Peter Schmitt
AUS DEM WILD UND HUND-TESTREVIER
Die komplette Jagdzeit versuchte WuH-Marketingleiter Johannes Ruttmann sein erstes Stück Damwild zu erlegen. Als er schon jede Hoffnung aufgegeben hatte, wendete sich das Blatt kurz vor Torschluss.
WuH-Marketingleiter Johannes Ruttmann mit seinem ersten Stück Damwild.
Fotos: Peter Schmitt
„Der Dicke hat uns mit! Bist Du fertig?“, frage ich Johannes, der zu zwei Drittel im Pulverschnee liegt. Der Lauf des auf seinem Rucksack gebetteten Gewehrs liegt nur knapp
über der weißen Oberfläche. „Ja“, die knappe Antwort. „Der direkt rechts neben dem Starken, der das Haupt abgewandt hat“, versuche ich den Selektionsspießer zu beschreiben. Da wir ein ganzes Rudel vor uns haben, wiederholen wir die Beschreibung gegenseitig mehrmals, um ganz sicherzugehen, dass der von mir angesprochene und von Johannes anvisierte, etwa 150 Meter entfernte Hirsch derselbe ist und wir keinen Fehlabschuss produzieren. Schließlich ist nur noch ein einziger schwacher Spießer aus der Poolfreigabe des Hegerings übrig. Der starke Halbschaufler bekommt einen immer längeren Träger, sichert misstrauisch zu uns herüber.
Als Johannes zu Anfang des Jagdjahres äußerte, dass er noch nie ein Stück Damwild in freier Wildbahn gesehen, geschweige denn darauf gejagt habe, stand schnell der Entschluss fest, diesen Zustand zu ändern. Doch in Obertiefenbach glänzen die gepunkteten Vagabunden im Sommer und zur Brunft meist durch Abwesenheit oder Unstetigkeit. Dass aus dem Unterfangen kein leichtes werden würde, nahm ich vorweg, um allzu große Hoffnung im Vorfeld zu dämpfen. Schließlich erlegen wir in der Regel lediglich zwei bis drei Stücke Damwild im Jahr. Und das meist nur als „Beifang“. Und so kam es, wie es kommen musste. Mehrere Ansitze an den vielversprechendsten Damwild-Ecken gingen ohne Anblick aus. Bekam ich beim Einzelansitz ein passendes Stück vor die Büchse, blieb die Kugel im Lauf, und am nächsten Tag waren wir wieder zu zweit vor Ort – ergebnislos. Es war wie verhext. Im Spätherbst dann die nächste Hiobsbotschaft: Die Freigaben aus dem Hegeringpool zu Schmalspießern, -tieren, Kniepern und IIb-Hirschen wurden von anderen Revieren erfüllt. Somit sanken unsere Aussichten auf Erfolg deutlich. Mit der nahenden Drückjagd im November und der damit verbundenen Jagdruhe im und am Waldbereich des Reviers wurde die Damwild-Mission vorerst ad acta gelegt und bereits aufs nächste Jahr verschoben.
Doch am ersten Dezember keimte wieder Hoffnung auf. Zu diesem Stichtag gingen nämlich die nicht erfüllten Vorgaben der Teilabschusspläne in die Poolfreigabe des Hegerings über. Somit waren wieder drei Schmalspießer und zusätzlich -tiere freigegeben. Weiterhin spielte uns die Wetterlage im Januar in Kombination mit den entsprechend
bestellten Feldern in die Karten. Denn Minusgrade mit geschlossener Schneedecke, kombiniert mit Raps auf den Äckern am Waldrand hatte sich in der Vergangenheit als Damwildmagnet herausgestellt. Unter diesen Umständen dauerte es nur wenige Tage, und ich konnte mehrfach zwei Damwildrudel auf besagten Flächen bestätigen. In einem zehnköpfigen zogen auch zwei schwache Knopfspießer. Doch Johannes hatte nur am letzten Januar-Freitag nach Feierabend Zeit. Wir mussten alles auf diese eine Karte setzen.
Schon auf der Fahrt zur Wildacker-Kanzel sahen wir Damwild am Rand der angrenzenden Rapsfläche stehen. Der Plan, die Stücke beim Austreten abzupassen, war also hinfällig. Unter diesen Umständen und bei dieser Windlage war es unmöglich, auf dem gewohnten Pfad zum Sitz zu kommen. Schnell stand der Entschluss, das Rudel weiträumig zu umschlagen, was zu Anfang auch problemlos gelang. Durch die große Hecke gedeckt, in die der Hochsitz auf einer kleinen Anhöhe integriert ist, ging es die letzten 250 Meter über das freie Feld direkt auf die Hirsche zu. Den Gedanken, ungesehen auf die ursprünglich angepeilte Kanzel zu gelangen, mussten wir verwerfen. Das Rudel hatte sich in der Zwischenzeit weiträumig verteilt, sodass ein Stück diese Aktion sicherlich mitbekommen hätte. Also schoben wir uns im Zeitlupentempo am Rand der Hecke entlang. Mein Schneetarn-Anzug schirmte dabei Johannes ab, der in Grün gewandet hinter mir pirschte.
Während sich der Großteil des Rudels am Raps gütlich tat, hatte sich ein stärkerer Geselle am Waldrand niedergetan. Dummerweise äugte er in dieser Position automatisch direkt zu uns. Wir befanden uns aus dessen Sicht auf dem höchsten Punkt der Anhöhe und mussten wie ein Scherenschnitt wirken. Es ging nur noch kriechend weiter. Doch schon das war zu viel für den Wachposten. Er erhob sich träge und sicherte nun angespannt zu uns herüber. Ich bedeutete Johannes, sich vorsichtig liegend einzurichten.
Ein Teil des Zehner-Rudels, bestätigt wenige Tage vor der Jagd. Dem schwachen Spießer (3. v. r.) galts.
Durch den Pulverschnee gedämpft, spricht die .30-06 ihr seltsam dünn klingendes Machtwort. Im Glas sehe ich den Schmalspießer zeichnen, und dessen wankende Flucht endet nach zehn Metern hinter einer Eiche. Johannes hat direkt nach dem Schuss repetiert und von all dem nichts mitbekommen. Er hält einen abspringenden Hirsch für den beschossenen. Ich muss ihm mehrfach zu verstehen geben, dass seiner längst verendet und für ihn verdeckt liegt. Erst als er einen Teil des Hinterlaufes im Zielfernrohr entdeckt, der hinter der Eiche hervorlugt, scheint er mir zu glauben. Als er die Waffe absetzt und tief ausatmet, merke ich, wie stark ihn das Jagdfieber beutelt. Wir warten noch etwas, bis sich auch die letzten Rudelmitglieder verzogen haben, und marschieren dann zum Erlegten. Auf den letzten Metern lasse ich Johannes den Vortritt und gebe ihm einige Zeit mit seiner Beute. Anschließend legen wir den Schmalspießer würdevoll zur Strecke. Einen Erlegerbruch bekommt der Schütze nicht, denn das einzige bruchgerechte Ästchen, ein herabgefallener Kiefernzweig, wird dem Hirsch zum letzten Bissen gereicht. Noch einige Zeit sitzen wir bei Kaiserwetter seelig neben Johannes‘ erstem Stück Damwild im Schnee.