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Truthahnjagd im Rheinland

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Zum Artikel „Truthühner in Deutschland: Besonderes Wild – seltene Beute“ von Christoph Boll finden Sie hier das ausführliche Interview mit Dr. Heinrich Spittler – dem Experten für Wildtruthühner in Deutschland. Der Wissenschaftler betreut seit vier Jahrzehnten das Wildtruthuhn-Projekt im Kottenforst.

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Dr. Heinrich Spittler. Der Wissenschaftler betreut seit vier Jahrzehnten das Wildtruthuhn-Projekt im Kottenforst. (Foto: Christoph Boll)
WuH: Es hat in der Bundesrepublik verschiedene Versuche gegeben, Wildtruthühner anzusiedeln. Warum sind alle Bemühungen bis auf die im Kottenforst gescheitert?
Spittler: Die Wildtruthühner stellen für viele Prädatoren – wie Fuchs, Habicht, Uhu und verschiedene Gelegeräuber – attraktive Beutetiere dar. Bei hoher Prädatorendichte haben es ausgesetzte Wildtruthühner schwer, zu überleben und einen sich selbst tragenden Bestand aufzubauen, selbst wenn der Lebensraum an den Ansiedlungsstellen optimal ist. Das Scheitern der verschiedenen Einbürgerungsversuche ist im Wesentlichen auf eine zu hohe Feinddichte zurückzuführen. Hinzu kam, dass nicht nachhaltig genug ausgesetzt worden ist. Für eine erfolgreiche Bestandsbegründung reicht es nicht aus, ein oder zwei Jahre lang einige wenige Wildtruthühner auszusetzen, wie es bei fast allen Ansiedlungsaktionen der Fall war. Die Einbürgerung im Kottenforst ist als gelungen zu bezeichnen. Hier kommen die Wildtruthühner jetzt bereits seit über 50 Jahren vor. Allerdings waren zwei Stützungsaktionen erforderlich. Der Erfolg der Ansiedlungsaktion ist primär darauf zurückzuführen, dass ihre Anfangsphase in die Jahre fiel, in denen die Fuchspopulation dort tollwutbedingt drastisch zurückgegangen war. Zudem waren Schwarzwild, Habicht und Uhu im Gegensatz zu heute dort kaum vorhanden. Unter dem Aspekt der Prädation ist anzumerken, dass sich ihr Negativ-Effekt auf isoliert vorkommende Beutetierpopulationen besonders drastisch auswirkt.


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Aus Amerika geholter Wildtruthahn in der Aufzuchtvoliere. (Foto: CB)
WuH: Sie gelten als einer, der wesentlich dazu beigetragen hat, dass es den Bestand im Kottenforst noch gibt. Wann sind Sie erstmals mit ihm in Berührung gekommen und wie hat sich der weitere Kontakt gestaltet?
Spittler: Zur Beantwortung dieser Frage muss ich kurz etwas zu meiner Person sagen. Ich war von 1971 bis 2003 bei der Forschungsstelle für Jagdkunde und Wildschadenverhütung des Landes Nordrhein-Westfalen in Bonn als wissenschaftlicher Mitarbeiter tätig. Hier war ich für den Bereich Niederwild zuständig. Obwohl das Trutwild wie das Auerwild zum Hochwild zählt, gehörte die wissenschaftliche Betreuung der Wildtruthühner in Nordrhein-Westfalen, deren Einbürgerung auf einen ministeriellen Erlass zurückgeht, zu meinem Arbeitsbereich. Damit bin ich 1971 erstmals mit den Wildtruthühnern in Berührung gekommen. Ich habe den Verlauf der einzelnen Einbürgerungsversuche verfolgt und die Ende der 1970er Jahre im Kottenforst notwendig gewordene Stützungsaktion initiiert und betreut.
Dabei habe ich diese Wildart als belebendes Element für viele  Reviere näher kennengelernt. Sie verursacht keine Wildschäden, ist tagaktiv und mit anderen Tierarten verträglich sowie jederzeit wieder aus der Wildbahn herauszunehmen, wenn es denn sein soll. Bei der Jagdausübung stellen sie größere Anforderungen an den Jäger als viele andere Wildarten. Darüber hinaus sind Bart und Stoß der Hähne eine ansprechende Trophäe. Deshalb habe ich auch „Ja“ gesagt, als mich die Inhaber der Wildtruthuhnreviere im Jahr 2004 baten, sie auch nach meiner Pensionierung weiterhin mit Rat und Tat zu unterstützen und die Truthühner im Kottenforst vor dem Aussterben zu bewahren. Mit der aktuell laufenden Stützungsaktion ist dies zumindest bis dato gelungen. So gesehen ist es richtig, dass die Existenz der Wildtruthühner im Kottenforst wesentlich auf mein Engagement zurückzuführen ist.

 


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9 mal 30 Meter groß ist die Aufzuchtvoliere, die Berufsjäger Sascha Schmidt (links) und Dr. Heinrich Spittler inspizieren. (Foto: CB)
WuH: Wie ist zu erklären, dass die Forschungsstelle heute den Wildtruthühnern keine Beachtung mehr schenkt?

Spittler: Die Forschungsstelle beschäftigt sich bereits seit dem Jahr 1996 nicht mehr mit den Wildtruthühnern. Damals verlor sie nämlich ihre bisherige Selbständigkeit. Sie wurde als Dezernat in die neu geschaffene Landesanstalt für Ökologie, Bodenordnung und Forsten (LÖBF) integriert. Dies beinhaltete auch eine Änderung in der Arbeitsausrichtung. Es musste fortan eher ökologisch gedacht werden und nicht mehr – wie bisher – primär jagdlich. Das heißt konkret, dass  die Betreuung der Wildtruthuhn-Einbürgerung aus dem Arbeitsprogramm gestrichen wurde, da es sich bei diesem Projekt aus ökologischer Sicht um eine Faunenverfälschung handelt. Sie sollte nicht weiterhin mit Geld und Zeit unterstützt werden. (Anm. d. Red.: Trotzdem zählt das Trutwild zu den jagdbaren Arten und untersteht damit der Hegepflicht des Jägers.)

 


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Der Abdruck des Geläufs verrät die Anwesenheit eines Wildtruthahns. (Foto: CB)
WuH: Welche Gründe gibt es für das Auf und Ab in der Bestandsentwicklung?

Spittler: Bei allen frei lebenden Tieren gibt es ein Auf und Ab in der Bestandsentwicklung. Diese Populationsbewegungen sind besonders stark bei den Tieren ausgeprägt, die Beutetiere einer größere Anzahl von Feinden sind, wie dies bei den Wildtruthühnern der Fall ist. Hinzu kommt bei ihnen noch die Situation, dass sie nicht flächendeckend vorkommen, sondern auf einen sehr kleinen Raum begrenzt sind. Die Fläche im Kottenforst beläuft sich gerade einmal auf etwa 3 000 Hektar. Solche kleinen, inselartigen Vorkommen sind besonders anfällig für Populationsbewegungen. Von Abwärtsbewegungen können sie sich im Gegensatz zu flächenmäßig großen Vorkommen (Beispiel Feldhase) oftmals nicht wieder von selbst erholen. Daher sind Stützungsmaßnahmen erforderlich, wenn die Population erhalten bleiben sollen. Das Auf und Ab des Wildtruthuhnbestandes im Kottenforst hat auf jeden Fall nichts mit Lebensraumveränderungen zu tun. Es ist Ergebnis der Zu- beziehungsweise Abnahme der Prädation, insbesondere durch den Fuchs. Als der Fuchs Ende der 1960er sowie Anfang der 1980er Jahre durch massives Auftreten von Tollwut um mehr als die Hälfte zurückgegangen war, kam es jeweils zu einer signifikanten Erholung der Wildtruthühner. Zur Untermauerung dieser Aussage sei angeführt, dass sich in den 1960er Jahren, als der Feinddruck durch den Fuchs besonders niedrig war, nicht nur die gerade eingebürgerten Wildtruthühner aufwärts entwickelten, sondern auch die etablierten, autochthonen Hasen. Es gab seinerzeit in dem Bereich, in dem die Wildtruthühner vorkommen, so viele von ihnen, dass 1971 in dem rund 500 Hektar großen Staatswaldanteil sogar eine Staatsjagd auf Niederwild mit ministeriellem Besuch durchgeführt werden konnte. Damit wird deutlich, welch große Bedeutung der Feinddruck auf die Beutetiere hat und zwar nicht nur durch monophage (Anm. d. Red.: Ernährung von nur einer Tierart), sondern auch durch polyphage (Anm. d. Red.: Ernährung von verschiedenen Tierarten) Räuber, wie den Fuchs.

 


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28 Tage dauert es, bis aus den Eiern in der Brutmaschine die ersten Küken schlüpfen. (Foto: CB)
WuH: Die gegenwärtige Stützung des Bestandes basiert auf dem Aussetzen von Nachwuchs amerikanischer Wildfänge. Wie ist zu erklären, dass das künstliche Ausbrüten der Eier im Vergleich zu Fasanen oder Stockenten deutlich weniger erfolgreich ist? 

Spittler: Fasanen und Stockenten werden schon seit Jahrzehnten künstlich ausgebrütet, wobei die Elterntiere bereits in Gefangenschaft groß geworden sind. Es gibt also bei diesen beiden Wildarten bezüglich der Aufzucht schon eine gewisse Halbdomestikation. Auf diese ist das derzeitige gute Schlupfergebnis von mehr als 70 Prozent bei diesen Wildarten zurückzuführen. Bei allen anderen Federwildarten, mit denen noch nicht so lange gezüchtet wird, wie etwa beim Auer- und Birkwild, ist das Schlupfergebnis dagegen im Prinzip genau so niedrig wie bei den auf Wildfänge zurückgehenden Wildtruthühnern. Häufig ist es sogar noch schlechter. Das derzeitige unstrittig geringe Schlupf- und Aufzuchtergebnis bei den Wildtruthühnern ist primär eine Frage der Zuchtdauer. Man kann davon ausgehen, dass es immer besser werden wird, je länger mit ihnen gezüchtet wird, das heißt, je mehr Elterngenerationen in der Gefangenschaft groß geworden sind.

 


WuH: Der nordrhein-westfälische Landesverband des Naturschutzbundes Deutschland (NABU) behauptet, das Wildtruthuhn sei dem Lebensraum nicht angepasst und die Population ohne menschliche Hilfe nicht überlebensfähig. Er fordert deshalb das Einstellen von Unterstützungsmaßnahmen und ein Verbot des Aussetzens weiterer Vögel. Wie beurteilen Sie diese Argumentation?

Spittler: Die skizzierte Einstellung des NABU in Bezug auf die Wildtruthühner basiert zum einen auf der zum Teil auch berechtigten Grundsatzhaltung des Naturschutzes zur Einbürgerung tiergeographisch fremder Arten, zum anderen aber auch auf einer gewissen Unkenntnis der Biologie der Wildtruthühner. Die Gefahr, die mit der Einbürgerung fremder Tierarten oftmals verbunden ist – dass sie nämlich heimische Arten verdrängen, und man sie nicht wieder los wird – ist bei den Wildtruthühnern aus mehreren Gründen jedoch gleich Null. Von daher die Einstellung von Stützungsmaßnahmen zu fordern, ist als nicht begründet und vordergründig anzusehen. Der eigentliche Grund für diese Forderung dürfte vielmehr in der derzeit beim Naturschutz überwiegend gegebenen Anti-Jagd-Einstellung zu sehen sein. Man möchte nicht noch ein „fremdes Schießobjekt“ im deutschen Wald.
Apropos „fremd“: Die Wildtruthühner gelten auch nach dem  Bundesnaturschutzgesetz nicht mehr als eine fremde Tierart, da sie sich inzwischen über mehrere Jahre in freier Wildbahn vermehrt haben. Dass es zu ihrer Erhaltung in gewissen zeitlichen Abständen bestimmter Stützungsmaßnahmen bedurft hat und es vielleicht auch in Zukunft solcher Maßnahmen bedarf, hängt, wie bereits erwähnt, mit dem hohen Feinddruck zusammen, der auf ihnen lastet. Die Maßnahmen sind nicht darauf zurückzuführen, dass der Lebensraum dort, wo Einbürgerungsversuche gelaufen sind, etwa nicht stimmt. Dafür spricht auch, dass wiederholt Wildbiologen aus Amerika, die sich mit den Wildtruthühnern wissenschaftlich beschäftigen, den Kottenforst besucht und im Hinblick auf die Eignung für die Wildtruthühner beurteilt haben. Ihr einstimmiges Urteil war, dass der Lebensraum im Kottenforst nicht nur geeignet, sondern sogar optimal für sie ist. Zur Forderung des NABU nach Einstellung der Stützungsmaßnahmen ist schließlich noch zu sagen, dass sie vielleicht nachvollziehbar wäre, wenn die betreffenden Kosten aus öffentlichen Mitteln bestritten würden. Dies ist aber nicht der Fall. Sie wurden vielmehr von der Jägerschaft und der privaten HIT-Stiftung aufgebracht, der an dieser Stelle noch einmal herzlich gedankt sei.

 


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Das Alter des Trutwildes lässt sich anhand der Sporn ermitteln: Je länger und spitzer der Sporn desto älter der Hahn. (Foto: CB)
WuH: In diesem Jahr ist erstmals nach langer Zeit wieder ein Hahn geschossen worden. Belegt die gesamte Geschichte der Wildtruthühner im Kottenforst nicht, dass Hegebemühungen intensiver und damit erfolgreicher sind, wenn eine Perspektive der jagdlichen Nutzung besteht? 
Spittler: Die Frage ist unstrittig mit einem eindeutigen „Ja“ zu beantworten. Der Nutzungsgedanke spielt bei der Jagd beziehungsweise der Mehrzahl der Jäger eine dominierende und durchaus legitime Rolle. Wenn jährlich mehrere Hähne erlegt werden könnten, wie es früher schon einmal der Fall war, wäre das Engagement der örtlichen Revierinhaber und Jäger am Erhalt und der weiteren Aufwärtsentwicklung der Wildtruthühner naturgemäß höher. Das heißt aber nicht, dass die derzeitigen Hegebemühungen gleich Null wären. Der schon vor annähernd 50 Jahren gegründete Wildtruthuhn-Hegering Kottenforst funktioniert besser als zum Beispiel mancher Schwarzwild-Hegering. Im Übrigen ist es das Ziel,  die Wildtruthühner im Kottenforst nicht nur zu präsentieren, sondern dahin zu kommen, dass in jedem sogenannten Kernrevier wieder ein Hahn pro Jahr zu entnehmen ist, ohne den Bestand zu gefährden.

 


WuH: Welche Gründe der wildbiologischen Forschung sprechen für den Erhalt der Wildtruthühner im Kottenforst?

Spittler: Das Wildtruthuhn-Vorkommen im Kottenforst ist aktuell das einzige in Deutschland. Es handelt sich um ein kleines, isoliertes und damit überschaubares Vorkommen. Die Verfolgung der Entwicklung derartiger Vorkommen ist, im Hinblick auf diejenige von heimischen Wildarten mit analogem Status, von beispielhafter Bedeutung. So ist davon auszugehen, dass die in diesem Jahr vom Stifterverband für Jagdwissenschaft vorgesehenen telemetrischen Untersuchungen für über das Einstands- und Wanderungsverhalten sowie über die Verluste und deren Ursachen der ausgesetzten Jungtiere Ergebnisse liefern werden, die, unter entsprechenden Vorbehalten, auf andere isolierte Federwildpopulationen  übertragbar sind. Die Wildtruthühner im Kottenforst sind also ein ideales Forschungsobjekt, letztlich auch unter dem Aspekt der heute immer wieder herausgestellten großen Bedeutung der genetischen Depression bei niedrigen Populationsdichten.

 


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30 mal 40 Meter groß ist die Aussetzungsvoliere, die gut versteckt im Kottenforst steht. Alle paar Jahre müssen die jungen Birken entfernt werden, damit sie nicht die Netze zerstören und so das Eindringen des Habichts ermöglichen. (Foto: CB)

 


Weitere Informationen über das Trutwild unter www.stifterverband-jagdwissenschaften.de

 

 

 


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