UngarischeTänze

4901

FLINTENJAGD

Fasanenbuketts in der Luft, eine neue Browning im Arm, genug Patronen in der Tasche und gute Hunde hinter mir. Bestandteile für einen wilden, herbstlichen Jägertraum.

Heiko Hornung

Foto: Denis Lerusse

Aufmerksam blicken die kurzund drahthaarigen, rotbraunen Magyar Vizsla in den Himmel. Nur das Wedeln der kupierten Ruten verrät die Aufregung und Spannung, die sie und alle Männer erfasst hat. Die Schützenkette steht still in einer Mulde. Vor ihr ragen die knorrigen Arme der lückig stehenden Robinien in den Himmel. Sobald die Treiber auf dem Posten sind, wird eine kleine quäkende Signaltrompete den Beginn des Fasanentreibens anzeigen. Der Blick der Schützen ist auf die Grabenkante mit dem ockerfarbenen Gras gerichtet. Dort werden zwischen den dunklen, blattlosen Zweigen die Kreuzsilhouetten der heransausenden Fasane erscheinen.

Das ganze Jahr haben die Heger und Jäger des Jagdreviers Bodony auf diesen Augenblick hingearbeitet. Auf rund 500 Hektar – ungefähr eineinhalb Stunden von Budapest entfernt – galt ihre ganze Aufmerksamkeit den Hühnervögeln und der Pflege des Besatzes in Remisen, großen Schilfflächen, kleinen Eichenund Akazienmischwäldern. Sie haben Raubwild nachgespürt, im Fasanengebiet jedem Fuchs und jeder Sau hart nachgesetzt, um jeglichen Aderlass bei dem begehrten Flugwild zu verhindern. Jetzt ist der Tag da, die Ernte einzufahren.

Streckenwagen in Bodony. Mehrere hundert Stück Flugwild am Tag sind hier möglich. Foto: Denis Lerusse

Das weit entfernte „Trööööö“ erklingt. Die Treiber sind auf dem Weg. Die Finger schließen sich fester um Pistolengriff und Vorderschaft meiner neuen Begleiterin, einer B 725, dem jüngsten Kind der belgischen Flintenschmiede Browning. Bei den Jägern Anfang des 20. Jahrhunderts stand der Name für die ersten Selbstlader und solide Flintentechnik, die gerade bei den damals noch reichlich vorkommenden Hühnern Einiges zu leisten hatte. Legendär war schon ihre Großmutter, die B 25, die noch heute ein aktives Dasein in vielen Schützenhänden führt. Ihren Enkelkindern ist die Verwandtschaft deutlich anzusehen. Allerdings sind die Nachfahren schlanker und niedriger im Profil und der Basküle. Zwei Schwestern gibt es: die eine jagdlich, etwas leichter mit schönen Gravuren und die etwas schwerere, aber dafür schöner ausbalancierte, schwungvollere sportliche. Ich habe mich für die letztere mit 76 Zentimeter langen Läufen entschieden. Sie hat einen herrlich fühlbaren Einabzug.

B275

Die Neue von Browning

Die legendäre Robustheit der B 25 bildet die Grundlage für die neuen Flintenmodelle der B 725. Die B 725 Sporter ist etwas schwerer und besitzt einen Abzugswiderstand ab Werk von 1,4 bis 1,6 Kilogramm. Die B 725 Hunter mit schönen Tierstück gravuren hat ein Abzugsgewicht von 1,5 bis 1,8 Kilogramm. Überarbeitet wurde das Waffenprofil und die variablen Chokeein sätze. Die Basküle ist niedriger, das mechanische Abzugssystem kürzer, schneller und leichter geworden. Dank eines Trennelements besteht immer die Möglichkeit für den zweiten Schuss. Die neu entwickelten Invector DS Chokes, die wesentlich länger als herkömmlich Choke-Einsätze sind, sollen eine noch bessere Deckung der Schrotgarbe erzielen und weniger verschmutzen. hho

Ein Schuss, zwei Schützen weiter rechts, reißt mich aus den Betrachtungen meiner flotten Belgierin. Gerade noch sehe ich den Gockel taumelnd vom Himmel stürzen. Jetzt knattern am linken Flügel die ersten Schüsse. Dann der erste Hahn. Er klappt die Schwingen zusammen, noch ehe ich richtig aufgefahren bin. Aber keine Zeit für große Komplimente und Waidmannsheil an den freundlichen, französischen Nachbarn, denn direkt vor mir sausen hintereinander zwei Herbstbunte heran. Das Korn der Browning fasst Ziel, deckt den ersten im Schuss, packt den zweiten und rotierend plumpsen sie hinter mir ins dunkelbraune Akazienlaub. Emsig eilt die hellbraune Vizsla-Bande hin und her, fängt Geflügeltes und apportiert. Die Hundeführer, für je drei Schützen steht ein Gespann zur Verfügung, weisen routiniert ein, tragen zusammen.

Schilftreiben. Ein Hahn steigt auf. Foto: Denis Lerusse

Alles hier mutet an, wie aus einer längst vergangenen Zeit, als in Ungarn berühmte Flintenschützen, wie Karolyi, Szechenyi und viele andere, ihre feudalen Herbstjagden abhielten. Die Strecken der 1930er Jahre muten derart astronomisch an, dass sie mit der heutigen Vorstellung von Niederwildjagd nicht mehr zu erfassen sind. Im berühmten Totmegyer kam es schon mal vor, dass ein Schütze am Tag tausend Stück Wild erlegte. Das ist heute, trotz aller Anstrengung, nicht mehr möglich. Braucht es aber auch nicht. Stimmung und Ambiente, wie sie die Gastgeber in Bodony sowohl bei der Tafel im kamin- und trophäengeschmückten Herrenhaus als auch im Revier zu zaubern verstehen, können im 18. und 19. Jahrhundert nicht viel anders gewesen sein. Nur das heute anstelle der Pferdegespanne und Kutschen Geländewagen getreten sind.

Der Takt der Schüsse wird immer schneller, steigert sich wie das Crescendo einer wilden Herbstsymphonie.

Ein turmhoher Gockel nimmt die gesamte Schützenkette ab, beim vierten Schützen kippt er zur Seite. Über mir schraubt sich mit schlingerndem Stoß ein Blauköpfchen über die Baumwipfel in die Höhe. Mein Schuss pflückt ihn aus dem grauen Himmel. Wie Schneeflocken schweben feine Federchen zur Erde und zeigen für Sekunden, dass hier soeben einer der sporentragenden Herbstbunten fiel. Kaum, dass der Ejektor knackend die rauchenden Hülsen ausgeworfen und der Lader neue rote Winchester in das Lager gesteckt hat, fliegt die Waffe erneut hoch. Das Auge, die Sinne werden komplett überfahren. Jagdbilder strömen zu Hunderten in wenigen Minuten in mich hinein, kaum festzuhalten, überbordend. Jedes einzelne und in ihrer Zusammensetzung Teil eines Traumes. Ein Tanz, wirbelnd und heiß, wie ein ungarischer Csardas. Immer schneller wird er, wie das Spiel
der Zigeuner, verwirrend in seinen Melodien und den Stimmen einzelner Instrumente.

Zu Füßen die Blauköpfigen mit dem verschwenderisch kupfergrün schillernden Schild, dem eleganten Stoß, die apportierenden Hunde, rauchende Flinten… – die Flut an Erlebtem, Gesehenem ist nicht festzuhalten, erdrückt jegliches Gefühl für Zeit und Handlung. Schon sind die Treiber zu hören. Die Battue nähert sich ihrem Höhepunkt. Jede Flinte knallt, kreiselnde, taumelnde Vögel, flatternde Stöße überall. Ein finaler Schuss und fast schnöde beendet die Tröte des Jagdleiters das bunte Feuerwerk. Die Sinne ordnen sich wieder. Zoltan, der 50-jährige stille Lader lächelt zufrieden, als wolle er sagen: Das ist Ungarn. Wir sammeln die Hülsen. 28 sind es. 21 Gockel hat er mitgezählt und nickt zustimmend. Überall tragen junge Burschen schillernde Fasanensträuße zum Streckenwagen. Noch arbeiten die Hunde, bringen immer wieder ein Stück Flugwild. In kleinen Gruppen stehen Schützen beieinander. Ihre wilde Gestik zeigt noch den Rausch und den Schwindel mit dem dieser ungarische Tanz in den Ohren und im Blut nachhallt wie schwerer Rotwein.

Kurzhar-Magyar-Vizsla bei der Arbeit Foto: Denis Lerusse
Die Strecke eines Treibens wird zusammengetragen. Foto: Denis Lerusse

Ein Hahn fehlt mir noch. Ich sah ihn geflügelt fallen. Bald habe ich einen Hundeführer mit zwei Raubärtigen Vizslas bei mir. Eifrig saugen die braunen Nasenschwämme das Unterholz ab, rucken die Behänge hin und her. Dann zieht sich eine der Hündinnen fest, saust immer schneller, wie von einer unsichtbaren Schnur gezogen, davon. Wenige Meter später im Gras ein Flattern, und stolz trabt die Brave mit dem farbenprächtigen Gockel im Fang ihrem Führer zu. Was gäbe ich darum, dieses Bild malen zu können. Lächelnd halte ich den Schönen wenig später in Händen. Nehme ihm zwei seiner herrlichen Federn für den Hut. Ein kleiner Versuch, von alle dem hier etwas mitzunehmen, was so nie wiederkehren wird.

Foto: Denis Lerusse

ANZEIGE
Aboangebot