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Mehrere Seiten einer Medaille

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Lausitzer Wolfssorgen:
Sorgen mit den aus Polen stammenden Neubürgern führten in Klösterlich-Neudorf zur Gründung eines Vereines für „Sicherheit und Artenschutz“. Der neue Verein heizt die Diskussion über die Frage an: „Wieviel Wolf verträgt eine Kulturlandschaft?“

 

Von Alexander Krah, Heiko Hornung

Es ging turbulent zu, in der Teichschänke von Klösterlich-Neudorf (Landkreis Kamenz), am Abend des 25. Februar, als sich 16 Bürger, Landwirte, Jäger, besorgte Eltern und ein Bürgermeister versammelten, um einen Verein für „Sicherheit und Artenschutz“ aus der Taufe zu heben. Er will, so das Satzungsziel, mit dazu beitragen, die Debatte um den Wolf und seine künftige Perspektive in der Lausitz aus einer etwas anderen Sicht zu führen.

In der Gründungsversammlung macht jeder seinem Unmut Luft. Eines der Gründungsmitglieder „kotzt“ es an, dass mit fast religiösem Eifer und behördlicher Unterstützung in den Medien eine Wolfseuphorie angeheizt werde. Ein Landwirt beklagt sich, dass sie, ungeachtet der wohl gesicherten Entschädigung, ihre Tiere nicht als Wolfsfutter halten wollen. Und der Inhaber eines Fischereibetriebes will sich gar nicht vorstellen, was passiert, wenn jetzt auch noch bastardierte Wölfe durch die Wälder streifen und seine Enkel draußen spielen. Einige Jäger wollen irgendwo und irgendwann eine Grenze für die gegenwärtigen Wild- und damit auch verbundenen Jagdwertverluste ihrer Gebiete erkennen. Und einmütig „bescheuert“ finden alle Anwesenden, dass die Landesregierung in den Wölfen einen Segen sieht, der als eine indirekte Strukturhilfe für einen einsetzenden Tourismusboom genutzt werden sollte. In Wahlkampfzeiten soll Isegrim eben auch Hoffnung verbreiten. So verlief dann auch die Gründung dieses Vereines mit einer selten erlebten Einstimmigkeit in Klösterlich-Neudorf. Der an diesem Abend gewählte Vorsitzende, Joachim Bachmann, aus Bärwalde hat auf jeden Fall schon einmal als Jäger beim Regierungspräsidium Dresden einen Antrag zur Erlegung eines Wolfes als Vergrämungsabschuss gestellt.

Die Reaktion auf die Vereinsgründung war prompt und zeigt, das Canis lupus die Bevölkerung spaltet. Der NABU-Landesverband gründet wenige Tage später die Arbeitsgruppe „Pro Wolf“ und will ein sachliches Gegenwicht zu den Kritikern schaffen. Nach der Meinung von NABU-Funktionären wolle man Wissen vermitteln, statt Angst zu schüren. Direkt vor der Nase der Wolfskritiker in Neustadt soll deshalb ein Infozentrum Wolf entstehen.

Die Euphorie hält sich in Grenzen

Im benachbarten niederschlesischen Oberlausitzkreis, wo sich einen Tag nach der Gründung des Vereins „Sicherheit und Artenschutz“ die Jäger der Hegegemeinschaft „Muskauer Heider“ treffen, hält sich die Euphorie über den sächsischen Neubürger auch in Grenzen. Verärgert durch zahlreiche Medienberichte, die oft den Hinweis enthalten, dass es Jäger gewesen wären, die den Wolf vor hundert Jahren vertrieben hätten, und dass es immer noch Jäger gäbe, die dem Wolf nicht wohlgesonnen seien, traut sich die grüne Zunft kaum aus dem Gebüsch des Schweigens, obwohl die Anwesenheit Isegrims einigen durchaus Magengrimmen bereitet. „Mit den Medienberichten werden wir in eine Ecke gestellt, in die wir nicht hingehören, die auch unserem jagdlichen Selbstverständnis als Naturschützer gegenüber dem Wolf nicht entspricht, aber sich offensichtlich gut in den Medien verkaufen lässt“, sagt der Hegegemeinschaftsvorsitzende Jochen Gässner.

Keine Missverständnisse

Einige Jäger, wie die Revierinhaber Ingo und Werner Schuster aus Rietschen, ihr Revier liegt am Südrand des Truppenübungsplatzes Lausitz, dem Hauptrevier des sächsischen Wolfrudels, ärgert, dass jeder Wolfsexperte, der sich nur positiv zum Wolf äußert, ein Podium erhält, auch wenn er Schwachsinn von sich geben würde. Die einzigen, die direkt mit den Konsequenzen der Wolfspräsenz leben müssten, seien Landwirte, Schafhirten oder Jäger. Um nicht missverstanden zu werden, so die Mitglieder der Hegegemeinschaft übereinstimmend, der Wolf sei von allein gekommen und sie würden mit ihm zusammen leben. Trotzdem müsse es erlaubt sein, darstellen zu können, was sich für die Hegegemeinschaft geändert habe, sagt Gässner.

Da ist zum Beispiel eine stabile Muffelwildpopulation von ungefähr 350 Häuptern bei Nochten, die durch die Wölfe eliminiert wurden, so die Hegegemeinschaft. Der Abschussplan beim Rotwild kann nur noch zu 65 Prozent erfüllt werden. 550 Stück sind vorgesehen, 356 Stück konnten im vergangenen Jahr noch erlegt werden, wobei der Anteil Kälber und Schmaltiere am Abschuss rapide zurückging. In einigen Teilen der Lausitz sei auch die Bildung von Rotwild-Großrudeln zu beobachten. Die Folge seien schwerpunktmäßige Schälschäden. Auch gäbe es Reviere, wo Rehwild nicht mehr sichtbar sei. Das Verhalten des Wildes verändere sich gravierend, und die Jagdausübung werde immer schwieriger, meinen viele in der Versammlung der Hegegemeinschaft.

Bei den Drückjagden im Herbst habe man selbst in sonst guten Treiben kein Schwarzwild angetroffen. Die Sauen steckten in großen Rotten in Schilfgürteln an Dorfteichen und suchten die menschliche Nähe, um der Gefahr Wolf zu entgehen, berichten Jäger aus dem Kreis Kamenz. Ein Phänomen, das bislang noch nicht beobachtet wurde.

Die Wildverluste sind nur schwer quantifizierbar, da größenbedingt fast ausschließlich Rotwildrisse gefunden werden. Rehwild, Frischlinge und schwache Überläufer werden von den Wölfen weggeschleppt, und es bleibt kaum etwas übrig.

Derzeit leben elf Wölfe in zwei Rudeln in Sachsen. Der Jagdwert der Reviere hat sich nachweisbar reduziert, und viele Jäger fragen sich, wann der Wolf seine Lebensraumkapazitätsgrenzen erreicht hat, und vor allem interessiert viele die Frage, was die Behörden dann tun wollen. Bei welchem Level des Rückganges der Schalenwildbestände wäre man bereit, über eine zahlenmäßige Begrenzung der Grauhunde nachzudenken? Wie geht man mit dem sich abzeichnendem Problem einer beginnenden Bastardierung von Wölfen und Hunden um?

„Alles was unbekannt ist

Wolfsexpertin Gesa Kluth kann die Beobachtungen der Jäger bestätigen. Das Wild sei aufmerksamer geworden, und mit Sicherheit sei auch ein Aderlass der Wildbestände zu verzeichnen. Auch das Verschwinden des Muffelwildes kann Kluth bestätigen. Allerdings meint die Wolfsbiologin, dass man nicht alles jetzt dem Wolf anlasten könne. Die Großrudelbildung mache für das Rotwild nur in offenen Landschaften Sinn. Und nur weil man einige Tage hintereinander kein Wild im Revier beobachten könne, bedeute das nicht unbedingt, dass der Wolf da sei, sagt Kluth. Dass Landwirte, Jäger und die Bevölkerung Sorgen, vielleicht sogar auch Angst haben, kann Kluth verstehen. „Alles was unbekannt ist, macht uns Angst“, meint sie.

Sachliche Zusammenarbeit ist wichtig

Die Bastardierung macht auch der Wolfsexpertin Sorgen. Aber weniger, weil sie glaubt, dass die Bastarde gefährlich seien. Die Forscherin fürchtet, dass sich die Hundeeigenschaften auf die Überlebensfähigkeit der Wölfe auswirken. „Sie werden körperlich kleiner und verlieren unter Umständen Eigenschaften, die der Hund nicht mehr hat“, so Kluth. „Sie verlieren unter Umständen Intelligenz, oder suchen sich ein anderes Beutespektrum.“ Dass der Bastard für den Mensch gefährlich würde, sei nahezu ausgeschlossen. Problematisch seien nur Wolfshunde oder auch Wölfe, die auf den Mensch geprägt seien. Diese hätten keine Scheu vor dem Menschen und könnten auch unkontrollierte Handlungen zeigen, sagt Kluth. Der auf Wölfe geprägte Wolfshund verhalte sich genauso scheu wie der Wolf selbst. Was aus den Wolfsbastarden aus der Muskauer Heide geworden ist, weiß auch Kluth nicht. Einen Hybriden habe man bei einer Lappjagd in Netzen gefangen. Die anderen gut einjährigen Tiere seien seit gut drei Wochen verschwunden und auch nirgends mehr gesehen worden. Ihre Gegenwart wird den Freistaat noch eine Weile beschäftigen, weil weder Experten noch im Umweltministerium genau jemand sagen kann, wie man in diesem Fall weiter verfahren will. Jäger haben beobachtet, dass die Wölfin, die ebenfalls bei der oben geschilderten Lappjagd gefangen und besendert wurde, sich bereits wieder in Gesellschaft eines DD-Rüden befunden hatte. Den Abschuss der Mischhlinge lehnt Kluth ab. Die Verwechslung von einem Hybriden mit einem echten Wolf wäre zu groß, sagt die Wolfsfrau, die unentwegt von Veranstaltung zu Veranstaltung tourt, um für die Grauhunde zu werben. Kluth meint, dass weit mehr Akzeptanz in der Bevölkerung für den Wolf vorhanden sei, als die Vereinsgründung Klösterlich-Neudorf vermuten lasse. Auch warnt sie die Jäger davor, sich dem Verein „Sicherheit und Artenschutz“ anzuschließen. „Die berechtigten Sorgen seien in dem Verein nicht gut aufgehoben“, so Kluth. Der Verein polarisiere, schüre keine realen Ängste, und das würde der Sache der Jagd schaden. Der Biologin ist an einer sachlichen Zusammenarbeit mit den Jägern viel gelegen: „Ich brauche die Jäger und ihre Beobachtungen.“

Die Gründe der Wolfsopposition

Für ihr Engagement in ihrem Büro Lupus erhält Kluth und ihre Kollegin Ilka Reinhardt rund 100 000 Euro. „Davon müssen die beiden alles bestreiten“, sagt der Sprecher des Umweltministeriums, Dirk Reelfs. „Steuerverschwendung“ nennt dies der neu gegründete Verein. Reelfs meint in dieser Äußerung den wahren Grund der Vereinsneugründung zu erkennen. „Die Gründe, die zur Wolfsopposition geführt haben, sind in einer generellen Unzufriedenheit mit der Politik und in materiellen Gründen zu suchen“, meint der Umwelt-PR-Mann.

Verständnis für die Landwirte

Seit der Wende ist die Grenzregion zu Polen eine der Krisenregionen des Ostens. Früher fanden die Bewohner Arbeitsplätze im Braunkohle-Tagebau und in der Energiewirtschaft. Heute gibt es Orte mit über 25 Prozent Arbeitslosigkeit. Die jungen Menschen wandern ab, Städte und Dörfer veröden. Mühsam kratzen Regionalmanager Vorteile der Region zusammen, auch die weichen Standortfaktoren, wie Landschaft und Natur, um Investoren anzulocken. Der Wolf lenkte die Aufmerksamkeit auf die Lausitz. Ministeriumssprecher Reelfs meint, der Wolf könne bei der Vermarktung der Region helfen, doch die Anstrengungen dazu müssten aus der Region kommen.

In der Hegegemeinschaftsversammlung schimpft der Vorsitzende Gässner denn auch, dass seit 14 Jahren Strukturhilfen versprochen worden seien: „Wenn Sie dann einem Fachminister gegenüber sitzen und dieser ihnen dann erklärt, welcher Segen das Auftreten der Wölfe hier für die Region darstellt und welcher blühende Tourismusaufschwung hier eintreten wird, dann kriegen Sie so einen Hals“, sagt Gässner. Die Jäger finden es unanständig, dass man einer Öffentlichkeit suggeriere, in der Lausitz könnten Wölfe beobachtet werden. Sie fordern Sachlichkeit, Augenmaß und die Einbeziehung bei der Debatte um die Zukunft des Wolfes. Er eigne sich nicht als Wahlhelfer bei den anstehenden Kommunal- und Landtagswahlen.

Für den Ärger, den die Landwirte mit den Wölfen haben, hat Reelfs Verständnis. Der Staat zahle auch weiterhin Entschädigungen für gerissene Tiere. Von einem Jagdwertverlust der Jäger will Reelfs aber nichts wissen. Wild ist nun mal herrenlos. In der Zeitung drückt sich Reelfs drastischer aus: „Der Wolf hat das vollbracht, was Jäger nicht geschafft haben, einen waldverträglichen Wildbestand.“ Über dieses Zitat haben sich die Jäger wieder geärgert. Und so spaltet Isegrim und seine Sippe weiter die Parteien. Wie ein Relikt einer wilden Zeit trifft er auf die Zivilisation, mit ihren Politikern, Naturschützern, Öko-Phantasten, Landwirten, Wolfsforschern und Jägern. Und auf einmal hat die Medaille mehr als nur eine Seite.


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