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Was Hirsche wollen

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LEBENSRAUM-ANFORDERUNG

Jäger wollen, dass es dem Wild gut geht. Doch was heißt das beim Rotwild? Dr. Frank Tottewitz und Matthias Neumann zeigen am Beispiel Darß-Zingst, wie es gelingen kann, die Ansprüche dieser Art noch besser einzuschätzen.

Die Frage nach Mindeststandards für das Tierwohl steht bei Wild bisher kaum im Fokus. Zwar fordert der Gesetzgeber im Bundesjagdgesetz einen artgerechten und dem Lebensraum angepassten Wildbestand, doch wie genau soll das erfolgen? Jeder Nutztierhalter hat schließlich bestimmte Regularien einzuhalten, um nicht mit den gesetzlichen Tierwohl-Vorgaben in Konflikt zu geraten. Bei Wild ist es hingegen nur allgemeine Praxis und auch Sozialverpflichtung des Eigentümers, die eine oder andere Schalenwildart zu akzeptieren und Kriterien für den Abschussplan festzulegen. Dabei spielen Wildschäden meist die entscheidende Rolle. Welche Ansprüche stellt aber das Wild selbst an seinen Lebensraum, und wonach richtet sich das im jeweiligen Habitat? Letztlich können die Antworten darauf Strategien für eine effektivere Jagd und verminderte Wildschäden liefern. Denken wie ein Hirsch ist also angesagt!

Dieser Ansatz setzt voraus, dass die Wildlebensräume nach ökologischen und wildbiologischen Gesichtspunkten beurteilt werden. Vegetationsdaten in einem bestimmten Habitat werden dabei mit Ergebnissen der Telemetrie zum Raum-Zeit-Verhalten der Stücke kombiniert. Das gewährt Einblicke in die arteigenen Lebensraumansprüche einer bestimmten Population im Jahresverlauf. Zudem lassen sich Aussagen über biotisch tragbare Wildbestände ableiten sowie unterschiedlich frequentierte Bereiche erkennen.

In forstlichen Verjüngungsbereichen sollte ein hoher Jagddruck Schäden minimieren.

Beim Bewerten der Wildlebensräume gilt der Blick vor allem der Äsungskapazität, dem Deckungsschutz, Störfaktoren durch menschliche Aktivitäten und Zerschneidung. Schwerpunkt ist dabei das wiederkäuende Schalenwild und dessen winterlicher Äsungsbedarf. Denn zu dieser Zeit ist das Nahrungsangebot der limitierende Faktor. Über das Raum-Zeit-Verhalten von Rotwild liegen am Thünen-Institut in Eberswalde umfangreiche

satellitentelemetrische Erkenntnisse aus verschiedenen Lebensraumtypen vor. Im Nationalpark Vorpommersche Boddenlandschaft (Darß-Zingst) fielen zudem saisonale Schwerpunkte der Raumnutzung auf. Insofern wurden die auf der Halbinsel Fischland-Darß-Zingst gewonnenen Satellitentelemetriedaten mit dortigen wildökologischen Lebensraumkatalog (erstellt von Prof. Hofmann, Waldkundeinstitut Eberswalde) vernetzt.

Es zeigte sich, dass der Darß-Zingst mit 70 verschiedenen Habitatelementen ausgesprochen vielfältig ist. Die Vielfalt wird zusätzlich durch lange Grenzzonen zwischen Wald und angrenzendem Grünland erhöht. Des Weiteren ist die räumliche Nähe von äsungsreichen und deckungsreichen Vegetationstypen sehr positiv für das Wild.

Der Blick auf die dortige Winteräsungskapazität und den Deckungsschutz (siehe Grafiken S. 20) macht deutlich, dass die dem Wald vorgelagerten Graslandflächen zwar sehr äsungsreich, aber deckungsarm sind. Dagegen sind viele Waldflächen des südlichen Darß und des Zingsts äsungsärmer, aber deckungsreicher. Verschneidet man nun diese Erkenntnisse mit Ortungsdaten der Satellitentelemetrie, so kann die jahreszeitliche Nutzungsintensität der verschiedenen Habitatelemente bei einzelnen oder mehreren Stücken analysiert werden.

Als Beispiel dient die Lebensraumanalyse des Alttiers „Lotte“ über die Wintermonate November bis Februar. Sie zeigte ein vielfältiges Nutzungsmuster der einzelnen Habitatelemente. Das Alttier war auf unterschiedlichen anzutreffen, sowohl äsungsarmen und -reichen als auch deckungsarmen und -reichen Flächen.

Gleichzeitig müssen in Bereichen, in denen Schäden tolerierbar sind, Rückzugsorte für das Wild geschaffen werden.

Von den 70 auf der Halbinsel vorhandenen Habitatelementen nutzte „Lotte“ 28. Die meiste Zeit aber hielt sie sich nur in sechs dieser Flächen auf. Vor allem Grasland war für das Alttier attraktiv (siehe Grafiken rechte Seite). Rechnet man Feucht- und Waldwiesen hinzu, so beträgt der Anteil genutzter offener Wiesenflächen über 30 Prozent. Das verdeutlicht, wie wichtig äsungsreiches Offenland für Rotwild ist. Nur muss es sich auf diesen Flächen auch sicher fühlen. Eine starke Bejagung dort führt dazu, dass das Wild erst bei absoluter Dunkelheit austritt. Häufig entstehen gerade deswegen verstärkt Schälschäden im Wald.

Obwohl im Nationalpark Vorpommersche Boddenlandschaft konsequent intervallartig, also mit verkürzten Jagdzeiten gejagt wird, fällt bei „Lotte“ auf, dass sie die offenen Flächen meist nur nachts aufgesucht hat. Bei Tag verweilte das Alttier häufig in dichteren, aber äsungsarmen Vegetationsstrukturen. Das stützt die These, wonach Verhaltensunterschiede im Tag-Nacht-Rhythmus beim Rotwild Aufschluss über die Störungsintensität in einem Gebiet geben. Im Gegensatz dazu zeigten ein Hirsch im Bereich der Jagdruhezone am „Darßer Ort“ und ein Alttier im Bereich der Jagdruhezone „Werder/Bock“ keinen ausgeprägten Tag-Nacht-Rhythmus beim Nutzen offener oder dichter Habitatelemente. Es ist also von Vorteil hinsichtlich der arteigenen, natürlichen Verhaltensweisen des Rotwildes, den Jagddruck zu verringern.

Neben den Wiesenflächen suchte „Lotte“ sehr häufig Erlenwälder auf. Sie verfügen nur über mittlere bis geringe Äsungsqualität und einen mittleren Deckungsschutz. Erlenwälder sind aber offensichtlich wichtige Trittsteine zwischen den äsungs- und deckungsreichen Beständen und werden daher vorrangig in den Dämmerungsphasen genutzt. In diesen feuchten Brüchen sind kaum menschliche Störungen zu erwarten, und das Wild fühlt sich sicher.

Auch die besenderten Hirsche auf dem Darß-Zingst zeigten, dass relativ wenige Habitatelemente sehr intensiv genutzt wurden. Die Daten verdeutlichen, dass besonders Feuchtwiesen, Kiefern-Lichtwälder oder auch Dickungen (Dicht- und Schattwälder) sehr stark frequentiert wurden. Dagegen hielt sich das Rotwild in Eichen- oder Birken-Lichtwälder weniger auf. Diese lokalen Beobachtungen können für die Planung jagdlicher Maßnahmen sehr gut genutzt werden – zum Beispiel für das Aufstellen von Hochsitzen im Bereich der Wechselkorridore.

Die Kenntnis über die Habitatnutzung sollte in Rotwildgebieten dazu dienen, attraktive Bereiche für das Wild zu schaffen, in denen Wildschäden eher tolerierbar sind. Dort lässt sich durch Äsungsverbesserung und verringerten Jagddruck die Attraktivität für das Rotwild zudem erhöhen. Solche Ruhezonen sollten mindestens eine Fläche von 200 Hektar haben. Demgegenüber muss auf waldbaulichen Schwerpunktflächen (Waldumbau, Wiederaufforstung nach Stürmen, wertvolle und schälgefährdete

Jungbestände) ein hoher Jagddruck herrschen. Die Studien belegen, dass Rotwild so im Einstandsgebiet „lenkbar“ ist. Sicherlich muss bei allem forstlichen und jagdlichen Tun das „Gesetz des Örtlichen“ berücksichtigt werden. Dennoch ist der großflächige Blick auf das gesamte Rotwildeinstandsgebiet der wichtigste Faktor. Deshalb kommt der Hegege- meinschaft eine entscheidende Rolle zu.

Rotwild ist lenkbar. Herrscht etwa auf offenen Flächen Ruhe, tritt es dort auch tagsüber zum Äsen aus.

Auf dieser Ebene sollten Ergebnisse aus der wildökologischen Lebensraumbewertung und Satellitentelemetrie genutzt werden, um auf eine an den Bedürfnissen des Rotwildes ganzheitlich orientierte Waldbehandlung hinzuwirken und somit auch dem Tierwohl, wie es der Gesetzgeber formuliert, besser gerecht zu werden.

Im Untersuchungsgebiet hielt sich das Rotwild in der Dämmerungsphase oft in ruhigen Erlenbrüchen auf, ehe es später ins äsungsreiche Offenland austrat.
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