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Das Judas-Projekt

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MARDERHUNDFANG IN DÄNEMARK

Dänische Jäger machen sich das ausgeprägte Sozialverhalten der Marderhunde und die Ortungstechnik zunutze, um die Neubürger zu fangen. MAX STEINAR begleitete eine etwas andere Jagd.

marderhund
FOTO: MAX STEINAR

Mit ausladendenden Bewegungen schwenkt Brian Kjølhede Jensen die Antenne vor und zurück. Immer noch kein Signal. Das letzte Zeichen des besenderten Marderhundes liegt jetzt bereits eine halbe Stunde zurück und kam aus dem Schilf. Hier ist der Reetgürtel nur 500 Meter breit. Deshalb sollte es eigentlich möglich sein, den Enok zu orten. Aber der dichte Schilfwald schwächt das Signal ab. Sitzt das Wild gar hinter einem kleinen Hügel oder rinnt, wird das Auffinden noch schwieriger. Der Forstbedienstete Jensen ist gerade
auf der Pirsch im dänischen Vogelschutzgebiet Vest Stadil Fjord. Aber statt Flinte oder Büchse nimmt er nur seinen Labrador- Retriever „Sitka“ und eine Ortungsausrüstung mit. Seine schwedischen Kollegen hatten ihn morgens angerufen und ihm gesagt, dass sich im Vogelschutzgebiet ein „Judas- Marderhund“ herumtreibt. So nennen sie die besenderten Neubürger, mit deren Hilfe weitere Artgenossen entdeckt werden. Dafür machen sich die Jäger die Tat sache zunutze, dass der aus Fernost stammende Canide ein ausgeprägtes Sozialverhalten und dadurch das Bedürfnis hat, einen Partner zu finden. Marderhunde unternehmen kilometerlange Wanderungen, um nicht allein zu bleiben. Hat sich dann ein passendes Gegenstück gefunden, bleibt sich das neue Paar dicht auf den Fersen. Schwedische Forscher beobachteten zwei markierte Enoks über einen längeren Zeitraum. 90 Prozent der Zeit waren Rüde und Fähe weniger als zehn Meter voneinander entfernt.

Mit der Antenne können die Judas- Marderhunde in einem Bereich von 1000 Metern geortet werden. FOTO: MAX STEINAR

Wird ein „Judas-Enok“ wieder freigelassen, macht er sich umgehend auf die Suche nach einem Partner. Jensen braucht dann nur dem Signal zu folgen, und schon kann er den neuen Gefährten fangen und besendern.

Um die Verhaltensweisen des Neubürgers kennenzulernen und den Umgang mit der Ortungsausrüstung zu erlernen, war Jensen bei einem Training in Schweden. Dort hat man sich das hehre Ziel gesteckt, die Besiedlung des Königreiches durch Marderhunde zu verhindern. Aus diesem Grund unterstützen die schwedischen Jäger ihre dänischen Kollegen. Wenn die Zuwanderer nämlich erst die dänische Insel Seeland erreicht haben, da sind sich die skandinavischen Nachbarn einig, ist der Öresund, die Meerenge zwischen Dänemark und Schweden, kein Hindernis mehr für die guten Schwimmer.

Selbst tauchen ist für den Obstfuchs keine Schwierigkeit. Das, vermutet Jensen, ist auch der Grund dafür, dass er kein Signal mehr empfängt. Aber plötzlich beginnt sein Ortungsgerät wieder zu piepen. „Wir haben ihn!“, freut sich der Däne und fügt schmunzelnd hinzu: „Aber vielleicht müssen wir schwimmen.“ Zunächst ist es noch flach, doch schon bald steht dem Jäger das Wasser bis zur Hüfte. Hündin „Sitka“ schwimmt angeleint bereits seit geraumer Zeit. Bis zur anderen Uferseite sind es noch ungefähr 300 Meter.

Erneut ertönt das Piepen und zeigt damit, dass Jensen und sein Jagdhelfer dem Judas auf den Fersen sind. Langsam geht es weiter. „Wir sind auf 100 Meter ran“, flüstert der Förster. „Ich werde jetzt den Hund schnallen. Der macht den Rest.“ Der Labrador nimmt das Reet an und ist verschwunden. In dem dichten Schilfgürtel dem Hund zu folgen, ist anstrengend
und kostet einigen Schweiß. Plötzlich ist der Standlaut von „Sitka“ zu hören – das Zeichen, dass die Jagd erfolgreich war.

Bei der Suche nach dem Zuwanderer ist voller Körpereinsatz gefragt. Auch vom Jagdbegleiter. FOTO: MAX STEINAR
Labrador „Sitka“ ist es anzumerken: Das Objekt der Begierde muss nahe sein. FOTO: MAX STEINAR

Jensen kämpft sich bis zu seinem Vierläufer durch. Vor „Sitka“ steht ein knurrender Marderhund. „Kein anderes Tier macht so ungewöhnliche Geräusche“, sagt der Däne, „aber den Hund beeindruckt das nicht.“ Mit einer schnellen und geübten Bewegung packt Jensen den Enok im Genick und steckt ihn in seinen Rucksack. Trotz der Nähe zu Mensch und Hund verhält sich der Gefangene absolut still.

Auge in Auge stehen sich „Jäger“ und „Beute“ gegenüber. FOTO: MAX STEINAR
MIt gekonntem Griff packt der Förster den Marderhund im Nacken. FOTO: MAX STEINAR

„Das besenderte Tier haben wir im Sack. Jetzt wird es aber erst richtig interessant.“ Nun ist die Passion des Enokexperten richtig entbrannt. Er rüdet „Sitka“ an, die sofort mit der Suche nach dem Gefährten des Rucksackinsassen beginnt. Wird der Partner gefunden und
gefangen, ist sein Schicksal besiegelt: Von einem Tierarzt werden die Obstfüchse kastriert, besendert und an anderer Stelle wieder in die Freiheit entlassen. Dann beginnt der Kreislauf von vorn. Solange, bis die von den schwedischen Kollegen gestifteten 30 Sender verteilt sind. Von diesem Zeitpunkt an sollen die neu entdeckten Zuwanderer erlegt werden. Nach ungefähr zehn Minuten schlägt „Sitka“ erneut an. Der zweite Marderhund ist gefunden! Jensen prescht mit Schwimmbewegungen durchs Schilf, um die Halme nicht ins Gesicht zu bekommen. Auge in Auge stehen sich Hund und Enok gegenüber. Ein kurzer Griff – und die Weggefährten sind im Rucksack wieder vereint.

Im Rucksack verstaut bleibt der Gefangene völlig regungslos und harrt der Dinge, die da kommen. FOTO: MAX STEINAR

Jetzt steht ein langer, anstrengender Rückweg durch das Reetmeer bevor. Bis zum Auto sind es ungefähr drei Kilometer. Mit den Marderhunden auf dem Rücken kein Zuckerschlecken. Am Wagen angekommen packt der Marderhundexperte seine Beute noch einmal aus und legt die beiden Leidensgenossen neben sich ins Gras. „Sitka“ beobachtet das Geschehen aufmerksam. Während sich der Däne nach der anstrengenden Jagd erst einmal ein Smørrebrød genehmigt, liegen die Enoks wie tot nebeneinander. Nur die sich bewegenden Augen lassen erkennen, dass noch Leben in ihnen steckt.

Die Enoks stellen sich tot. Doch „Sitka“ lässt sich nicht täuschen. FOTO: MAX STEINAR

Nach einer kurzen Untersuchung wird die besenderte Fähe wieder auf „Mission“ geschickt, während der Rüde auf dem Operationstisch landet. Danach wird er ebenfalls als „Judas“ durch dänische Reviere streifen und indirekt seine Artgenossen um die Fruchtbarkeit beziehungsweise ums Leben bringen. Jensen steckt die „Scheintoten“ in einen Käfig im Kofferraum. Nebenan findet die Ortungsausrüstung Platz. „Sitka“ springt ins Auto. Der Förster verabschiedet sich, um zum Tierarzt zu fahren: „Ich freu mich schon auf die nächste Fangaktion. Das ist zwar anstrengend, macht aber süchtig. Als Verräter werden mir die beiden da hinten noch nützlich sein.“

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