WILD UND HUND 23/2013
Seit dem vergangenen Winter wird der Konflikt um die Rotwilddichte im Kreis Ahrweiler offen ausgetragen. Vordergründig geht es um das gesetzliche Fütterungsverbot.
Winand Schmitz ist sichtlich um Sachlichkeit bemüht. „Der Wald ist mehr als Bäume und Holz. Das ist ein Lebensraum, und da ist Wild drin und soll auch drin bleiben.“ Gleich zu Beginn der Gesprächsrunde, zu der er geladen hat, verdeutlicht der Leiter des Forstamtes Adenau, dass ihm jede ideologische Konfrontation fremd ist. Er beschwört den „Schulterschluss der Landnutzer in einer urbanisierten Gesellschaft“. Aber was zu viel sei, sei nun mal zu viel. Und das Rotwild, das neben Reh-, Schwarz- und stellenweise Muffelwild im Kreis Ahrweiler vorkommt, habe einfach überhand genommen.
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„Forstliche Ansprüche an die Wildbewirtschaftung“ hat Schmitz die Gesprächsrunde überschrieben, die die seit Monaten anhaltende emotionale Diskussion um die Edelhirsche und ihre Hege versachlichen soll. Drei Waldbilder führt er den Pressevertretern und Mitgliedern des Kreisjagdbeirates vor. Da ist jener Bereich, in dem sich die Buche üppig natürlich verjüngt und gleichwohl laut Forstamtsleiter noch immer fast sieben Stück Rotwild je hundert Hektar Wald erlegt werden. Ein ganzes Stück weiter steht ein fünf Jahre altes Weisergatter. Innen alles grün, außerhalb des Zauns gedeiht bis zur Äserhöhe nichts. Ebenso extrem ist der Verbiss auf einer Fläche, auf der der Versuch, Douglasien in Klumpenpflanzung hochzubringen, kläglich gescheitert ist.
„Es muss doch einen Mittelweg geben“, appelliert Schmitz. Der Forst wolle doch gar nicht die Weißtanne ohne Schutz hochziehen oder „exotische Waldbauphantasien ausleben“. Aber wenn in weiten Teilen des Rotwildkerngebietes zwei Waldgenerationen vollständig fehlten, die Bodenvegetation nahezu komplett ausfalle, könne er das nicht akzeptieren, sagt er und bekennt sich zugleich zu seiner jagdlichen Passion.
Unstrittig ist die Zunahme der Rotwildstrecke innerhalb von zwei Jahrzehnten von 400 auf 1 800 Stück im Kreis Ahrweiler. Das Zentrum sind die rund 23 500 Hektar (mehr als 80 Prozent Wald) der neuen Rotwildhegegemeinschaft Hohe Acht-Kesseling, zu der 63 Reviere gehören. Der Staat ist mit gut 1 050 Hektar Regiejagdfläche und fünf verpachteten Revieren mit zusammen 1 075 Hektar beteiligt.
Bis zu 17 Stück Rotwild je hundert Hektar Wald beträgt im Kernbereich die jährliche Rotwildstrecke. Vom Rotwildpuff mit deutlich über 200-köpfigen Rudeln spricht mancher. Schlicht als wildreich bezeichnen andere diesen Bereich. Die Pächter zahlen dafür jährlich bis zu 150 Euro je Hektar. Die wirtschaftliche Bedeutung dieser Beträge für die Region lässt sich daran ermessen, dass sie laut Lokalpresse „für etliche Eifeldörfer quasi die einzige Einnahmequelle sind“.
Der Konflikt um die Rotwilddichte im Kreis Ahrweiler schwelte seit Jahren, bevor er im vergangenen Spätwinter lautstark öffentlich wurde. Auslöser war eine extreme Witterungssituation. Nachdem auch der letzte Brombeerbusch und sämtliche Wildwiesen kahl geäst waren, wurden etliche hundert Stück Wild verludert aufgefunden. Es folgten wechselseitige Vorwürfe und offene Briefe. Der Ton wurde zunehmend aggressiver, und die Auseinandersetzung eskalierte immer mehr. „Die Jäger bekommen die Bestände nicht in den Griff“, tönte es aus Mainz.
Die Landesregierung, namentlich die grüne Umweltministerin Ulrike Höfken, plane eine „Reduktion durch Verhungern“ oder nehme diese zumindest billigend in Kauf, schallte es aus der Kreisjägerschaft zurück.
An der Stelle wird dann auch in der Diskussion beim Ortstermin ersichtlich, dass die Auseinandersetzung im Kesselinger Tal ein Stellvertreterkrieg für den Streit zwischen Landesregierung und Landesjagdverband (LJV) ist. Zunächst wollten die LJV-Oberen wenig von der medienwirksamen Aktion „Kämpf mit“ wissen, in der die Jäger aus den Kreisen Ahrweiler und Mayen-Koblenz der Landesregierung tierschutzwidriges Verhalten vorwarfen. Die Stücke seien wegen des Fütterungsverbotes verhungert. Ausdrücklich verurteilte der LJV das Vorgehen als „einseitige, parteibezogene Kampagne“ und „personenbezogene Angriffe“.
Gleichwohl hatte die Geschäftsstelle in Gensingen die Anzeigen- und Öffentlichkeitskampagne der Kreisgruppe Ahrweiler nach Angaben von deren Vorsitzendem Jürgen Kindgen im Frühsommer mit einem maßnahmenbezogenen Zuschuss mitfinanziert. LJV-Geschäftsführer Erhard Bäder bestritt dies auf Anfrage von WILD UND HUND.
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Im vergangenen Spätwinter war das Futterangebot so knapp, dass Rotwild jede Scheu verlor. Es suchte an Fahrsilos auf Bauernhöfen und im Vogelfutterhäuschen des Forsthauses nach Äsung. (Foto: Manfred Klöppel/chb) |
Als der enorme Rückhalt in der Bevölkerung, der fast 16 000 Unterschriften brachte, immer deutlicher wurde, schwenkte der LJV in seiner Außendarstellung um. Intern beteuere er inzwischen, die Kreisgruppe Ahrweiler sei nur einer eigenen Kampagne gegen das Fütterungsverbot zuvorgekommen, behauptet deren Presseobfrau Dr. Gitta Werner. Jedenfalls erkannten die Verbandsoberen die Möglichkeit, den kritischen Mitgliederstimmen zu begegnen, die ihm ein missglücktes, allenfalls halbherziges Vorgehen gegen die im Sommer verabschiedete Landesjagdverordnung vorwerfen.
Zunächst hatte der LJV gemahnt, „die Anpassung des Rotwildbestandes an die vorhandene Lebensraumkapazität“ müsse ganz oben auf der Agenda der Kreisgruppe Ahrweiler stehen. Als der Konflikt jedoch eskalierte, ließ Präsident Kurt-Alexander Michael in einem Brief an die Ministerin offen, „ob die Bestände als zu hoch bewertet werden, oder nicht“.
Auf Anfrage erklärte LJV-Pressesprecher Günther Dieter Klein, der Verband stimme mit den vor Ort Verantwortlichen überein, dass „in bestimmten Bereichen“ reduziert werden müsse, könne die Sache letztlich jedoch „von hier aus nicht beurteilen“. So rückt die organisierte Jägerschaft das 2005 von der sozialliberalen Koalition unter Ministerpräsident Kurt Beck eingeführte gesetzliche Fütterungsverbot ins Zentrum der Debatte und nicht die Frage der Bestandshöhe.
Presseobfrau Werner bezeichnet das Problem, das es in ähnlicher Form auch an anderen Stellen in Rheinland-Pfalz gebe, als „staatlich hausgemacht“. Die Festsetzung der Abschüsse, für die der körperliche Nachweis gelte und die die Jäger stets so gut wie möglich erfüllt hätten, sei in der Vergangenheit viel zu niedrig gewesen, inzwischen aber längst „ein Reduktionsniveau erreicht“. Doch müssten die Jäger „erstmal die ersten Leichen vorzeigen, bevor wir eine Ausnahmegenehmigung bekommen“, beklagt Werner das Fütterungsverbot als falsch.
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Der Versuch mit Douglasien in Klumpenpflanzung ist auf ganzer Fläche gescheitert. |
Die Ausnahme müsse auch eine solche bleiben, betont hingegen Frank Ridderbusch, Jagdreferent im Mainzer Umweltministerium. Es gelte, das Rotwild so weit zu dezimieren, dass es nicht mehr seine eigene Lebensgrundlage zerstöre und massive Schäden in der Landwirtschaft verursache. „Eine Eichel- oder Buchenmast gibt es eben nur alle paar Jahre. Das Wild muss auch in den anderen Wintern ohne Zufüttern überleben.“ Da werde doch mit zweierlei Maß gemessen, wirft sogar Nabu-Vertreter Dr. Christian Hoyer dem Regierungsrepräsentanten vor: Vögel dürften im Winter gefüttert werden, Rotwild nicht.
„Wir haben ein punktuelles, kein generelles Problem“, ist Ralf Mocken überzeugt und fordert eine „Erhaltungsfütterung“ sowie die Abkehr vom „Gießkannenprinzip“. Der Forst möge außerdem für besseren Lichteinfall im Wald und dadurch mehr Vegetation sorgen, fordert der Vorsitzende der Hegegemeinschaft. In deren Bereich stehen rund 1 200 Stück Rotwild auf dem Abschussplan. Zuletzt wurde noch einmal um 199 Stück für den engeren Kesselinger Bereich aufgestockt. Dadurch werde längst mehr als der Zuwachs abgeschöpft, der Bestand also verringert, deutet Mocken die Zahlen.
Mit dieser Einschätzung bleibt er beim Waldgespräch allein. Kreisjagdmeister Joachim Polch plädiert für eine Reduzierung des Bestandes um die Hälfte – „auf der Basis der Vorjahreszahlen, also vor den Winterverlusten“ – und einen besseren Altersklassenaufbau. Polch weiß, dass er sich damit heftiger Kritik aus den eigenen Reihen aussetzt. Er nimmt aber auch das Land in die Pflicht, das der Leitwildart Schäden zugestehen und definieren müsse, in welchem Umfang diese zu tolerieren sind. Denn selbst nach einer Halbierung werde das soziale, in Rudeln lebende Rotwild junge Bäume schädigen. Der Verbiss ende nämlich erst, wenn das letzte Stück gestreckt sei.
Mit der von Polch vorgeschlagenen Lösung könnte Forstamtsleiter Schmitz gut leben. Aus waldbaulicher Sicht werde es dann immer noch lokale Brennpunkte geben. Die aber müsse man akzeptieren, wenn zugleich großflächige Naturverjüngung gelingen könne. „Und die Reviere im Kesselinger Tal bleiben auch dann noch Premium-Jagden“, ist er überzeugt. Er sieht aber zugleich die jagdliche Herausforderung eines mindestens zehnjährigen schwierigen Weges.
Ein derart heftiges Vorgehen bedarf in besonderem Maße der Waidgerechtigkeit. Trotz des notwendigen Eingriffs bei den Zuwachsträgern kann selbst bei Beachtung des Muttertierschutzes nicht auf jedes Kalb und jedes Schmaltier Dampf gemacht werden. Denn nicht nur der Wald, auch der Rotwildbestand braucht den richtigen Altersklassenaufbau.
Christoph Boll