Zum Artikel „Truthühner in Deutschland: Besonderes Wild – seltene Beute“ von Christoph Boll finden Sie hier das ausführliche Interview mit Dr. Heinrich Spittler – dem Experten für Wildtruthühner in Deutschland. Der Wissenschaftler betreut seit vier Jahrzehnten das Wildtruthuhn-Projekt im Kottenforst.
Dr. Heinrich Spittler. Der Wissenschaftler betreut seit vier Jahrzehnten das Wildtruthuhn-Projekt im Kottenforst. (Foto: Christoph Boll) |
Aus Amerika geholter Wildtruthahn in der Aufzuchtvoliere. (Foto: CB) |
9 mal 30 Meter groß ist die Aufzuchtvoliere, die Berufsjäger Sascha Schmidt (links) und Dr. Heinrich Spittler inspizieren. (Foto: CB) |
Spittler: Die Forschungsstelle beschäftigt sich bereits seit dem Jahr 1996 nicht mehr mit den Wildtruthühnern. Damals verlor sie nämlich ihre bisherige Selbständigkeit. Sie wurde als Dezernat in die neu geschaffene Landesanstalt für Ökologie, Bodenordnung und Forsten (LÖBF) integriert. Dies beinhaltete auch eine Änderung in der Arbeitsausrichtung. Es musste fortan eher ökologisch gedacht werden und nicht mehr – wie bisher – primär jagdlich. Das heißt konkret, dass die Betreuung der Wildtruthuhn-Einbürgerung aus dem Arbeitsprogramm gestrichen wurde, da es sich bei diesem Projekt aus ökologischer Sicht um eine Faunenverfälschung handelt. Sie sollte nicht weiterhin mit Geld und Zeit unterstützt werden. (Anm. d. Red.: Trotzdem zählt das Trutwild zu den jagdbaren Arten und untersteht damit der Hegepflicht des Jägers.)
Der Abdruck des Geläufs verrät die Anwesenheit eines Wildtruthahns. (Foto: CB) |
Spittler: Bei allen frei lebenden Tieren gibt es ein Auf und Ab in der Bestandsentwicklung. Diese Populationsbewegungen sind besonders stark bei den Tieren ausgeprägt, die Beutetiere einer größere Anzahl von Feinden sind, wie dies bei den Wildtruthühnern der Fall ist. Hinzu kommt bei ihnen noch die Situation, dass sie nicht flächendeckend vorkommen, sondern auf einen sehr kleinen Raum begrenzt sind. Die Fläche im Kottenforst beläuft sich gerade einmal auf etwa 3 000 Hektar. Solche kleinen, inselartigen Vorkommen sind besonders anfällig für Populationsbewegungen. Von Abwärtsbewegungen können sie sich im Gegensatz zu flächenmäßig großen Vorkommen (Beispiel Feldhase) oftmals nicht wieder von selbst erholen. Daher sind Stützungsmaßnahmen erforderlich, wenn die Population erhalten bleiben sollen. Das Auf und Ab des Wildtruthuhnbestandes im Kottenforst hat auf jeden Fall nichts mit Lebensraumveränderungen zu tun. Es ist Ergebnis der Zu- beziehungsweise Abnahme der Prädation, insbesondere durch den Fuchs. Als der Fuchs Ende der 1960er sowie Anfang der 1980er Jahre durch massives Auftreten von Tollwut um mehr als die Hälfte zurückgegangen war, kam es jeweils zu einer signifikanten Erholung der Wildtruthühner. Zur Untermauerung dieser Aussage sei angeführt, dass sich in den 1960er Jahren, als der Feinddruck durch den Fuchs besonders niedrig war, nicht nur die gerade eingebürgerten Wildtruthühner aufwärts entwickelten, sondern auch die etablierten, autochthonen Hasen. Es gab seinerzeit in dem Bereich, in dem die Wildtruthühner vorkommen, so viele von ihnen, dass 1971 in dem rund 500 Hektar großen Staatswaldanteil sogar eine Staatsjagd auf Niederwild mit ministeriellem Besuch durchgeführt werden konnte. Damit wird deutlich, welch große Bedeutung der Feinddruck auf die Beutetiere hat und zwar nicht nur durch monophage (Anm. d. Red.: Ernährung von nur einer Tierart), sondern auch durch polyphage (Anm. d. Red.: Ernährung von verschiedenen Tierarten) Räuber, wie den Fuchs.
28 Tage dauert es, bis aus den Eiern in der Brutmaschine die ersten Küken schlüpfen. (Foto: CB) |
Spittler: Fasanen und Stockenten werden schon seit Jahrzehnten künstlich ausgebrütet, wobei die Elterntiere bereits in Gefangenschaft groß geworden sind. Es gibt also bei diesen beiden Wildarten bezüglich der Aufzucht schon eine gewisse Halbdomestikation. Auf diese ist das derzeitige gute Schlupfergebnis von mehr als 70 Prozent bei diesen Wildarten zurückzuführen. Bei allen anderen Federwildarten, mit denen noch nicht so lange gezüchtet wird, wie etwa beim Auer- und Birkwild, ist das Schlupfergebnis dagegen im Prinzip genau so niedrig wie bei den auf Wildfänge zurückgehenden Wildtruthühnern. Häufig ist es sogar noch schlechter. Das derzeitige unstrittig geringe Schlupf- und Aufzuchtergebnis bei den Wildtruthühnern ist primär eine Frage der Zuchtdauer. Man kann davon ausgehen, dass es immer besser werden wird, je länger mit ihnen gezüchtet wird, das heißt, je mehr Elterngenerationen in der Gefangenschaft groß geworden sind.
Spittler: Die skizzierte Einstellung des NABU in Bezug auf die Wildtruthühner basiert zum einen auf der zum Teil auch berechtigten Grundsatzhaltung des Naturschutzes zur Einbürgerung tiergeographisch fremder Arten, zum anderen aber auch auf einer gewissen Unkenntnis der Biologie der Wildtruthühner. Die Gefahr, die mit der Einbürgerung fremder Tierarten oftmals verbunden ist – dass sie nämlich heimische Arten verdrängen, und man sie nicht wieder los wird – ist bei den Wildtruthühnern aus mehreren Gründen jedoch gleich Null. Von daher die Einstellung von Stützungsmaßnahmen zu fordern, ist als nicht begründet und vordergründig anzusehen. Der eigentliche Grund für diese Forderung dürfte vielmehr in der derzeit beim Naturschutz überwiegend gegebenen Anti-Jagd-Einstellung zu sehen sein. Man möchte nicht noch ein „fremdes Schießobjekt“ im deutschen Wald.
Apropos „fremd“: Die Wildtruthühner gelten auch nach dem Bundesnaturschutzgesetz nicht mehr als eine fremde Tierart, da sie sich inzwischen über mehrere Jahre in freier Wildbahn vermehrt haben. Dass es zu ihrer Erhaltung in gewissen zeitlichen Abständen bestimmter Stützungsmaßnahmen bedurft hat und es vielleicht auch in Zukunft solcher Maßnahmen bedarf, hängt, wie bereits erwähnt, mit dem hohen Feinddruck zusammen, der auf ihnen lastet. Die Maßnahmen sind nicht darauf zurückzuführen, dass der Lebensraum dort, wo Einbürgerungsversuche gelaufen sind, etwa nicht stimmt. Dafür spricht auch, dass wiederholt Wildbiologen aus Amerika, die sich mit den Wildtruthühnern wissenschaftlich beschäftigen, den Kottenforst besucht und im Hinblick auf die Eignung für die Wildtruthühner beurteilt haben. Ihr einstimmiges Urteil war, dass der Lebensraum im Kottenforst nicht nur geeignet, sondern sogar optimal für sie ist. Zur Forderung des NABU nach Einstellung der Stützungsmaßnahmen ist schließlich noch zu sagen, dass sie vielleicht nachvollziehbar wäre, wenn die betreffenden Kosten aus öffentlichen Mitteln bestritten würden. Dies ist aber nicht der Fall. Sie wurden vielmehr von der Jägerschaft und der privaten HIT-Stiftung aufgebracht, der an dieser Stelle noch einmal herzlich gedankt sei.
Das Alter des Trutwildes lässt sich anhand der Sporn ermitteln: Je länger und spitzer der Sporn desto älter der Hahn. (Foto: CB) |
Spittler: Das Wildtruthuhn-Vorkommen im Kottenforst ist aktuell das einzige in Deutschland. Es handelt sich um ein kleines, isoliertes und damit überschaubares Vorkommen. Die Verfolgung der Entwicklung derartiger Vorkommen ist, im Hinblick auf diejenige von heimischen Wildarten mit analogem Status, von beispielhafter Bedeutung. So ist davon auszugehen, dass die in diesem Jahr vom Stifterverband für Jagdwissenschaft vorgesehenen telemetrischen Untersuchungen für über das Einstands- und Wanderungsverhalten sowie über die Verluste und deren Ursachen der ausgesetzten Jungtiere Ergebnisse liefern werden, die, unter entsprechenden Vorbehalten, auf andere isolierte Federwildpopulationen übertragbar sind. Die Wildtruthühner im Kottenforst sind also ein ideales Forschungsobjekt, letztlich auch unter dem Aspekt der heute immer wieder herausgestellten großen Bedeutung der genetischen Depression bei niedrigen Populationsdichten.
30 mal 40 Meter groß ist die Aussetzungsvoliere, die gut versteckt im Kottenforst steht. Alle paar Jahre müssen die jungen Birken entfernt werden, damit sie nicht die Netze zerstören und so das Eindringen des Habichts ermöglichen. (Foto: CB) |