Üppigen Masten folgen Wiesenschäden auf dem Fuße. Proteinhaltige Futtermittel könnten die Sauen von potenziellen Schadflächen fernhalten. Norbert Happ berichtet von erfolgreichen „Ablenkungsmanövern“ und wagt einen provokanten Ausblick.
Foto: Wolfgang Radenbach |
Die Blüte von Buche und Eiche ließ ahnen, was zu erwarten war: Warme Frühjahre mit zeitigem Vegetationsbeginn und kaum Spätfrost, Abnahme der Schadinsekten und hoher Nährstoffeintrag führen zu häufigen und üppigen Masten. In diesem Jagdjahr kann man vielerorts von einer „Jahrhundertmast“ sprechen. Im indirekten Gefolge steigen die Schwarzwildbestände, im unmittelbaren die Wiesenschäden.
Bei intensiver Aufnahme von Baumfrüchten und viel Mais steigt der Bedarf der Sauen an tierischem Eiweiß exponentiell. Um ihn zu decken, brechen sie im Grünland nach Würmern, Insektenlarven und Mäusen und richten Schäden an, die weder nach Ort noch Ausmaß vorhersehbar sind. Man kann die Flächen kaum technisch schützen und auch jagdlich nicht ausreichend observieren. Sofort mit dem Einsetzen des Fruchtabfalls beginnt das Brechen im Grünland, von den Wegebanketten im Wald bis hin zu Futterwiesen und besonders Weiden, im vergangenen Jahr bereits ab Mitte August.
Nach tierischem Eiweiß suchend, zieht diese Sau über den Acker. Foto: Jaroslav Vogeltanz |
Gegen Schäden am Getreide empfehle ich seit 40 Jahren die gezielte Ablenkungsfütterung der Sauen im Wald, jedoch nur in der Zeit akuter Feldgefährdung. Das bedeutet: wenig Futter, viel Beschäftigung bei der Aufnahme, Mais nur als Ausnahme; stattdessen Abfallgetreide, pünktliche und verlässliche Ausbringung und absolute Jagdruhe in einem Umkreis von mindestens 500 Metern um die genehmigte Ablenkungsfütterung. Das Aufbauen und Erhalten intakter Rottenstrukturen sind die wichtigste Grundvoraussetzung.
Einige Jahrzehnte lang habe ich in meinem Forstrevier mehrere Ablenkfütterungen mit positiven Ergebnissen betrieben. Bei geringem Kosten-, allerdings großem persönlichen Freizeitaufwand, blieben die Sauen den Sommer über meist im Wald, wo wir sie später mit unseren Feldnachbarn zusammen bejagten. Mit zunehmendem Maisanbau, steigenden Beständen und abnehmender Neigung, etwas für die Sauen im Wald zu tun, wird es deutlich schwieriger.
Mit Grünlandschäden wurde ich vornehmlich bei Vortragsreisen in Mittelgebirgsregionen konfrontiert, das vor allem natürlich nach Mastjahren und dort, wo intensiv Mais gefüttert wurde. Eichel, Buchecker und Mais sind reich an Kohlehydraten, aber proteinarm. Anfang der 1990er Jahre kam mir die Idee, den erhöhten Bedarf der Sauen an tierischem Eiweiß über ein entsprechend konzipiertes Futter zu decken.
Dr. Wilhelm Hartfiel, emeritierter Professor für Tierernährungs- und Futtermittelkunde an der Friedrich-Wilhelm-Universität in Bonn, nahm den Gedanken auf und entwickelte ein spezielles Schwarzwildfutter. Es kam unter dem geschützten Namen „Ah-Ha“ auf den Markt und wurde in vielen Revieren erfolgreich eingesetzt. Ein zusätzlicher Fütterungseffekt und damit Vermehrungsanschub war wegen des Einsatzes in einer Zeit unbegrenzter Verfügbarkeit an Waldmast nicht zu erwarten. Zwischen 100 und 200 Gramm Futter pro Tag und Stück Schwarzwild reichten für ein wirksames Ablenken aus und brachten durch die besondere Zusammensetzung keinen zusätzlichen Energieeintrag.
Bevor das Spezialfutter zum Einsatz kam, habe ich die Annahme bei einer großen Rotte erprobt, mit der ich Jahrzehnte berührungsvertraut war. Nach wenigen Tagen wurde „Ah-Ha“ dem Körnermais, den sie bei mir allerdings nur selten bekamen, vorgezogen und auch bei Eichel- und Eckernfall gut angenommen, wenn die normale Ablenkungsfütterung ohnehin eingestellt und auch nicht mehr aufgesucht wurde. Ah-Ha wurde zwischen 1993 und 1996 in zwei Revieren mit Berufsjägerbetreuung getestet: im Oberweseler Hochwald-Laudert (Hunsrück, Rheinland-Pfalz) mit 800 Hektar und im Revier Dülmen-Buldern (Münsterland, Nordrhein-Westfalen) mit rund 300 Hektar. Es kamen hängende Futterautomaten nach Oberförster Schneider zum Einsatz.
Wurden Sauen mit speziell entwickelten Eiweißpellets gefüttert, gingen Wiesenschäden zurück. Foto: Norbert Happ |
Im Hunsrück wurden vier Untersuchungsfütterungen mit einer Mischung aus je 50 Prozent Mais und „Ah-Ha“-Pellets beschickt. Zunächst blieb das fremde Futter unberührt, ab dem elften Tag hatte das Schwarzwild alle Fütterungen angenommen. Danach wurden die Behälter nur noch mit den Pellets befüllt, zum Vergleich aber auch Mais offen gereicht. Im Verlauf des fast dreijährigen Versuchs zeigte sich, dass die Sauen „Ah-Ha“ dem Körnermais eindeutig vorzogen.
Um zu testen, ob die Pellets auch von anderen Schalenwildarten aufgenommen würden, kam das „Ah-Ha“-Futter in offenen Trögen sowohl an Rotwildfütterungen als auch in den Tageseinständen zum Einsatz. Weder Rot-, Muffel- noch Rehwild nahmen die Pellets an. Nur der Carnivore Fuchs fraß hin und wieder Pellets aus den Trögen.
Lag die Höhe der Wiesenschäden im Jahr vor der Ablenkfütterung noch bei 13 000 Mark, sank sie in den beiden Jahren danach gegen Null. Kleinere Schäden – in einem Jahr wohl ausgelöst durch das kurzfristige Verlegen einer Fütterung – konnten in Eigenleistung beseitigt werden. Der Versuch im Münsterland wurde von der Forschungsstelle für Jagdkunde und Wildschadensverhütung des Landes Nordrhein-Westfalen in Bonn betreut. Die Eingewöhnungsphase war schwieriger als im Hunsrück, da dem Schwarzwild bei Beginn bereits eine üppige Eichelmast zur Verfügung stand. Mit nachlassendem Mastangebot stieg die Akzeptanz der Pellets. Lediglich während der Milchreife des Getreides ging später das Interesse der Sauen vorübergehend leicht zurück.
Auch im münsterländischen Revier wurde „Ah-Ha“ dem Mais vorgezogen. Schäden traten auf den fast 60 Hektar Grünlandflächen nur während des Eichelfalls auf, waren aber viel geringer als vor dem Futterversuch und konnten ebenfalls in Eigenleistung beseitigt werden. Es gab keine Annahme der Pellets durch anderes Schalenwild, daher mussten die Fütterungen nicht abgesichert werden.
Grünlandschäden entstehen also bei der Suche der Sauen nach tierischem Eiweiß mit hohem Gehalt an lebenswichtigen Aminosäuren, insbesondere Methionin und Lysin. Diese Stoffe können nicht vom Schwarzwildorganismus gebildet werden und sind in pflanzlichen Proteinen von Mais und übrigem Getreide wesentlich weniger enthalten als in tierischen. Bietet man den Sauen durch die „Ah-Ha“-Pellets mit ihrem hohen Anteil an Rohproteinen lebenswichtige Aminosäuren an, brechen sie erheblich weniger auf Grünlandflächen, Schäden können so verhindert oder deutlich gemindert werden.
Aus vielen Revieren, in denen „Ah-Ha“-Pellets verfüttert wurden, erhielt ich ausnahmslos entsprechende Meldungen. Besonders haben sich die Futterautomaten „WiBA“ nach Oberförster Winfried Schneider, Kempenich (Rheinland-Pfalz) bewährt. Man kann die Futtergaben genau dosieren, und die Sauen lernen die Bedienung rasch. Da Schwarzwild an Ablenkungsfütterungen Territorialverhalten zeigt, erreicht man fast nur Rotten, deren Vorhandensein und Erhaltung nur durch wildbiologisch richtige und konsequente Bejagung sichergestellt werden kann.
Infolge der BSE-Erkrankungen bei Rindern wurde 2001 per Verordnung das Verfüttern proteinhaltiger Futtermittel stark eingeschränkt (siehe Kasten S. 39). Nach dem Rückgang der BSE-Fälle europaweit ist in Deutschland seit 2010 kein Fall mehr nachgewiesen worden. Wäre es da nicht an der Zeit, wieder über den Einsatz von speziellem Schwarzwildfutter an Ablenkungsfütterungen und über Möglichkeiten im gesetzlichen Rahmen nachzudenken? Es könnte tierisches Eiweiß verwendet werden, das als Nebenprodukt von Schlachttieren anfällt, die als tauglich für den menschlichen Verzehr eingestuft wurden. Fette solcher Tiere wurden bereits 2009 als Futterkomponente wieder zugelassen.
Schwarzwild braucht Fraß und Deckung. Beides findet es in Wald und Feld heute mehr denn je. Die Sauen sind die großen Gewinner der Klimaveränderung, häufiger Masten und großflächiger Landbewirtschaftung. Mit dem Modellvorhaben „Schwarzwildbewirtschaftung in der Agrarlandschaft“ wurde unter Federführung des Deutschen Jagdschutzverbandes von 2008 bis 2010 in sechs Bundesländern unter anderem untersucht, wie man große Feldschläge zur besseren Bejagbarkeit gliedern kann (siehe auch WuH 6/2011, S. 34).
In Jahren mit üppiger Mast gehen die Schwarzkittel auf Grünflächen besonders zu Schaden. Foto: Archiv |
Initiiert und finanziert wurde der Versuch vom Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz in Partnerschaft mit dem Deutschen Bauernverband. Es sollte auf die Untersuchung von Ablenkungsfütterungen ausgedehnt werden. Insgesamt lässt das Modellvorhaben jedenfalls eine Hoffnung auf die Erkenntnis zu, dass man Bauern und Jäger mit dem Schwarzwildproblem nicht allein lassen kann, sondern dass die gesamte Gesellschaft die Folgen rigoroser Erzeugung von Nahrung und Energie auf der Ackerfläche als deren Nutznießer mittragen muss.
Dazu gehören eindeutig alle vertretbaren Maßnahmen zur Vermeidung von Schwarzwildschäden an Ackerpflanzen und auch auf Grünland. Im Wald können Wiesen mit hohem Kleeanteil und interessante Wildäcker eine wichtige Rolle spielen, sofern dort Jagdruhe herrscht. Werden zusätzlich Ablenkungsfütterungen unterhalten und mit Futtermitteln beschickt, die für das Schwarzwild zum jeweiligen Zeitpunkt notwendig und attraktiv sind, ist diese Kombination besonders effektiv.
Anlage, Standort und Futter müssen aber unbedingt legal sein. Die Beschäftigung des Schwarzwildes ist dabei viel wichtiger als die Futtermenge, da die Sauen sich zu der Zeit, in der es ihrer Ablenkung bedarf, ohnehin satt fressen. Es fragt sich nur, wo sie das tun – auf landwirtschaftlichen Nutzflächen oder, vom Jäger gelenkt, auf geeigneten Flächen und an vernünftigen Fütterungen.
Weitere Informationen:
- Lesen Sie hier ein Interview zum Thema: Ersatz für tierische Proteine
- Hier finden Sie einen Kommentar des Rechtsexperten Mark G. von Pückler über die Gesetzeslage zur Fütterung von Proteinen