Silberbüchse im Kleinformat

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Ruger M 77 Compact Rifle BBZ Mark II:
Mit einer Gesamtlänge von 90 Zentimetern ist der Ruger-Repetierer M 77 CR-BBZ Mark II in Sachen Führigkeit kaum zu überbieten. Wo die Stärken und Schwächen des „Kurzen“ aus den USA liegen, haben Eugen Seyboldt und Michael Schmid in der Revierpraxis und auf dem Schießstand getestet.

 

Von Michael Schmid

Da fehlt nur noch ein Gürtelholster“, „zu heiß gebadet“ oder „beim Waschen eingelaufen“, lauteten die spöttischen Kommentare unserer Mitjäger, als wir das kleine „Büchsle“ im Freundeskreis vorstellten. Abgesehen von dem gewöhnungsbedürftigen „Miniformat“ stieß die kurze Bauweise jedoch auf reges Interesse. Bemerkungen wie „kein Anecken in Kanzeln“ oder „Nachsuchen ohne Gewehrbremse“ folgten dem Spott auf dem Fuß. Der Trend zur immer kürzeren Waffe ist offensichtlich. Lagen in den 60er und 70er Jahren die Baulängen von Repetierbüchsen in der Regel noch bei 110 bis 120 Zentimetern, ist heute bei vielen Jägern 100 bis 105 Zentimeter Länge gefragt.

Will man nicht zur ultrakurzen „Bull Pup“-Technik greifen, sind die Möglichkeiten, einen wirklich kompakten Repetierer zu bauen, beschränkt. Frei nach dem Motto „darfs ein bißchen weniger sein“ kann dann nur an der System-, Lauf- und Schaftlänge „gestutzt“ werden. Auch bei der ursprünglich für den amerikanischen Markt als „Jugendbüchse“ konzipierten „Compact“ sind die Konstrukteure entsprechend verfahren. Gerade mal 42 Zentimeter beträgt die Lauflänge, und beim Schaftmaß werden vom Abzug bis zur Kolbenkappe lediglich 31,5 Zentimeter erreicht. Ein verkürztes System, passend für die Kaliber .223, .243 und .308, ergänzt das „Minimal“-Konzept.

Unsere Testwaffe wurde in Stainless-Ausführung mit Schichtholz geliefert. Herzstück ist das seit 1968 auf dem Markt eingeführte Drehzylinder-Verschlusssystem Ruger M 77. Paul Mauser lässt grüßen, die Konstruktion ist in weiten Teilen ein fertigungstechnisch überarbeiteter und modifizierter 98er. Typische Merkmale wie die beiden Verschlusswarzen am Zylinderkopf, der lange, für seine Zuverlässigkeit geschätzte Auszieher, oder der Kammerfanghebel auf der linken Seite der Hülsenbrücke lassen keinen Zweifel am Ursprung.

Wie beim Vorbild 98er steht auch bei den Ruger-77-Modellen die Schützen- und Funktionssicherheit im Vordergrund. Der grundsolide Zylinderverschluss verriegelt mit zwei kräftigen Warzen direkt im Hülsenkopf. Gasentlastungsbohrungen in Hülse und Kammer, und das als Schutzschild gearbeitete Schlösschen minimieren das Unfallrisiko, zum Beispiel bei „Durchbläsern“.

Zuverlässiges Laden und Auswerfen

Der lange, bereits beim Vorschieben der Kammer in die Patrone greifende Auszieher sorgt in Verbindung mit dem mechanischen Ausstoßer für absolut zuverlässiges Laden und Auswerfen. Ein beruhigendes Gefühl, steht man einem annehmenden Keiler „Aug’ in Aug’“ gegenüber. Der Verschlussgang der Ruger ist dank einer zusätzlichen Führungsnut im Systemgehäuse deutlich flüssiger als beim Mauser-Original. Schnellen Schussfolgen steht eigentlich nur der relativ große Kammer-Öffnungswinkel von (herkömmlichen) 90 Grad im Weg. Dieses Handicap lässt sich jedoch mit etwas Übung problemlos kompensieren.

Züngel

Vier Patronen fasst das fest eingebaute Zick-Zack-Magazin. Auch Günstlinge Dianas kommen mit dieser Kapazität in aller Regel zurecht. Ein Klappdeckel auf der Waffenunterseite erleichtert das Entladen der Büchse. Damit sich die Patronen nicht unabsichtlich auf dem Waldboden verstreuen, ist der Öffnungsdrücker durch eine Mulde geschützt im Abzugsbügel positioniert. Achtung Verletzungsgefahr: Sowohl beim Drücker für den Magazindeckel als auch beim Kammerfanghebel wurde auf ein Abrunden der „schnitthaltigen“ Kanten verzichtet.

Putzmuffel und Allwetterjäger sind mit der Stainless-Ruger bestens bedient. Obwohl unsere Testwaffe – mit Ausnahme des Innenlaufs – nicht gereinigt wurde, überstand sie vier Monate intensive Jagd ohne den geringsten Korrosionsansatz.

Deutliche Unterschiede zum System 98 sind bei Sicherung und Abzugsgruppe zu verzeichnen. Die meist etwas ruppige, direkt auf die Schlagbolzenmutter wirkende Flügelsicherung des Originals wurde bei der Ruger M 77 Mark II durch eine seitliche Dreistellungs-Drehsicherung ersetzt. In der Mittelposition ist der Abzug blockiert, die Kammer lässt sich jedoch öffnen. Wird der Hebel ganz nach hinten gedreht, sind Schlagbolzen, Abzug und Kammer gesperrt. Die technische Lösung ist einfach und durchdacht, sie verbindet ein hohes Maß an Sicherheit mit Komfort. Der einzige Schwachpunkt: Für ein leises Entsichern braucht man Fingerspitzengefühl. Das Gehäuse für die Abzugsbauteile ist fest in die Systemgruppe integriert. Der Aufbau ist denkbar einfach. Züngel, Feder und Gabel mit Stollen – fertig ist der Ruger-Abzug.

„Gesichert“ war unser erster Gedanke auf dem Stand, als auch bei zunehmendem Fingerdruck kein Schuss brach. Weit gefehlt, noch fester drücken ist bei der Kompakt-Ruger angesagt. Erst bei stolzen 2 600 Gramm löst das Züngel den Schuss. Wer mit dieser amerikanischen Einstellung nicht zurechtkommt, muss den nicht justierbaren Abzug durch einen Büchsenmacher nacharbeiten oder gegen einen Matchabzug austauschen lassen.

Eine Ruger Aufkippmontage ist bei der CR-BBZ im Lieferumfang enthalten. Die Ringsockel werden mit Schraubklemmungen in Ausfräsungen auf Hülse und Brücke fixiert. Zwei quer verlaufende Rückstoßriegel arretieren die Montage zusätzlich in axialer Richtung und garantieren Schussfestigkeit. Ausgeliefert wurde unsere Testwaffe mit einem farblich hervorragend zum Stainless Finish der Ruger passenden Bushnell 3–9×40 mit Duplex-Absehen. Das preiswerte Zielfernrohr eignet sich hervorragend für die Tagesjagd, in der Dämmerung stößt das Glas jedoch sehr schnell an seine Grenzen.

Kurze, robuste Waffen sind vor allem bei Hundeführern beliebt. Ein Einsatzgebiet par excellence für die kompakte Büchse – wenn da nicht die fehlende offene Visierung wäre. Schade, denn ohne Kimme und Korn bleibt nur der Einsatz von Leuchtvisieren, und der gestaltet sich bei der Ruger, zumindest im Wechsel mit einem normalen Zielfernrohr, schwierig. Ohne Werkzeug geht nichts! Schraubendreher oder wenigstens eine 20 Cent Münze in Verbindung mit kräftigen Fingern werden für den Optiktausch benötigt. Nimmt man die Arbeit und den etwas höheren Zeitbedarf für die Montage in Kauf, ist die Wechselpräzision für den jagdlichen Einsatz ausreichend. Treffpunktabweichungen konnten im Test nicht festgestellt werden. Auf einen Probeschuss sollte man trotzdem nicht verzichten.

Grau gebeizt, mit einheitlich, längs verlaufender Faserrichtung präsentiert sich der Schichtholzschaft der Amerikanerin. Die Form ist schlicht und einfach gehalten, Backe, Fischhaut oder eine Punzierung sucht man vergeblich. Kleine Jägerinnen und Jäger kommen mit der Schäftung der „Kurzen“ gut zurecht. Über 1,70 Zentimeter Körpergröße wird der passende Anschlag in aller Regel zum Problem. Hier schafft nur der nachträgliche Einbau einer dicken Schaftkappe oder das Einlegen von Distanz-Elementen Abhilfe.

Die Außen-Oberflächen des Schaftes sind sauber verarbeitet und lackiert. Deutlich weniger Sorgfalt lässt die Systemausfräsung erkennen. Überstehende Holzfasern, Arbeitsspuren und eine „Wurfpasssung“ – das System schwimmt in der einfachen Holzbettung sowohl seitlich als auch in Längsrichtung um mehr als einen Millimeter – kennzeichnen das Innenleben. Schade, denn sauber gearbeitete Schichtholzschäfte sind bekannt für ihre dauerhafte Maßhaltigkeit und das daraus resultierende Plus an Präzision.

Stabilität durch Schichtholz

„Einfach kräftig anziehen“ lautet die Ruger-Devise: Die getrennten Baugruppen Abzugsbügel und Magazindeckel werden durch den Schaft mit dem Kammergehäuse verschraubt. Diese Verbindung sorgt für eine Fixierung des „bewegten“ Systems. Wer Wert auf dauerhafte Präzision, auch nach einem erneuten Zusammenbau der Waffe legt, sollte die Anfertigung einer Kunstharzbettung in Erwägung ziehen. Auf alle Fälle ist nach jeder Montage ein Kontrollschuss Pflicht. Trotz schlanker Kontur steckt der Ruger-Schaft jede Menge Stöße und Schläge weg. Auch ein Sturz eines Testers auf den Kolbenhals während einer Nachsuche blieb ohne Folgen.

Der Grund für die hohe Stabilität liegt in der Verwendung von Schichtholz. Zur Herstellung dieses Werkstoffes werden dünne, etwa zwei Millimeter dicke Furnierschichten, meist aus Buche oder Ahorn unter Druck verleimt. Die unterbrochene Holzstruktur und der verbindende Klebstoff minimieren ein „Arbeiten“ der Holzes und reduzieren die Bruchgefahr. Derzeit wird im Waffenbau sowohl Schichtholz mit einheitlich verlaufender Faserrichtung, als auch gesperrt-verleimtes Material verarbeitet. Ersteres zeichnet sich durch eine ansprechende, gleichmäßige Oberflächenoptik aus, kreuzweise verarbeitetes Schichtholz durch ein Plus an Stabilität. Im jagdlichen Bereich wird „Technisches Holz“ erst seit wenigen Jahren vermehrt genutzt. Vor allem bei Allwetterbüchsen und Präzisionswaffen erfreuen sich Laminatschäfte großer Beliebtheit. Einziger Nachteil: Schichtholz ist je nach Herstellung und Dichte etwa 20 Prozent schwerer als herkömmliches Holz.

Beste Voraussetzung für Pirsch

Trotz Schwächen bei der Bettung und extrem kurzem Lauf erbrachte unsere Testbüchse im Kaliber .308 Winchester eine sehr gute Schussleistung: Dreiergruppen unter 30 Millimetern, Fünferserien unter 50 Millimetern waren keine Seltenheit. Das beste Ergebnis schoss die Ruger mit der Norma Vulkan (11,7 Gramm), der Streukreis lag hier bei 3,8 Zentimetern (Fünf Schuss, Entfernung 100 Meter, Benchrest-Auflage). Ob man die technische Präzision ins Revier übertragen kann, hängt bei der „Kleinen“ in erster Linie vom „dicken Fell“ des Schützen ab. Der ruppige Flintenabzug verführt buchstäblich zum Mucken. Gewöhnungsbedürftig ist auch der für die .308 knackige Rückstoß. Das geringe Gewicht der Waffe – 2,6 Kliogramm „oben ohne“, 3,3 Kilogramm mit dem Bushnell-Zielfernrohr – und die kurze Lauflänge zeichnen für das „bockige“ Verhalten verantwortlich. Für Irritationen sorgen der laute Schussknall und in der Dunkelheit das nicht zu übersehende „Mündungs-Feuerwerk“ der Compact.

Klarer Fall: Bei einer Lauflänge von 42 Zentimetern geht ein Teil der Energie ohne Wirkung auf des Geschoss in einem Lichtblitz flöten. Nimmt man die Faustformel der DEVA zu Hilfe, die pro fünf Zentimeter Laufkürzung einen Geschwindigkeitsabfall von etwa zwei Prozent zu Grunde legt, kommt man für die Compact bei Einsatz der DK-Laborierung von RWS (10,7 Gramm) zu folgendem Ergebnis: Statt der angegebenen vo von 820 Metern pro Sekunde (Messlauflänge 60 Zentimeter), reduziert sich die Geschwindigkeit auf 761 Meter pro Sekunde. Der Verlust ist nicht gerade spektakulär, trotzdem sollte man diese Tatsache vor allem dann berücksichtigen, wenn auf weitere Entfernung geschossen wird.

Für Pirsch, Drückjagd oder der Arbeit mit dem Hund bringt die Ruger CR-BBZ – mit Ausnahme der fehlenden offenen Visierung – die besten Voraussetzungen mit. Kurz, geringes Gewicht, ein zuverlässiges System, rostträge, pflegeleicht, bruchsicher, unempfindlich gegen Witterungseinflüsse und im Kaliber .308 für die meisten Jagdsituationen ausreichend, ist das kompakte Gewehr immer dort in seinem Element, wo es eng ist und rau zugeht. Für den Einsatz bei Nacht oder in der Dämmerung ist die Büchse aufgrund des Mündungsfeuers nur bedingt geeignet. Der ruppige Abzug, die scharfen Kanten und die mit „Spiel“ behaftete Systembettung sind in der Preisklasse (Frankonia-Preis: 979 Euro einschließlich Montageteile) fehl am Platz.

Zwar keine „Take-Down“, jedoch lässt sich die Ruger zum Reinigen einfach auseinandernehmen. Nachteil der Büchse: die schlechte Systembettung

 


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