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Züchten mit System

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Dogbase – Programm der Zukunft? Jagdhunde werden geprüft, beurteilt, vermessen. Merken kann sich diese Fülle an Daten niemand mehr. Vor mehr als 30 Jahren begann in Gießen ein Pilotprojekt, das heute in der elektronischen Verarbeitung von Zucht- aber auch Prüfungswerten Maßstäbe setzt. Es geht nicht um den vollkommenen Hund, sondern um Transparenz – und das für Jedermann. Von Markus Wörmann.

Züchten mit System

Die erste Datenbank der Hundezucht

Die Zahlen und Merkmale, die Anfang der 70er Jahre herangezogen wurden, spiegelten damals bereits mehr als 25 Jahre Zucht- und Prüfungsarbeit des Deutschen Jagdterrier-Clubs wider. Alles, was seit 1945 geprüft und begutachtet wurde, fand sich in der ersten Datenbank der Hundezucht wieder.

Hinter der Aktion steckte ein ganz praktischer Gedanke: Wolfgang Bierwirth hatte einen Deutschen Jagdterrier (DJT), der an einer Augenerkrankung litt. Heute wissen wir, dass es sich um Linsenluxation handelte, einer Lageveränderung der Linse, die genetisch bedingt sein kann. „Wolfgang Bierwirth wollte der Sache auf den Grund gehen“, erinnert sich Dr. Reiner Beuing an die Anfänge ihrer Zusammenarbeit. Der damalige Zuchtbuchführer Bierwirth befragte die Halter verwandter Hunde, und es stellte sich heraus, dass die Augenkrankheit seines Terriers kein Einzelfall war. Das gehäufte Auftreten dieses „Merkmals“ ließ ihn zu dem Schluss kommen, dass es sich um eine rassespezifische Veranlagung handeln könnte. Dass deren Bekämpfung ohne EDV unmöglich sei, schrieb Bierwirth bereits 1973 in seinem Buch „Der Deutsche Jagdterrier“. Fragen können wir ihn nicht mehr – Wolfgang Bierwirth verstarb im Jahr 2000. Sein Vermächtnis spricht aber für sich: Die Anzahl der Linsenluxations-Fälle im DJT-Club ist in den letzten drei Jahren auf nahezu „0“ gesunken – so viel zur Geschichte.


Der Verein für Deutsche Wachtelhunde wickelt als erster Zuchtverein sein Prüfungswesen über DOGBASE ab.
Der Verein für Deutsche Wachtelhunde wickelt als erster Zuchtverein sein Prüfungswesen über DOGBASE ab.

Servicedienstleister für die Zuchtverbände

Was mit dem Deutschen Jagdterrier anfing, hat sich inzwischen zu einem tagesfüllenden Job für fast ein Dutzend Personen beim TG-Verlag – Verlag für Tierzucht und angewandte Genetik – in Gießen ausgedehnt. Das im Jugendstil erbaute Herrenhaus lässt kaum vermuten, dass sich dahinter eine der größten Datenbanken der Tierzucht verbirgt. Mehr als 70 Hunde- und Pferderassen betreut der Verlag inzwischen – darunter zehn Jagdhunderassen. Dr. Reiner Beuing erläutert mir die eigentliche Geschäftsidee: „Wir sind heute Servicedienstleister für die Zuchtverbände“. Dass sich hinter dieser allgemeinen Aussage eine ganze Reihe von Punkten verbergen, wird sehr schnell deutlich. Es reicht von der kompletten Zuchtbuchführung und Mitgliederverwaltung bis hin zur externen Durchführung von Zuchtwertschätzungen. „Die einzelnen Vereine bestimmen, welche Aufgaben sie von uns abgenommen haben möchten“, erklärt Beuing. Wobei die Zuchtwertschätzung und die dafür notwendige Verarbeitung der einzelnen Prüfungs- und Zuchtdaten die Hauptaufgabe darstellt.

Auf die Frage, was denn nun ein Zuchtwert von „110“ bedeute, entgegnet der Tierzuchtwissenschaftler, dass es darauf ankomme, welches Merkmal die Zahl beschreibe. Am Beispiel der Kleinen Münsterländer zeigt sich, dass ein Zuchtwert für eine ganze Reihe von Zuchtindikatoren stehen kann:
  • Schweiß,
  • Spur,
  • Nase,
  • Wasserarbeit,
  • Suche,
  • Vorstehen,
  • Führigkeit,
  • Arbeitsfreude,
  • Wesen,
  • Hüftqualität,
  • Laut,
  • Schulterhöhe.
Auf zwölf Merkmale hat sich demnach der Verband für Kleine Münsterländer Vorstehhunde (KlM) festgelegt, die nach eigener Meinung für die Zucht von Bedeutung sind. Dabei ist die „100“ das rechnerische Mittel des Merkmals einer Rasse. Die Zahl „110“ lässt auf eine Steigerung des Merkmals durch ein Zuchttier schließen – oder auch hoffen, wenn man rezessive (unterdrückte) und dominante Erbgänge in Betracht zieht. „Daher ist es wichtig, so viele Informationen, wie möglich aus der Zucht einer Rasse zusammenzufassen, denn der Zuchtwert eines Hundes wird im Wesentlichen nicht durch ihn selbst bestimmt“, erklärt Dr. Reiner Beuing. Am Beispiel der Hüftgelenksdysplasie (HD) wird es schnell klar: Wird bei einem Hund HD diagnostiziert, ging man davon aus, dass er dieses Symptom auch vererbt. Zuchtausschluss trotz hervorragender jagdlicher Anlagen und Prüfungsergebnisse war meist die Folge. Dabei weiß man heute, dass HD zwar häufig, aber nicht unbedingt genetisch fixiert ist. Es kann ebenso durch falsche Fütterung, Überbeanspruchung oder äußere Einwirkung entstanden sein. „Hat der Hund für HD einen Zuchtwert von beispielsweise 95 oder 90 bedeutet dies, dass in seiner Linie HD kaum oder gar nicht zu finden ist. Die Wahrscheinlichkeit ist daher gering, dass er dies vererbt“, verdeutlicht Beuing. Wobei beispielsweise ein Rüde, der selbst HD-frei ist, einen Wert von „120“ haben kann, weil in seiner Verwandtschaft sehr viele Fälle aufgetreten sind.

 


Pro Jahr werden im Schnitt etwa 1 000 Kleine Münsterländer gewölft. Ohne EDV wäre mit der Fülle an Daten nicht umzugehen.
Pro Jahr werden im Schnitt etwa 1 000 Kleine Münsterländer gewölft. Ohne EDV wäre mit der Fülle an Daten nicht umzugehen.

Weder negative noch positive Ausreißer bestimmen das Bild

„Je mehr Verwandte für den Zuchtwert eines Merkmals herangezogen werden können, desto aussagekräftiger ist diese Zahl“, bringt der Gießener Wissenschaftler es auf den Punkt. In der Datenbank des TG-Verlages werden die Linien soweit zurückverfolgt, wie Datenmaterial vorliegt. Die Deutschen Jagdterrier als Vorreiter können dabei auf Zahlen ab 1945 zurückgreifen. Bei den Kleinen Münsterländern sind es inzwischen zehn bis zwölf Generationen. Dabei werden nicht nur Eltern, Großeltern, Urgroßeltern und so weiter einbezogen, auch Geschwister, Tanten/Onkel und die eigene Nachkommenschaft, wie Kinder, Enkelkinder, sind ausschlaggebend für den Zuchtwert. Wobei „ausschlaggebend“ die falsche Wortwahl sei, entgegnet Beuing, denn je mehr Daten man aus der Linie hinzuziehe, desto unbedeutender werde jeder einzelne Hund. Das heißt: Weder negative noch positive Ausreißer bestimmen das Bild.

Doch nicht nur bei körperlichen Merkmalen wie HD oder Schulterhöhe ist ein „Zuchtwert“ von Vorteil, der sich aus einer Vielzahl von verwandschaftlichen Hundeleistungen errechnet. „Nehmen Sie beispielsweise Jagdhundeprüfungen, bei denen oft die Tagesform des Hundes entscheidet, wie er letztlich abschneidet“, führt Dr. Reiner Beuing aus. „Durch dieses Verfahren ist es möglich, über den Tellerrand eines einzelnen Ergebnisses zu schauen.“ Aber auch so genannte „Gefälligkeitsnoten“, die einen Jagdhund manchmal heller im Licht erscheinen lassen, als es der Realität entspricht, könnten beim Blick auf den Zuchtwert relativiert werden. „Und hier zeigt sich auch der primäre Sinn der gesamten Zuchtwertschätzung durch die EDV“, schildert Beuing den Hintergrund des Verfahrens, „denn die Zucht soll für Jedermann nachvollziehbar sein“. Dies würde aber auch bedeuten, dass die Daten für jeden zugänglich sind. An dieser Stelle muss der Gießener Unterschiede bei den einzelnen Verbänden einräumen. Letztlich bestimme der Zuchtverband, wie mit „seinen“ Daten umgegangen wird. Es gibt Vereine, bei denen nur der Zuchtwart oder die Zuchtkommission Einblick in die Zuchtwertschätzung erhalten. Dies sei vor allem bei den Rassezuchtvereinen der Fall, deren Zuchtwarte die Anpaarungen organisieren.

Offensiver Umgang

Auf der anderen Seite gibt es Verbände, wie den der Kleinen Münsterländer, Wachtelhunde oder Deutschen Jagdterrier, die offensiv mit den erhobenen Werten umgehen. Karl Heinz Sachau, Zuchtwart bei KlM, begründet diese Vorgehensweise in einem Telefonat mit der Redaktion: „Letztlich gibt die Zuchtleitung die Parameter vor, ab dann muss sich die Zucht selbst helfen.“ Für die Züchter der Kleinen Münsterländer bedeutet dies nicht nur mehr Freiheit bei der Anpaarung, sondern im Umkehrschluss auch mehr Verantwortung. Da die Daten für alle Mitglieder des Verbandes einsehbar sind, könne sich hinterher auch niemand beklagen, er hätte von einem höheren oder niedrigeren Risiko für das Merkmal nichts gewusst. Allein gelassen werde der Besitzer einer Zuchthündin mit seiner Entscheidung aber nicht, erläutert Karl Heinz Sachau. Den Zuchtwarten in den Landesgruppen stünden immer die aktuellsten Informationen zur Verfügung. „Auf Wunsch helfen sie gerne bei einer Anpaarung“, erklärt er weiter. Seit der Einführung der Zuchtwertermittlung zeichne sich bei den KlM auch eine gewisse Trendwende ab: Früher wurden so genannte „Spitzenrüden“ aufgrund eigener Prüfungsergebnisse überdurchschnittlich oft von den Züchtern ausgewählt. Dies hatte zur Folge, dass in einem Jahrgang die Mehrzahl der Welpen von nur wenigen Rüden stammte. Heute verteilen sich die Würfe auf eine größere Anzahl von Vätern, beziehungsweise werden diese gleichmäßiger frequentiert. Die daraus resultierende breitere Zuchtbasis wird von den Verantwortlichen natürlich im KlM-Verband geschätzt. Erlaubt sie es doch in Zukunft, auf eine größere Anzahl unterschiedlicher Hunde mit spezifischen Anlagen zurückzugreifen.

 


Der Verein für Jagdteckel bedient sich ebenfalls der Zuchtwertschätzung. Es sollen vor allem Erbfehler wie Generalisierte Progressive Retina-Atrophie und Teckellähme bekämpft werden
Der Verein für Jagdteckel bedient sich ebenfalls der Zuchtwertschätzung. Es sollen vor allem Erbfehler wie Generalisierte Progressive Retina-Atrophie und Teckellähme bekämpft werden.

Das Programm „DOGBASE“

Zwei Mal im Jahr werden die Kleinen Münsterländer „upgedatet“, das heißt alle Werte werden auf den neuesten Stand gebracht. Zucht- und Leistungsprüfungen, die in dem halben Jahr abgehalten wurden, fließen mit ein. Der Verlag verschickt die aktualisierte Fassung als CD, von der sich interessierte Hundeleute die neusten Daten auf den PC herunterladen können. Für zwei CDs im Jahr bezahlt der Abonnent 60 Euro. Für diesen Preis bekommt man beispielsweise die Daten von mehr als 38 000 Kleinen Münsterländern!

Das Programm, das diese Menge an Zahlen verarbeitet, heißt „DOGBASE“, und ist eine Entwicklung des TG-Verlages. Das Programm wird von dem Tierzuchtwissenschaftler Peter Pracht betreut. Der diplomierte Agraringenieur demonstriert, dass DOGBASE noch mehr kann, als nur Daten speichern und auf Befehl wieder ausspucken. Mit einem Abfragemodul lassen sich beispielsweise Anpaarungen „durchspielen“. Wird ein Deckrüde gesucht, kann eingegeben werden, für welches Merkmal (beispielsweise Nase) er einen hohen Erbwert aufweisen soll. Darüber hinaus kann man Kriterien, wie bestandene Schweißprüfung oder Totverbeller eingeben. Aus den vorhandenen Rüden sucht das Programm dann diejenigen heraus, die den Vorstellungen des Züchters entsprechen. Das werden in den meisten Fällen gleich mehrere Deckrüden sein. „Daran kann man auch erkennen, dass DOGBASE nicht das Wissen und Handeln eines Züchters ersetzen kann. Letztlich muss er entscheiden“, beschreibt Peter Pracht die Grenzen der Zuchtwertschätzung. Das Ganze diene der Unterstützung – nicht mehr und nicht weniger!
Was die elektronische Aufbereitung der Daten für den einzelnen Hundeführer für Vorteile hat, kann Karl Heinz Sachau schon nach wenigen Jahren belegen: „Bei elf von zwölf Merkmalen liegen die Werte bereits vier Punkte über dem Rassestandard.“ Dies bedeute, die gewünschten Eigenschaften des Kleinen Münsterländers sind in der Breite der Zucht gefestigt worden.
Peter Pracht versteht DOGBASE nicht als starres System von Zahlenmengen: „Nach Wunsch der Vereine erweitern wir die Möglichkeiten des Programms laufend“. Beipielsweise ist es möglich, Prüfungsabläufe zu vereinfachen. Musste die Prüfungsleitung früher den Namen des Hundes, Geburtsdatum, Zuchtbuch-Nummer, Namen der Elterntiere, Züchter, Besitzer und vieles mehr jeweils eintippen, kann er jetzt diese Informationen aus dem vorhandenen Stammdaten herunterladen. Das Programm ist in der Lage, daraus einen Prüfungskatalog zu erstellen. Nachdem die Noten des Tages eingegeben sind, können per Knopfdruck Urkunden und Prüfungsberichte gedruckt werden. „Wie man sich vorstellen kann, ist die Zeitersparnis immens“, lobt Pracht das Produkt des Hauses.

Vorteile in der Prüfungspraxis

Das Programm DOGBASE scheint wirklich in vielen Dingen der Zuchtbuch- und Vereinsführung sowie in der Prüfungspraxis Vorteile zu bringen. Stellt sich die Frage, warum „erst zehn“ Vereine aus dem Jagdgebrauchshundlager damit arbeiten. „Es gehört eine intensive Vorbereitung dazu“, erklärt Dr. Reiner Beuing. In vielen Vereinen dauern solche Entscheidungsprozesse oft Jahre, weil es gelte, die Mitglieder von einem Zuchtprogramm zu überzeugen. Viele Züchter hätten Vorbehalte, weil jeder Vereinskollege sehen kann, wie seine Hunde auf Prüfungen und Zuchtschauen abgeschnitten haben. Die Transparenz durch DOGBASE lässt keine „Schönfärberei“ mehr zu. „Allerdings sollte zu diesem Schritt jeder Züchter bereit sein, weil es fairer gegenüber den Kollegen und auch dem zukünftigen Hundeführer ist“, geht Beuing auf eventuell ablehnende Haltungen ein. Denn das Programm unterstütze schließlich nichts anderes als die vom Verein festgelegte Zuchtordnung. Und zu dieser gemeinsamen Strategie hätten sich alle Vereinsmitglieder verpflichtet. „Letztlich geht es doch darum, gesunde und gut veranlagte Hunde für die Jagdpraxis zu züchten. Persönliche Eitelkeiten sollten dabei keine Rolle spielen“, fasst Dr. Reiner Beuing die Motivation seines Handelns zusammen.

 

 


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