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AUF HEIMISCHE FREMDLINGE

Nutrias bevölkern immer mehr Landstriche und verdrängen angestammte Arten aus ihrem Habitat. Wie man ihrer habhaft wird,zeigt Klaus Urbschat.

Wie bejagt man Nutrias? Erste Recherchen bei erfahrenen Jägern brachten keine Antwort. Eine intensive und gezielte Jagd scheint nirgends ein ernsthaftes Thema zu sein. Die meisten Nager werden eher zufällig erlegt. Selbst das Internet gab nichts her, was jagdlich verwertbar war, obwohl es dort reichlich anderweitige Informationen gibt.
So erfährt man dort, dass es „die“ Nutria – also nicht „der“ oder „das“ Nutria heißt.

Scharfe Stemmer in Kombination mit starker Beißkraft und großem Öffnungswinkel der Kiefer sind eine gefährliche Waffe. Foto: NN-Fotografie, NTB

Biologisch zwar falsch, aber gedanklich gut, eignet sich damit als Eselsbrücke die Ratte, wenn man grammatikalisch mit der Nutria (Biberratte) immer richtig liegen will. Die stets behäbig, fast schrullig wirkenden Gesellen sind sehr schnell, wendig und aggressiv, wenn es um die Abwehr von Gefahren, den Schutz der Jungen und die Beanspruchung ihres Lebensraums geht. So trauen sich der Fuchs und andere Prädatoren auch nur an Jungtiere heran,wenn kein Elternteil in der Nähe ist.

Bestandsreduzierend wirken sich jedoch immer wieder sehr strenge Winter aus, die sogar schon zum Zusammenbruch ganzer Populationen geführt haben. Da es in ihrer südamerikanischen Heimat keine Winter gibt, hat die Evolution sie dafür auch nicht ausgestattet. Erfrierungen an Rute und Schwimmhäuten der Hinterläufe treten daher relativ schnell ein. Doch werden die mit entsprechenden Verstümmelungen auch oft überlebt. Ein altgedienter Bisamjäger äußerte sich diesbezüglich, dass die Nutrias in Deutschland nach seinem Eindruck mittlerweile schon „viel mehr abkönnen als früher“.

Nutrias bekommen jährlich drei Mal jeweils bis zu zehn Junge, die schon nach fünf Monaten zu geschlechtsreifen Multiplikatoren werden. Das bedeutet, dass innerhalb eines Jahres aus einem Paar über 150 Nachkommen hervorgehen können!

Wo die Nutria regelmäßig an Land kommt, lohnt der Ansitz besonders.
Bevor sich der Hund einer Nutria nähert, sollten Sie sicher sein, dass das Stück verendet ist.
Gefährlich: von Nutrias unterhöhlte Wege und Deiche.

Durch die Aufnahme in das Jagdgesetz wurde mancherorts ein oft schon jahrelang existierendes, mitunter bereits zur Plage gewordenes Problem einfach an die Jägerschaft weitergereicht. Damit war die Nutria als „neue heimische Tierart“ – oder Neozoon – eingestuft als jagdbares Wild, wodurch es ihr in der Folgezeit besser als zuvor erging.
Die wesentliche Änderung besteht darin, dass sie nun zwar nach relativ strengen Gesetzen bejagt werden kann und muss, doch nicht mehr zum Schutz von Pflanzen, Biotopen und Wasserwegen bekämpft werden darf. Das Jagdrecht verbietet weit mehr als eine Bekämpfung erlaubt, verpflichtet zur Hege und untersagt ausdrücklich die Ausrottung. Nutriavorkommen können ihre Umwelt relativ schnell verändern. So geschehen auf einem mir gut bekannten Teichgut in Niedersachsen. Dort gibt es zwischen mehreren Fischteichen mit insgesamt rund 50 Hektar Wasserfläche den sogenannten, etwa fünf Hektar großen Schilfteich, der eigentlich aus einer riesigen, rundum von Wasser umgebenen, durchgehend morastigen Insel besteht. Innerhalb der vergangenen Jahre wurde er von Nutrias komplett besetzt. Als Folge dessen brütet dort mittlerweile keine Ente mehr, Rohrdommel und Rohrweihe sind komplett verschwunden. Unbekannt ist, ob Nutrias die ebenfalls wasser-, schilf- und röhrichtnutzenden Tierarten gezielt vertreiben oder zur Brutzeit „nur“ durch ihr kopfstarkes, nicht nur nächtliches Gewusel zu viel Störung und Unruhe verursachen.

Nach der Brutzeit beobachteten allerdings wiederholt Jäger, dass auf dem Wasser eingefallene Enten sofort wieder abstrichen, wenn sie eine schwimmende Biberratte bemerkten. Schließlich blieben die Breitschnäbel so gut wie ganz weg, und als Folge dessen findet dort – im Gegensatz zu früher – seit vier Jahren keine Entenjagd mehr statt – trotz insgesamt 50 Hektar Wasserfläche!
Mit mobilen Ansitzeinrichtungen kann auf die Windrichtung und Gewohnheiten der Sumpfbiber reagiert werden.
Interessant, effektiv und reizvoll ist der Ansitz an den oft gut erkennbaren Pässen und speziell angelegten, zum Beispiel mit Äpfeln beschickten Kirrungen in gut einsehbaren Bereichen. Eine mobile, leicht umsetz- und aufstellbare Ansitzleiter schafft dafür optimale Voraussetzungen. Auf wechselnde Windrichtungen (Nutrias winden ausgezeichnet) und Sichtverhältnisse kann somit sofort reagiert werden, wodurch sich etwa helle Spiegelungen auf der Wasseroberfläche noch weit nach Büchsenlichtende sehr gut nutzen lassen. Die Pirsch auf das auch tagaktive Wild ist dagegen nur dort erfolgreich, wo es sich zum Sonnen, Putzen oder Ruhen gut sichtbar an bewuchsfreien Stellen aufhält und auch auf größere Entfernungen mit kleiner Kugel erlegt werden kann. Diese Stellen müssen von Revier zu Revier über die Zeit individuell ausfindig gemacht werden. Sehr schwer ist es dagegen, pirschend auf an Land sitzende Nutrias auf Schrotschussentfernung heranzukommen. Denn sie vernehmen tatsächlich sehr gut. Der Schrotschuss auf schwimmen die Exemplare ist eine heikle, oft auch erfolglose Angelegenheit, weil dessen eigentliche Wirkungsweise nahezu ausgeschlossen ist. Schrote töten in aller Regel – im Gegensatz zum Kugelschuss – ohne große Zerstörungen schockartig durch gleichzeitiges Auftreffen an verschiedenen Stellen des Wildkörpers. Doch das ist bei allen tief im Wasser liegenden Zielen, also auch bei einer schwimmenden Nutria, nicht möglich, weil ungefähr 80 Prozent des Körpers durch das Wasser abgedeckt sind. Die über dem Wasser sichtbaren Körperteile, auf die sofort tödliche Treffer angetragen werden können, reduzieren sich auf Teilbereiche von Kopf und Nacken. Und selbst dann ist das Ergebnis noch abhängig von der Schrotstärke, der Schussentfernung und der sich daraus ergebenden Durchschlagskraft.
Eis und Schnee sind natürliche Feinde der Nutria. Sie führen zu Erfrierungen an Schwimmhäuten und Rute. Foto: Werner Pieper
Foto: Klaus Urbschat
Bei Anzeichen von Gefahr nehmen Nutrias stets das Wasser an, von dem sie sich nie weit entfernen, und tauchen bei Bedarf durchaus 100 Meter weit. Sobald sich an Land befindliche Individuen bedrängt oder bedroht fühlen und ihnen die Flucht zum sicheren Wasser nicht möglich ist, greifen sie mit bemerkenswertem Selbstbewusstsein selbst viel größere Gegner sofort an. Offensichtlich sind sie sich der Wirkung ihrer riesigen Stemmer (Nagezähne) als Waffen bewusst. Sie können bei Beißattacken den Äser so weit aufreißen, wie es der maximalen Spreizung von Daumen und Zeigefinger einer menschlichen Hand entspricht. Daraus ergibt sich dann in Verbindung mit der Kieferkraft eines Nagetieres und den arttypischen Zähnen eine fürchterliche Waffe, die einer Mischung aus Astschere, Kneifzange, Bolzen- und Seitenschneider entspricht. Einige mir bekannte Jagdhunde haben damit schon böse Erfahrungen gemacht. Bei einem Deutsch-Langhaar wurden rund 1000 Euro Tierarztkosten für Näh- und Flickarbeiten fällig. Ein Großer Münsterländer war wegen einer durchtrennten Halsschlagader nicht mehr zu retten. Anzuraten ist daher der deutliche Hinweis auf das mögliche Vorkommen von Nutrias, wenn Hundeführer etwa zur Drück- oder Fasanenjagd in Schilfgebieten eingeladen werden. So kann jeder über die Teilnahme seines
Vierläufers selbst entscheiden und hinterher nicht nach dem Muster „hätte man sagen müssen“ seinen Unmut kundtun. Auch bei eher seltenen Nachsuchen an Land sollte der Hund besser keinen direkten Kontakt zu angeflickten Nutrias haben.
Mit der Falle lässt sich beim heimlichen Nager gut Strecke machen. Foto: Michael Breuer

Woher und weshalb?

Nutria in Deutschland

Ursprünglich sind Nutrias in Südamerika heimisch. Aber wegen der überall stattgefundenen
Fluchten und Freilassungen (unter anderem zur Schilfbekämpfung) aus Zuchten sind sie mittlerweile nahezu weltweit verbreitet. In einigen Regionen Deutschlands kommen aus Farmen ausgebüxte oder freigelassene Exemplare schon seit Ende des Zweiten Weltkrieges vor. In der Folgezeit nahmen die Populationen permanent zu. Unabhängig voneinander zeichneten sich alsbald ein westliches und ein östliches Verbreitungsgebiet ab. Mittlerweile gibt es aber bundesweit Vorkommen.
Kurz nach der Wiedervereinigung wurde im Raum Lüchow-Dannenberg sogar eine auffallend starke Zunahme nahezu handzahmer Nutrias festgestellt. In der ehemaligen DDR aus Zuchten und Privathaltungen „entsorgte“ Tiere hatten über die Elbe ebenfalls das Tor zum ehemaligen Westen entdeckt. Lüchow wurde „besetzt“, und „Tierfreunde“ sorgten für ausreichend Nahrung. Dem örtlichen Bisamjäger wurde per Sondergenehmigung der Schuss
waffengebrauch erlaubt. Nach eigenen Angaben erlegte er bis zur Aufnahme in das Niedersächsische Landesjagdgesetz im Jahre 2006 etwa 500 Nutrias.

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