Trunkenheit gekündigt wird. Nach einem kurzen Zwischenspiel in Hamburg landet er 1892 in Hannover, wo er seine Verlobte Elisabet Erbeck ehelicht und beim „Hannoverschen Anzeiger“ beruflich Fuß fasst. Als Lokaljournalist, Glossenschreiber und Verfasser von Naturfeuilletons sowie Jagdgeschichten wird Löns in den Folgejahren bekannt und beliebt (s. WuH Exklusiv 43, S. 81 ff.). In dieser Zeit berichtet er auch über Jagden rund um Hannover und wird selbst als Jagdgast eingeladen. Zudem entdeckt er die landschaftlichen Reize der Lüneburger Heide für sich. Er verkehrt in angesehenen gesellschaftlichen Kreisen. Allerdings steht es um sein Eheleben nicht zum Besten: Das Trinken belastet seine Beziehung. Im Dezember 1901 kommt es zur Scheidung. Die Ehe ist nach fünf Fehlgeburten kinderlos geblieben.

Ein halbes Jahr später heiratet er erneut, diesmal seine Kollegin Lisa Hausmann. 1906 kommt der geistig und körperlich behinderte Sohn Dettmer zur Welt. Im darauffolgenden Jahr zieht die kleine Familie nach Bückeburg. Löns erhofft sich dort etwas mehr Zeit für seine Schriftstellerei. Er schreibt seine ersten Romane. Dadurch möchte er auch jenseits der Grenzen der Lüneburger Heide zu einem anerkannten Schriftsteller werden. Seine Werke entstehen in Rekordzeit, „Der letzte Hansbur“ und „Dahinten in der Heide“  beispielsweise jeweils innerhalb von zwei Wochen, wobei Löns in einen rauschartigen Zustand verfällt. „Ich schreibe das Wesentliche in meinen wertvolleren Arbeiten gänzlich
ohne bewussten Willen in halluzinatorischer Verfassung, die so weit geht, dass ich Personen vor mir sehe, höre und sogar rieche“, beschreibt er dem Verleger Eugen Diederichs seine Arbeitsweise.

Doch scheint das Ganze für seine Gesundheit nicht ohne Folgen zu bleiben. Anfang Oktober 1909 erleidet er einen fiebrigen Nervenzusammenbruch. Auch in seiner ersten Ehe hatte er bereits ähnliche Probleme gehabt. Nach einem erneuten Zusammenbruch im Januar 1910 sucht Löns Erholung im Sanatorium in Zwischenahn. Doch nicht nur  gesundheitliche Probleme beuteln den Schriftsteller. In seiner Ehe kriselt es: Der Dichter hat sich in die Cousine seiner Frau verliebt und schlägt den Frauen eine Dreiecksbeziehung
vor, aber beide lehnen ab. Was seine Libido angeht, scheint Löns den Moralvorstellungen
seiner Zeit ohnehin eher weniger entsprochen zu haben. So lautet ein ihm zugeordneter Ausspruch: „Ein Mann wie ich braucht jede sieben Wochen eine andere Geliebte.“ Paul
Werth, ein Jugendfreund Löns‘, schreibt: „Dabei kann meines Erachtens, wenn man die Wesensart des Dichters erfassen will, die erotische  Reizbarkeit (…) gar nicht stark genug
eingeschätzt werden. Der Dampfkessel war ständig bis zur Explosionsgefahr überheizt.“ Werth berichtet auch von homosexuellen Erfahrungen, die Löns in frühen Jahren gemacht haben soll. Die partnerschaftlichen Spannungen, die Wahnzustände sowie der  Alkoholkonsum des Dichters führen im Sommer 1911 zum Eklat: Löns schließt sich frühmorgens in sein Schlafzimmer ein, die Familie wohnt mittlerweile wieder in Hannover, und schießt auf die Heizung. Anschließend verlangt er nach seinem Sohn. Er will ihn und
dann sich erschießen. Dem Kindermädchen erzählt er später, er wolle sich an seiner Frau rächen. Lisa Löns verlässt daraufhin im Juli ihren Mann, der Unterhaltszahlungen verweigert und anschließend ins Ausland flieht. Im Juni 1912 kehrt der Schriftsteller nach Hannover zurück, wo er mit seiner dritten Lebensgefährtin Ernestine Sassenberg bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs lebt. Im Mai 1934 verkündet der „Völkische Beobachter“, dass Löns‘ Gebeine entdeckt worden seien. Das dürfte viele Leser erstaunt haben, denn der
Schriftsteller gilt bis dahin als in Loivre in einem Massengrab beigesetzt. Ein Bauer soll Anfang der 1930er-Jahre auf dem Schlachtfeld von 1914 Leichenteile hochgepflügt haben. Die noch vorhandene, jedoch lädierte Erkennungsmarke wird dem Dichter zugeordnet.
Daraufhin planen die Nationalsozialisten, die Löns als „Künder des Dritten Reiches“ ansehen, die wiederentdeckten und mittlerweile beigesetzten Überreste des bekannten Schriftstellers „heim ins Reich“ zu holen. Sie sollen in den Hünengräbern „Sieben
Steinhäuser“ in der Lüneburger Heide zur Ruhe gebettet werden. Doch auf diesem Gebiet ist ein Truppenübungsplatz geplant, was jedoch noch geheim ist. Die Beisetzung wird verschoben, allerdings die Exhumierung in Frankreich nicht gestoppt. Als die Gebeine
im November in der Heide ankommen, hat man noch keinen geeigneten Begräbnisort
gefunden. Das von allerhöchster Parteistelle geplante Propagandaspektakel gerät zur Farce. Nach Zwischenlagerung in einem Hotel wird der Sarg erst einmal in die Fallingbosteler
Friedhofskapelle gebracht. Das Ganze zieht sich unerwartet in die Länge. Zudem werden Zweifel an der Authentizität der Gebeine laut. So führt beispielsweise der Löns-Biograph Griebel kritische Argumente zu Fund und Überführung des Leichnams ins Feld.

Am Morgen des 30. Novembers 1934 dringt ein SA-Trupp in die Friedhofskapelle ein, holt den Sarg heraus und vergräbt ihn in der Nähe des Dorfes Barrl. Propagandaminister Goebbels hatte zuvor eine stille Bereinigung der „Angelegenheit Löns“ befohlen. Offiziell
wird das Vorgehen als vorbeugende Maßnahme gegen Geschäftemacher, die sich des Heidedichters bemächtigen wollen, verbrämt. Lisa Löns, die sich weiter für eine feierliche Beisetzung einsetzt, gelingt es, im Mai 1935 Reichswehrminister von Blomberg für
den gefallenen Kriegsfreiwilligen zu interessieren. Von Blomberg macht sich für eine Beerdigung im August des Jahres stark, und so werden die Löns zugeschriebenen
Gebeine bei Barrl wieder ausgegraben und im Tietlinger Wacholderhain feierlich beigesetzt.
Die Diskussionen um die Echtheit der Gebeine gehen auch nach dem Zweiten Weltkrieg weiter. 1962 erklärt der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge, es sei nicht sicher, dass es sich bei den Überresten im Heidegrab um die von Hermann Löns handele. Heute
ließe sich dieses Rätsel wohl anhand von Genanalysen klären.

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