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Schandfleck oder Augenweide?

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REVIEREINRICHTUNGEN:
Natürlich mag der Jäger es bequem, wenn er nach einem langen Arbeitstag seiner Passion frönt und auf Hirsch, Reh oder Fuchs ansitzt. Aber darf dieser Maxime alles unterworfen werden? Ist es legitim, Landschaftsteile mit riesigen Bauwerken zu möblieren? Jens-Peter Burkhard hat seine eigene Sicht der Dinge: „Zeig mir deine Kanzel, und ich sage dir, wer du bist!“

 

Von Jens-Peter Burkhard

Lautlos gleitet die Landschaft an meinem Zugfenster vorbei. Meine Bahnfahrt führt mich aus dem Hamburger Raum bis nach Rheinland-Pfalz – in die Redaktion von WILD UND HUND. Ich habe viel Zeit, Deutschlands schöne Landschaften zu genießen. In der Morgendämmerung sah ich einen Fuchs über eine Weide schnüren, soeben entdecke ich einen Sprung Rehwild, und fast überall stehen Kanzeln. Manche liegen so schön, dass ich mir unwillkürlich vorstelle, wie es ist, dort einmal anzusitzen. Der überwiegende Teil erregt aber nur mein Ärgernis.

Wir Jäger „basteln“ offensichtlich gern

Kanzeln und andere Reviereinrichtungen sind immer wieder ein beliebtes Thema in der Jagdpresse. Wir Jäger „basteln“ offensichtlich gern, und so finden immer neue Bauanleitungen in unserer Jagdpresse die gebührende Beachtung. Da erklären renommierte Autoren, wie man optimal baut und geben neben der Bauanleitung noch so manchen Wink für die Jagdpraxis. Doch die Tipps werden leider viel zu wenig umgesetzt. Denn was wir alltäglich in unseren Revieren sehen, zeugt einerseits oft von schlechter handwerklicher Arbeit, andererseits von einem unglaublichen Selbstverständnis der Jäger. Aber mit welcher Berechtigung verschandeln wir mit überdimensionierten Hochsitzen, die das Landschaftsbild negativ prägen, unsere Umgebung? Mancherorts erinnern die so genannten Reviereinrichtungen eher an abstrakte Skulpturen, andernorts fühlt man sich in die Zeit der DDR-Grenze zurückversetzt, wenn alle 300 Meter Holztürme die Landschaft verschandeln. Schon dem Jagdscheinanwärter wird in der Ausbildung beigebracht, dass in unserer Kulturlandschaft vom Hochsitz aus eine sichere Schussabgabe möglich ist, da Kugelfang gegeben sei. Zudem erfährt man in jedem zweiten Jungjägerkurs und von so manchem altgedienten Waidmann, dass der Jäger auf dem Hochsitz unabhängiger vom Wind sitze. Zu guter Letzt haben wir alle einmal verinnerlicht, dass die Sicherheit beim Kanzelbau wichtig ist, Hochsitze aus ortsüblichem Material gebaut werden und sich bestmöglich in die Landschaft einfügen sollen. So weit, so falsch beziehungsweise unbeachtet. Denn die Realität sieht anders aus. Wie viel Arbeit machen sich Jäger im Revier mit dem Bau von Kanzeln, nur „weil es immer schon so war“. Natürlich ist es schwer, mit alten Gewohnheiten zu brechen, doch Aufwand und Ergebnis stehen vielfach in keinem Verhältnis mehr. Wie wollen wir begründen, dass meterhohe Kanzeln – zudem geschlossen – für ein reines Rehwildrevier „unbedingt sein müssen“, wie mir ein Revierinhaber unlängst versicherte. Der gleiche Mann behauptete aber, dass der Ansitz im Schirm gute Erfolgsaussichten zur Blattzeit erbringe. Was denn nun? Mal meterhoch, mal auf der Erde?

Besonders exotisch sind viele Reviereinrichtung, wenn man Hochwildreviere besucht. Nicht umsonst tragen hier die Kanzeln Namen wie „Die Mächtige“, oder „Die Inventurkanzel“. Rot- und Damwild scheinen sich offensichtlich nur aus mindestens fünf Meter hohen Kanzeln erlegen zu lassen. Ein einziger Ansitz hinter Teppich, Filz, Plexiglas und Teerpappe reichte mir, um zu begreifen, dass in solchen Revieren der „aktive Naturgenuss“ großgeschrieben wird. Ich tausche gerne das Geräusch „Quietschendes Styropor“ mit dem Klang von Regentropfen, und ebenso ziehe ich lieber meinen Hut ins Gesicht, als eine Plexiglasscheibe zur Seite. Am meisten stören mich Kanzeln, weil ich in ihnen kaum etwas hören kann. Das mag daran liegen, dass ich als reiner Waldjäger oft mehr mit den Ohren als mit den Augen „jage“.

Wie oft…?

Doch Geschmäcker sind ja bekanntlich verschieden. Mir ist nur unverständlich, wie jemand dem hektischen Büro und der lärmenden Stadt dadurch entfliehen möchte, dass er sich draußen wieder einkerkert. Wenn mir zu kalt wird, kann ich schließlich von meiner Leiter abbaumen und nach Hause gehen. Das ist doch keine Schande! Um nicht missverstanden zu werden: Am Luderplatz oder an der Kirrung macht eine Kanzel Sinn. Einige wenige, denn die reichen meines Erachtens aus. Für die erfolgreiche Jagdpraxis sind Kanzeln sonst überflüssig wie ein Kropf, denn sie haben gegenüber offenen oder überdachten Leitern oder gar kleinen Ansitzböcken keinen jagdpraktischen Vorteil. Auch gut angelegte Erdschirme versehen oft weit besser ihren Dienst, als „Totschießkisten“ auf Stelzen. Ihnen sind Erdsitze zu gefährlich? Dann gehen Sie bitte nicht zur nächsten Drückjagd, bei der Sie und Ihre Nachbarn auf dem Boden stehen müssen. Und der Kugelfang – besser Schrotfang – auf Treibjagden ist doch auch nicht gegeben.

Flüchten wir uns doch nicht immer wieder in dieses Lieblingsargument der Monumental-Kanzelbauer. Wie oft haben wir schon vom Zielstock geschossen, wie oft am Baum angestrichen? Wie oft mit anderen auf einer Waldschneise auf Sauen gewartet? Wie oft in unübersichtlichem Gelände am Fuchs- oder Karnickelbau gestanden? Der Jagdherr gab uns auf den Weg, dass „jeder für seinen Schuss selbst verantwortlich ist“ und „Weitschüsse zu vermeiden sind“ – dies war und ist in der gängigen Jagdpraxis alles. Kugelfang und eine sichere Schussabgabe sind unverzichtbar, aber nicht das allein seligmachende Argument für geschlossene Kanzeln mit Schießscharten.

Entweder passt der Wind

Dass bei der Bejagung der meisten Wildarten der Wind die Hauptrolle spielt, weiß jeder Jäger. Dass die hohe Kanzel den Waidmann davon nicht befreit, wird hingegen nur ungern zur Kenntnis genommen. Wenn ich meinen Kamin anheize, ist das im eigenen Garten zu riechen. Die Schlothöhe beträgt immerhin sechs Meter, die Entfernung maximal 30 Meter! Ein anderes Beispiel: Wer sich die Mühe macht, einen qualmenden Feuertopf oder eine Rauchpatrone mit auf die Kanzel zu nehmen, wird erstaunt feststellen, wie schnell der Rauch wieder am Boden ist. Egal wie dicht oder hoch eine Kanzel ist: Entweder passt der Wind, oder er passt nicht. Da spielt es auch keine Rolle, ob ich mir auf dem Ansitz noch genüsslich eine Pfeife anstecke oder eine Zigarette rauche.

Bevor wir eine Kanzel oder eine Leiter errichten, versuchen wir natürlich, soviel wie möglich von den Windverhältnissen vor Ort in Erfahrung zu bringen. Das ist manchmal schwierig und langwierig: Bei uns im Revier gibt es eine Waldschneise, auf der ein kleiner Ansitzbock steht. Die von Südost nach Nordwest verlaufende Schneise hat immer „anderen“ Wind, als die umliegenden Waldparzellen. Trotz Westwind kommt der Wind aus Südosten. Erst ab Nordwind kann der Wind in diese Schneise hineingreifen und weht dann „normal“. Dies hängt mit den Bestandsrändern und -höhen zusammen. Auch Wetterlage, Tages- und Jahreszeiten spielen eine Rolle. Darüber hinaus ändert sich der Wind immer wieder sehr kleinräumig, küsselt an Waldecken oder spielt uns als besonders tückischer Kesselwind an einer Waldwiese einen Streich. „Überkippende“ Winde am Waldrand tun ihr übriges, uns manchmal verzweifeln zu lassen. All dies beseitigt auch keine Kanzel.

Es müssen optimale Sichtverhältnisse gegeben sein

Immer wieder verblüffen mich die Reviereinrichtungen in den „Profi-Revieren“, zum Beispiel in den Bundesforstverwaltungen oder in Hochwildrevieren, die von Berufsjägern geführt werden. Kanzeln sind dort kaum oder gar nicht zu entdecken, stattdessen finden sich Ansitzböcke und Leitern, die – wenn überhaupt – als einzigen Luxus ein Dach haben. Je professioneller die Reviere bejagt werden und je mehr Schalenwild geschossen werden muss, je kleiner und offener werden die Ansitzeinrichtungen. Dies steht in krassem Widerspruch zur gängigen Lehrmeinung und zu dem, was jahrzehntelang gepredigt wurde.

In unserem Revier kommen jedes Jahr über 200 Kreaturen zur Strecke: Rot-, Dam- Schwarz- und sehr wenig Rehwild. Wir erlegen unser Wild von offenen Ansitzböcken oder offenen Leitern aus. Zwei Drittel des Wildes kommt im Einzelabschuss zur Strecke, der Rest im Rahmen zweier Beunruhigungsjagden. Ob Ansitz oder Beunruhigungsjagd – die Reviereinrichtungen sind identisch! Die offenen Ansitze garantieren dem Schützen eine Augenhöhe von etwa drei Meter. Die Einrichtungen geben zwei Personen Platz, damit auch Gäste geführt werden können. Alle Leitern und Ansitzböcke kennzeichnet, dass sie mit wenig Zeit, Kosten und Material nach Standard und Schablone gebaut werden können. Die niedrigen Einrichtungen sind stabil, leicht zu tarnen, und ermöglichen ein gutes Schießen im Sitzen und im Stehen.

Meines Erachtens ist neben der Hauptwindrichtung vor allem der Standort eines Ansitzes der wichtigste Parameter für dessen Erfolg – und nicht dessen Höhe oder Bauweise. Hierbei sind entscheidend, dass der Jäger seinen Ansitz bei guter Deckung erreichen und wieder verlassen kann, und dabei nicht ständig über Hauptwechsel läuft. Dieses Kriterium wird meist vernachlässigt. Ebenso wichtig ist es, gedeckt und geräuschlos Auf- und Abbaumen zu können. Oben angekommen, muss der Schütze optimale Sichtverhältnisse vorfinden. Hier liegt die nächste Quelle vielen Übels: Optimale Sichtverhältnisse bedeuten für viele Jäger „freie Rundumsicht bis zum Horizont“. Wichtiger ist es, mit dem neuen „Monument“ nicht jedem zu signalisieren, dass hier gejagt wird. Ich verzichte gern auf etwas Schussfeld, wenn meine Ansitzeinrichtung ungesehen bleibt. Was nützt mir „ortsübliches Material“, wenn es solitär in der Landschaft steht? Besteht darüber hinaus ein ballistischer Zusammenhang zu Mais- oder Rübenhaufen, ist die „bevölkerungsgerechte“ Öffentlichkeitsarbeit wieder einmal perfekt! Natürlich möchte ich ein gutes Schussfeld vorfinden und von meiner Ansitzeinrichtung sicher und sauber jagen. Doch Aussicht ist nicht alles, wenn jedermann und jedes Wild meine Reviereinrichtungen als Störfaktoren wahrnehmen. Daher verzichte ich lieber auf Rundumsicht und verstecke meine Ansitze an Dickungskanten, unter Bäumen oder in Gebüschen. Durch den Einsatz leichter und flexibler Reviereinrichtungen ist es zudem möglich, an besonders geeigneten Stellen im Revier für verschiedene Windlagen Leitern oder Ansitzböcke zu errichten.

Bausünden können mit Tarnnetzen verblendet werden

Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich möchte auch keinesfalls jede Kanzel verdammen, nur weil sie eine Kanzel ist. Gleichwohl würde ich mir viel mehr Diskretion und ein anderes Selbstverständnis der Jägerschaft wünschen, wenn es gilt, Reviereinrichtungen neu anzulegen. Und die alten? Natürlich sollen bestehende Kanzeln nicht abgerissen werden. Eventuelle „Bausünden“ vergangener Tage können wir ohne großen Aufwand mit Tarnnetzen verblenden. Die Vorteile der Tarnnetze sind schnell genannt: leichtgewichtig, flexibel, form- und zuschneidbar, kostengünstig, schnell aufgebaut, unverrottbar, tarnintensiv. Da sie in verschiedenen Farben erhältlich sind, können wir Tarnnetze optimal an die Revierverhältnisse anpassen.

Für Kletterpflanzen gibt es allerlei Rankhilfen

Wenn ich Tarnnetze einsetze, um neue Ansitze in offenen Revierteilen zu verblenden, flankiere ich diese Maßnahme gerne mit Rankpflanzen. Dabei kommen die Selbstklimmer oder Wurzelkletterer ohne Hilfen aus und machen es dem Jäger besonders einfach. Die Pflanzen können sich an Oberflächen festhalten. Ihre Haftorgane sind meist Wurzeln, die am Untergrund haften (Efeu). Der Wilde Wein ist eine Zwischenform: Seine Ranken sind zu Haftscheiben umgebildet, die am Untergrund festkleben. Auch die Jungfernrebe bedient sich ihrer Haftscheiben. Die meisten Pflanzen besitzen jedoch keine Haftorgane und sind auf Hilfe angewiesen. Windende Pflanzen schlingen ihre Triebe spiralförmig um alles, was ihnen Halt bietet, zum Beispiel Drähte, Latten, Schnüre oder Tarnnetze jeder Art. Bekanntes Beispiele aus dem heimischen Garten ist der Blauregen. Im Revier kennen und nutzen wir dagegen das Geißblatt. Ein Abstand von zirka 20 bis 30 Zentimetern zwischen den Kletterhilfen und Querverbindungen im identischen Abstand helfen, eine Kanzel zügig zuwachsen zu lassen.

Andere Rankpflanzen haben Teile ihres Sprosses oder ihrer Blätter als Rankorgane ausgebildet. Diese „ertasten“ Stützvorrichtungen und „greifen“ darauf zu. Diese Technik kann man gut an der Waldrebe (Clematis) und am Wein beobachten. Sie wachsen gut an nicht zu dicken Spalieren, Gittern oder Netzen. Diese müssen aber engmaschig sein, denn diese Pflanzen brauchen ständig Unterstützung. Schließlich gibt es noch die Spreizklimmer. Ihre Triebe müssen an ein Gerüst angebunden werden, da sie sich nicht selbstständig an senkrechten Stützen festhalten können. Dafür schieben sie sich durch Seitenprosse, Klimmhaare oder Dornen nach oben. Kletterrosen, und Brombeeren gehören zu dieser Gruppe. Sie kommen für unsere Zwecke nur sehr eingeschränkt in Frage. Für Kletterpflanzen gibt es allerlei Rankhilfen aus verschiedenen Materialien. Holz, Tarnnetzreste und Drähte können genommen werden. Die einfachste Art, Kletterer in die gewünschte Richtung zu leiten, ist eine Schnur oder ein Draht.

Artenschutz im kleinen

Wenn wir bestehende oder neue Reviereinrichtungen begrünen, erreichen wir viel: Rankpflanzen dienen uns – je nach Jahreszeit – als Kälte-, Wärme und Wetterschutz. Durch Rankpflanzen schaffen wir Lebensqualität und einen neuen Erlebnisraum, der uns während unserer Ansitzstunden unterhält. Mit den richtigen Pflanzen betreiben wir sogar Artenschutz im kleinen – was uns weit besser zu Gesicht steht, als die kahle Kanzeln im Revier. Je besser eine Reviereinrichtung getarnt ist, desto besser ist sie auch für Jagdschutzzwecke geeignet.

Die schnarrende Stimme des Zugführers aus dem Lautsprecher weckt mich aus meinen Überlegungen rund um Ansitzeinrichtungen. Der Zug erreicht gleich meinen Endbahnhof im rheinland-pfälzischen Montabaur. Ein letzter Blick aus dem Fenster zeigt eine für mich „Heidjer“ schon wahrlich hochalpine Landschaft – gekrönt von einer freistehenden Kanzel. „Zeig mir deine Kanzel, und ich sage dir, wer du bist!“, schießt es mir so durch den Kopf. Ganz gleich, um welche Ansitzeinrichtung es sich handelt: Es zeugt viel vom Selbstverständnis des Jägers, wie exakt er diese in die Landschaft integriert. Dabei gibt es viele einfache Möglichkeiten, unsere neuen und bestehenden Reviereinrichtungen zu tarnen. Man muss nicht bei der Bundeswehr gedient haben, um diese Ziele umzusetzen, wohl aber über ein wenig architektonisches und gestalterisches Fingerspitzengefühl verfügen.

 


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