Teures für die Truppe

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Army & Navy – ein Teil britisches Empire:
Wer sich für englische Flinten interessiert, ist sicher schon einmal auf die Marke „Army & Navy“ gestoßen. Dass es sich dabei jedoch um keinen Hersteller, sondern um ein ganz besonderes Warenhaus handelt, schildert Dr. Martin Merkur.

 

Das königliche Wappen am Army & Navy-Kaufhaus in der Victoria Street, nicht weit von Victoria Station und Buckingham Palace in London. Es weist das Haus als Hoflieferanten von Königin Elisabeth II. aus

Von Dr. Martin Merkur

Am Anfang stand die Idee einiger Offiziere, durch gemeinsamen Einkauf von Qualitätsprodukten einen Preisvorteil für die britschen Soldaten zu erzielen – das Resultat war eine weltweit aktive Einkaufs-Genossenschaft. Das war im Jahr 1871, als qualitativ hochwertige Güter in Großbritannien fast ausschließlich im Londoner West-End erhältlich waren. So wurde die Idee geboren, einen bestimmten Personenkreis in ganz England über eine Einkaufsgemeinschaft mit Luxusartikeln und hochwertigen Gebrauchsartikeln zu versorgen, und das zu niedrigeren Preisen, als sie im West-End bezahlt werden mussten.

Am 15 September 1871 wurde die „Army & Navy Cooperative Society Limited“ mit einem Grundkapital von 15 000 Pfund Sterling gegründet. Die Gründung ging wesentlich auf das Betreiben von Major F. B. McCrea zurück, der als erster Direktor die Gesellschaft führte und dessen Vorhaben von anderen pensionierten Offizieren unterstützt wurde. Die Gesellschaft wurde als ein „closed shop“ verstanden, der nur einem bestimmten Personenkreis zugänglich war, nämlich den Teilhabern und Mitgliedern. Dieser Personenkreis umfasste die aktiven und pensionierten Soldaten sowie praktisch alle höheren Beamten und Inhaber öffentlicher Ämter, zum Beispiel auch die Botschafter anderer Länder.

Wer nach seinem Stand das Recht zur Teilhaberschaft hatte, konnte andere Personen einführen, die für dieses Privileg eine Gebühr entrichten mussten.

Breites Angebot

Die geschäftlichen Aktivitäten von Army & Navy waren bald so vielseitig wie die eines modernen Versandhauses. Das Sortiment der angebotenen Waren und Dienstleistungen nahm eine ungeheure Breite an. Sprichwörtlich von der Wiege bis zur Bahre konnten die einkaufsberechtigten Teilhaber und Mitglieder ihren Bedarf bei Army & Navy decken. Das Vertriebssystem mit einigen Niederlassungen und Lieferung auf Bestellung aus einem großen Hauptkatalog und Spezialkatalogen einzelner Abteilungen weist viele Parallelen zu der Strategie heutiger Versandhäuser auf.

Das Angebot war aber zumindest in der Nähe der Niederlassungen, also in den großen Städten Großbritanniens, durch die uns heute teilweise modern, teilweise fast skuril anmutenden Dienstleistungen noch breiter. So bot die Druckerei Visitenkarten, Einladungen und Ähnliches an, ein Party-Service sorgte für das leibliche Wohl der Gäste bei Empfängen, Kleider wurden nicht nur verkauft, sondern es wurde auch ihre Reinigung vorgenommen oder wenigstens organisiert, Theaterkarten konnten geordert werden. Weiter half Army & Navy beim Auto-Kauf oder -Verkauf und vermietete Autos, bot Reise-Dienstleistungen an und betrieb eine Bibliothek, in der die Berechtigten Bücher ausleihen konnten.

Auch in den Bereichen der Makler und Spediteure war man aktiv. Wer nicht zu weit entfernt von der Niederlassung wohnte, konnte sich einmal in der Woche seine Uhren von einem Mitarbeiter von Army & Navy aufziehen lassen. Selbstverständlich waren alle für gehobene Freizeitaktivitäten und Sport notwendigen Accessoires im Angebot: Kricket, Tennis, Golf, Angeln und natürlich Reiten und Jagen: „Game shooting“ (Niederwildjagd) und „Stalking“ (Jagd auf Schalenwild).

Die Waffenabteilung von Army & Navy bot eine breite Palette von Jagdwaffen an, die größtenteils von Firmen in Birmingham hergestellt worden sein dürften. Besonders viele Flinten lieferten wohl Paul Webley & Son, W. & C. Scott beziehungsweise Webley & Scott. Ein interessantes Beispiel ist die abgebildete Seitenschlossflinte mit Ejektor, die als „W + R“ bekannt ist, weil die der Konstruktion zugrunde liegenden Patente von Webley und Rogers stammten.

Feine Qualität

Rogers ließ sich 1881 das Seitenschloss mit hinten liegender Feder (backaction barlock) patentieren und Webley ein Jahr später die verriegelte Schienenverlängerung. Außerdem wurde die von Purdey 1863 patentierte doppelte Laufhakenverriegelung und die „Scott spindle“ verwendet. Die Flinte mit diesen Konstruktionsmerkmalen wurde von Army & Navy damals in sehr vielen verschiedenen Qualitätsstufen zu Preisen zwischen 19 und 54 Pfund Sterling angeboten. Das abgebildete Exemplar, etwa 1899 gebaut, repräsentiert die mittlere Qualität (4. Qualitätsstufe, „Special Quality“). Für den Ejektor wurden acht Pfund und für die Verzierung der Muscheln mit Blättern noch einmal zwei Pfund Aufpreis berechnet.

Die feine Qualität vieler unter dem Namen Army & Navy verkaufter Flinten wird auch heute immer wieder durch die beachtlichen Preise der Gebrauchtwaffen unter Beweis gestellt. So erzielte Sotheby’s für eine Army & Navy-Seitenschlossflinte bei der traditionellen Herbstauktion in Schottland einen Erlös von 4 000 Pfund. Zur Abwicklung der Bestellungen von Jagdwaffen unterhielt die „Army & Navy Cooperative Society Ltd.“ eine eigene Waffenabteilung, die zumindest zeitweise am Howick Place in London ansässig war, also ebenfalls in Westminster, nahe der Viktoria Street und der Hauptniederlassung von Army & Navy.

In den 30er Jahren fand sich nur „105 Victoria Street“ als Adresse auf den Trade Labels in den Waffenkoffern. Die Waffenabteilung verfügte zur Prüfung der angelieferten Jagdwaffen und wohl auch zur Durchführung von Reparaturen über eigene Fachleute. Einer dieser qualifizierten Mitarbeiter des „Gun Department“ war besagter William Rogers, der im Jahr 1882 ein Patent über einen Spannmechanismus für eine Seitenschloss-Doppelflinte erhielt.
Eine von Webley & Scott im Jahr 1931 gebaute, relativ gewöhnliche Kastenschlossdoppelflinte ist ebenfalls hier abgebildet. Diese in ihrem original „canvas case“ (mit Leinen bezogenem Koffer) befindliche Waffe beeindruckt durch ihren hervorragenden Zustand. Der Systemkasten zeigt die ursprünglichen Härtungsfarben noch fast vollständig. Die Waffe wurde Anfang der 30er Jahre gebaut und wird etwa 25 Pfund gekostet haben. Eine erstklassige Seitenschlossflinte kostete in den 30er Jahren bei Army & Navy schon 90 Pfund.

Auch Reisedienstleistungen im waren im Angebot

Nicht nur feine englische Flinten gingen bei Army & Navy über den Ladentisch, sondern Waffen aller Qualitäts- und Preisklassen. Wahrscheinlich überstieg der Umsatz mit Waffen aus der Serienproduktion der großen Werke denjenigen mit erstklassigen Flinten bei weitem. Die alten Kataloge legen Zeugnis davon ab, dass automatische Flinten von Browning und amerikanische Repetierflinten genauso in den Army & Navy-Stores angeboten wurden wie Repetierbüchsen der Firmen Mauser und Mannlicher sowie diverse Pistolen und Revolver der bekannten Marken. Selbstverständlich ließ Army & Navy bei den großen Munitionsherstellern auch Schrotpatronen fertigen, die unter den Produktbezeichnungen „The Victoria“, „The Nitro“und „The Reliable“ angeboten wurden.

Wenn man sich über eine bestimmte von Army & Navy verkaufte Waffe informieren möchte, etwa über das Herstellungsjahr und den Namen des Erstbesitzers, dann ist das an der Universität von Glasgow möglich, wo die Unterlagen des Army & Navy Gun Departments eingesehen werden können.

Nichts lag für Army & Navy in einer Zeit der Begeisterung für die Kolonien näher, als auch Reisedienstleistungen anzubieten. Aber die Reisenden wurden nicht nur mit Ausrüstung versorgt, sondern regelrecht auf der Reise begleitet. Army & Navy arbeitete mit der großen britischen Reederei „P & O“ zusammen, betrieb auf deren Schiffen kleine Läden und bot Dienstleistungen an. Der Schiffsfriseur war beispielsweise ein Army & Navy-Mitarbeiter.

Schließung der kleinen Niederlassungen

Im Jahr 1891, zwanzig Jahre nach ihrer Gründung, wagte Army & Navy den Schritt über den Ozean. Es war die Zeit der Expansion des Britischen Empire. Der Dienst für Großbritannien auf dem indischen Kontinent war zu dieser Zeit für sehr viele britische Soldaten und andere Staatsbedienstete attraktiv, so dass dort ein Nachfragepotenzial bestand. Die erste Niederlassung wurde 1891 in Bombay eröffnet. Im folgenden Jahr öffnete eine zweite Niederlassung in Karatschi, einer Hafenstadt in der nordwestlichen Grenzregion, wo sehr viele Soldaten eingesetzt waren.

Diese beiden Army & Navy-Stores florierten schon bald. Die Niederlassung in Bombay fiel zwar 1894 einem Feuer zum Opfer, dies verminderte die Aktivitäten von Army & Navy in Indien aber keineswegs. Man wich in andere Gebäude aus, und es wurde ein Schiff gechartert, das die für die Neueröffnung notwendige Ausstattung und die Waren nach Indien brachte. 1895 wurde ein neues Gebäude in der Esplanade Road bezogen. Als die Bedeutung Kalkuttas als Zentrum von Industrie und Handel wuchs, entschied sich die Gesellschaft, ihre Niederlassung in Karatschi zu schließen und stattdessen 1901 ein neues Kaufhaus in Kalkutta zu eröffnen. Kalkutta war damals die zweitgrößte Stadt im britischen Empire. Das Management der Häuser stammte aus England, aber man bediente sich indischen Personals, das einen guten Ausbildungsstand besaß und hervorragend arbeitete. Neben den Briten konnten auch die indischen Beamten bei Army & Navy einkaufen.

Besonders interessante Kunden für die Army & Navy-Stores waren zu dieser Zeit die reichen indischen Fürsten, die oft ungewöhnlich große Mengen bestellten.

Ein beliebter Service der indischen Army & Navy-Niederlassungen war die Abwicklung der Zollformalitäten bei der Einreise. Die Mitglieder wurden am Schiff abgeholt, erhielten Unterstützung bei der Organisation der weiteren Reise im Land, und bei ihrer Ausreise sorgten sich Mitarbeiter von Army & Navy erneut um die korrekte Abwicklung der Formalitäten.

In den 30er Jahren erschien es der Gesellschaft vorteilhaft, auch in weiteren, teilweise weniger bedeutenden indischen Städten Niederlassungen zu gründen. So kam es zur Eröffnung von Army & Navy-Stores in Neu Dehli, Simla, Narangung und Ranchi. Im Zweiten Weltkrieg trugen die Army & Navy Stores in hohem Maße zur Versorgung der Truppen im Mittleren und Fernen Osten bei.
Nach dem Krieg, mit der 1947 gewährten Unabhängigkeit, änderten sich die Bedingungen für die Niederlassungen in Indien jedoch dramatisch. Der Wegfall der britischen Soldaten als Kunden und die Auswanderung vieler Europäer aus Indien zusammen mit den Einfuhrbeschränkungen, führten zu Verlusten und zur baldigen Schließung der kleineren Niederlassungen.

1948 wurden schließlich das Geschäft in Kalkutta und 1952 die Niederlassung in Bombay geschlossen. Widerstrebend zog sich Army & Navy nach 57 Jahren vom indischen Subkontinent zurück. Gleichzeitig expandierte man in den ländlichen Regionen des Mutterlandes.

Waffen sucht man vergebens

Auch heute noch findet man die Army & Navy-Stores in der Victoria Street Nr. 105, nur wenige Minuten zu Fuß von Victoria Station und dem Buckingham Palast. Es handelt sich um ein ziemlich schmuckloses, modernes Kaufhaus mit Glasfassade, auf dessen nicht übermäßig großer Verkaufsfläche ein vollständiger Querschnitt über alle Konsumgüter angeboten wird. Vom Nähgarn über Kleidung, Parfüm, Schmuck und Sportartikel bis zu Elektrogeräten, Uhren, Teppichen und Möbeln findet man dort fast alles, was zum Leben nötig ist. Waffen sucht man allerdings vergebens. In der Sportabteilung finden sich jedoch zumindest Schießwesten und Schießjacken von Barbour. Nach dem Einkauf kann man sich die Haare schneiden lassen und in der Kantine ein englisches Frühstück einnehmen. Das Angebot ist somit in seiner Struktur über ein Jahrhundert gleich geblieben.

Waren mit Army & Navy-Emblem finden sich allerdings nur noch in der Lebensmittelabteilung des Kaufhauses Fraser. Hier prangt das Label immerhin noch auf Marmeladen- und Gewürzgläsern.

Eine von Paul Webley kurz vor der Jahrhundertwende gebaute Seitenschlossflinte mit Ejektoren, die vor kurzem mit neuen Läufen ausgestattet wurde. Dieses Modell ist als „W + E“ bekannt und wurde über einen Zeitraum von fast 60 Jahren gebaut

 


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