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Wildschaden im Getreide

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Rechnen oder raten?
Wildschaden auf Getreideflächen ist für Pächter mit Rot-, Dam- und Schwarzwild im Revier zur Normalität geworden. Es gehört irgendwie dazu. Aber nicht um jeden und zu jedem Preis.

Wildschaden im Getreide

Hartmut Koch
Aus der langjährigen Arbeit und Sichtweise eines Wildschadenschätzers lassen sich viele interessante Schlüsse ziehen. Der wichtigste dürfte aber wohl sein, dass Gespräche zwischen geschädigten Landwirten und den Jagenden Vertrauen und Akzeptanz schaffen. Im Gegenzug ist in der Praxis oft zu erleben, dass einmal zerstrittene Parteien keinen gemeinsamen Nenner mehr finden. Solche Fälle zu bewerten, ist dann Sache des  Wildschadensschätzers. Ein messbarer Schaden an landwirtschaftlichen Kulturen muss und soll reguliert werden, denn dem Landwirt entstehen Futter- beziehungsweise  Einkommensverluste. Dabei sollten beide Parteien akzeptieren, dass eine Schätzung – wie es das Wort schon sagt – nur bedeutet, sich der Realität anzunähern. Es ist keine Mathematikaufgabe, die sich mit mehreren Stellen nach dem Komma lösen lässt. Deshalb ist es für Jagdpächter immer ratsam, einen geringfügigen Wildschaden mit einer netten Geste abzuhandeln. Kommt ein Schätzer ins Revier, treibt das immer die Kosten in die Höhe.

Für das Vorverfahren in Wild- und Jagdschadenssachen ist die Gemeinde zuständig,
in deren Gebiet das Grundstück liegt, an dem der Schaden entstanden ist. Die Gemeinden berufen ehrenamtliche Sachverständige für Wild- und Jagdschäden. Wird ein solcher Schaden angemeldet, ist ein Ortstermin festzulegen. Bei diesem Treffen ist zunächst festzustellen, ob ein Schaden entstanden und fristgerecht angemeldet worden ist. Die Anmeldefrist bei der Gemeinde beträgt eine Woche nach Kenntnisnahme. Es ist eine Ausschlussfrist und zwingende Vorraussetzung. Das heißt, meldet der Landwirt die Schäden zu spät, nachdem er sie bemerkt hat, verwirkt er seinen Ersatzanspruch. Dabei darf der Schaden nicht älter als einen Monat sein, denn zur Sorgfalt des Landwirtes gehört es, seine
Flächen mindestens monatlich auf Wildschäden zu kontrollieren. Bei fortdauernder
Schädigung ist dieser Vorgang wöchentlich zu wiederholen, damit alte und neue Schäden zu unterscheiden sind. Ist die genaue Höhe erst unmittelbar vor der Ernte festzustellen, wird zunächst die erkennbar geschädigte Fläche zur Beweissicherung festgehalten.Bei kleinen Vorfällen geschieht dies durch Messen mit Maßband, Rolltacho oder Feldzirkel. Bei größeren oder unübersichtlichen „Verwüstungen“ ist eine Vermessung mit GPS (Global Position System) heute keine Ausnahme mehr. Bei allen Messungen sollte aktuelles
Kartenmaterial vorliegen. Zusätzlich helfen Fahrgassen oder Quadrate bei großen Flächen, einen systematischen Überblick zu bekommen. Können sich die Beteiligten nach dem
ersten Ortstermin immer noch nicht einigen, erlässt die Gemeinde einen Vorbescheid.
Dieser stützt sich auf die Schätzung des Sachverständigen. Dessen Ergebnis kann sowohl lauten, dass kein ersatzpflichtiger Schaden entstanden ist, oder ein Ersatzanspruch in Höhe von X Euro vorliegt. Die Gemeinde bestimmt darüber hinaus, welche beteiligte Person die Kosten des Vorverfahrens (Gebühren und Auslagen) zu tragen hat. Gegen den Vorbescheid
steht den Beteiligten die Klage zu.

Der Jagdpächter sollte aus seiner Sicht prüfen, ob ein Mitverschulden des Landwirtes
nach Paragraf 254 BGB vorliegt. Das könnte zum Beispiel der Fall sein, wenn Maiskolben nicht abgesammelt wurden, und das Schwarzwild deswegen die neue Saat umbricht. Ebenfalls fällt ins Gewicht, ob der Jagdpächter überhaupt die Möglichkeit hatte, Schutzvorrichtungen aufzustellen, oder der Landwirt selbige unbrauchbar gemacht hat, weil er mit dem Schlepper durch den Elektrozaun gefahren ist. Man könnte hier noch mehrere Beispiele anführen. Es reicht aber, im Hinterkopf zu haben, dass dem Landwirt eine Schadensminderungspflicht obliegt. Bei der Schätzung der Wildschäden ist die „Richtwerttabelle von Aufwuchsschäden landwirtschaftlicher Kulturpflanzen“ der Landwirtschaftskammer eine gute Hilfe. Jedes Bundesland hat seine eigene Standesvertretung und damit eigene Richtwerte. Die angesetzten Preise dienen der Orientierung. Werden andere Preise nachgewiesen, sind diese zu verwenden. Dies gilt auch
für Zu- und Abschläge bei besonderen Qualitätsmerkmalen der erzeugten Frucht beziehungsweise bei der Erzeugung von Saatgut. Beispiel: Futtergerste wird zu einem
Erzeugerpreis von 11 Euro pro Doppelzentner (dt) inklusive Mehrwertsteuer gehandelt. Bei einem Ertrag von 60 dt/ha würde der geschädigte Quadratmeter 0,07 Euro kosten.
Mathematisch wären es 0,066 Euro. Hier gilt es aufzurunden. Bei einem Ertrag von 80 dz/ha würden 0,09 Euro pro Quadratmeter auf den ersatzpflichtigen Jagdpächter zukommen. Ein weiteres Beispiel: Winterweizen zu einem Erzeugerpreis von 12,75 Euro und bei einem Ertrag von 80 dz/ha ergibt einen Quadratmeterpreis von 0,10 Euro, bei 100
dz/ha sind es 0,13 Euro. Diese Beträge errechnen sich bei einem Schadensvorfall von 100 Prozent und beziehen sich nur auf die eigentliche Feldfrucht, also das Korn. Weitere Kosten des Landwirtes für Strohkauf, Wiederherstellung der Flächen und Ernteerschwernis werden extra berechnet. Die Ermittlung des Ist-Bestandes vor der Ernte ist eine besonders schwierige Aufgabe, bildet aber letztlich die Grundlage für die zu ermittelnden Erträge. Nur ein gewissenhafter Zählvorgang bestimmt den realen Hektar-Ertrag. Dafür werden an verschiedenen Stellen des Flurstücks die Ähren auf einem Quadratmeter gezählt und die durchschnittliche Anzahl ermittelt, zum Beispiel 500 Stück. Weiter wird aus vielen Ähren ein Durchschnittsgewicht einer Ähre festgestellt, beispielsweise zwei Gramm. So ergibt sich ein Hektar-Ertrag von 100 dz. Bei 400 Ähren mit 1,8 Gramm würden es 72 dz/ha sein.

Rechnung: 400 Ähren x 0,0018 kg x 10 000 qm = 7 200 kg/ha bzw. 72 dt/ha Auch ein „Vergleichsdreschen“ ist möglich. Dabei wird ein unbeschadetes Stück des Getreideackers gemäht und das Ergebnis ins Verhältnis zur Fläche gesetzt. Diese Variante ist aber eher die Ausnahme. Die Kosten für den Aufwand stehen in keinem Verhältnis zum Nutzen und weichen nur geringfügig von einer guten Schätzung ab. Bei all den „Rechenspielen“ sollte der Jagdpächter auch immer im Auge behalten, dass er noch lange nicht für jeden Schaden durch Wildtiere haftbar gemacht werden kann. Paragraf 29 des Bundesjagdgesetzes
sagt ganz klar: Ersatzpflicht bei Schäden durch Schalenwild, Kaninchen und Fasanen.
Alles andere fällt heraus. Neben Trittsiegeln und Losung geben uns Fraßbilder gute Aufschlüsse, auch auf Verursacher wie Ratten, Rabenkrähe, Hase oder Dachs. Während die kleineren Arten die Halme nach unten ziehen müssen, um an die Frucht zu kommen,
nimmt das Rotwild beispielsweise nur die Ähren, trampelt aber kaum etwas zu Boden, solange es sich nicht niedertut. In solchen Fällen ist es schon vorgekommen, dass
die fehlenden Ähren exakt gezählt und mit einem Durchschnittsgewicht multipliziert wurden. Der Fotoapparat sollte für den Jäger ein ständiger Begleiter im Revier sein, denn ein besseres Beweismittel gibt es nicht. Bilder können gute oder schlechte Flächen zeigen, Bestandsdichten festhalten sowie Spritz- oder Düngefehler belegen. Auflaufschäden oder
Dürreausfälle können per Kamera ebenso gut bewiesen werden. Sollten Manöver stattfinden oder Kühe, Pferde beziehungsweise Schafe ausgebrochen sein, ist mit einem
Foto die Wildschadensdiskussion meist schnell beendet. Der letzte Sachstand wird kurz vor der Getreideernte ermittelt, da zwischenzeitlich weitere Schäden, wie Hagel oder Überschwemmungen, eine vormals gerechtfertigte Forderung in einen unberechtigten
Anspruch verwandelt. Hierbei spricht man von einem Schaden, der durch ein späteres
Ereignis ohnehin eingetreten wäre.

Jeder Jagdpächter – aber auch Landwirt – ist gut beraten, alle wesentlichen Gegebenheiten im Revier oder besondere Wetterumstände zu notieren. Solche Fakten
erleichtern dem Wildschadenschätzer die Beurteilung des tatsächlichen Schadens sehr. Darüber hinaus dürfte außer Frage stehen, dass derjenige, der mit schriftlichen
Dokumentationen aufwarten kann, im Streitfall immer besser dasteht, als jemand, der die Vorfälle aus der Erinnerung „hervorkramen“ muss. Wenn dann noch Zeugen benannt werden können, hat die „gegnerische“ Partei kaum eine Chance. Bei alledem sollte man nicht vergessen, dass es sich bei Wildschäden durch Schalenwild, Kaninchen und Fasane um berechtigte Ansprüche handelt. Verpflichtet sich der Jagdpächter zur Übernahme der
Wildschäden, darf er sich auch nicht wundern, wenn diese an ihn herangetragen werden. Aussagen, wie „bei so viel Pacht soll ich auch noch Wildschaden bezahlen“, sind völlig fehl am Platz. Wer sich für ein (Hochwild-)Revier entscheidet, muss diese Ausgaben berücksichtigen. Rot-,Dam- und allen voran das Schwarzwild gehen nun mal zu Schaden, das ist nicht zu verhindern. Auf der anderen Seite sollten Landwirte auch nicht jeden geknickten Getreidestängel gleich zum Anlass nehmen, einen Wildschaden anzumelden. Die allgemein übliche „Geringfügigkeitsgrenze“ liegt bei 25 Euro. Das Thema Wildschaden unterliegt in der letzten Zeit einem Wandel. Die Schaffung von Biogasanlagen wird in vielen Gegenden und Regionen dem Mais zu neuen Dimensionen verhelfen. Bei so viel Deckung werden aus langjährigen Niederwildrevieren durch Zuwanderung von Schwarzwild Hochwildreviere – mit den entsprechenden Problemen. Es beginnt oftmals ein Lernprozess für Jäger mit wenig Sauenerfahrung. Aber auch Landwirte und Jagdgenossenschaften entdecken das Kapitel „Wildschaden“ und wundern sich, warum es in ihren Pachtverträgen noch nicht Einzug gehalten hat. Für Wildschaden müssen nämlich laut Bundesjagdgesetz die Jagdgenossenschaften gerade stehen, auch wenn dies in der Praxis kaum noch üblich
ist. Aber genau die Vorgehensweise, den Jagdpächter in die volle Ersatzpflicht zu nehmen, führte in manchen Gegenden Deutschlands dazu, dass Reviere nicht mehr zu verpachten sind. Jagdaufseher müssen gegen Entgelt bestellt werden, und der Schaden geht voll zu Lasten der Genossen, die im Einzelfall selbst die geschädigten Landwirte sein dürften. Bei solchen Konstellationen braucht es auch keinen Wildschadensschätzer mehr.
Muss zwischen dem verpachtenden Bauern und dem Jagdpächter ein Konsens her, haben landwirtschaftlich vorgebildete Schätzer die beste Voraussetzung, als Schlichter vor Ort aufzutreten, ähnlich einem Schiedsmann. Nur zwei Prozent der vom Schätzer ermittelten Wildschäden landen heute vor Gericht. Ein Schätzer wird immer bestrebt sein, Einvernehmen zu erzielen, denn „die Kirche soll schließlich im Dorfe bleiben“.

Kein Wildschadensersatz, wenn:
• der Schaden nicht von Schalenwild, Wildkaninchen oder Fasanen stammt;
• der Schaden nicht an Pflanzen, Früchten oder der Substanz des Grundstücks (Boden) entstanden ist;
• der Schaden von ausgebrochenem Gehegewild stammt und dieses noch in fremdem Eigentum steht;
• der Schaden in befriedeten Bezirken eingetreten ist;
• der Schaden an einem anderen Rechtsgut eingetreten ist (Folgeschaden, z. B. Beinbruch infolge Kaninchenbaus);
• der Schaden durch Wiederanbau im gleichen Wirtschaftsjahr hätte ausgeglichen werden können;
• der Schaden an bereits eingeernteten Früchten entstanden ist (z. B. Kartoffeln in Miete, Heustadel);
• der Schaden durch ein späteres Ereignis ohnehin eingetreten wäre (z. B. durch Überschwemmung, Hagel o. ä.);
• der Geschädigte Verhütungsmaßnahmen des Pächters (z. B. Elektrozaun) unwirksam gemacht oder ohne triftigen Grund untersagt hat und dadurch der Schaden eingetreten ist;
• der Geschädigte den Schaden nicht rechtzeitig angemeldet hat (eine Woche ab Kenntnis oder Kennenmüssen, monatliche Kontrollpflicht);
• der Geschädigte bei Sonderanpflanzungen die üblichen Schutzvorrichtungen (Drahtgeflechtzäune) nicht erstellt oder nicht instand gehalten hat.


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