In Bayern ist der Biber auf dem Vormarsch. Neben der Freude über den neuen alten Bekannten in der Wildbahn sorgt der eifrige Nager aber auch für einige Probleme und heftige Diskussionen.
Bockert der Eroberer |
von Heiko Hornung
Er kam über Nacht. Leise rann er durch die an manchen Stellen kaum mehr als zwei Meter breite „Kleine Sinn“, einen Fluss, der in der Rhön entspringt und bei Gemünden in den Main fließt.
Lange Zeit blieben die nächtlichen Beutezüge des Neuankömmlings unbemerkt. Bis – ja, bis er den kultivierten Fischteich besuchte und die wohlschmeckenden süßen Ziersträucher wie mit einer Heckenschere kappte, bis Bauer K. sich seinen Kreiselwender bei der Heuernte an einem der Transportgänge ruinierte und bis Bauer T. in der ständig feuchten Wiese mit dem schweren Traktor versank.
Als der „Heimliche“ dann noch einen Baum fällte, der einem just vorbeifahrenden Auto auf das Dach fiel, und nächtens den Damm an einem Fischteich höhlte, um die Wasserspiegel des Flüsschens und des Teiches auszugleichen, war das Maß voll und der Ärger groß. „Wer ist für den Biber und seine Schäden verantwortlich?“ fragten Landwirte, Teichbesitzer und Behörden.
Siegeszug hält an
Nach langen Diskussionen um Schadensersatzansprüche griff Landwirt T. zur Selbsthilfe und riss mit dem Traktor einen Biberdamm ein. Ergebnis: eine saftige Geldstrafe. Es kam noch schlimmer. An der Oberen Sinn wurde ein gewilderter Biber gefunden, der heute präpariert im Naturschutzzentrum „Schwarze Berge“ um Sympathie für seine Artgenossen wirbt.
Ähnlich wie in der Rhön haben sich in den letzten Jahren in ganz Bayern „Bibergeschichten“ abgespielt. Aufgehalten wurde der Siegeszug des zweitgrößten Nagers der Erde nicht. Nach wie vor ist Meister Bockert dabei, alte Gebiete zurückzuerobern. Dabei halten ihn auch Siedlungen oder verrohrte Flüsse und Bäche nicht auf.
Auf der Suche nach Lebensraum sind gerade die zwei- bis dreijährigen Tiere, die von den Alten gnadenlos weggebissen werden, äußerst mobil und erschließen sich unter anderem auch weniger geeignete Lebensräume.
Rückkehr mit Problemen
Seine Rückkehr haben sich die Naturschützer, die zwischen 1966 und 1980 in Bayern 120 Biber einbürgerten, sicher anders vorgestellt, als nach 20 Jahren mit einer „Schädlingsdiskussion“ konfrontiert zu werden.
Für die Geschädigten wurde zwischenzeitlich ein Härtefond eingerichtet. Bis 2001 stehen aus Mitteln der EU und von der bayerischen Staatsregierung 1,2 Millionen DM zur Verfügung. Bayernweit agieren zwei hauptamtliche Biberberater des Bund Naturschutz (BN), die nicht nur über den Biber aufklären, sondern auch den konkreten Schadensfall beurteilen sollen (siehe Kasten).
1999 hat der Bund Naturschutz rund 30 000 DM aus seinem Härtefonds an Geschädigte gezahlt.
Gegenwärtig liegt der Schwerpunkt der Biberproblematik eher im Süden Bayerns rund um die Flüsse Isar, Inn und Donau. Im Norden Bayerns konzentriert sich das Vorkommen auf Mittelfranken und die Oberpfalz. Neu sind die Zuwanderungen in der Rhön in Unterfranken. Über die Flüsse Sinn und Saale werden die braunen Nager über kurz oder lang auch den Main besiedeln können.
Auf rund 3500 Exemplare schätzt das Umweltministerium derzeit die Gesamtpopulation in Bayern. Damit gilt der Biberbestand mehr als gesichert. Fast 300 Biber wurden in Bayern in den letzten Jahren nach Angaben des Bayerischen Umweltministeriums zur Schadensabwehr gefangen, davon 104 im letzten Winter.
Bislang werden sie in anderen europäischen Staaten (Rumänien, Ungarn, Kroatien, Belgien) untergebracht. Doch Bayerns Umweltminister Dr. Werner Schnappauf will auf Dauer andere Mittel der Bestandsregulierung nicht ausschließen.
Bund Naturschutz unter Druck
Der Bund Naturschutz will von solchen Plänen nichts wissen und setzt weiter auf Beratung, Aufklärung und Entschädigung. Angesichts der Schäden vor allem in Niederbayern und der Oberpfalz läuft den Naturschützern freilich die Zeit davon. Darüber hinaus sinkt die Akzeptanz in der Bevölkerung für die Wiedereinbürgerung einst heimischer Tierarten.
Denn gerade bei Dammschäden durch den Biber reagiert die Öffentlichkeit, noch traumatisiert von den Hochwassern der letzten Zeit, sehr sensibel. Einige CSU-Abgeordnete, darunter auch der Präsident des Landesjagdverbandes, Dr. Jürgen Vocke, haben im Bayerischen Landtag inzwischen einen Antrag eingebracht, der im Kern Schadensersatz und Bestandsregulierung fordert. Der Bund Naturschutz reagierte heftig.
Bereits bei den ersten Überlegungen vor zwei Jahren, den Biber eventuell auch durch Abschuss im Bestand zu regulieren, lagen auf den Informationsständen des BN Unterschriftenlisten aus, mit denen sich Besucher gegen eine neuerliche Bejagung des Bibers aussprachen.
Handzettel einer vor kurzem durchgeführten Spendensammelaktion des BN zeigten einen Biber im Fadenkreuz. BJV-Präsident Vocke verurteilte die BN-Aktion als in „höchstem Maße unredlich“. Die Jäger wollten den Biber nicht bejagen, so Vocke. Der BN solle die Suppe, die er sich eingebrockt habe, selber auslöffeln, wetterte der Jäger-Chef.
Noch kein Idealweg gefunden
Auch im „Haus der bayerischen Jäger“, in dem die Wildland-Gesellschaft, eine Tochter des Landesjagdverbandes, ihren Sitz hat, ist man nicht glücklich über diese neue Zwickmühle. Nicht zuletzt haben viele Biotop-Maßnahmen der Wildland an Flüssen und Uferrandstreifen auch dem braunen Nager geholfen, wieder Tritt zu fassen.
Grundeigentümern, Bauern und Politikern will der Landesjagdverband schon irgendwie helfen. Doch „wir sind nicht die Schädlingsbekämpfer der Nation“, erinnern Jäger an die öffentlichen Angriffe, die sie erdulden, seit sie den Fischern Schützenhilfe gegen den Kormoran leisten. Dem Biber gehören immerhin viele Sympathien auch der Jäger.
Mit dem Abschuss einzelner Tiere ist das Problem sowieso nicht gelöst, nur Zeit wäre vielleicht dadurch gewonnen. Wichtig wäre, Auen und Flusslandschaften zu renaturieren und mehr Abstand zwischen landwirtschaftlicher Nutzung und Fließgewässern zu schaffen.
Das sehen Landesentwicklungsprogramm, Regionalpläne und die Landtagsbeschlüsse nach den „Jahrhunderthochwassern“ längst vor. Doch ein raumübergreifendes wasserwirtschaftliches Konzept, das auch großräumige Renaturierungen vorsieht, fehlt im Freistaat.
Entsprechende Strukturmaßnahmen würden eine kostspielige neue Raumordnung in den Hochwassergebieten notwendig machen. Die Sicherung von potentiell gefährdeten Dämmen beispielsweise mit Spundwänden und Gittern würde allein im Landkreis Deggendorf 60 Millionen Mark kosten, errechneten Experten. Die Schäden durch neue Hochwasserkatastrophen lassen sich in ihrer Höhe gar nicht erst berechnen.