Kästel-CUSTOM-RIFLE (KCR)

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Maßgefertigt:
Über neunzig Jahre alte Systeme mit seidenweichem Schlossgang, Top-Abzug, klassischem Äußeren und technischen Finessen: Kästels Custom Rifles lassen den Kenner mit der Zunge schnalzen, meint Wolfram Osgyan.

 

Edel und elegant: Drei Varianten der KCR

Das Perlkorn saugt sich am entfernten Lampenschirm fest, der Zeigefinger legt sich an das Züngel, verstärkt den Druck: Klack! Kammerstengel hoch und wieder runter, noch einmal gedrückt: Klack! Der Flintenabzug steht phänomenal und staubtrocken. Und erneut das Procedere, diesmal französisch eingestochen: Hauchfein schlägt jetzt das Schloss ab, und für mich steht im selben Augenblick fest, dass dieser Abzug alles in den Schatten stellt, was mir je in die Finger gekommen ist. Nein, so abwegig ist das nicht, was ich da mache, ich vollziehe ja nur ein Ritual, das jeder aus eigener Erfahrung kennt, wenn er ein neues Gewehr in die Hand gedrückt bekommt: Ladezustand kontrollieren, anschlagen, visieren, abschlagen.

„Was kostet so etwas?“, will ich von meinem Gegenüber wissen, der mit gespannter Miene jeden meiner Handgriffe und meine Reaktionen verfolgt. „Allmächd, da frougn’s me wos, des mou i fei erschd zammrechna“, kriege ich zur Antwort, was heißen soll: „Ich habe den Preis noch nicht kalkuliert.“ Klaus Kästel (www.waffen-kaestel.de) ist ein waschechter Nürnberger aus Gostenhof, einem Viertel im Dunstkreis der Altstadt. Das Büchsenmacherblut hat ihm der Vater vererbt und der hatte es vom Großvater. Und immer schaffte die Kästel-Dynastie dort, wo das Nürnbergerisch heute noch Umgangs- und Geschäftssprache ist – „Wergli, dou greagsd dei Woar und ka Gschmarri naafbund’n“ – als solide bodenständige Handwerker und Geschäftsleute.

Beim jagdlichen Schießen schon über 340 Punkte erreicht

Der dritte Kästel vor Ort ist Büchsenmachermeister aus Leidenschaft, und tut alles, um nicht als handwerklich überqualifizierter Fachverkäufer für Waffen, Optik und Ausrüstung seinem Broterwerb nachgehen zu müssen. Er schäftet noch Flinten, tüftelt ständig an Schloss- und Systemteilen herum und baut Repetierbüchsen ganz nach Kundenwunsch. Höchst funktionell sollen sie sein, das Maximum an Präzision bieten und dem Auge schmeicheln. In dieser Reihenfolge setzt er auch seine Prioritäten.

Beizeiten hatte er sich einen Vorrat an neuwertigen Argentino-Mauser-Systemen aus DWM-Fertigung 1909 gesichert und bringt diese nach seinen Vorstellungen auf Vordermann. Da werden beispielsweise die Verschlusswarzen gleichmäßig antouchiert und saugend in den Hülsenkopf eingepasst, im hinteren Hülsenbereich Beruhigungsfedern eingebaut, Daumenloch sowie Ladestreifenöffnung geschlossen und alle gleitenden Teile sorgsam von Hand poliert. So flutscht die Kammer beim Repetieren seidenweich und ohne das übliche Scheppern vor und zurück. Im Magazinschacht sorgt eine Rückstoßleiste für Schulteranlage und verhindert deshalb deformierte Geschoss-Spitzen. Ausgefräste und hochglanzpolierte Magazinlippen tragen ebenfalls zur einwandfreien Zuführung bei, so dass Kästel nicht ohne Stolz feststellt, dass man ein- und dieselben Patronen hundertmal herausrepetieren könne, ohne dass eine Geschoss-Spitze in Mitleidenschaft gezogen werde oder eine Funktionsstörung eintrete.

Im Falle von Munition ohne oder nur mit angedeuteter Schulter führen übrigens Rillen im Magazinschacht die Hülsen im Bereich des Patronenbodens. Die Kapazität beträgt bei Standardpatronen bis zu fünf Stück, bei Magnum- beziehungsweise Großwildversionen ein- bis zwei weniger, es sei denn, der Kunde wünscht einen verlängerten Magazinkasten. Mauser-Magnum-Systeme bezieht Kästel übrigens von Theo Jung, weil die Produkte des Lohmarer Betriebes ganz in seine Qualitätsphilosophie passen. Einen Klappdeckel für das Magazin gibt es als Option. Der Hebel dafür ist dann aber so ausgelegt und im Abzugsbügel plaziert, dass er nur willentlich in Kraft treten kann. Steckmagazine dagegen lehnt der Meister wegen der implizierten Störungsquellen kategorisch ab, mag der Kunde noch so darum ersuchen.

Wenn einer wie Kästel, der im Wettkampf beim jagdlichen Schießen schon über 340 Punkte erreicht hat, über Schussleistung spricht, dann weiß er, wovon er redet. Präzision hat nach seiner Erfahrung viele Väter und fängt bei den Läufen an. Er ordert die seinen bei Shilen, Lothar Walther oder Heym mit Maßen im Minimalbereich der Toleranz, Kantläufe überdies ausschließlich aus Gleichamberg (Heym). Ihre Länge wiederum stellt er ebenso wie die aus vollem Material gearbeitete Visierung ganz auf die Wünsche beziehungsweise Bedürfnisse des Kunden ab. Bisweilen muss er diese auch ein wenig lancieren, dann nämlich, wenn Kimme und Korn optisch gar nicht mit dem sonstigen Stil der Waffe harmonieren wollen.

Querstollenverschraubung sowie Kunstharzbettung des Systems sind so selbstverständlich wie verkürzter Schlagbolzenweg und Schlagbolzen aus Titan, denn geringer Zündverzug trägt neben den erstgenannten Faktoren ebenfalls sein Scherflein zur Top-Schussleistung bei.

Einzug in die Serienfertigung

Der liegende Flügel für die Schlagbolzensicherung beschreibt einen kurzen Weg, rastet in drei Stellungen ein und erlaubt in mittlerer Position das Öffnen der Kammer. Ein federbelastetes Hebelchen an seiner Oberseite dient als zusätzliche Sperre. Dieses Gut aus Kästels Ideenschmiede hat übrigens bereits Einzug in die Serienfertigung eines namhaften Herstellers gehalten. Ein zweites dagegen will er nicht preisgeben, nämlich das der Konstruktion des fantastischen Abzuges. Der wird aus dem Vollen gearbeitet, kostet somit eine schöne Stange Geld, hält ungestochen bei Abdrücken zwischen 600 und 800 Gramm noch sicher, und löst eingestochen unter 100 Gramm aus. Die jeweiligen Widerstände nach Kundenwunsch höher zu justieren, bereitet selbstverständlich kein Problem.

Keine Wünsche bleiben offen

Weil Kästel sehr wohl um die Schwachstellen der diversen Montagen weiß, hat er eine eigene Schwenkmontage für seine Repetierbüchsen entwickelt. Deren Sättel sind mit Hülsenkopf und Hülsenbrücke thermisch verbunden, also nicht verklebt, verschraubt oder verlötet und bilden so eine massive Einheit mit der Hülse. Die eigens gedrehten Vorderfüße wiederum tragen kein Gelenk. Das bewirkt nach Ansicht des Meisters eine höhere Steifheit beziehungsweise Festigkeit der Montage. Ihre Konstruktion erlaubt zudem, ein Zielfernrohr so niedrig aufzusetzen, dass bei großen Objektiven zwischen Tubus und Lauf gerade noch ein Blatt Papier passt.

Ein bei vielen 98er-Systemen mit aufgesetztem Zielfernrohr verbreitetes Übel tritt bei einer „Kästel“ gar nicht erst in Erscheinung: das Einzwicken des Daumens beim schnellen Repetieren an der Wange. Kugel oder Lappen des Kammerstängels dürfen hier also ruhig von Daumen, Zeigefinger und Mittelfinger umschlossen sein, weil der Kammerstängel in seiner höchsten Position noch so weit vom Rohrkörper weg bleibt, dass selbst ein dickerer Daumen noch nicht in die Bredouille gerät.

Bei Schäften aus seiner Werkstatt favorisiert Kästel zwar die klassische Linie mit fliehendem Pistolengriff und geradem Rücken, doch wenn der Kunde eher auf Falzbacke, Schweinsrücken und Kaisergriff steht oder Hornschnecke anstelle des Pistolengriffs wünscht, dann kriegt er das ebenso wie feinstgeschnittene Fischhaut oder Schuppen. Sonderwünsche lässt er in der Regel von Schäftern ausführen, die sich auf bestimmte Formen spezialisiert haben. Dass dabei nicht an der Holzqualität gespart wird, versteht sich von selbst. Früher hatte der Meister ein Faible für Kernholz vom französischen Nussbaum, heute tritt vermehrt solches aus Anatolien an seine Stelle: feinporig, gerade gewachsen und von ansprechender Maserung. In zahlreichen Arbeitsgängen machen er und seine beiden Mitarbeiter die Oberfläche des Holzes wetterfest und bringen dann wahlweise seidenmattes oder hochglänzendes Finish auf. Falls eine verlängerte Scheibe auf dem Wunschzettel steht, dann wird diese aus dem vollen Material gearbeitet, mit einer raffinierten Steckverbindung zusammengefügt und verschraubt. Auch das Pistolengriff-Käppchen, sofern aus Stahl gewünscht, kommt nicht von der Stange, sondern wird eigens in Form gedreht. Art und Umfang der Gravur bestimmt der Geldbeutel des Kunden. Gleichgültig, ob hauchzartes Rosenbukett, feine Scrolls oder Laub in allen Variationen, flachgestochene oder erhabene Tierstücke beziehungsweise Tauschierungen erwünscht sind, für jede Spielart hat Kästel den richtigen Graveur zur Hand. Eines jedoch lehnt er aufgrund schlechter Erfahrungen rundweg ab: die Bunthärtung. In der Vergangenheit habe er Systeme zu hart, zu weich oder gar verzogen zurückbekommen, und für dieses Risiko sei ihm die eigene Arbeit viel zu schade, so seine Begründung. Aber ein erst jüngst ausgetüftelter, abriebfester Rostschutz auf allen Metallteilen von System und Magazin wäre für all diejenigen machbar, die nicht generell auf „Silberhell“ stehen.

Ein bis zwei Jahre Wartezeit

In der Kaliberfrage schlachtet Kästel keine heiligen Kühe. Wer demnach eine 9,5×66 S. E. vom Hofe als sein Non-plus-Ultra ansieht, darf damit ebenso glücklich werden wie ein anderer mit der .500 Jeffery. Nur gedulden muss er sich, denn gut Ding braucht Weile. Auch wenn sich Klaus Kästel beziehungsweise seine beiden passionierten Büchsenmacher, Uwe Braun und Oliver Hautmann, noch so ins Zeug legen, geht unter neun Monaten rein gar nichts. Meistens kommen sogar ein bis zwei Jahre Wartezeit heraus.

Auf das Thema Schussleistungsgarantie angesprochen, schmunzelt Kästel vielsagend, dann holt er aus dem Schreibtisch ein paar Schussbilder hervor, die er mit seinen eigenen und bereits ausgelieferten Kundenwaffen von der Schulter aus erzielt hat. Alle Streukreise liegen unter 30 Millimeter bei fünf Schüssen, zwei sogar unter 20 Millimeter. Festlegen würde sich der Meister jedoch nur, wenn ihm die Kundschaft auch die Munition liefern könnte, die wirklich Loch in Loch schießt.

Custom Rifles sind und bleiben Einzelanfertigungen. Hat sie der Kunde erst einmal in den Händen, dann sehen sie die Werkstatt so schnell nicht wieder. Daher gibt es ebenso wenig Lagerhaltung wie Ansichtssendungen. Aber wenn Interessenten einen Termin vereinbaren, ist Klaus Kästel immer bereit, das eine oder andere Exponat beizubringen.

Auf mein Drängen hin, hat er dann doch noch „zammgrechnad“. Herausgekommen ist mit allem „Drum und Dran“ (Luxusholz, Gravur, Montage, Zielfernrohr und Koffer) ein fünfstelliger Euro-Betrag. Aber es gibt eine KCR (Kästel-Custom-Rifle) auch für deutlich weniger. Es kommt halt sehr auf die Zutaten an.

Dass er dem Gostenhof den Rücken gekehrt und zwei Kilometer stadtauswärts in Schweinau seinen neuen Laden aufgemacht hat, sollten ihm die Alt-Nürnberger nachsehen. Denn sie finden dafür jetzt gleich vor der Tür einen Parkplatz und im Ladengeschäft ein größeres Sortiment.

Sieht elegant aus und dient der Stabilität: die verlängerte Scheibe, die eigens angefertigt wird

 


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