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Fressen à la carte

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BEUTEGREIFER MARDERHUND

Der Enok ist deutschlandweit auf dem Vormarsch, aber nur die wenigsten Jäger wissen, von was der Canide lebt. ASTRID SUTOR hat den Mageninhalt von Marderhunden untersucht, um festzustellen, wie sein Speiseplan aussieht.

MARDERHUND
FOTO: TANJA ASKANI

Der  Marderhund  –  auch  Enok, Ussurischer Waschbär oder Obstfuchs genannt – ist seit  rund 50 Jahren in Deutschland ein fester Bestandteil der Fauna. Die ursprüngliche Heimat  dieser Wildhundeart liegt in Ostasien. In den Bundesländern, in denen es stabile Besätze  gibt,  vor  allem  in   Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg, ist der Marderhund  in   unterschiedlichen Lebensräumen anzutreffen. Dabei bevorzugt er deckungsreiche Habitate,  wie  Wald-Feldkanten, Hecken und kleine Wälder. Besonders begehrt sind gewässernahe  Lebens räume, beispielsweise Feuchtwiesen und schilfgesäumte Kleingewässer. Diese Kleinbiotope in der Agrarlandschaft  sind gleichzeitig Lebensrauminseln für in ihrem Bestand gefährdete Arten der Kulturlandschaft, wie Feldhase, Rebhuhn, Wachtelkönig oder Brachvogel. Da sie hier hin und wieder auf einen Räuber treffen, drängt sich die Frage auf, welchen Einfluss der Neubürger auf sie als Allesfresser ausübt. Um die Auswirkung des Neubürgers auf  mögliche Beutetiere einschätzen zu können, muss zum einen seine Lebensraumnutzung  und zum anderen sein Ernährungsverhalten genauer untersucht werden.

Der Nahrungsopportunist Marderhund passt sich den Gegebenheiten seines Lebensraumes an: In Gewässernähe hält er sich beispielsweise auch an Fisch schadlos. FOTO: HOLGER DUTY

Beide Aspekte waren Arbeitsschwerpunkte in einer mehrjährigen Studie in Brandenburg. Im Rahmen der Tollwutüberwachung wurden die in drei südbrandenburgischen Landkreisen im Zeitraum von 2001 bis 2005 gestreckten Marderhunde für Nahrungsanalysen untersucht. Zum Vergleich wurden Daten aus einer Teichlandschaft in Sachsen einbezogen, die dankenswerter Weise Herr Dr. Ansorge vom Naturkundemuseum Görlitz zur Verfügung stellte. Im Landeslabor Berlin-Brandenburg in Frankfurt/Oder wurden die gestreckten Marderhunde hinsichtlich Tollwut beprobt und Organe, unter anderem Mägen, entnommen. Insgesamt wurden 327 Mageninhalte ausgewertet. Außerdem untersuchten Wissenschaftler des Friedrich-Loeffler-Instituts in Wusterhausen die Därme der betreffenden Enoks auf den Kleinen Fuchsbandwurm.

Bei den Untersuchungen stellte sich heraus, dass sich die Zusammensetzung der in den Mägen gefundenen Nahrungsbestandteile, die von Marderhunden in der brandenburgischen Agrarlandschaft und in dem sächsischen Teichgebiet aufgenommen wurden, deutlich unterschied.

Die Nahrungs palette in der Teichlandschaft wird von Artengruppen dominiert, die typisch für feuchte Lebensräume sind. Dies waren Reste von Weißfischen, Amphibien – vorwiegend Frösche, aber auch einige Kröten und Unken – sowie Wirbellose, wie Schnecken, Regenwürmer und vor allem Insekten. Unter letzteren fanden sich auch feuchtigkeitsliebende Arten, wie die Sumpfschrecke, eine relativ große Heuschreckenart, die  typischerweise in Feuchtwiesen vorkommt. Als weitere Proteinquelle werden in der Agrarandschaft Aas von verendeten Tieren sowie Straßenopfern, Aufbruch und Kleinsäuger (Wald-,  Feld-  und  Spitzmäuse) genutzt.

Als Proteinquelle ist dem Enok Fallwild willkommen. So sucht er auch Luderplätze auf, die dem Jäger gute Chancen bieten, den Wildhund zu strecken. FOTO: FRANK MÜRITZ

Eine Besonderheit in der Ernährung des Marderhundes stellt der hohe Anteil an  pflanzlicher Kost dar, der in beiden Untersuchungsgebieten im Jahresverlauf einen durchschnittlichen Anteil von 25 Prozent am konsumierten Fraß hatte. Eine wesentliche Quelle für Pflanzenkost in unseren Agrarlandschaften bietet der ganzjährig zur Verfügung  stehende Mais. Kirrungen werden nicht nur vom Schwarzwild aufgesucht, sondern auch Marderhunde haben sie längst als bequeme Futtersammelstellen erkannt. Dazu kommen die in den vergangenen Jahren enorm angestiegenen Maisanbauflächen, die gleichermaßen  für Wildschwein und Marderhund „offene Mastanlagen“ sind.

Der ganzjährig relativ hohe Anteil an vegetarischer Kost ist für Hundeartige sehr  ungewöhnlich und unterscheidet dahingehend den Marderhund vom heimischen Fuchs, der  nur sporadisch, beispielsweise an Kirrungen, Komposthaufen oder zur Obstreife, Früchte aufnimmt. Diese Eigenart in der Nahrungswahl macht sich beim Marderhund auch anatomisch bemerkbar: Im Gegensatz zum Rotfuchs sind seine Fangzähne (Haken) im Oberkiefer, die Raubtieren zum Festhalten der Beute dienen, deutlich kleiner und weniger gebogen. Eine derartige morphologische Besonderheit weist darauf hin, dass das Fraßspektrum weniger von Fleisch dominiert wird. Noch augenfälliger wird dies am
verhältnis mäßig zierlichen Gebiss einer Unterart des Marderhundes, die in Japan lebt und sich fast ausschließlich von Insekten und Pflanzen ernährt.

Als Proteinquelle ist dem Enok Fallwild willkommen. So sucht er auch Luderplätze auf, die dem Jäger gute Chancen bieten, den Wildhund zu strecken. GRAFIK: ASTIRD SUTOR

In den 327 untersuchten Mageninhalten wurden die Reste von nur 27 Vögeln gefunden. Diese bestanden zu 74 Prozent aus kleinen Singvögeln, meist Feldlerchen und deren  Nestlingen. In fünf Mägen waren die Überreste von Drosseln, und in zwei Mägen von Enoks
aus der Teichlandschaft konnten Teile von Stockenten bestätigt werden. Generell ist,  wenn animalische Reste in Mageninhalten oder Kotproben gefunden werden, eine Aussage  darüber, ob der Marderhund das Tier aktiv erbeutet oder als Fallwild aufgenommen hat, nicht möglich. So bedeuten zum Beispiel Reste eines Rehkitzes, die im Magen oder auch am Wurfbau nachgewiesen werden, nicht zwangsläufig, dass der Marderhund das Stück  auch gerissen hat. So manches ausgemähte Kitz oder Gelege wird von Raubsäugern, Raben- und Greifvögeln auch nur aufgesammelt.

Schon der Marderhundwelpe weiß, was gut ist: Kleinnager, wie Mäuse, gehören zur umfangreichen Nahrungspalette des Neubürgers. FOTO: JAROLSLAV VOGELTANZ

Bruchstücke von Eierschalen fanden sich nur in verschwindend geringen Mengen. Allerdings ist bei einer Interpretation dieses Befundes zu bedenken, dass die Magensäure Kalkschalen sehr schnell zersetzt und daher diese Nahrungsfraktion möglicherweise unterbewertet wird.

Beim Allesfresser Marderhund lassen sich auch saisonale Unterschiede in seiner Nahrungspalette feststellen, wie der Vergleich zwischen Sommer- (April bis September) und Winterhalbjahr (Oktober bis März) in der Agrarlandschaft zeigt. Im Sommer besteht  die fleischliche Nahrung im Wesentlichen aus Kleinsäugern, Amphibien, Fischen und Insekten. Während dieser Zeit sind Mäuse zahlreicher und ihre Aktivität größer, weshalb sie auch öfter zur Beute werden.  Amphibien sammelt der Marderhund nicht nur im Frühjahr an Laichgewässern auf, sondern diese Beute findet sich mitunter sehr zahlreich im Sommerhalbjahr auch in Entwässerungsgräben und an Teich- und Seerändern. Mancherorts können überstaute Wiesen einen temporären Lebensraum für Frösche bieten.

Während einer Juni woche wurde eine besenderte Marderhundfähe jede Nacht stundenlang in  einer überstauten Wiese geortet, wo sich eine große Anzahl Grünfrösche aufhielt. Derartig leicht zugängliche  Ressourcen werden von diesem Nahrungsopportunisten maximal ausgeschöpft. Im Sommer ist auch eine Vielzahl von Insekten zu finden. Darunter sind Gruppen, die aufgrund ihres Lebenszyklus nur in dieser Zeit in Erscheinung treten wie Heuschrecken und Schmetterlings raupen.

Während der Wintermonate und im zeitigen Frühjahr ist das Nahrungsangebot wesentlich  geringer. Dann ist Mais die begehrteste Nahrung für den Enok. Er nimmt diesen im Vergleich zum Sommer doppelt so häufig auf, indem er vor allem Kirrungen annimmt. Weitere Fraßquellen in unserer Kulturlandschaft im Winterhalbjahr sind Kleinsäuger und auch Aas. Wildvögel treten sowohl in der Sommer- als auch in der Winternahrung auf, haben aber offenbar in unseren Breiten einen geringen Stellenwert in der Nahrungspalette.  Hingegen sind Vögel und Aas in der fraßarmen Winterperiode in skandinavischen und osteuropäischen Lebensräumen wichtige Proteinquellen.

So tritt in Weißrussland der Marderhund mit anderen Aasfressern in Konkurrenz, was  mancherorts für den Iltis zum Überlebensproblem wird. Untersuchungen aus dem polnischen Nationalpark Białowieża belegen, dass zur nahrungsarmen Zeit außer Schalenwildkadavern, die von Wolfsrissen stammen, von Marderhunden auch vermehrt  Vögel konsumiert werden.

Häufig lassen sich in der Losung des Enoks Reste von Säugern oder Vögeln finden. Ob diese erbeutet oder als Fallwild aufgenommen wurden, ist allerdings nicht feststellbar. FOTO: HOLGER DUTY

Der Enok ist in seiner Nahrungswahl sehr anpassungsfähig und profitiert dabei sowohl  vom saisonalen Angebot als auch von den Gegebenheiten seines Lebensraumes. Unter anderem ist es diese  Eigenschaft, die den Marderhund befähigte, sich in seinen neuen  Siedlungsarealen in den unterschiedlichsten Lebensräumen zu etablieren. Ein  internationaler Vergleich belegt dieses opportunistische  Fressverhalten sehr gut: Die Auswertung von 35 Nahrungsanalysen aus neun osteuropäischen, skandinavischen undasiatischen Ländern zeigte, dass Marderhunde in allen Gebieten und zu jeder  Jahreszeit Allesfresser sind. Pflanzen (Früchte, Getreide), Kleinsäuger (vor allem Mäuse) und Insekten sind die häufigsten Nahrungskomponenten. In Landschaften mit Gewässern,  beispielsweise im rumänischen Donaudelta oder im Amurgebiet in Fernost, dominierten Frösche und Fische – meist während der Frühjahrs-  und Sommermonate – die Nahrung. Wildvögel können in manchen Lebensräumen und zu bestimmten Jahreszeiten eine bedeutende Nahrungsquelle sein. So wurden beispielsweise bodenbrütende Singvögel auf  dem finnischen Festland, in Weißrussland und in Rumänien hauptsächlich im Sommer konsumiert. In der Ukraine und Zentralrussland  fanden  sich  Vogelreste vorwiegend im Winterhalbjahr.

Astrid Sutor

Jahrgang 1966, 1987 bis 1995 Diplomstudiengang Biologie in München, arbeitet als freiberufliche Biologin, derzeit wissenschaftliche Mitarbeiterin am Friedrich-Loeffler-Institut (Bundesforschungsinstitutfür Tiergesundheit), seit 2009 Geschäftsführung im Förderverein Großtrappenschutze. V. in Brandenburg, Untersuchung der Prädation von Bodenbrütern durch Haarraubwild, besonders Rotfuchs, Marderhund und Waschbär.

Generell ist zu beobachten, dass der Marderhund hauptsächlich dann zum aktiven Jäger  wird, wenn andere aufzusammelnde Nahrungsbestandteile, wie Obst, Mais, Aas oder  Ähnliches, kaum oder gar nicht zur Verfügung stehen. Vermutlich ist deshalb der Prädationsdruck durch den Marderhund auf weit verbreitete Arten gering, wohingegen ein negativer Effekt auf kleine, isolierte Restpopulationen von Vögeln oder Amphibien nicht  ausgeschlossen werden kann.

Während der kalten Jahreszeit – in unseren Breiten im Zeitraum von Mitte Oktober bis  Anfang Februar – ist der Marderhund eher inaktiv und nimmt in der Regel wenig Fraß auf, da er zu dieser Zeit wie der Dachs von seinen  Fettreserven zehrt. Aufgrund dieser  jahreszeitlich bedingten eingeschränkten Aktivität, seiner überwiegend sammelnden Ernährungsweise und des hohen Anteils an pflanzlichen Nahrungsbestandteilen ist der faunenfremde Marderhund in seinem Einfluss als Beutegreifer harmloser als unser heimischer Fuchs, der ein ganzjährig aktiver Räuber ist.

Das frisst der Enok

  • Die Fraßzusammensetzung des Marderhundes ändert sich nach ihrer Verfügbarkeit und ist abhängig von Jahreszeiten und Landschaftstypen.
  • Die Hauptnahrungsbestandteile sind Kleinsäuger, Vögel, Amphibien,
    Insekten und Pflanzen.
  • Der Marderhund ist ein potenzieller Prädator für bodenlebende Arten und kann daher bei isolierten Restpopulationen von Bodenbrütern und Amphibien zum Erlöschen derartiger Vorkommen führen.
  • In seiner Ernährungsstrategie ähnelt er unserem heimischen Dachs. Enoks sind eher Sammler und weniger aktive Jäger. In unseren Breiten sind sie von etwa Mitte Oktober bis Anfang Februar eher inaktiv und leben dann vornehmlich von ihren Fettreserven.
    Daher sind sie während dieser Zeit als Prädatoren für die heimische Tierwelt von geringer Bedeutung.

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