Eigenwilliges Energiebündel

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DIE NEUE BROWNING „CYNERGY“:
Das Herz eines Rennwagens, das Aussehen eines Supermodels und die Seele einer Browning – so lauteten die Vorgaben zur Entwicklung der Bockflinte „Cynergy“. Björn Ebeling hat ihr auf den Zahn gefühlt.

 

Von Björn Ebeling

Der Reiz des Neuen lockt und beflügelt zugleich, und so setze ich mit fliegenden Fingern die gerade angekommene Flinte zusammen. Quasi ein Wiedersehen nach kurzer Trennung, denn erst im März wurde das Modell mit dem schmeichelndem Namen „Cynergy“ auf der IWA vorgestellt und wegen ihrer Technik von mir bewundert. Frankonia hatte die erste in Deutschland verfügbare Waffe dieser Baureihe – eine Sporting-Version – an WILD UND HUND zum Testen gegeben.

Nach Aussagen von Browning steht den Schrotschützen nunmehr eine Revolution der Waffentechnik zur Verfügung, denn Abzugsystem, Verschluss, Ejektor und weitere Details sind völlig neu entworfen worden. Das ebenfalls neue Design ist hauptsächlich auf den Sektor der Sportschützen abgestellt. Der traditionsbewusste deutsche Jäger wird jedenfalls zunächst nichts finden, woran er mit Freude verweilt. Alles an dieser Waffe entspricht dem Drang zur Moderne. Demgemäß sind selbst Vorder- und Hinterschaft nicht mehr typisch geformt: Der Vorderschaft verjüngt sich sowohl von oben als auch von unten her zur Spitze. Der Vorderschaftabschluss ist gerade gehalten und verläuft schräg nach oben. Die Befestigung erfolgt durch einen Patentschnäpper am Lauf. Im Bereich des Vorderschaftes ist das Laufbündel ferner mit einem Kunststoffstück umgeben, das den direkten Kontakt von Holz zum Lauf verhindert und darüber hinaus aufgrund von Lüftungsschlitzen das Wärmeverhalten des Laufpaares bei längeren Serien günstig beeinflussen soll.

Es geht lediglich um Nuancen

Der Hinterschaft fällt durch die ungewöhnliche Schaftkappe aus Gummi auf, die den Rückstoß weitgehend mindern soll und an ihrer breitesten Stelle sechs Zentimeter dick ist. Durch ihre ungleichmäßige Stärke weist der Hinterschaft im Verbindungsbereich zum Käppchen eine geschwungene Form auf.

Für eine gute und gleich bleibende Position der Schießhand sorgt ein Pistolengriff, dessen Übergang zum Rest des Hinterschaftes ohne besonderen Absatz etwas klobig wirkt. Über die Fischhaut hinaus wurde der Schaft mit einigen gefrästen Linien versehen, die lediglich aus optischen Gründen eingearbeitet wurden. Im Lieferumfang enthalten ist ein 0,5 Zentimeter dickes Zwischenstück aus Kunststoff, mit dem das Hinterschaftmaß verlängert werden kann. Wer noch mehr Länge benötigt, kann die Stücke nachbestellen.

Eine sensationelle Neuerung stellt das System dar, wenn man den Versprechungen der Konstrukteure Glauben schenken darf: Sie haben es geschafft, die Zünd(verzugs)zeit auf etwa 0,0019 Sekunden zu reduzieren. Gegenüber diesem Wert sind herkömmliche Modelle mit rund 0,03 Sekunden Zündzeit aus waffentechnischer Sicht wohl nur noch mit Schildkröten zu vergleichen. Besonders wichtig ist dieser Wert bei Kugelwaffen, denn er ist ein maßgeblicher Faktor für die Präzision. Eine besonders kurze Zündzeit minimiert natürlich die Schützenfehler, und selbst beim im Verhältnis zur Kugel etwas „gröberen“ Schrotschuss ist eine positive Beeinflussung des Schussergebnisses denkbar, weil der Steuermann häufig nicht im Augenblick des Abdrückens muckt, reißt oder nicht weiterschwingt, sondern erst die berühmte Millisekunde später. In vielen anderen Fällen wird dieser Zeitvorteil zumeist dadurch ausgeglichen, dass das Wunder Mensch gelernt hat, mit einem bestimmten Bewegungsablauf zum Erfolg zu kommen und diesen Vorgang durch häufiges Üben automatisiert. Der Vorteil der Zündzeit gegenüber anderen Modellen ist demnach zweifelsohne gegeben, er wirkt sich aber nicht so gravierend aus, dass es einem bewusst auffallen wird – hier geht es lediglich um Nuancen. Erreicht wird der Zeitvorteil durch mehrere technische Veränderungen: Ein im Verhältnis zu bisherigen Konstruktionen gegenläufiges Federsystem entfaltet Kraft auf die Schlagstücke und hat im Wesentlichen die Zeitersparnis gebracht. Die Schlagstücke mussten deswegen weit zurückgesetzt werden, wodurch wiederum eine Verlängerung der Schlagbolzen notwendig wurde.

Respektable Werte

Damit des Guten aber nicht genug; denn das neu entwickelte Abzugsystem bietet überdies die Möglichkeit von geringen Abzugswiderständen. Von den Spannstangen wird Federkraft auf den Abzug gebracht, was zur Verringerung des zu überwindenden Widerstandes führt. Bei der Testwaffe schlugen die Schlosse bei 2 250 Gramm für den unteren und 2 550 Gramm für den oberen Lauf ab. Beides respektable Werte, die so dicht beieinander liegen, dass für den zweiten Schuss kein merklich höherer Kraftaufwand erforderlich ist. Da die Position des Abzugzüngels in der Länge variabel ist und je nach Geschmack gegen eines mit einem breiteren oder geriffelten Abzugblatt (im Lieferumfang enthalten) ausgetauscht werden kann, lässt sich der „gefühlte“ Abzugwiderstand nochmals positiv beeinflussen. Je nach Handform kann so durch Zurücksetzen des Abzugs eine andere Krafteinwirkung erfolgen, die subjektiv zu einer Reduzierung des Abzuggewichtes führt.

Über den Sicherungsschieber lässt sich der jeweilige Lauf vorwählen. Eine Option, die gerade bei Wechselchokes zum Experimentieren einlädt. Eine Umschaltung kann, wie bei Browning üblich, nur im gesicherten Zustand erfolgen. Nach dem Auslösen des Abzuges wird mechanisch auf den anderen Lauf umgestellt.

Hat es so etwas Ähnliches nicht schon einmal gegeben?

Dem neukonstruierten Verschluss der „Cynergy“ mit den eleganten Kurven könnte man schon Supermodel-Qualitäten zusprechen – die Blicke des Betrachters zieht er zwangsläufig an. Da er aber im Inneren verborgen bleibt, wird ihm wohl der Vergleich zum Herzstück eines Rennwagens am nächsten kommen. Browning nennt ihn „Monolock Hinge“ (wörtlich: „Einzelverriegelungs-Scharnier“), vielleicht wäre aber „Kreis-Segment“-Verschluss im Deutschen das bessere Wort. Hat es so etwas Ähnliches nicht schon einmal gegeben? Ein schwedischer Hersteller hat etwa 150 Stück einer Flinte Namens „Caprinus“ gefertigt, die mit einem „Kreis-Segment-Verschluss“ versehen war, der diesem Verschluss verblüffend ähnelte. Innovativ und mit dem Anspruch höchster Belastbarkeit und Haltbarkeit, setzt der Browning-Verschluss schon vom flüchtigen Anschauen her neue Maßstäbe. Kreisförmig verlaufen jeweils Ausfräsungen in der Basküle und an der Brille des Laufpaares, die bei geschlossener Flinte gegenseitig Auflage bieten. Wegen des lang gezogenen Bogens bedingt diese Verschlussart von vornherein eine große Verriegelungsfläche. Hieraus folgen eine hohe Stabilität und Lebensdauer, vorausgesetzt, die Auflageflächen sind passgenau gearbeitet. Die Fixierung des Laufpaares erfolgt über zwei Riegel, die von der Basküle in entsprechende Öffnungen neben dem unteren Lauf greifen. Unten liegende Laufhaken gibt es nicht, sondern nur seitliche Haken im Bereich der Kreissegmente, wodurch auch der Schwerpunkt nach unten verlagert wird, was wiederum das Hochschlagen im Schuss reduziert. Im Ergebnis bleibt die gesamte Basküle somit sehr flach und misst nur sechs Zentimeter – bei einem Supermodel würde man das wohl als gertenschlank betiteln.

Es erfolgt ein zuverlässiges Auswerfen der Hülsen

Die Ejektoren erneuerten die innovationsfreudigen Ingenieure des belgischen Traditionshauses natürlich auch. Das Rad haben die Belgier hier nicht neu erfunden, sind aber vom Pfad des Altbewährten abgewichen und beschreiten neue Wege. Statt wie bisher die Ejektoren mit einer kurzen verdeckten Feder auszustatten, entschied man sich für 6,5 Zentimeter lange und offen liegende Federn, die zwischen beiden Läufen Platz finden. Nach außen sind sie durch den Vorderschaft abgedeckt und vor mechanischen Einwirkungen geschützt. Anfällig könnten sie nur bei zerlegter Flinte sein, wenn einem ein Malheur unterläuft. Durch die Federn und das damit verbundene Kräftesystem erfolgt ein zuverlässiges Auswerfen der Hülsen. Schwerwiegende Hülsenklemmer werden wohl aber auch für dieses System eine harte Nuss bleiben, weil das Problem häufig im Abreißen der Hülsen bestehen kann.

Bei einem Waffengewicht von 3,56 Kilogramm offenbart sich indirekt die Seele der Browning: Trotz des filigranen Äußeren eine Menge Gewicht, das durch massive Werkstoffe verursacht wird. Diesen Eindruck gewinnt man durchweg bei der Betrachtung der einzelnen Flintenteile, wenn auch das dumpfe, aus dem Vollen rührende „Plob“ beim Zuschnappen des Verschlusses nicht mehr ganz so eindrucksvoll klingt, wie bei einer „alten“ Browning.

Ein technisch großer Wurf

Auffällig ist, dass die Flinte im geöffneten Zustand immer sauber abkippte und dadurch die Patrone in den unteren Lauf reibungslos reingesteckt werden konnte. Bei anderen Flinten gibt es manchmal ein leichtes Zurückfallen um wenige Millimeter, die dann schon Ursache für ein Aufstoßen des Patronenrandes auf die Basküle sein können.

Die Verarbeitung ist sehr gut, allerdings zeigen winzige Spalten an der Verbindung zwischen Abzugsbügel zur Basküle, welchen Tribut der Kunde der Massenfertigung und dem Preis zuliebe zollen muss. Der Preis übrigens ist mit 2 454 Euro schon nicht mehr jedermanns Kragenweite. Für eine „Browning“ – zumal mit diesen Neuerungen – jedoch im „Limit“.

Wählbar sind eine „Trap-“ und eine „Sporting“-Ausführung mit unterschiedlichen Lauflängen, die vielleicht noch durch eine Jagd-Ausführung ergänzt werden soll. Das Kaliber ist mit 12/76 festgelegt. Alle Läufe wurden mit „Back-Bored“- und „Invector-Plus“-System ausgestattet. Hierbei sind die Laufinnendurchmesser geringfügig vergrößert und die Wechsel-Choke-Einsätze länger gehalten, um positive Effekte wie Geschwindigkeitssteigerung der Garbe und verringerten Abrieb der Schrote zu erzielen.

Auf der Scheibe ließen sich mit der neuen Browning gleichmäßige Trefferergebnisse erzielen. Die Treffpunktlage des oberen Laufes hätte vielleicht eine Idee weiter rechts liegen können. Alle rückstoßmindernden Elemente, wie die dicke Gummikappe, niedriger Schwerpunkt und das Waffengewicht lassen aber die Frage aufkommen: Ist überhaupt noch ein Rückstoß zu spüren? Hier ist die Antwort eindeutig: Ja! Obwohl die Schaftkappe in Form des ungewöhnlichen Gummistückes allein bereits 25 Prozent Rückstoßminderung bewirken soll, degradiert sich die Flinte schon nach wenigen Schüssen zum Schießprügel im wahrsten Sinne des Wortes. Am Ende der ersten jagdlichen Traprunde war schon eine spürbare Hinterlassenschaft am Jochbein aufgetreten, die sich im anschließenden Skeet-Durchgang noch vergrößerte. Offensichtlich verursacht das „Gummimonster“ am Schaftende eine Instabilität des Schaftes, die das Hochschlagen der Flinte zumindest begünstigt. Das entsprechende Widerlager ist dann leider das Jochbein des Schützen, der diese Zweckentfremdung seines Knochenbaus unangenehm verspürt. Weitere Schützen winkten dankend ab, als sie nach einem Durchgang Trap oder Skeet aufgefordert wurden, mit der Flinte noch eine weitere Runde zu schießen. Außerdem hat die Schaftkappe weitere Nachteile: Das „Gummi“ bremst einen schnellen Anschlag erheblich, und in den Öffnungen und Spalten setzt sich schnell Schmutz fest.

Aber vielleicht kann Browning noch nachbessern. Hoffentlich werden dann die Gummikappe und der Vorderschaft klassisch geformt sein. Die Flinte wäre dadurch gefälliger und eine wirkliche Bereicherung des Marktes.

Fazit: Den Konstrukteuren ist technisch ein großer Wurf gelungen, aber an Details muss wohl noch gefeilt werden. Wir wollen die Hoffnung nicht aufgeben, denn eines haben ein Rennwagen, ein Supermodel und auch eine Browning gemeinsam: Sie wollen an die Spitze und diese halten.

Ungewöhnlich: Die Schaftkappe dämpft den Rückstoß erheblich, setzt ihn aber auch in einen unangenehmen Hochschlag um

 


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