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Ohne Pulver und Blei

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Entenfang

Noch bis ins letzte Jahrhundert wurden in Vogelkojen Tausende Enten erbeutet. Die gigantischen Anlagen gibt es noch heute. MARKUS DEUTSCH hat zwei Insulaner bei dem Vogelfang auf Föhr begleitet.

FOTO: ANDREAS NAPRAVNIK

Ein Quietschen zerreißt die Stille des sonnigen Dezembermorgens, gefolgt von einem entfernten, aufgeregten Geschnatter. Geräuschvoll klappt Heie Sönksen-Martens den eisernen Steg herunter, der den einzigen Zugang zum kleinen Wäldchen bildet.

Wie eine alte Festung ist die inmitten der flachen Marsch gelegene Baumgruppe gegen unbefugtes Betreten gesichert: Ein breiter, tief ausgebaggerter Graben umgibt das Areal. Reet und Büsche verhindern einen Blick in das Innere. Der Steg – normalerweise hochgeklappt und mit einem Schloss gesichert – trägt seitlich eiserne Spitzen, um ein Hinüberbalancieren von ungebetenen Gästen zu verhindern.

Um auf das Gelände der Vogelkoje zu gelangen, muss Sönksen-Martens erst den Steg herunterklappen. Foto: Markus Deutsch

Sönksen-Martens ist auf dem Weg zur im Wäldchen liegenden Neuen Oevenumer Vogelkoje, denn heute ist sein Fangtag. „Ruhe ist das Wichtigste, damit die Enten auf dem Kojenteich einfallen und dort auch rasten. Der Graben und die hochgeklappte Brücke halten Störenfriede draußen“, flüstert der Tischler im Ruhestand. Die zahmen Lockenten kennen das Quietschen der rostigen Stegscharniere und schnattern aufgeregt. Sie wissen, dass es gleich etwas zu fressen gibt.

Das Recht, in einer der letzten Vogelkojen Enten nachzustellen, steht nur den „Interessenten“ zu. So nennt man die Nachfahren der Föhrer, die 1789 diesen Entenfang errichtet haben. Derzeit verteilen sich die Anteile auf 30 Eigentümer, die in acht sogenannte Parten unterteilt sind. Jedes Part bekommt während der Fangsaison vom 15. Oktober bis zum 15. Dezember reihum bestimmte Fangtage zugewiesen.

Der erste Weg führt den Föhrer zu dem kleinen, reetgedeckten Kojenhaus unmittelbar neben einer Pfeife. So werden die Fanggräben genannt, die von den Ecken des Teiches ausgehend in einem Fangkorb enden. Aus einer Tonne scheffelt Sönksen-Martens ein paar Hände voll gequetschtes Getreide in einen Eimer. Auf dem Weg zum Teich kontrolliert er noch kurz die Klappe am Ende der Pfeife, damit gleich alles rund läuft.

Auf dem Kojenteich haben neben den zahmen Lockenten auch wilde Artgenossen über
Nacht gerastet. Jetzt heißt es vorsichtig anfüttern. Foto: Markus Deutsch

Ein paar vorwitzige Lockenten haben sich bereits in den mit Netzen überspannten Fanggraben vorgewagt. Sie folgen dem Insulaner in Richtung der offenen Wasserfläche. Aus Reet gefertigte Sichtblenden verhindern, dass die Schnatterer den nahenden „Interessenten“ zu früh erblicken. Durch ein kleines Guckloch späht er auf den Kojenteich. „Ah, wir haben Besuch“, freut sich der Föhrer und meint damit die wilden Stockenten, die die Nacht über in der Koje gerastet haben. Vorsichtig öffnet er die Blende und wirft Futter auf das Wasser. Die zahmen Stockenten stürzen sich sofort darauf. Dadurch verlieren auch die wilden Verwandten ihre Scheu und folgen ihren Artgenossen.

 

Die Sichtblenden aus Reet sind so aufgestellt, dass die Enten den Menschen erst sehen, wenn sie in die Pfeife schwimmen. Foto: Markus Deutsch

Langsam geht Sönksen-Martens in Richtung Pfeifenende. Dabei streut er immer wieder Getreideflocken in den Fanggraben. Eifrig fressend und schnatternd folgt die Entenschar. „Früher wurden meistens Krickenten gefangen, heute nur noch Stockenten“, sagt der Föhrer und achtet darauf, dass auch alle Breitschnäbel folgen.

Bevor es losgeht, stellt der Föhrer den Fangkorb fängisch. Über eine Schnur kann er die
Klappe aus einiger Entfernung heruntersausen lassen. Foto: Markus Deutsch

In den vergangenen Jahrhunderten fingen die Föhrer in den sechs auf der Insel liegenden Kojen das Wasserwild massenhaft und nicht selektiv. Eine jährliche Ausbeute von 15 000 Enten pro Koje war keine Seltenheit. In guten Jahren fing man bis zu 60 000, darunter Pfeif-, Spieß- und Stockenten. Den weitaus größten Teil machten jedoch die Krickenten aus. Um der Menge an Wildbret Herr zu werden, gründete ein findiger Kaufmann aus Wyk 1885 eine Wildenten-Konservenfabrik. Pro Jahr wurden bis zu 40 000 verarbeitet und, in Dosen eingeweckt, in alle Welt vermarktet. Auf den Schiffen der „Hamburg-Amerika- Linie“ kamen sie als Delikatesse sogar zum Kapitänsdinner auf den Tisch.

Ein Etikett aus vergangenen Tagen: Die Föhrer Krickenten galten als Delikatesse und wurden – in Dosen eingemacht – weltweit verkauft. Foto: Markus Deutsch

Heute dürfen die Friesen noch in vier Vogelkojen der Insel ausschließlich Stockenten fangen. Es sind deutschlandweit die letzten betriebenen Einrichtungen dieser Art. Allerdings ist bei 600 Enten Schluss. Mehr dürfen nicht gefangen werden. Tatsächlich gingen den Föhrern in den vergangenen Jahren im Schnitt nur noch 200 Wildenten jährlich auf den Leim.

Sollten sich mal Vertreter anderer Entenarten in die Pfeifen verirren, kann der jeweilige „Interessent“ sie problemlos und unbeschadet aus dem Fangkorb in die Freiheit entlassen. Zudem dient der Entenfang der Wissenschaft: Die Inselfriesen schicken regelmäßig Mägen und Kotproben der gefangenen Breitschnäbel an die Bundesforschungsanstalten in Eberswalde und Greifswald, wo Wissenschaftler sie auf Bleibelastung und Viruserkrankungen untersuchen.

Sönksen-Martens ist am Ende der Pfeife angekommen. Mittlerweile ist auch Hansi Ketelsen, ein befreundeter Jäger, eingetroffen. Er will seinem Kollegen beim Fangen zur Hand gehen. „Ein paar wilde sind dazwischen“, informiert der „Interessent“ seinen Freund, während er die letzten Getreidereste aus dem Eimer in den Fangkorb wirft.

Am Ende der Pfeifen wartet der Fangkorb auf die Schnatterer. Foto: Markus Deutsch

Jetzt wird es ernst. Über eine kleine Holzrampe watscheln drei Erpel in Richtung
Fangkorb. Eifrig picken sie das Futter auf. Über ihnen hängt das Holzbrett, das
den Weg zurück versperren wird. Die erfahrenen Lockenten halten sich zurück
und bleiben auf dem Wasser. Sie wissen, was den wilden Artgenossen blüht und
dass gleich die Klappe fällt. Sönksen-Martens hält bereits die Schnur in der
Hand. Er wartet nur darauf, dass der letzte der drei Erpel weit genug im Fangkorb
ist.

Gleich fällt die Klappe. Dann werden die Stockenten aus dem Fangkorb genommen. Foto: Markus Deutsch

Mit einem dumpfen Poltern saust das Brett herunter. Nur kurz schnattert die Entenschar beunruhigt, dann geht die Suche nach übersehenen Getreideflocken weiter. Nun kommt Ketelsen zum Einsatz. Vorsichtig öffnet er den Fangkorb und greift einen Erpel heraus. Dann geht alles ganz schnell: Mit der rechten Hand hält er den Erpel fest, mit der linken greift er gekonnt über den Kopf des Breitschnabels. Eine kurze Handbewegung und der Schnatterer ist tot. Auch die beiden anderen Wildenten wringelt der Jäger. Langsam rudern die Lockenten wieder aus der Pfeife hinaus auf die offene Wasserfläche. Sie haben ihren Dienst für heute getan. Sönksen-Martens trägt noch schnell sein Fang ergebnis im Kojenhaus in eine Liste ein. „Ich geh schon mal zum Steg. Die Enten nehm‘ ich mit“, ruft ihm Ketelsen von draußen zu.

Nachdem der „Interessent“ der bürokratischen Pflicht Genüge getan hat, folgt er seinem hilfsbereiten Freund. „Es hätten auch zwei mehr sein dürfen, aber immerhin“, kommentiert Sönksen-Martens den Fang, während er den hochgeklappten Steg anschließt. „Komm Du mal heute Abend vorbei. Dann lassen wir uns die drei richtig schmecken.“

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