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Portrait eines Grenzgängers

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Wölfe sind groß, ausdauernd und schnell. Vom Elch bis zum kleinen Insekt steht fast alles auf ihrem Speiseplan. Und seit etwa
zwei Jahren hat sich auch in Deutschland ein Rudel in der
sächsischen Lausitz fest etabliert. Mehr aus dem Leben der Wölfe, über ihre Perspektiven in Deutschland und ihre möglichen
Auswirkungen auf heimische Wildbestände bieten die Beiträge auf den folgenden Seiten.

 

von Prof. Dr. S. Rieger, A. Büchner, B. Stöcker

Wölfe gehören zu den anpassungsfähigsten Arten unter den Säugetieren. Sie leben in tropisch heißen Wüsten bis hin zu eiskalten Polarregionen. Folglich fühlen sie sich auch im gemäßigten Klimabereich recht wohl, und so lebt nun auch seit etwa zwei Jahren wieder ein kleines Rudel in der Lausitz im Osten Sachsens. Doch wie leben Wölfe? Welche besonderen Anpassungen haben sie entwickelt, und welche Überlebensstrategien verfolgen sie?

Extrem starke Wolfsrüden

Der Wolf ist der größte Vertreter aus der Familie der Hundeartigen (Canidae). Er bildet in seinem fast weltweiten Verbreitungsgebiet zahlreiche geografische Rassen, die sich in Größe und Gewicht deutlich voneinander unterscheiden. Die Gewichte nordostpolnischer Wölfe, die auch für mitteleuropäische Verhältnisse typisch sein dürften, betrugen bei Rüden im Mittel um 41 Kilogramm und bei Fähen etwa 32 Kilogramm. Die Kopfrumpflängen liegen über einem Meter. Extrem starke Wolfsrüden können aber auch in Mitteleuropa bis zu 63 Kilogramm schwer und etwa 130 Zentimeter lang werden. Die Farbe ist sehr variabel und reicht von ockergelben und grauen bis hin zu fast schwarzen Farbvarianten. Die Rute ist buschig, meist dicht behaart und zwischen 35 und 50 Zentimeter lang.

Verdrängung durch den Menschen

Der wichtigste Sinn des Wolfes ist der Geruchssinn. Die Fähigkeit zum Wahrnehmen von Gerüchen ist laut Expertenmeinung um etwa das Hundertfache größer als beim Menschen. Bei günstigem Wind kann Beute über eine Entfernung von etwa 2,5 Kilometern wahrgenommen werden. Über das Gehör des Wolfes existieren bis heute keine nennenswerten Untersuchungen. Es ist aber sicher nicht schlechter ausgeprägt, als das unserer Haushunde. Der Gesichtssinn ist offenbar schwächer entwickelt als Gehör und Nase und spielt überwiegend bei der Fortbewegung und wahrscheinlich bei der direkten Überwältigung der Beute eine bedeutende Rolle.

Das frühere europäische Verbreitungsgebiet des Wolfes umfasste eigentlich alle Lebensraumtypen außer die hochalpinen Lagen. Heute kommt der Wolf außerhalb seiner Vorkommen in den GUS-Staaten und Skandinaviens in Europa fast ausschließlich in bewaldeten Berg- und Gebirgsregionen vor.

Im äußersten Norden und Nordosten Europas leben Wölfe im Übergangsbereich von Wald und Tundra oder ausschließlich in der Tundra. Die Vorkommen im europäischen Flachland sind auf große zusammenhängende Sumpf- oder Waldgebiete beschränkt (Polen, Südfinnland, Norwegen, Westliche GUS). Aktuelle Verbreitung und Lebensraumnutzung sind eine direkte Folge der Verdrängung durch den Menschen – etliche potenziell geeignete Regionen sind derzeit wolfsleer. Ein wichtiges Requisit im Lebensraum ist Wasser.

Flexible Beutewahl

Das weltweite Areal des Wolfes ist bei weitem größer als das jedes seiner Beutetiere. Wölfe sind bei der Auswahl ihrer Beute sehr flexibel. Relativ große Huftiere aber machen generell und überall den Großteil der Beutetiere des Wolfes aus. Zu den Huftieren kommen je nach Verfügbarkeit kleine Säugetiere, Fische, Kriech- und Haustiere, Insekten sowie Obst und Früchte.

Und am Ende bleibt der Kopf

Wölfe sind in der Lage über einige Tage zu hungern, können dann aber kurzfristig über zehn Kilogramm Nahrung aufnehmen. Der durchschnittliche Tagesbedarf ist von der Jahreszeit und Körpergröße abhängig und liegt in freier Wildbahn etwa zwischen drei und sieben Kilogramm. Die Beute der Wölfe wird im Regelfall ziemlich vollständig verwertet. Der Zeitrahmen hängt von der Größe des Beutetieres und der Größe sowie dem Hunger des Rudels ab. Übrig bleiben nur ein paar Hautreste, der Kopf und vereinzelte Knochen. Kälber, Kitze und Frischlinge werden meist vollständig gefressen. Ist die Beute leicht erreichbar und im Überfluss vorhanden, kann die Verwertung unvollständig bleiben. Davon profitieren zum Beispiel Raben, Greifvögel, Füchse und Marder.

Nach dem Stillen des Hungers schlafen Wölfe meist – sofern ungestört – einige Stunden, oft in der Nähe des Risses. Hinsichtlich der Aktivität unterscheidet der bekannte amerikanische Wolfsforscher David Mech grundsätzlich zwei Phasen im Jahr, die eng an die Jungenaufzucht gekoppelt sind: die sesshafte Phase, in der die Welpen geboren und aufgezogen werden und die anschließende Wanderphase, in der die Welpen schon so mobil sind, dass sie dem Rudel folgen können.

Finnisches Rudel bricht Rekord

Die sesshafte Phase beginnt kurz vor der Geburt. Die Wölfe halten sich in der Nähe der Höhle auf, und ihr Streifgebiet ist relativ klein. Im Alter von etwa drei Wochen beginnen die Welpen, ihre nähere Umgebung zu erkunden, und mit etwa acht bis zehn Wochen verlassen sie zusammen mit ihren Eltern den Wurfplatz.

Die Wanderphase beginnt im Spätherbst. Die Jungen gehen jetzt mit den Eltern auf Jagd, wozu die Mobilität des gesamten Rudels Voraussetzung ist.

Die Wanderdistanzen der Wölfe sind stark abhängig von der Verfügbarkeit ihrer Beutetiere: In der Tundra Nordamerikas, in der viele Karibus gerissen werden, sind die Wanderungen aufgrund der sehr ungleichmäßigen Verteilung der Beutetiere oft immens. Weiter südlich ist die Verteilung der primären Beutetiere gleichmäßiger – die Wanderungen der Wölfe oft nicht so ausgeprägt. Die pro Tag zurückgelegte durchschnittliche Distanz beträgt etwa 25 Kilometer. Den Rekord hält ein Rudel, dass innerhalb eines Tages in der finnischen Tundra 200 Kilometer zurücklegte.

Nach der Mahlzeit – Ruhephase

Im Sommer ist die Aktivität der Wölfe stark abhängig von den Tagestemperaturen. Um der oft großen Hitze aus dem Weg zu gehen werden die Jagdaktivitäten auf die Dämmerungs- und Nachtstunden verlegt. Im Winter dagegen können Wölfe während der gesamten 24 Stunden aktiv sein und ruhen situationsbedingt von wenigen Minuten bis zu mehreren Stunden. Die ausgeprägtesten Ruhephasen gibt es nach dem Verzehr großer Beutestücke.

Werden auf der Suche nach Beute größere Strecken zurückgelegt, nutzen Wölfe oft die Wechsel anderer Wildtiere, Waldwege, Bahntrassen, oder sie orientieren sich an Flussläufen. Wölfe benutzen oft über Generationen sogenannte Hauptwechsel – Wege die immer wieder benutzt werden.

Geringe Überlebenswahrscheinlichkeit

Höhlen werden an den unterschiedlichsten Plätzen angelegt: In Nordamerika sind es meist Erdhöhlen an sandigen oder trockenen Stellen. Die Höhlen werden entweder selbst gegraben, oder es werden Fremdhöhlen von Dachsen oder Füchsen erweitert. In Polen werden die Höhlen oft unter den reich beasteten Stämmen entwurzelter Fichten angelegt und nur sehr spärlich mit Blättern und Moos gepolstert.

Innerhalb eines Wolfsrudels kommt nur ein Paar zur Fortpflanzung, das so genannte „Alpha-Paar“. Das heißt, die jeweils dominanten Tiere beider Geschlechter paaren sich – dies kann von Jahr zu Jahr zu wechselnden Paarbildungen führen, je nach dem, ob sich die Rangordnung im Laufe des Jahres geändert hat. Ist Beute im Überfluss vorhanden, kommen manchmal auch rangniedere Fähen zur Fortpflanzung. Die Wurfstärken und die Überlebenswahrscheinlichkeiten der Jungtiere sind aber meist gering.

Wölfe werden im Alter von zehn Monaten geschlechtsreif, so dass Fähen bei einer Tragzeit von rund 64 Tagen schon mit zwölf Monaten die ersten Jungen zur Welt bringen können. Diese Berechnung ist jedoch in freier Wildbahn nur von theoretischem Wert, da die Tiere in diesem Alter aufgrund ihrer niedrigen sozialen Stellung kaum zur Fortpflanzung kommen. Eine Fortpflanzung in freier Wildbahn erfolgt frühestens im Alter von zwei Jahren.

Die Ranz fällt in die Zeit von Januar bis März. In Polen fallen die meisten Gehecke von Ende März bis Mai. Ein durchschnittlich starkes Geheck umfasst vier bis sechs Welpen, die sechs bis acht Wochen lang gesäugt werden.

Wahrnehmung der Beute

Die höchste Mortalität liegt wie bei anderen Wildtieren bei den Jungen (Verhungern der Welpen). Bei hohen Wolfsdichten kann es durch Auseinandersetzungen innerhalb eines Rudels oder zwischen benachbarten Rudeln zu tödlichen Verletzungen kommen. Zu Verlusten durch wehrhafte Beutetiere wie starkes Schwarzwild oder Hirsche kommt es nur relativ selten. In Gefangenschaft können Wölfe bis zu 16 Jahre alt werden. In freier Wildbahn liegt das bisher festgestellte Höchstalter bei 13 Jahren.

Die erste Wahrnehmung der Beute erfolgt fast ausschließlich über den Geruch. Dann ist das Anschleichen und eine kurze Verfolgung die Regel. Eine lange Hetze – bis zur Erschöpfung des Beutetieres – ist die Ausnahme. Wölfe arbeiten im Rudel oft mit Hinterhalt oder treiben die Beute aufs Eis, ins Wasser oder in einen Abgrund.

Die überlegte Flucht

Junges Wild fällt den Wölfen vorwiegend zum Opfer. In Bialowieza (Polen) sind dies beim Rotwild bis zu 60 Prozent Kälber und nur wenige alte Hirsche. In den Beskiden (Polen, Slowakei) wurden doppelt so viele Schmal- und Alttiere wie Hirsche zum Opfer der Wölfe. Die Hirsche wurden fast ausschließlich nach der Brunft im Oktober und November gerissen. In den slowakischen Karpaten waren 80 Prozent der erbeuteten Sauen Frischlinge.

So wie der Wolf seine Beute, nimmt auch die Beute den Wolf meist als erstes über den Geruch wahr. Eine der wesentlich Schutzstrategien ist die Bildung größerer schutzbietender Gruppen. Im Winter, wenn für die Beutetiere die Gefahr durch Wölfe besonders hoch ist, bildet zum Beispiel Rotwild deutlich größere Rudel. In Polen wurde beobachtet, dass in Wolfsregionen die Winterrudel größer sind als in wolfsfreien Räumen. Bei etlichen Beutetieren hat man eine Bevorzugung der Überlappungsbereiche von Wolfsterritorien festgestellt. Sie leben dort oft relativ unbehelligt, da die Wolfsrudel diese Räume wegen möglicher Nachbarschaftstreitigkeiten meiden. Die eigentlichen Fluchtreaktionen der Beutetiere sind je nach Art sehr unterschiedlich. Eine frühzeitige Wahrnehmung der Wölfe führt allerdings bei allen Arten zu einer überlegten, keinesfalls aber zu einer kopflosen Flucht.

Wolf und Luchs gehen sich aus dem Weg

Bären sind Wölfen im Normalfall körperlich überlegen. Jungbären können jedoch zur Beute der Wölfe werden. Wölfe und Luchse scheinen sich aus dem Weg zu gehen, während der Fuchs, Marderhund und Haushund zum Beutespektrum des Wolfes gehören.

Das Heulen der Wölfe dient der sozialen Kommunikation und zur territorialen Abgrenzung zum benachbarten Rudel

 

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