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Brücken schaffen

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Es lässt sich nicht leugnen, dass mit dem Rotwild in Deutschland teilweise rüde und rücksichtslos umgegangen wird. In einem Land, in dem für Erdkröten und andere Kleintiere im Frühjahr Straßen gesperrt werden, ist es dringend notwendig, auch beim Rotwild über neue Wege und konsensfähige Konzepte nachzudenken.

 

Das Rotwild in Deutschland wird starke Verbündete brauchen, um der umweltpolitischen Bedeutungslosigkeit entgehen zu können

Die Kategorie „R“ (Extrem seltene Arten und Arten mit geographischer Restriktion) der Roten Liste der gefährdeten Tiere Deutschlands beherbergt Tierarten „mit sehr wenigen, aber stabilen Populationen in Deutschland. Die Vorkommen sind geographisch eng begrenzt, können aber hohe Individuenzahlen aufweisen“. Kriterien also, die im weitesten Sinne auch auf das Rotwild in Deutschland zutreffen. Ist das Rotwild deshalb ein Fall für die Rote Liste? Ich meine: Nein! Und so ist auch der Titel des Rotwild-Symposiums am 31. Mai und 1. Juni „Der Rothirsch – ein Fall für die Rote Liste?“ in Bonn wohl eher symbolisch gemeint.

Rotwild in der Isolation

Dennoch wird es dringend Zeit, sich über eine neue Art des Umgangs mit dem Rotwild ernsthaft Gedanken zu machen und nach Perspektiven und politisch wie praktisch umsetzbaren Lösungen zu suchen. So sind schon heute mindestens 23 der etwa 140 deutschen Rotwildgebiete isoliert. Betrachtet man die fortschreitende Zersiedelung und Zerschneidung unseres Landes, wird schnell deutlich, dass es dabei nicht bleiben wird.

Machen Sie sich einmal die Mühe und schlagen Sie in einem Auto-Atlas die Seite auf, auf der nur die Autobahnen eingezeichnet sind. Sie sehen ein unregelmäßiges Netz, das man auf den üblichen Seiten kaum registriert: Deutschland ist durch insgesamt 11 000 Kilometer Autobahnen – eine Strecke von hier bis Uruguay – in mehr oder minder große beziehungsweise kleine „Gatter“ unterteilt. Sie schränken eine Zu- oder Abwanderung zumindest der Schalenwildarten deutlich ein oder verhindern sie ganz. So genannte Grünbrücken oder Wildbrücken über Autobahnen könnten hier Abhilfe schaffen, doch davon gibt es bislang gerade mal 32, also nur alle 350 Kilometer eine!

Die Isolation der deutschen Rotwildvorkommen wird also allein schon verkehrspolitisch weiter vorangetrieben. Hinzu kommt, dass wir auch jagdpolitisch dazu beitragen: Rotwild beansprucht einen relativ großen Lebensraum, das ist unstrittig. Folglich wird auch akzeptiert, dass eine sachgerechte Hege und Bejagung des Rotwildes nur auf „großer Fläche“ zufriedenstellend durchgeführt werden kann. An diesem Punkt stellt sich aus Sicht der Wildbiologie zwangsläufig die Frage: Was ist großflächig? Bedenkt man, dass nach den Erhebungen von Professor Dr. Christoph Stubbe und seinen Mitarbeitern einzelne Rothirsche in Mecklenburg-Vorpommern zur Brunft vom Darss bis an die Müritz wandern, was einer Luftlinie von etwa 125 Kilometern entspricht, sind die (ursprünglichen) Lebensräume für Rotwildpopulationen offenbar viel größer, als gemeinhin angenommen wird. Wobei diese Frage sicher nicht losgelöst von der jeweiligen Qualität des Lebensraumes und unter Berücksichtigung aller relevanten Einflussfaktoren beantwortet werden kann.

Todesstrafe bei Zuwiderhandlung!

Viel entscheidender ist aber heute die Frage, welche Ausschnitte aus dem Gesamtlebensraum-Angebot wir dem Rotwild zugestehen können oder wollen. Es ist nicht neu, dass kartographische Darstellungen potenzieller Rotwild-Lebensräume mit denen der aktuellen Ausbreitungsgrenzen nicht übereinstimmen. Denn längst darf das Rotwild nicht mehr selbst entscheiden, wo es seine Fährte zieht, wo es durchwandert oder sich verlorenes Terrain zurückerobert und einen Austausch mit anderen Rotwildvorkommen herstellt. Auf eigenmächtige Zuwiderhandlungen kann zumindest in der Jagdzeit die schlimmste aller Strafen stehen – die Todesstrafe!

Seit geraumer Zeit ist die Jagdfläche unseres Landes in so genannte Rotwildgebiete und „rotwildfreie Gebiete“ unterteilt, die Demarkationslinien sind genau festgelegt. Außerhalb dieser ausgewiesenen Rotwildgebiete besteht in fast allen Bundesländern eine Abschusspflicht(!), hier und da mit Ausnahmen für bestimmte Hirsche. Die jeweiligen Texte zu den Rotwildgebieten und zur Hege und Bejagung des Rotwildes in den Landesjagdgesetzen sprechen eine deutliche Sprache. Hier einige Beispiele:

l Jagdreviere, die außerhalb der Rotwildgebiete liegen, sind ohne Abschussplan rotwildfrei zu machen und zu halten (Bayern);

  • Rotwild wird nur innerhalb der Rotwildgebiete gehegt, außerhalb dieser ist es während der Jagdzeit zu erlegen, ausgenommen ein- und doppelseitige Kronenhirsche. Gebietserweiterungen sind grundsätzlich unerwünscht (Hessen);
  • Außerhalb des Rotwildgesamtvorkommens ist der Abschuss allen Rotwildes mit Ausnahme der Kronenhirsche unter Einhaltung der Jagdzeiten anzuordnen (Schleswig-Holstein);
  • Außerhalb der Bewirtschaftungsgebiete auftretendes Rotwild ist unter Einhaltung der Schonzeiten zu erlegen. Hirsche der Klassen I und IIb dürfen nur nach Einzelfreigabe erlegt werden (Sachsen-Anhalt);
  • Außerhalb der Bewirtschaftungsgebiete, also in den Freigebieten, muss alles Rotwild außer den Hirschen unter Einhaltung der Jagdzeiten erlegt werden (Nordrhein-Westfalen);

Harte Bandagen also. Interessant ist hier sicher die bevorzugte Behandlung der Hirsche oder die „Diskriminierung“ des weiblichen Rotwildes und der Kälber. Doch das wäre eine gesonderte Diskussion wert.

Jedem muss klar sein, dass es in unserer dicht besiedelten und intensiv genutzten Kulturlandschaft zu Konflikten zwischen den Lebensraum-Ansprüchen des Wildes und den Nutzungs-Interessen des Menschen kommen muss. Und das erst recht bei einer so großen und in Sozialverbänden lebenden Art wie dem Rotwild. Ebenso klar und vernünftig ist, dass im Zweifel die Interessen des Menschen vorgehen (müssen). Folglich lassen sich die Grenzen der Rotwildgebiete nicht beliebig und wahllos erweitern. Bei keiner heimischen Wildart aber ist die Differenz zwischen der theoretisch möglichen und tatsächlichen Ausbreitung so groß wie beim Rotwild.

Um den üblichen Vorwürfen gleich entgegenzutreten, sei bemerkt, dass es hier nicht um jagdliche Interessen oder flächendeckende und möglichst hohe Rotwildbestände, sondern um das Wildtier-Management geht. Und das ist immer und in erster Linie ein zwischenmenschliches und kein zwischentierisches Problem. Wildtiere managen sich selbst – wenn man sie denn lässt.

Ob das, was dabei rauskommt oder rauskäme, im Sinne und Interesse der Land- und Forstwirtschaft sowie des Natur- und Artenschutzes ist oder wäre, darf bezweifelt werden. Dies gilt auch für die von „Paradies-Ökologen“ noch immer propagierte Selbstregulation diverser Beutegreifer.

Abhilfe durch Wild- oder Grünbrücken?

Beim Rotwild aber stellt sich die Frage, ob es angesichts der drohenden weiteren Isolation zahlreicher Rotwildgebiete nicht endlich Zeit wäre, zumindest in bestimmten Wanderkorridoren die rotwildfreien Gebiete aufzuheben.

So wäre zumindest dort ein Austausch möglich, wo nicht bereits andere Barrieren, wie Autobahnen, dies verhindern. Denn in diesen Fällen können nur verkehrspolitische Maßnahmen, sprich der Bau von so genannten Wild- oder Grünbrücken beziehungsweise Unterführungen Abhilfe schaffen.

Weiterhin geht es um die teilweise (Wieder-) Eröffnung potenzieller Rotwild-Wintereinstände. Telemetrische Untersuchungen, wie zum Beispiel im Harz von Dr. Ulrich Fielitz (Göttingen), zeigen, dass Wanderungen nach der Brunft im November/Dezember vorrangig die tiefer gelegenen Winterfütterungen zum Ziel haben, wo sich das Rotwild dann auf wenigen hundert Hektar konzentriert. Wie lange aber sind die Winterfütterungen politisch noch haltbar? Dass sie unter den gegebenen Verhältnissen sinnvoll sind, steht außer Frage. Doch der Druck durch die Naturschutzverbände und den ÖJV wächst.

Der richtige Weg

Zu Problemen mit Rotwild kommt es eigentlich nur dann, wenn die Beeinflussung der Land- oder in erster Linie der Forstwirtschaft durch das Rotwild ein bestimmtes Maß überschreitet – warum auch immer. Eine Reduzierung des Wildbestandes führt jedoch erwiesenermaßen nicht zwangsläufig auch zur proportionalen Absenkung der Verbissprozente oder der Schälbelastung.

Dennoch steht außer Frage, dass auch künftig die örtlichen beziehungsweise regionalen forst- und landwirtschaftlichen Gegebenheiten und Wirtschaftsformen, die so genannten „landeskulturellen Verhältnisse“, darüber entscheiden werden und müssen, wo Rotwild als Standwild vorkommen und bewirtschaftet werden darf und wo nicht. Wenn man aber auch seitens der politischen Entscheidungsträger Bereitschaft signalisiert, über eine gezielte Lockerung und im Sinne der oben angeführten Korridore über eine teilweise Aufhebung der rotwildfreien Gebiete nachzudenken, ist ein erster Schritt gemacht. Kommt dann noch die eine oder andere Querungshilfe über heute noch unüberwindbare Verkehrstrassen hinzu – was letztlich eine reine Geldfrage ist – kann das Rotwild die weiteren Schritte selbst machen. In seinem Windschatten könnten dann weitere Tierarten folgen.

Dem Rotwild-Symposium vom 30. Mai bis zum 1. Juni in Bonn sei an dieser Stelle ein guter und erfolgreicher Verlauf gewünscht. Die Veranstalter – die Deutsche Wildtier Stiftung (Hamburg) und die Dozentur für Wildökologie der Universität Dresden – sind fraglos auf dem richtigen Weg. Zusammen mit dem Fachgebiet Wildbiologie und Wildtiermanagement der Universität München und unter Mitwirkung des World Wide Fund for Nature (WWF) Deutschland, der Arbeitsgemeinschaft Rotwild Deutschland und des Ökologischen Jagdvereins eröffnen sie eine neue Diskussion um das Rotwild und seinen Lebensraum. Und das Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft ist sicher der geeignete Veranstaltungsort, um die Weichen in die richtige Richtung zu stellen.

Die Zerschneidung unserer Landschaft schreitet unaufhaltsam voran. Immer mehr Wildtierpopulationen werden dadurch getrennt und isoliert

 

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