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Herrscher der Wälder

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Sein Nahrungsspektrum reicht von der Nuss bis zum Rind. In Deutschland ist er schon längst ausgerottet, in Rumänien gehört er zu denHauptwildarten – mehr über Biologie, Verhalten und Vorkommen des Europäischen Braunbären auf den nächsten Seiten.

 

von Burkhard Stöcker

Der Europäische Braunbär (Ursus arctos) gehört zur gleichen Art wie der Grizzly Nordamerikas und der Kodiakbär Alaskas. Während seine nordamerikanischen Vettern aber Gewichte bis zu 800 Kilogramm erreichen, bringt es der kleine Europäer höchstens auf etwa 400 Kilogramm. Mit einer Schulterhöhe von maximal etwa 140 Zentimetern und einer Kopf-Rumpflänge von höchstens 260 Zentimetern ist er aber dennoch das mit Abstand größte und schwerste Raubtier Europas. Die kleinste und leichteste Form des Braunbären lebt in den Alpen.

Die Fellfarbe variiert von einem fast schwarzen dunkelbraun bis hin zu beige. Bezüglich Gewicht und Größe unterscheiden sich die Geschlechter des Braunbären deutlich voneinander: Die Männchen können bis zu 20 Prozent schwerer und größer werden als die Weibchen.

Ursprünglich war der Braunbär auf dem größten Teil der nördlichen Halbkugel bis an den Polarkreis verbreitet. Durch Lebensraumzerstörung (Waldrodung) und die intensive Verfolgung durch den Menschen büßte er weite Teile seines Verbreitungsgebietes ein. In England starb er bereits im frühen Mittelalter aus. Im deutschen Flachland hielt er sich noch bis ins 16. Jahrhundert. 1770 starb der letzte Bär im Allgäu und 1835 (wahrscheinlich) der letzte freilebende deutsche Bär bei Ruhpolding. In der polnischen Tiefebene überlebte der Bär im äußersten Nordosten bis ins 19. Jahrhundert. Über den aktuellen Status der Bärenbestände in Europa informiert Sie der folgende Beitrag in diesem Heft.

“Auf großem Fuße“

Ein altes indianisches Sprichwort sagt: „Der Adler sieht ein Blatt fallen, der Kojote kann es hören und der Bär kann es riechen.“ Der Geruchs- und Gehörsinn des Braunbären ist hervorragend entwickelt, während das Sehvermögen dagegen abfällt. Die normale Fortbewegung des Sohlengängers ist der Passgang. Braunbären können schnell galoppieren, gut klettern und schwimmen. Besonders erstaunlich ist die enorme Geschwindigkeit, mit der sie zumindest kurzfristig sprinten können: 50 Kilometer pro Stunde wurden bei einem Bären gemessen. Die Vorstellung des „tapsigen Petz“ dürfte damit endgültig passé sein.

Bären leben „auf großem Fuß“ und brauchen große zusammenhängende und möglichst unberührte Landschaften. Zumindest im europäischen Verbreitungsgebiet darf der Wald als wichtigster Lebensraum nicht fehlen. Selbst dort nutzen sie allerdings bevorzugt offenere Bereiche, sofern diese nicht intensiv durch menschliche Aktivitäten beansprucht werden. In den Karpaten zum Beispiel besuchen die Bären häufig offene Almen innerhalb der großen Waldgebiete. Dort stehen reichlich früchtetragende Beersträucher, und eventuell weiden dort auch leicht zu erbeutende Schafe.

Die Streifgebiete der Bären erstrecken sich über viele Quadratkilometer. Männliche Bären beanspruchen in Skandinavien und Kroatien Räume von 126 bis 1600 Quadratkilometer, während die weiblichen Tiere mit 58 bis 225 Quadratkilometern auskommen. Im Alpenraum und in den Pyrenäen aber scheinen die Aktionsräume zum Teil deutlich kleiner zu sein.

Wie viele andere Raubtiere zählt der Braunbär zu den Allesfressern (Generalisten). Dabei ist er nicht wählerisch, sondern die Anpassungsfähigkeit in Person. Mäuse, Käfer, Eier, Honig, Gräser, Getreide, Samen, Beeren, Nüsse, Obst, Aas, Haustiere und Wild – kaum ein „Produkt“, dass sich im Zweifel nicht auf dem Speiseplan des Bären finden ließe.

Der Bär ist jedoch nicht nur Generalist, sondern – vergleichbar mit dem Fuchs – auch Opportunist: Genutzt wird, was leicht erreichbar und mit positiver Energiebilanz zu verwerten ist. Nach der Winterruhe der Bären spielt im Hochgebirge das Fallwild eine große Rolle. Lawinen und Steinschlagtäler werden von den Bären systematisch abgesucht. Über das Jahr gesehen überwiegen jedoch im gesamten Verbreitungsgebiet die pflanzlichen Anteile an der Nahrung der Bären. Im Herbst sind dies vor allem Beeren und Früchte. In Südeuropa Eicheln, Bucheckern, Kastanien und Haselnüsse, während im Norden die Früchte von Zwergsträuchern wie Heidel- oder Preiselbeere bedeutsam sind. Gelegentlich zeigen Bären eine gewisse Vorliebe für „Imkerprodukte“. Dabei haben sie es – je nach individuellen Vorlieben – mal mehr auf den Honig selbst und mal mehr auf die Larven im Bienenstock abgesehen.

Von den Haustieren sind – wie beim Wolf – besonders Schafe gefährdet, wobei die meisten Schafrisse auf das Konto wandernder Jungbären gehen. Ausgewachsenes Wild wird nur relativ selten gerissen. Braunbären sind klassische Einzelgänger die nur durch besondere äußere Umstände zusammenfinden – dies vor allem bei der Nutzung üppiger Nahrungsquellen, wie aufsteigenden Lachsen oder herbstlichen Früchten und Samen. Ersteres gilt für einige Regionen Nordamerikas und Sibiriens, letzteres für einige europäische Populationen. In den rumänischen Karpaten zum Beispiel zählen die Haferfelder im Spätsommer zu diesen Konzentrationspunkten. Die Bären untereinander verhalten sich indifferent oder aggressiv. Weibchen mit Jungbären gehen den Männchen aus dem Weg. Diese versuchen oft, die Jungbären zu töten, da die Bärin dann schneller wieder paarungsbereit ist.

Jungbären zunächst völlig hilflos

In freier Wildbahn werden Braunbären mit etwa vier bis sechs Jahren geschlechtsreif. Die Ranz erfolgt im Frühsommer, meist im Mai oder Juni. Zunächst folgt wie beim Rehwild eine Eiruhe. Das eigentliche embryonale Wachstum beginnt erst ab etwa Ende November und dauert nur sechs bis acht Wochen. Meist im Januar werden im Normalfall zwischen einem und vier Jungbären geboren. Sie sind zunächst völlig hilflos und bleiben bis zu ihrer Selbständigkeit mit etwa eineinhalb oder zweieinhalb Jahren bei der Mutter. Mit vier bis sechs Jahren werfen junge europäische Bärinnen zum ersten Mal und dann im Durchschnitt alle zweieinhalb Jahre.

In Europa– keine nennenswerten Feinde

Die Sterblichkeit kann bei Jungbären in den ersten beiden Lebensjahren bis zu 80 Prozent betragen. Wird die Geschlechtsreife erst erreicht, ist die Überlebenswahrscheinlichkeit sehr hoch. Neben Jagd und Wilderei werden Bären immer häufiger auch Opfer von Verkehrsunfällen. Das in Gefangenschaft bisher festgestellte Höchstalter eines Braunbären liegt bei 47 Jahren. In freier Wildbahn werden nur selten 25 Jahre oder mehr erreicht. Bären erfreuen sich meist guter Gesundheit. Ernsthafte Erkrankungen sind selten. In den Karpaten gab es einzelne Tollwutfälle und aus Alaska wurden an Brucellose oder Toxoplasmose erkrankte Bären gemeldet. In den Karpaten waren bis zu 30 Prozent der Bären mit Trichinen befallen.

Braunbären sind zweimal im Jahr am aktivsten: Einmal vor der Winterruhe – um sich genügend Vorrat anzufressen – und ein Mal nach der Winterruhe, um die aufgebrauchten Energiereserven wieder zu füllen. Die Winterruhe beginnt meist im Spätherbst, wenn die Bären sich genug Feist angefressen haben. Je nach Witterung und Region dauert sie zwischen drei und sieben Monate. Die Bären überwintern in selbstgegrabenen Höhlen oder nutzen – vor allem in Gebirgsregionen – natürliche Felshöhlen und Nischen. Im östlichen Skandinavien graben sie sich in alte Ameisenhügel ein, die offenbar gute thermoregulative Eigenschaften haben.

In einigen südlichen Populationen (Kroatien, Spanien) gibt es Bären, die keine Winterruhe halten. Das Aussetzen der Winterruhe wird häufig dann beobachtet, wenn es zuvor reiche Masten an wichtigen Futterfrüchten wie Eicheln oder Bucheckern gab. Die Aktivitäten im Verlaufe eines Tages sind individuell und je nach äußeren Umständen sehr unterschiedlich – im Mittel fallen die Phasen höchster Aktivität aber in die Morgen- und Abenddämmerung. In sehr ruhigen, ungestörten Lebensräumen sind die Bären auch tagsüber aktiv.

Der Braunbär hat in seinem europäischen Verbreitungsgebiet keine nennenswerten Feinde. In den Karpaten gehen jüngere Bären an den Futterplätzen dem Schwarzwild, besonders Keilern und größeren Rotten aus dem Weg. Alte Bären sind aber gegenüber jeglichem Schwarzwild dominant. Gelegentlich können Bären zur Beute von Wölfen werden und in der Wurfhöhle können Jungbären – wenn auch selten – Füchsen oder Vielfraßen zum Opfer fallen. Im Osten Sibiriens, wo Tiger und Braunbären noch nebeneinander vorkommen, zählen Bären zu den Beutetieren des Tigers.

Allesfresser: Der größte Teil der Bärennahrung besteht aus pflanzlicher Kost, aber auch Wild oder Haustiere werden nicht verschmäht

 

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