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Mit dem Schütz Aug´ in Aug´

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Ein Wilderer-Fall aus Baden-Württemberg:
Unerklärliche Schüsse in der Nacht, Schweiß an einer Kirrung und Schleifspuren im Wald lassen nur einen Schluss zu: Im Revier ist ein Wilderer unterwegs. Das Pikante: Der Wildschütz kennt sich aus und ist offensichtlich zu Fuß unterwegs. Die Jäger sind misstrauisch und bis aufs äußerste gespannt. In einer Sommernacht kommt es mit dem Schwarzgeher zum Zusammentreffen. Heiko Hornung schildert den Fall, der sich vor kurzem in Süddeutschland ereignete. Im Interesse der beteiligten Personen, wurden die Namen von der Redaktion geändert .

 

Der Adrenalinspiegel steigt. Auf einem Speditionsparkplatz treffen Jäger und Wilderer aufeinender. Die Nerven sind zum Zerreißen gespannt

Seit Monaten sind unerklärliche Dinge im Revier B. passiert. Vor Anfang Juli hatten die dortigen Jäger an einer Kirrung eindeutig Schweiß festgestellt. Die benachrichtigte Polizei hatte die Sache aufgenommen, allerdings wurde keine Anzeige erstattet. Außerdem fanden die Jäger Reifenspuren mit eigenartigem Profil. Verschiedene Schüsse in der Nacht konnten nicht zugeordnet werden.

Der Verdacht, dass ein Wilderer im Revier sein Unwesen treibt, lag sehr nahe, aber die Waidmänner konnten sich nicht erklären, wer heute noch so ein Risiko eingeht. Es musste auf jeden Fall ein guter Schütze sein, denn die Sau an der Kirrung lag wohl im Feuer. Zudem musste der Unbekannte über Ortskenntnisse und Passion verfügen, denn die Kirrung lag in einer Dickung ohne Hochsitz, und die Sau war dort nicht einfach zu erlegen. Also ein ehemaliger Mitjäger? Ein Nachbarjäger? Ein schlechtes Gefühl.

Nach einiger Zeit begannen sich die Waidmänner, Nachbarn, Freunde gegenseitig zu verdächtigen. Jagen wurde zur Nervensache. Jederzeit musste jeder damit rechnen, auf den bewaffneten Wilderer zu stoßen und mit ihm in Konflikt zu geraten. Die Kurzwaffe war ein ständiger Begleiter. Beim Pirschen oder auf dem Weg ins Revier fuhr die Angst mit. Eine fast unerträgliche Situation.

Optimales Wetter für die Jagd

Montag, 19. August 2002, zunehmender Mond, 25 Grad warm, geradezu optimales Wetter für die Jagd. Zur Abfahrt gegen 19 Uhr verabredet sich Jagdpächter L. mit seinem Jagdkameraden K.. Auch L.’s jagdbegeisterter zehnjähriger Neffe war mit von der Partie.

Der Bock liegt im Feuer

Um 19.30 Uhr beziehen die Jäger ihre Stände im Revier. K. sitzt an einem cirka 20 Hektar großen Maisacker mitten im Revier. L. selbst entscheidet sich für einen Sitz im Wald. Er hat den kleinen Neffen dabei und will noch etwas blatten! Für den Buben ist es interessant, wenn auf dem Hochsitz etwas passiert. Gegen 21.15 Uhr steht tatsächlich ein Bock auf 40 Meter zu. Das Gehörn ist unter Lauscher, der Bock aber kein Jährling. L. legt an. Der Bock liegt im Feuer. Der Zehn-jährige und der Jagdpächter warten weiter, vielleicht kommen ja noch Sauen. Der Mond hellt auf, es ist klar und hell.

Wer gab den Schuss ab?

22.15 Uhr: Plötzlich ein Schuss. L. vermutet ihn 200 bis 300 Meter westlich. Schweres Kaliber und leichter Kugelschlag. Hat K. am Maisfeld eine Sau geschossen? Rückruf mit dem Handy. K. anwortet: „Ich habe nicht geschossen.“ Folglich muss zwischen K. und dem Jagdpächter noch jemand sitzen. L.’s Bruder S. wollte später noch kommen. Wiederum ein Anruf mit dem Handy. Aber S. sitzt viel weiter weg und kann es also nicht gewesen sein.

Es ist Nichts Verdächtiges auszumachen

22.30 Uhr: Nach kurzer Überlegung baumt L. mit seinem Neffen ab. Mit dem Bock im Schlepptau geht es in Richtung Geländewagen und mit erhöhter Geschwindigkeit Richtung Jagdhaus. Vielleicht hat der Jagdaufseher H. vom Jagdhaus aus auf einen Fuchs geschossen? L. hofft, dass sich die Sache noch aufklärt. Doch am Jagdhaus steht kein Auto und brennt kein Licht. Der Jäger kehrt zurück zum Waldrand. Sucht alles mit dem Glas ab – aber es ist nichts Verdächtiges auszumachen. Jagdkamerad K. hatte am Handy mitgeteilt, dass nach dem Schuss zehn Sauen von Nordosten kommend hochflüchtig an ihm vorbeigewechselt waren. L. folgert, dass nur ein Hochsitz für den verdächtigen Schuss in Frage kommt. In dessen Nähe befindet sich ein großes Speditionslager. Der Parkplatz ist hell erleuchtet. Der Hochsitz, in dessen Nähe der seltsame Schuss fiel, ist vom äußeren Ende des Parkplatzes rund 300 Meter entfernt.

Es könnte brenzlig werden

23.00 Uhr: Es stehen nur noch wenige Fahrzeuge um diese Zeit auf dem Parkplatz. Mit dem Scheinwerfer leuchtet L. die Autos ab. Ganz am Ende des Parkplatzes steht ein neuwertiger Audi-Quattro. Im Auto ist nichts zu erkennen, was auf einen Jäger oder Wilderer schließen lässt. Der Fond ist allerdings abgedeckt. Bevor L. wieder zum Geländewagen zurückgeht, erkennt er hinter dem Fahrersitz eine Schachtel mit dem Aufdruck „Aigle“ – Gummistiefel. Ein Produkt, das bei Jägern verbreitet ist – ein Hinweis? Wieso ganz am Ende des Parkplatzes im Dunkeln? L. beschließt auf den Fahrzeugführer zu warten. Wenn es der Verdächtige sein sollte, müsste er wieder zum Auto zurückkehren, vielleicht mit der Waffe in der Hand? Es könnte brenzlig werden. L. schickt seinen Neffen unverzüglich in Richtung Speditionslager, heraus aus dem Gefahrenbereich. Mit seiner Blaser-Bockbücksflinte Kaliber .308 und 12/70 geht er neben dem Audi in Stellung. Er konzentriert sich hauptsächlich auf den Waldrand und die daneben liegende nicht gemähte Wiese.

Eine prekäre Siuation

23.15 Uhr: Vom Parkplatz des Speditionslagers her nähert sich eine Person und kommt direkt auf L. zu. Sein Adrenalinspiegel steigt. Als die Person cirka 15 bis 20 Meter vor ihm steht, ruft er: „Stehen bleiben! Jagdschutz!“ Vor ihm steht ein 50- bis 55-jähriger Mann in Jagd- oder Wanderbekleidung. Auf die Frage, ob es sich um sein Auto handele, erwidert der Unbekannte empört, was L. überhaupt wolle, er könne doch parken, wo er wolle und er würde jetzt wegfahren. Der Jäger wird unsicher. Hat er einen ahnungslosen Angestellten der Spedition vor sich oder den gesuchten Wilderer? Doch L. bleibt hart obwohl die Situation prekär ist: „Sofort stehen bleiben!“

Nur ein Spaziergang?

23.25 Uhr: Ein Wachmann der Spedition ruft von weitem, was da los sei und kommt näher. Auf L.’s Frage, ob der Wachmann den Herrn in Jägerkleidung kenne, antwortet er: „Nein, der ist über den Damm gelaufen, aus der Richtung vom Wald.“ Zu ihm habe er gesagt, er sei Lastwagenfahrer, aber da stimme doch etwas nicht. Der Jäger wird sicherer und fast nach dieser Aussage die Bockbüchsflinte fester, den Verdächtigen immer im Auge. Mit der Fernbedienung öffnet der Unbekannte sein Auto. Ihm ist anzumerken, dass er nervös wird. Mehrmals nähert er sich seinem Auto. Ob der Verdächtige eine Kurzwaffe trägt, kann L. in der Dunkelheit nicht erkennen. Die Situation ist brenzlig, die Nerven zum Zerreißen gespannt. L. ruft erneut: „Sie bleiben so lange stehen, bis die Polizei eintrifft.“ Der Jäger bittet den Wachmann, über Handy die Polizei zu rufen. Er wählt die 110 und reicht L. das Handy. Die Polizei fordert die persönlichen Daten und eine Schilderung der Situation. Die Polizeibeamten reagieren sofort. Eine Streife meldet sich kurze Zeit später auf dem Handy, sie würden so schnell wie möglich kommen. Im Jagdhaus erreicht L. den Jagdaufseher H.. Kurz darauf trifft dieser mit seinem Lada ein. L. fühlt sich wohler mit der weiteren Schützenhilfe. Darüber hinaus kommt der Jagdkamerad K. über die Straße gelaufen. Der Verdächtige steht immer noch einige Meter von seinem Wagen entfernt und behauptet steif und fest, er sei zwar Jäger, aber er gehe in der Nähe auf die Jagd und hätte noch einen „Spaziergang“ gemacht.

Widerspüchliche Aussagen

24.00 Uhr: Die Polizei trifft ein. Zunächst wird der Verdächtige verständlicherweise mit ein wenig Skepsis befragt. Dann muss er seinen Audi-Quattro öffnen. Hinten, im abgedeckten Fond, befinden sich eine Wildwanne, Wasserkanister, Eimer, Haken, Gurte zum Ziehen der Wildwanne und mehrere andere Gegenstände, die mit der Jagd zu tun haben. Weitere Durchsuchungen des Fahrzeuges folgen. In einer Waffenbesitzkarte sind sechs Langwaffen eingetragen. Darunter ein Blaser-Drilling Kaliber .30R, .22 Hornet, 20/70. Weiter findet die Polizei eine leere Patronenhülse Kaliber .30R. Die Polizeibeamten gehen ruhig und sachlich vor. Der Audi gehört scheinbar einer Bekannten. Seine gesamte Kleidung und Stiefel sind übersät mit Gras und Staub, vermutlich von gedroschenem Stroh. Weiterhin verstrickt sich der Mann immer mehr in Widersprüche. Aber der entscheidende Beweis fehlt. Die Beamten beschließen, mit dem Verdächtigen nach Hause zu fahren, um sich dort die Waffen zeigen zu lassen.

Waffe gefunden – Aufatmen

1.30 Uhr: Die Jäger alarmieren per Handy ihre Nachbarn und weitere Jäger. Sie fassen gemeinsam den Entschluss, mit der Spurensuche nicht bis Tagesanbruch zu warten, sondern sofort zu beginnen. Irgendwo in der Nähe muss noch frisch erlegtes Wild oder eine Waffe versteckt sein. Ähnlich wie bei einer Treibjagd stapfen die Jäger in einer Kette mit Taschenlampen über das Feld. Nach einer Viertelstunde fallen die ersten Lampen aus. Die Akkus sind leer. Nach 20 Minuten ein lautes Rufen durch den Wald: „Waffe gefunden!“ Ein Aufatmen geht durch die Reihen. Die gefundene Langwaffe ist ein neuwertiger Blaser-Drilling .30R, 22 Hornet, 20/70. Er liegt neben einer dicken Eiche. Daneben ein hochwertiges Nachtglas.

Ein aufgebrochener Keiler mit 81

2.30 Uhr: Die Suche geht weiter. Jetzt ist auch die in Nachsuchen erfolgreiche Jagdhündin Erle, ein Großer Münsterländer, im Einsatz. Nach einer halben Stunde Suche sinkt die Hoffnung, noch weitere Spuren zu finden. Auf einmal entdeckt der Bruder von L. im Fernglas einen schwarzen Fleck auf dem frisch gedroschenen Weizenfeld. Es ist ein Keiler, aufgebrochen, mit 81,5 Kilogramm. Offensichtlich wurde er vom 60 Meter entfernten Hochsitz aus erlegt. Erneuter Anruf bei der Polizei.

Über Monate revierübergreifend gejagt

3.30 Uhr: Der Tatverdächtige wird von der Polizei zur Fundstelle der Waffe gebracht. Er räumt nun ein, dass es sich um seine Waffe handelt. Der Drilling ist geladen und entspannt. Die weitere Beweisaufnahme ergibt, dass der Wilderer vermutlich über Monate hinweg revierübergreifend gejagt und eventuell sogar aus dem Auto geschossen hat. Die entsprechenden Reifenspuren des Audi-Quattro entpuppen sich als die Reifenspuren, die seit Wochen in L.’s Revier gefunden wurden.

Guter Ausgang

4.00 Uhr: Der Keiler ist versorgt. Die Jäger sitzen im Jagdhaus beieinander. Alle sind aufgewühlt und froh über den guten Ausgang. Gott sei Dank haben die gegenseitigen Verdächtigungen ein Ende.

Die Wildererwaffe und ein Nachtglas finden die Jäger auf ihrer nächtlichen Suche

 

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