Traurige Nachricht aus immer mehr Revieren: „Dieses Jahr bejagen wir die Kaninchen nicht, es sind kaum noch welche da.“ Der Grund für Lapuz’ Verschwinden? Meist unbekannt, doch ein Verdacht liegt nahe: RHD, Rabbit Haemorrhagic Disease, zu Deutsch „Blutungskrankheit der Kaninchen“ und landläufig als Chinaseuche bekannt. Dr. Hans-Jörg Horst skizziert die vorsätzliche Ausbreitung der RHD in Australien und Neuseeland, beleuchtet die Situation in Europa und gibt Tipps, wie wir RHD-freie Reviere schützen können.
Jungkaninchen sind bis zum dritten Lebensmonat gegen RHD immun – sofern nicht schon das Muttertier infiziert ist. |
Damoklesschwert über den Revieren
Anstelle einer Einleitung nur soviel: Dies ist keine wissenschaftliche Abhandlung über die uns allen bekannte Kaninchenseuche. Dargestellt werden soll aber in aller Deutlichkeit die Art und Weise, wie man anderenorts mit dieser Seuche umgeht. Dabei wurde bewusst und schwerpunktmäßig auf die Laienpresse und auf Äußerungen von Beamten, Politikern, Wissenschaftlern und betroffenen Farmern zurückgegriffen, um ein wirklichkeitsnahes Bild der Vorgänge vor Ort zu vermitteln. Wertungen hat der Verfasser dieses Artikels soweit wie möglich vermieden. Schließlich können wir Europäer und insbesondere wir Jäger die Nöte der von einer Kaninchenplage befallenen Länder nicht voll begreifen. Es sei auch auf die Schäden hingewiesen, die diese und andere eingeschleppte Arten in der sensiblen Ökologie der Neuen Welt anrichten können.
Neuseeland:
28. August 1997, Neuseeländisches Fernsehen, „Channel One“: In den Abendnachrichten wird berichtet, dass die Farmer Peter Innes und Phillip Mackay gemeinsam infektiöses RHD-Material verbreitet haben. Über die Quelle des Materials bewahrten sie Stillschweigen. Danach haben sie draußen Kaninchen gefangen und sie mit dem RHD-Material injiziert. Als diese Kaninchen starben, wurden sie zu gesunden Kaninchen in die Box gelegt, um sicher zu gehen, dass die Übertragung funktioniert. Sie funktionierte! Die gesunden Kaninchen starben ebenfalls. Die beiden verteilten nun die toten Kaninchen in der Umgebung einiger Farmen und fertigten außerdem RHD-Köder an, die sie ebenfalls ausbreiteten. Hafer eignete sich gut zum Mixen mit dem infektiösem Material.
Die Nordinsel war noch RHD-frei. Den Gedanken, die gesamte Südinsel zur Quarantänezone zu erklären, hat man schnell wieder fallengelassen. Zu mächtig und zu tatkräftig war die Lobby der Farmer. Während das Ministerium noch über das für und wider der Genehmigung eines Virusimports nachdachte, war das Virus selbst bereits seit Juli im Lande. Wie allerdings die Einschleppung nach Neuseeland erfolgte, wissen die Behörden offenbar nicht.
Aus der neuseeländischen Presse war zu erfahren, dass das infektiöse Material in Verbindung mit einer Sportveranstaltung in Australien per Helikopter ins Land gebracht worden sein soll. Anschließend waren Innes und Mackay sechs Wochen damit beschäftigt, einen tödlichen Cocktail von infektiösem Kaninchenmaterial herzustellen. Am Ende teilten sie der Presse bereitwillig das Rezept mit. Man nehme: Leber, Milz und Herz von infizierten Kaninchen und vermische sie in einem Küchenmixer mit 100 ml Wasser. Eine besonders rasche Ausbreitung des Virus erhielten sie, wenn sie diese Mischung mit Hafer und Karotten mischten und ausbrachten. Diese Methode war erfolgreicher als das anfangs praktizierte Aussetzen infizierter Kaninchen.
Solange sie eine Strafe für ihr illegales Vorgehen befürchten mussten, reichten sie den RHD-Cocktail nur an vertraute Personen weiter. Später äußerten sie selbstbewusst ihre Überzeugung, dass sie das Richtige getan hätten. Die Erfolge waren durchschlagend und die neuseeländischen Farmer applaudierten. Misserfolge, d.h. niedrige oder mäßige Infektionsraten oder gar Versager wie früher in Australien wurden in Neuseeland nicht bekannt.
In einer nicht näher identifizierbaren neuseeländischen E-Mail war folgendes zu lesen: „Ich bin auch darüber informiert worden, dass Farmer zur Haldon Road Post gehen, um das Virus zu holen. Wenn sie zurückkommen, rufen sie Leute an, sagen aber nicht, wer sie sind. Sie sagen ihnen, wenn sie das Virus wollen, es steht unter der Wai Bridge in einer Box. Sie tun dies, um eine Identifikation zu vermeiden.“
Am 1. September berichtete Radio New Zealand, dass ein MAF-Mitarbeiter gefeuert worden ist, der im Verdacht steht, bei der illegalen Verbreitung des Virus behilflich gewesen zu sein.
Am 10. September warfen etwa 15 neuseeländische Farmer 120 Tonnen virusbeladener Karotten- und Haferköder über dem Mackenzie-Gebiet ab. Weitere Abwürfe folgten über Marlborough und North Canterbury. Das Ziel der Aktionen war es, das Virus so weit wie möglich zu verbreiten, bevor das Kabinett in jener Woche zu einer Sitzung zusammentrat, um über das weitere Vorgehen in Sachen RHD zu entscheiden.
Das Ministerium und das Council des Inselstaates zeigten sich erstaunt, als sie sich nur zwei Tage nach der Ablehnung eines Antrages auf Import der Seuche aus Australien vor vollendete Tatsachen gestellt sahen. Dr. Barry O’Neil vom MAF beeilte sich dann auch, den beiden Hauptakteuren sowie den inzwischen über 30 weiteren Beteiligten Straffreiheit zuzusichern, nachdem Innes und Mackay versichert hatten, dass das Material bereits vor dem Importverbot durch einen Neuseeländer ins Land geholt worden war. Dennoch haben sich alle diese Personen verschiedener strafbarer Handlungen schuldig gemacht. Als Laien besaßen sie erstens keine Genehmigung zur Ausführung solcher Manipulationen an lebenden Tieren. Zweitens ist es nach dem Tierseuchengesetz verboten, eine Tierseuche willkürlich zu verbreiten. Schlussendlich verstößt die Einbürgerung des Virus auch gegen internationales Recht. Dies hat die OIE (Internationales Tierseuchenamt) in Paris deutlich gemacht. Spitzfindige Leute haben dann gesunde Kaninchen mit kranken zusammengesperrt und sie anschließend freigelassen. Doch auch dies hätte die Behörde strafrechtlich verfolgen müssen, da es sich um nicht genehmigte Tierversuche handelte. Von einer Strafverfolgung hat man allerdings nie etwas gehört.
Das Virus war nicht mehr aufzuhalten. Noch im September hatte es sich über vier Provinzen der Südinsel ausgebreitet und auch schon die Nordinsel erfasst. Im Mai 1998 war das tödliche Virus für $150 frei für jedermann („over the counter“) erhältlich. Die Halter von Hauskaninchen mußten nun nach Ausbruch der Seuche, ihre Tiere mit teuren Impfungen schützen.
Australien:
Ähnliches hatte sich bereits 1995 in Australien abgespielt, nur dass man sich hier länger zierte, die Seuche offiziell einzubürgern. Doch im Oktober 1995 entschieden die australischen Behörden sich für deren weiträumige Verbreitung im Lande. Am 10. Januar 1997 konnte Dan Drollette im SCIENCE jubilieren: „Es tötet, es springt nicht auf andere Arten über und das Beste ist, die Hämorrhagische Kaninchenseuche (RHD) wirkt exakt so, wie Australiens Tiergesundheitskontrolleure gehofft hatten, als sie das tödliche Virus freiließen“.
Wirklich? Im starken Gegensatz hierzu las man aber bald in australischen Schlagzeilen: „Kaninchenvirus – ein Flop“ und „Kaninchenzahlen auf ihrem höchsten Niveau seit Dekaden“.
Tatsächlich berichteten australische Farmer nach Ausbringung des Virus an 350 verschiedenen Stellen auf ihrem Farmland über eine Mißerfolgsrate von 75%. Premierminister John Anderson mußte zugeben: „Ich bin ein bisschen enttäuscht … in einigen Gegenden war es lückenhaft“. Man hatte noch nicht die später in Neuseeland gemachten „positiven“ Erfahrungen mit den virusgetränkten Ködern. Dabei mußte der Premier doch bereits durch die Forschungsergebnisse auf der Insel Wardang, 250 km vor der australischen Küste, gewarnt worden sein.
Was war passiert? Noch im April 1995 hatte Anderson, damals noch Minister für Primärindustrie erklärt, es werde keine vorzeitige Freisetzung des RHD-Virus in Australien geben. Diese Nachricht schockte die australischen Leute vom Lande. Farmer Keith Greenfield im Radio ABC: „Ich bin wirklich ziemlich böse. Ich denke, es ist verdammt blöde. Es verführt Leute, die bis heute gesetzestreu waren, die Sache in die eigenen Hände zu nehmen“. Antwort auf die Frage, ob er versuchen würde, an infektiöses Material heranzukommen: „Diese Frage werde ich lieber nicht beantworten“.
Greenfields Ärger war unbegründet, denn die vom CSIRO, einem kommerziellen Ableger des MAF, ins Leben gerufene RHD-Forschungsstation auf der Insel Wardang sorgte dafür, dass der Erreger sich im Oktober 1995 auf dem Festland ausbreiten konnte. Die vorangegangenen Laborexperimente waren allerdings im Hochsicherheitstrakt der Tiergesundheitslaboratorien in Geelong auf dem Festland ausgeführt worden. Den Erreger hatte man sich aus der damaligen Tschechoslowakei besorgt, nachdem man bei deutschen Wissenschaftlern abgeblitzt war. Die wollten sich an einer biologischen Kaninchenbekämpfung mittels dieser Seuche nicht beteiligen. Der Transfer des Virus von Geelong auf die Insel Wardang war unternommen worden um zu sehen, wie sich der Erreger unter Freilandbedingungen verhielt. Manager Nicholas Newland wurde für die Organisation des Unterfangens verpflichtet. Er war kein Wissenschaftler, was in der CSIRO-Station zu Reibereien zwischen dem Management, Umweltschützern und anderen Forschern führte. Obwohl eine Abschirmung gegen andere Tierarten der Insel durch Maschen- und Elektrodraht zur Schaffung einer von wilden Kaninchen und vierbeinigen potentiellen Überträgern freien Zwischenzone vorgenommen wurde, war eine gänzliche Isolierung nicht möglich und auch nicht vorgesehen. Ein mehr oder weniger kontrollierter Austausch zwischen infizierten Tieren der Station und gesunden Tieren außerhalb der Umzäunung war teilweise sogar geplant. Gegen Insekten brachte man Bacillus thuringiensis aus, das von CSIRO hergestellt wird und die Larven an den Brutstellen tötet. Die Kaninchenbaue besprühte man mit langwirkenden Insektiziden. Fliegen, deren Rolle als potentielle Überträger inzwischen gesichert ist, versuchte man durch eine große Anzahl von Fliegenfallen wegzufangen.
Alle diese Maßnahmen können aber die Insekten nicht ausrotten, sondern sie lediglich in ihrer Anzahl verringern. Auch Moskitos, Zecken und Flöhe können offenbar RHD übertragen. Eine insektensichere Abschirmung wurde aus Kostengründen nicht weiter in Betracht gezogen. waren Die Kaninchengehege waren von Möven und anderen Vögeln sowie von Kleinnagern erreichbar, die als Überträger oder Virusreservoir gelten. Eine Übertragung auf dem direkten Luftwege war nicht zu befürchten, da man in Europa die Erfahrung gemacht hatte, dass nur 10 cm weit entfernt stehende Kaninchen wochenlang gesund blieben, während in dem infizierten Nachbarkäfig alle Tiere starben.
Michael Studdert vom CSIRO, der sich besonders mit der biologischen Schädligsbekämpfung befasste, konzidierte in einem Interview mit ABC Radio National, dass es voreilig gewesen sei, das Virus bereits zu diesem Zeitpunkt nach Wardang zu bringen. Die z.T. öffentlich geführte Debatte darüber sei zu kurz gewesen. Auch intern war diese Entscheidung unter den beteiligten Wissenschaftlern sehr umstritten. Aber anschließend hielten sich alle an den einmal gefassten Versuchsplan. Eine Beobachtung sollte für später wichtig sein: Die Infektiosität war geringer als erwartet. Nicht alle Kaninchen ließen sich durch erkrankte Tiere anstecken. In drei von sieben Gehegen fand überhaupt keine Infektion statt, wenn man infizierte Tiere dazu sperrte.
Böse Stimmen, auch aus Europa, behaupteten, die Ausbreitung sei vorsätzlich geschehen, weil man ja letztlich doch die Kaninchenseuche im Lande haben wollte, zumindest aber fahrlässig herbeigeführt worden, da die Sicherheitsvorkehrungen nicht ausreichend waren. Das zuständige Ministerium wurde jedoch nicht müde zu erklären, dass ihnen der Erreger versehentlich entkommen ist. Wie er allerdings die lange Strecke über blankes Meer hin zum Kontinent und dann weitere 260 km bis zum ersten Ausbruchsort nordöstlich von Adelaide überwunden haben mag, bleibt ein Geheimnis. Eine der abgegebenen Erklärungen war, ein Journalist, der die Forschungsstation Wardang besucht hatte, hätte das Virus an seinen Schuhen herausgebracht. Ein müder Rechtfertigungsversuch, bedenkt man, dass es 4 Jahre dauerte, bis sich das Virus später vom naheliegenden Europäischen Festland nach Großbritannien ausbreitete. Und das trotz intensivstem Personen- und Warenverkehr. Andere Vermutungen sind Übertragungen durch Insekten oder Vögel.
$(LB3175:(Fortsetzung >>>))
Nach einer Jagd in einem RHD-verdächtigen Revier sollte man die eigene Ausrüstung, aber auch die Branten des Hundes mit 1- 1,5prozentigem Formalin waschen. |