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Kastration bei Hunden – Unten ohne

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„Kastrierte Hunde sind friedlich, aber werden faul und dick.“ Solche Klischees sind weit verbreitet. Tierärztin Heike Hesse und Thomas Fuchs erläutern die Vor- und Nachteile einer Kastration und welche Risiken damit verbunden sein können.

Titelbild
Foto: Thomas Fuchs
Gesellschaftsjagd. Am Sammelplatz geraten zwei Rüden aneinander. Im Nu fliegen die Fetzen und nur durch beherztes Zupacken können die Streithähne voneinander getrennt werden. Ganz klar – ein Hund, der auf seine Artgenossen und Jagdgefährten losgeht, hat auf einer Gesellschaftsjagd nichts zu suchen. „Kastrier‘ ihn doch – dann wird er friedlicher!“, lautet darum oft der Rat von Mitjägern.
Weit weniger bekannt ist aber, dass sich durch eine Kastration lediglich jenes Verhalten ändert, das mit den Geschlechtshormonen in Verbindung steht, erlerntes Verhalten jedoch nicht! Das bedeutet: Aggressivität eines Rüden gegen andere Artgenossen kann sich durch eine Kastration zwar ändern – muss es aber nicht! Konkret: Ein Rüde mit Erziehungsdefiziten, territorialer Aggression oder Futterneid wird auch nach einer Kastration weiterhin Probleme verursachen.
Das deutsche Tierschutzgesetz erlaubt die Kastration, soweit es sich um vom Menschen gehaltene Tiere handelt und deren unkontrollierte Fortpflanzung verhindert werden soll. Durch sie werden die Keimdrüsen des Hundes operativ entfernt. Beim Rüden sind dies die Hoden, bei der Hündin die Eierstöcke und meist auch die Gebärmutter. Unwiderruflich macht das einen Hund unfruchtbar.
Eine kastrierte Hündin wird nicht mehr läufig und zieht entsprechend auch keine Rüden mehr an. Gleichzeitig werden Scheinträchtigkeiten eliminiert. Weil die Keimdrüsen fehlen, werden außer in der Nebenniere keine Sexualhormone mehr gebildet. Entsprechend kann ein kastrierter Rüde keine Hündinnen mehr belegen. Zudem werden alle Verhaltensweisen des Rüden unterbunden, die von den Androgenen (Sexualhormonen) gesteuert werden. Vorausgesetzt, dass sich bei ihm die vom Geschlechtstrieb gelenkten Verhaltensmuster, wie Dominanzverhalten gegenüber anderen Hunden oder exzessives Markieren, noch nicht manifestiert haben.
Ein in jungem Alter kastrierter Rüde wird deshalb in aller Regel nicht jaulen und bellen, wenn in der Nachbarschaft eine Hündin läufig ist. Er wird auch nicht versuchen, das Grundstück zu verlassen, um zu ihr zu gelangen. Hat er durch den Geschlechtstrieb motivierte Aggressionen gegen andere Rüden gezeigt, können sie sich abschwächen. Hat sich jedoch bei ihm das vom Geschlechtstrieb ausgelöste Verhalten verfestigt, oder hat er bereits gedeckt, kann dies ganz anders aussehen. Die Kastration eines Rüden aus der Motivation, solche vorhandenen biologischen Verhaltensmuster zu verändern, ist darum wenig sinnvoll.


Kastration
oben: Die Kastration empfiehlt sich bei fehlenden Hoden (Kryptorchismus) …unten: … oder bei Rüden, die sich regelmäßig den Hodensack aufscheuern, wie dieser Magyar Vizsla.
Für eine Kastration sprechen vor allem medizinische Gründe. Unbedingt zu empfehlen ist sie bei sogenannten Monorchisten oder Kryptorchisten. Bei ihnen sind ein oder beide Hoden im Leistenkanal oder im Bauch verborgen. Grund für die Empfehlung: Der verborgene zweite Hoden ist aufgrund seiner Lage innerhalb des Körpers einer höheren Temperatur ausgesetzt. Dadurch neigt er vermehrt zu Krebs. Bei Kryptorchisten dient die Kastration darum der Krebsvorsorge. Rüden mit Kryptorchismus sollten sich außerdem auch deshalb keinesfalls fortpflanzen, da sie die Anlage des gestörten Hodenabstiegs weitervererben.
Des Weiteren kann eine Kastration bei Rüden sinnvoll sein, die oft im Jagdeinsatz stehen und dazu neigen, sich regelmäßig den Hodensack aufzuscheuern. Viele Jäger glauben heute noch, dass Rüden kastriert und Hündinnen lediglich sterilisiert würden. Das stimmt so nicht. Eine Sterilisation bedeutet, dass die Eileiter abgebunden oder durchtrennt werden, beziehungsweise dass ein Stück davon entfernt wird. Um eine Eileiterschwangerschaft zu verhindern, wird zudem oft der Ansatz der Tuben an die Gebärmutter verödet. Doch üblicherweise werden Hündinnen kastriert. Auf diese Weise wird bestimmten Tumorarten (Gesäugetumoren) und Gebärmutterentzündungen vorgebeugt.
Hierzu muss aber festgestellt werden, dass Gesäugetumoren nur dann verhindert werden, wenn die Hündin vor der ersten Läufigkeit kastriert wird. Eine Kastration zu diesem frühen Zeitpunkt verringert das Risiko auf ein Minimum, wohingegen eine Kastration nach der zweiten Läufigkeit das Risiko, an Mammakarzinomen zu erkranken, nicht mehr nennenswert senkt. Zudem scheinen Hunde, die vor dem Einsetzen der Geschlechtsreife
Gebärmutterentzündung oder wenn die Gebärmutter oder das Gesäuge von Krebs befallen sind.
Bei einer Erkrankung mit Diabetes mellitus ist der Eingriff bei der Hündin ein wichtiger Bestandteil der Therapie. Statistisch wird die Lebenserwartung einer Hündin durch eine Kastration um etwa ein Jahr gesteigert. Dies klingt grundsätzlich positiv. Aber Vorsicht, es gibt auch Risiken.

 


Friedliche Hunde
Hunde friedlich an der Strecke: Kastration ist kein Garant für solch ein Bild.
Eine Kastration ist immer ein operativer Eingriff mit Narkose und einer für den Hund unangenehmen Genesungszeit. Sie greift in den natürlichen Hormonhaushalt des Körpers ein. Dadurch verändert sich der Stoffwechsel. Dies kann soweit gehen, dass ein kastrierter Hund schneller zunimmt und Verhaltensänderungen zeigt, indem er träge wird und schneller ermüdet. Möglicherweise verändert sich das kastriert werden, im Vergleich zu später kastrierten Vierläufern eine geringere Neigung zu Übergewicht zu haben.
Eine zu frühe Kastration birgt aber auch Nachteile. Denn vor der ersten Läufigkeit sind die Hunde weder körperlich noch geistig voll ausgereift. Die Kastration stoppt oder stört zumindest den Reifeprozess. Die Folgen: Frühkastrierte Hündinnen sind oft kleiner und bleiben geistig auf dem Niveau eines Junghundes stehen. Fachleute nennen dieses Phänomen Neotenie (Kindbleibung).
In den USA ist dies sogar derart beliebt, dass Hunde dort speziell wegen dieser Begleiterscheinung kastriert werden. In Europa hingegen hat sich die Frühkastration bisher nicht flächendeckend durchgesetzt. Unbedingt zu empfehlen ist die Kastration einer Hündin im Fall einer Gebärmutterentzündung oder wenn die Gebärmutter oder das Gesäuge von Krebs befallen sind. Bei einer Erkrankung mit Diabetes mellitus ist der Eingriff bei der Hündin ein wichtiger Bestandteil der Therapie. Statistisch wird die Lebenserwartung einer Hündin durch eine Kastration um etwa ein Jahr gesteigert. Dies klingt grundsätzlich positiv. Aber Vorsicht, es gibt auch Risiken.
Eine Kastration ist immer ein operativer Eingriff mit Narkose und einer für den Hund unangenehmen Genesungszeit. Sie greift in den natürlichen Hormonhaushalt des Körpers ein. Dadurch verändert sich der Stoffwechsel. Dies kann soweit gehen, dass ein kastrierter Hund schneller zunimmt und Verhaltensänderungen zeigt, indem er träge wird und schneller ermüdet. Möglicherweise verändert sich das Haarkleid. Dies ist vor allem bei stockoder langhaarigen Hunden verbreitet.
Kastrierte Hündinnen leiden zudem häufiger unter Inkontinenz. Bei einem Körpergewicht von unter 20 Kilogramm ist dieses Risiko um etwa 10 Prozent höher als bei der intakten Hündin. Bei mehr als 20 Kilogramm Körpergewicht ist es um 30 Prozent gesteigert. Ebenfalls negativ wirkt sich eine Kastration auf das Auftreten von Herztumoren aus. Das Risiko der Hündin steigt um das 4-fache an, beim Rüden um das 1,6-fache. Auch scheint Krebs der Milz häufiger aufzutreten. Dies gilt auch für Knochenkrebs. Er tritt bei kastrierten Hunden doppelt so häufig auf wie bei intakten. Hier scheint das Risiko jedoch mit dem Zeitpunkt der Kastration zusammenzuhängen: Je jünger die Tiere zum Zeitpunkt der Kastration, desto größer das Risiko.
Darüber hinaus scheint die Kastration bei Rüde und Hündin vermehrt Kreuzbandrisse nach sich zu ziehen. Intakte  Hunde sind demnach nur halb so oft betroffenwie kastrierte. Entscheidend ist das Alter zum Zeitpunkt der Kastration auch für das Knochenwachstum. Eine Kastration vor der Pubertät verzögert denFugenschluss und kann besonders beim Rüden einen dysproportionierten Hochwuchs entwickeln. Auch das Auftreten von Hüftgelenksdysplasie (HD) ist bei Hunden erhöht, die vor dem sechsten Monat kastriert werden.

 


Doppelbild
links: Werden Hunde zu früh kastriert, besteht ein erhöhtes Risiko für Gelenkerkrankungen, wie Hüftgelenksdysplasie und Kreuzbandrisse. rechts: Hunde, die nach dem Einsetzen der Geschlechtsreife kastriert werden, scheinen eine höhere Neigung zu Übergewicht zu haben, wie dieser Wachtelhund.
Kastrierte Rüden erkranken dreimal häufiger an einer tumorösen Entartung der Prostata. Dem steht entgegen, dass eine Kastration Rüden offenbar vor der Entstehung von sogenannten Perinealadenomen (Tumore in der Afterregion) schützt. Sie gehen oft mit Tumoren im Bindegewebe der Hoden einher – in den sogenannten Leydig’schen Zwischenzellen.
Solche Tumore treten vor allem bei unkastrierten älteren Rüden auf. Weit verbreitet ist bei Rüden der sogenannte Präputialkatarrh. Dabei läuft ein schleimig trübes, weiß-gelbliches Sekret aus der Vorhautöffnung ab. Das Sekret wird von Drüsen im inneren Vorhautblatt produziert. Bei vielen Rüden geht nach einer Kastration die Sekretbildung deutlich zurück – allerdings nicht bei allen.
Wer sich für die Kastration seines Vierläufers entscheidet, kann heute zwischen der klassischen chirurgischen Kastration (Operation) und einer medikamentösen Kastration wählen. Bei der zweiten Variante wird dem Rüden mit einer Kanüle ein Implantat unter die Nackenhaut eingesetzt – ähnlich dem Mikrochip zur Kennzeichnung. Das geht sehr schnell, tut nicht weh und erfordert keine Narkose. Der Chip enthält Deslorelin und gibt diesen Wirkstoff über

 


Vor- und Nachteile

Unterschied Kastration und Sterilisation

Bei einer Sterilisation werden beim Rüden nur Samenstrang und bei der Hündin die Eileiter durchtrennt. Im Gegensatz zur Kastration bleiben die Keimdrüsen erhalten. Sterilisierte Hunde können sich nicht mehr fortpflanzen, ihre Sexualhormone werden jedoch weiterhin gebildet.
Außer dem Beenden der Fruchtbarkeit hat eine Sterilisation darum keinen Einfluss auf das Verhalten oder die Körperentwicklung. Besonders bei der Hündin ist eine Sterilisation nicht zu empfehlen, weil solche Hündinnen  vermehrt zu Erkrankungen, wie der eitrigen Gebärmutterentzündung(Pyometra), Gebärmutterkrebs oder glandulär- zystischer Hyperplasie des Endometriums neigen – einer krankhaften Verdickung der Gebärmutterschleimhaut.

 


Doppelbild
links: Bei dieser Jack-Russell-Terrier-Hündin wurde ein Gesäugetumor diagnostiziert. In einem solchen Fall empfiehlt sich die Kastration.rechts: Präputialkatarrh bei einem Deutschen Jagdterrier: Bei vielen Rüden verschwindet der eitrige Ausfluss nach der Kastration. Aber nicht bei allen.
Der Vorteil: Die Wirkung ist nur vorübergehend, und ein Hundeführer kann testen, ob unerwünschte Verhaltensweisen seines Hundes hormonell bedingt sind und durch eine Kastration verschwinden würden. Außerdem bietet sich der Chip für ältere oder herzkranke Vierläufer an, bei denen eine Operation unter
Narkose nicht mehr infrage kommt. Nach circa sechs Monaten ist der Wirkstoff verbraucht und die Hoden nehmen die Testosteron- und Spermienproduktion wieder auf. Studien zufolge hat sich nach einem weiteren halben Jahr der Testosteronspiegel bei 80 Prozent der Hunde wieder normalisiert.
Bei Hunden mit einem Körpergewicht von weniger als zehn Kilo hält die Wirkung länger an. Ob Rüden zu 100 Prozent wieder zeugungsfähig werden, ist bisher nicht untersucht. Bei Zuchtrüden sollte der Chip deshalb besser nicht angewendet werden. Ebenso sollte er nicht gleichzeitig mit einer Impfung implantiert werden und auch nicht bei Kryptorchismus, Hoden- und Prostatatumoren sowie Perianalhernien.

 


Alternative
Alternative zur Operation: Chips, die mit einer Kanüle implantiert werden, können Rüden vorübergehend unfruchtbar machen.
Für Hündinnen gibt es keinen Kastrations-Chip. Gleichwohl lässt sich bei ihnen die Läufigkeit pharmakologisch unterdrücken. Somit kann die Hündin zu einem späteren Zeitpunkt noch Welpen bekommen. Wird aber über mehrere Jahre hinweg der Sexualzyklus unterdrückt, kommt es vergleichsweise häufig zu Gebärmutterentartung oder zu Gebärmuttervereiterungen. In der Folge muss die Gebärmutter entfernt werden. Daneben steht die Läufigkeitsunterdrückung in Verdacht, dass sie Erkrankungen wie Diabetes und bösartige Tumoren im Gesäuge auslöst. Wer dauerhaft die Läufigkeit der Hündin unterdrücken möchte, sollte wissen, dass dies gemeinsam mit eventuell zusätzlich anfallenden Behandlungskosten für Folge-Erkrankungen teurer ist, als eine einmalige Operation.
Angesichts der vielfältigen Wechselwirkungen sollte eine Kastration – ganz gleich ob chirurgisch oder pharmakologisch – nie leichtfertig vorgenommen werden. Der Hundehalter muss sich stets bewusst sein, dass ein operativer Eingriff unter Vollnarkose stets mit einem – wenn auch nur geringem – Risiko verbunden ist, aber beim Hund vielfältige Veränderungen nach sich ziehen kann.
Kastrierte Rüden werden von ihren unkastrierten Geschlechtsgenossen oft nicht mehr als Rüden wahrgenommen. Es kann zu „Mobbing“ bis hin zu permanentem Aufreiten kommen. Dass die Läufigkeit der Hündin ihrem Halter zu anstrengend ist, kann kein ausreichender Grund dafür sein, den Vierläufer einer Operation zu unterziehen. Und gegen Gehorsamsprobleme eines Rüden hilft in den meisten Fällen nur richtige und konsequente Erziehung, aber keine Kastration.
Fotos: Thomas Fuchs

 

 


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