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Hirschjagd im Maislabyrinth – Rotwildbrunft in Ungarn

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Rotwildbrunft in Ungarn
Foto: Thore Wolf

Rotwildbrunft in Ungarn
Kilometerlange, nicht enden wollende Ackerflächen prägen die Landschaft um Bόly im Süden Ungarns. Auf welch starke Hirsche Sie dort jagen können, hat sich
THORE WOLF vor Ort angesehen und zwei deutsche Gastjäger begleitet.

Es kracht und poltert im Unterholz. Tief, rau und langgezogen erfüllt das Röhren eines Hirsches die abendliche Stille, während leichter Nebel die fast ebene Landschaft wie ein Schleier verhüllt. Wieder ertönt der sonore kraftvolle Ruf. Kurz darauf knackt es erneut im Holz. Geweihstangen schlagen aneinander, doch der Kampfeslärm lässt nur erahnen, was tatsächlich in dem kleinen dichten Wäldchen vor sich geht. Unweit erhält der Geweihte die nicht minder laute Antwort eines weiteren Rivalen auf seinen Sprengruf. Wie an einer Perlenkette aufgereiht wechseln plötzlich mehrere Stücke Kahlwild eilig aus dem unruhigen Einstand auf den benachbarten Soja acker. Kurz darauf erscheint endlich der ersehnte Hirsch. Abgekämpft, mit schwerem Haupt, betritt er die dunstige Bühne und schlägt  schwerfällig sein Geweih in den feuchten Acker, während aus dem Verborgenen zwei  weitere Rothirsche rufen. Gerade als er den Äser nach oben reckt, um eine weitere Arie anzustimmen, geht zusammen mit peitschendem Knall ein Ruck durch den massigen Wildkörper. Nach kurzer Todesflucht gerät der Koloss ins Wanken. Synchron mit dem metallischen Klang des sich schließenden Repetierers geht der ungerade 16-Ender mit dumpfem Schlag zu Boden.

Nach mehreren Tagen nervenzerreißender Jagd ist es endlich vollbracht. Jäger Hans Peter ist überglücklich. Seit vielen Jahren reist er regelmäßig zur Rotwildbrunft ins ungarische Bóly. Für ihn ist die Hirschjagd auf den weiten Flächen jedesmal eine große und spannende
Herausforderung. Denn anders als in vielen anderen Revieren Ungarns überwiegt in Bóly der Feldanteil. Kilometerlange Maisschläge wechseln sich mit ebenso großen Sojafeldern, Wiesen und Schilfgürteln ab. Lediglich zehn Prozent des ungefähr 33 000 Hektar großen Jagdgebietes sind mit Wald – überwiegend aus Robinie und Walnuss – bestockt.

Im benachbarten Gehölz ist für einen Moment Stille eingekehrt. Jagdgast Hans Peter und sein Jagdführer Thomas Bodonyi beschließen, noch bei gutem Licht den erlegten Hirsch in
Augenschein zu nehmen. „Waidmannsheil“, sagt Thomas lachend und freut sich genauso wie der 77-jährige Erleger, dem er freudig auf die Schulter klopft. Aber bevor der Jagdführer einen Bruch überreichen kann, geschieht etwas, das wohl nur wenigen Waidmännern vergönnt ist. Fast unheimlich bricht etwa 150 Meter entfernt ein weiterer
Rothirsch aus dem Unterholz hervor. Sein Körper erscheint noch massiger als der des Erlegten. Als der Recke den schützenden Waldsaum vollständig verlassen hat, wird  offenbar, dass es sich um einen abnormen alten Hirsch handelt: Senkrücken und graues Haupt, auf dem ein zurückgesetztes Geweih aus armdicken Stangen und kurzen Kronenenden auf der einen und einem Spieß auf der anderen Seite „lastet“. Jagdführer Thomas ist klar, was er vor sich hat und gibt den Alten frei. Hans hat in Sekunden
Waffe und Zielstock parat. Jetzt nur ruhig bleiben. Völlig ungedeckt stehen die Männer im fast hüfthohen Soja. Der Methusalem könnte jede Bewegung mitbekommen. Als der Recke einen Augenblick verhofft, fasst auch ihn die Kugel des deutschen Jägers. Mit ausschlagenden Hinterläufen startet er zur letzten Flucht, die nach wenigen Schritten ein Ende findet. Hans kann sein Glück kaum fassen. Vor den überglücklichen Jägern liegt ein Hirsch, der, wie sich noch herausstellen sollte, mindestens 15 Jahre alt ist. Die Waage
zeigte übrigens 216 Kilogramm – aufgebrochen, ohne Haupt und ohne Läufe!

„Hätten die beiden keine Ohren, würden Sie jetzt wohl rundum lächeln können“, scherzt wenig später Hans‘ Enkel Martin Peter im stilvoll eingerichteten Jagdhaus über das außergewöhnliche Waidmannsheil seines Großvaters. „Jetzt sieh bloß zu, dass Du Deinen Hirsch auch noch be- Nach fünftägiger Pirsch- und Ansitzjagd haben Jungjäger Martin Peter (l.) und Führer Gabor Fabu in letzter Minute den ersehnten Hirsch vor. Jetzt nur keinen
Fehler machen! kommst“, entgegnet der alte Herr. Schließlich ist der erste Hirsch des jungen Jägers ein Geschenk seines Opas. Doch seit seiner Ankunft hatte der 18-Jährige
noch keinen Erfolg. Ihm bleibt nur noch ein Tag in Ungarn. „Dann ruft die Schule wieder“, erklärt der Gymnasiast. Gesehen hat er allerdings schon reichlich. Jedoch waren die  Hirsche immer zu jung oder standen im benachbarten Kroatien.

Das Zielalter für Rothirsche im Jagdrevier der Bóly AG, die zu den erfolgreichsten
landwirtschaftlichen Großbetrieben Ungarns zählt, mindestens 13 Jahren. „Wenn möglich, versuchen wir aber, die guten Hirsche noch etwas älter werden zu lassen. Schließlich
wollen wir unseren Jagdgästen neben einer spannenden Jagd wirklich starke Trophäen bieten“, erklärt Jagddirektor Péter Fehér das Konzept. Er will damit hauptsächlich die anspruchsvollen traditionellen Rotwildjäger ansprechen, für die Jagd nicht nur das pure „Abschießen“ starker Trophäenträger ist. „In unseren offenen und flachen Revierstrukturen muss man sich starke Hirsche erarbeiten“, gibt der Berufsjäger zu verstehen. „Die gute
Qualität unseres Wildbestandes zeigt, dass es sich lohnt! Von 40 Hirschen pro Jahr werden etwa 15 mit einem Trophäen gewicht von 9 bis 14 Kilogramm erlegt. 2005 wurde bei uns der stärkste Hirsch Ungarns mit 14,61 Kilogramm gestreckt. Und die stärkste Bóly-Trophäe aller Zeiten brachte 1999 sogar 16,25 Kilogramm auf die Waage“, schwärmt Fehér und zeigt auf die gegenüberliegende Wand des Speisesaals, an der das Geweih des sogenannten „Minenhirschs“ hängt. Die fragenden Blicke der Gastjäger veranlassen den Jagddirektor, zu erzählen, wie der kapitale Hirsch zu seinem Namen kam: „Im  Jugoslawischen Bürgerkrieg legte die kroatische Armee an der Grenze zu Ungarn einen Minengürtel an. Nach den Kämpfen wurden zwar offiziell alle Minen beseitigt, doch die Metalldetektoren fanden nicht die zahlreichen heimtückischen Kunststoffsprengkörper.
Ein solcher wurde dem Geweihten zum Verhängnis. Mit zerfetzten Hinterläufen flüchtete er nach Ungarn, wo ihm ein Berufsjäger nach einer Nachsuche den Fangschuss antrug.“

Ermuntert durch die Worte des Jagddirektors versuchen der 18-jährige Martin und Jagdführer Gabor Fabu noch einmal ihr Glück. Zwischen Maisschlägen, Schilfgürteln und Auwäldern wollen sie einen Revierteil angehen, in dem sie zwei Tage zuvor einen Rothirsch bestätigten, der allerdings ins kroatische „Feindesland“ wechselte. Schritt für Schritt pirscht das Gespann auf einem klatschnassen Grasweg, während in der Ferne bereits die ersten Hirsche rufen. Eine Bewegung am Rand des Maisackers lässt die Jäger verhoffen. Keine fünfzig Schritt entfernt zieht ein gut veranlagter mittelalter Hirsch aus dem Kolbenmeer.
Immer wieder müssen die beiden im Maislabyrinth anhalten und nicht jagdbare Hirsche oder Kahlwild passieren lassen. Die fast einstündige Pirsch zwischen den sich immer
abwechselnden Mais-, Soja und Luzerneschlägen endet an einer riesigen Wiese. Mitten auf dem Grünland steht der ersehnte ungerade Vierzehnender mit sechs Stück Kahlwild.
Schnell überlegt sich der junge, aber bereits sehr erfahrene Jagdführer einen Plan, um an den Hirsch näher heranzukommen. Das Gespann tritt den Rückzug an, um gedeckt durch
den angrenzenden Wildacker auf allen Vieren kriechend den begehrten Hirsch auf Schussdistanz anzuschleichen. Dem deutschen Jungjäger steht die nervliche Anspannung
ins Gesicht geschrieben. Ein tiefes Röhren des Geweihten lässt Jagdführer Gabor abrupt verharren. Langsam – wie ein spähender Soldat im Schützengraben – hebt er seinen Kopf,
um sich einen Überblick zu verschaffen und den Wind zu prüfen. Hirsch und Kahlwild sind nur noch 150 Meter entfernt, aber der Wind dreht permanent in alle Richtungen. Vorsichtig stellt er das Dreibein zurecht. „Steh langsam auf und mach Dich fertig. Wenn Du stehst, dauert es keine zehn Sekunden mehr, bis uns das Wild mitbekommt“, flüstert Gabor.
Wie in Zeitlupe befolgt Martin die klare Anweisung. Just als sich sein Zeigefinger an den Abzug tastet, hebt das nächststehende Alttier sein Haupt und holt Wind. Doch bevor es
seine Artgenossen warnen kann, bricht der Schuss und lässt den Hirsch vom zwölften Kopf verenden. Beim anschließenden Treffen und Streckelegen am Jagdhaus ist die Freude
des Großvaters über den ersten Hirsch des Enkels natürlich riesig. Nach zahlreichen Umarmungen lässt er es sich nicht nehmen, Martin unter den Jagdhornklängen der Berufsjäger nach ungarischem Brauch gebührend zum Hirschjäger zu schlagen.

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