ELCHBRUNFT AM URAL
„Ud… – was? Wo zum Teufel liegt Udmurtien?“, fragte sich CHRISTIAN SCHÄTZE vor seiner Jagdreise ins unbekannte Land. Heute weiß er nicht nur, wo der Staat liegt, sondern auch, dass es ein exzellentes Jagdland ist.
Wie ein Stoppschild steht die frische Elchfährte im Sand. Es ist nicht die erste dieses Jagdtages, doch die vielversprechendste. Sie ist taufrisch und riesengroß! Jagdführer Sergej und ich gehen sie aus und treten dabei fast auf einen Auerhahn, der natürlich mit Getöse abreitet. Unglaublich, wie schnell der Große Hahn an Fahrt gewinnt! Schon ist er im Bestand jenseits des mit Weiden, Birken und Pappeln bestockten Kahlschlages verschwunden. „Vielleicht hätte ich neben der Büchse eine Flinte mitnehmen sollen“, denke ich, denn es ist bereits der dritte Hahn, den wir an diesem Morgen hochmachen. Das zahlreiche Hasel- und Birkwild zählen wir schon gar nicht mehr. In den udmurtischen Wäldern am Rande des Urals fühlen sich jedoch nicht nur Raufußhühner wohl, sondern auch Elche, Bären und riesige Schwarzkittel. Bis zu 300 Kilogramm sollen Keiler hier auf die Waage bringen! Als wir die Freifläche überqueren, stößt der Führer auf eine unscheinbare Plätzstelle. Vom Rehwild kann sie nicht stammen, denn die würden die extremen Winter nicht überstehen. Die sibirischen Verwandten leben wiederum jenseits des Urals.
Der russische Jäger kniet sich hin, fasst in die Kuhle, zerreibt ein paar Bröckchen des feuchten Waldbodens und riecht daran. Als er den scharfen Duft aufgesogen hat, strahlt er und reckt seinen Daumen nach oben. „Elchbulle“, sagt er schließlich mit russischem Akzent. Dann tritt er in die Plätzstelle und scharrt darin herum. Im ersten Moment sieht es aus wie ein kleiner Stepptanz. Der Wildbiologe übt jedoch nicht für seinen Auftritt bei „Russland sucht das Supertalent“, sondern er verwittert seine Pirschstiefel. Noch Tage später wird der Elchurin daran zu riechen sein. Als er fertig ist, fordert er mich auf, es ihm gleich zu tun. „Er muss es wissen“, denke ich und mache es ihm nach. Mit einer leichten Brise im Gesicht pirschen wir auf dem ausgetretenen Elchwechsel weiter.
Links und rechts wachsen Pappeln, die in zwei bis zweieinhalb Metern Höhe verbissen sind. Erst jetzt realisiere ich, wie groß udmurtische Elche sein müssen. Natürlich können sie sich nicht mit ihren Vettern östlich des Urals, in Kamtschatka oder Alaska messen. Doch während in vielen europäischen Revieren Schaufler eher die Ausnahme sind, so ist hier jederzeit mit starken Hirschen jenseits der 12-Kilo-Marke zu rechnen. Spitzenelche bringen es sogar auf 15 Kilogramm! Sergej steigt auf einen Baumstubben und beginnt zu locken. Dabei hält er seine Hände vor den Mund, drückt mit den Zeigefingern die Nasenflügel zusammen und lässt mehrmals den langgezogenen nasalen Laut eines jungen Elchhirsches erklingen. Zu aggressiv darf er dabei nicht rufen, denn Elche sind sensibel.
„Da!“, flüstert der 47-Jährige ein paar Sekunden später. „Elch.“ Tatsächlich – linker Hand antwortet ein Hirsch. Wie stark er ist, kann der Guide nicht sagen, denn anders als beim Rotwild schlagen die udmurtischen Riesen eher ruhige Töne an. Doch Vorsicht! 350 Kilogramm – so viel bringt ein europäischer Elch hier auf die Waage – dürfen nicht unterschätzt werden! Schon gar nicht während der Brunft, wenn den Trughirschen das Testos teron bis zum Kehlsack steht. Unfälle sind zwar selten, doch sie kommen vor.
In den folgenden Minuten entwickelt sich ein richtiger Dialog zwischen Sergej und dem Elch. Doch statt schnurgerade auf uns zuzuziehen, umschlägt uns der brunftige Udmurte vorerst im großen Bogen. Je näher er kommt, desto vorsichtiger wird er. Mit dem Zielfernrohr leuchte ich den Bestand ab. Ist da nicht ein dunkler Fleck? Tatsächlich – der Elch! Schon kommt er aus dem Weidengestrüpp gezogen.
Zwar habe ich in meinem Leben schon ein paar Elche gesehen, doch der Anblick ist immer wieder überwältigend. „Schießen?“, fragt Sergej vorsichtig – wohlwissend, dass ich nur an einem älteren Schaufler interessiert bin. Ich schüttle beim Anblick des jungen Stan-genelches den Kopf und greife zur Digitalkamera. Sergej verdreht beim Anblick der Canon die Augen. „Schießen, nicht fotografieren!“, zischt er, lächelt und lockt weiter. Am Ende zieht der Elch bis auf 30 Meter heran. Eine gute Stunde später stoßen wir erneut auf frische Fährten.
Ein paar Schritte weiter ist die Brunftkuhle. Im Gegensatz zur ersten ist diese mit gut zwei Metern Länge eines Elches würdig. Noch bevor Sergej „Bulle“ sagen kann, hören wir ihn auch schon. Prompt antwortet ihm ein zweiter. Perfekt! Mit raumgreifenden Schritten eilen wir den Weg entlang und versuchen, unbemerkt zwischen die beiden Kontrahenten zu gelangen. Als der Waldweg etwas breiter wird, bleiben wir stehen und lauschen. Die Hirsche melden noch immer. Und wir sind mittendrin.
Der russische Jäger beginnt sofort zu locken. Äste brechen. Jetzt ist sogar zu hören, wie die Schaufeln an den Bäumen entlangstreifen. Ich zucke zusammen und gehe sofort in Anschlag. „Bleib stehen“, flüstert mir mein Begleiter ins Ohr. Danach zerbricht er ein fingerdickes Birkenästchen und raschelt damit im Laub. „Wenn Elch kommt, schießen!“ Kaum gesagt, dreht er sich um und geht. Mein Herz schlägt mir bis zum Hals. Obwohl mir der Führer die Methode erklärt hat, bin ich ein wenig verunsichert. So ganz allein, zwischen ihm und dem Elch? Werde ich den Hirsch richtig ansprechen? Wo wird er auftauchen? Was tun, wenn er zu jung ist? Was, wenn er annimmt oder ich ihn nicht perfekt treffe? Viel Zeit zum Nachdenken bleibt nicht, denn schon schiebt sich der dunkelbraune Gigant aus dem Busch. Obwohl ich höchstens 30 Meter vor ihm stehe, nimmt er keinerlei Notiz von mir.
Vielleicht liegt es an meinem Scentlok-Tarnanzug mit Geruchsblocker. Wie dem auch sei, der Elch scheint nur Lauscher für seine beiden Rivalen zu haben, die vor ihm wegziehen. Als er sich ein wenig nach links dreht, spreche ich ihn als guten Schaufler an und setze ihm schräg von vorn die Kugel zwischen Stich und Blatt. Im Knall der .300er Magnum wirft sich der Riese herum und verschwindet im Forst. Ich rase ihm hinterher, will ihn nicht aus den Augen verlieren, doch da höre ich ihn auch schon zusammenbrechen. 50 Meter haben ihn seine langen Läufe noch getragen. Der russische Elchjäger freut sich über den Zehnender mit den langen Sprossen fast noch mehr als ich. Kein Wunder, denn ich habe ihm mit den vier zuvor pardonierten Elchen viel abverlangt.