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Elchherbst

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Frischer Kaffeeduft schlägt mir entgegen. Es ist noch früh am Morgen, und nach und nach treffen die einheimischen Jäger an der abgelegenen Jagdhütte ein. Signalfarbene Bekleidung, Gummistiefel, die typischen Schwedenhosen mit den überlappenden Lederbesätzen, die über die Stiefel hängen und vor reinlaufendem Regen schützen. Man begrüßt sich und tauscht Neuigkeiten aus. Aber nur kurz. Denn Gesprächsthema Nr. 1 ist die Elchjagd. Es ist Anfang
September, und das gelbe Laub der Birken zeigt deutlich an, dass der kurze nordische Sommer endgültig vorbei ist. Die Elchjagdsaison hat begonnen.

Wir befinden uns in der Nähe des kleinen Dorfes Slussfors, mitten in Västerbotten, einer Region im schwedischen Teil Lapplands. Auf den ersten Blick ein winziges Örtchen im Nirgendwo: eine Tankstelle, ein kleines Bistro an der Straße und eine Bushaltestelle. Der nächste große Supermarkt ist 70 Kilometer entfernt. Die meisten Nachbarorte erreicht man nur über Schotterpisten. Im Moment ist das aber unbedeutend. Denn der wahre Wert dieser Gegend liegt für die versammelten Jäger in der Natur. Und die beginnt gleich hinter dem Dorf. Dort steigt das Gelände ein wenig an, und riesige Moorflächen, gesäumt von Birken, wechseln sich mit unwegsamen Nadelwäldern ab. Die Bäume wachsen hier deutlich langsamer als im Süden, die Fichten haben schmale Kronen, so dass die Schneelast des langen Winters ihnen nicht viel anhaben kann. Für mitteleuropäische Verhältnisse ist die Ausdehnung des Jagdgebiets mit mehreren tausend Hektar nahezu gigantisch. Wenn man sich verläuft, würde es mit ein wenig Pech Tage dauern, bis man an das nächste Gehöft oder eine Siedlung kommt. Jagdleiter Greger Einersson erklärt anhand einer Karte, wo heute gejagt wird. Und dann wird es spannend. Jeder Schütze zieht sein Standlos. In den Gesichtern der Schweden sieht man deutlich Neugier und Anspannung, gemischt mit einem Schuss Vorfreude: Welchen Stand bekomme ich heute? Vielleicht an dem Pass, an dem Bertil vor ein paar Jahren seinen großen Schaufler geschossen hat? Oder am Rande des großen Moores, wo ein Schütze im letzten Jahr erst ein Kalb und später dann ein Schmaltier erlegte? Die versammelten Jäger haben diesem Termin die letzten Monate geradezu entgegengefiebert. Alles ist perfekt vorbereitet, die Schießprüfungen sind überstanden, der Urlaub schon lange im voraus beantragt. Elchjagd in Lappland erfordert viel Ausdauer und Geduld, besonders unter den schwierigen Wetterverhältnissen, die der Norden manchmal mit sich bringt. Die Wilddichte ist um ein Vielfaches geringer als in Deutschland, das Gelände meist wenig oder gar nicht erschlossen. Nicht selten vergehen mehrere Tage ohne Anblick. Um dennoch zu Waidmannsheil zu kommen, müssen alle Teilnehmer als Team arbeiten. Die Hundeführer legen den Elchhunden die Halsbänder mit Peilsender um, und dann geht es los. Ich fahre mit Roland über weite Schotterpisten zum vereinbarten Startpunkt. Sein Jämthund sitzt auf dem Rücksitz. Beiden ist eine gewisse Nervosität anzumerken. „Ich weiß noch nicht, wie gut mein Hund dieses Jahr ist“, gesteht Roland ein wenig zögerlich.

Hunde spielen eine zentrale Rolle bei dieser Form der Jagd. Sie werden geschnallt und stöbern auf den riesigen Flächen langsam gegen den Wind, um  über frische Fährten oder durch Direktwittrung Elchwild auszumachen. Trifft der Hund auf einen Elch, stellt er diesen und verbellt ihn. Der Hund beschäftigt das Stück, bis der Schütze nah genug herankommt. Schafft es der Hund, den Elch ausreichend lange zu stellen, kommt der Jäger vielleicht zum Schuss.

Roland hat über viele Jahre Elchhunde gezüchtet und weiß, worauf es dabei ankommt. Wie gut sich ein Hund für diese Jagd eignet, wird im Wesentlichen durch seine Gene bestimmt. Nase, Spurwille, Orientierungsvermögen, Laut – all das kann nicht trainiert werden. Die Hunde jagen völlig auf sich gestellt, die Anlagen müssen stimmen. Roland schnallt seine Hündin „Pyspa“ und schultert die Büchse. In einen kleinen Rucksack steckt er ein wenig Proviant, das Funkgerät kommt in seine Brusttasche, und er aktiviert den Empfänger des Peilsenders.
Aus einer seiner vielen Taschen kramt er eine Streichholzschachtel hervor und zündet ein Streichholz an. Der aufsteigende Rauch signalisiert umgehend, von wo der leichte Wind weht.
Wir stiefeln genau in diese Richtung los, so dass der Hund immer unter Wind arbeiten kann. Die nächsten Stunden sind anstrengend, denn die Jagd führt durch unwegsames Gelände. Nun erklärt sich für mich auch, warum die schwedischen Jäger mit Gummistiefeln ausgerüstet sind. Immer wieder geht es durchs Moor und über Blaubeerheiden, durch Fichtendickungen.
Immer wieder tritt man auf Grasbülte, rutscht ab und sinkt im Moorboden ein. Das ist kräftezehrend und für jemanden wie mich, der es nicht gewohnt ist, noch mehr. „Pyspa“ erledigt ihre Arbeit ordentlich. Meistens ist sie für uns nicht zu sehen. Nur ab und zu nimmt sie Kontakt zu uns auf, äugt kurz auf die viel zu langsamen Menschen und verschwindet dann wieder in den lichten Fichtenwäldern.
Leichter Nieselregen setzt ein, und nach einigen Kilometern habe ich die Orientierung völlig verloren. Wenn Roland etwas zustoßen würde, würde ich mich in der weitläufigen Wildnis wahrscheinlich hoffnungslos verlaufen. Roland allerdings kennt sich trefflich aus. Er ist nicht nur Jäger, sondern auch ausgebildeter Wildnisführer, der zahlenden Gästen die Schönheiten der schwedischen Wildnis näherbringt. Nach einiger Zeit erklimmen wir einen kleineren Berg und schauen in die eindrucksvolle Landschaft: So weit das Auge reicht nur Hügel, Wälder, Seen und Moore. Über Funk erfahren wir, dass die Hunde noch kein Wild gestellt haben. Roland sammelt einige Fichtenzweige und zündet ein kleines Feuer an. Aus seinem Rucksack holt er einen kleinen Kessel, Zeit für den nächsten Kaffee. Wir setzen uns einfach ins weiche Kraut und verzehren unseren Proviant. Ich frage mich nach einem Blick in die karge Landschaft, wie hier so große Säugetiere wie die Elche bei mehr als fünf Monaten Winter und Temperaturen von bis zu minus 50 Grad Celsius überleben können. Nach dem letzten Schluck Kaffee löschen wir das kleine Feuer, und es geht weiter. Unterwegs treffen wir andere Hundeführer. Ein kurzer Plausch, eine taktische Besprechung, nein, bis jetzt hat noch niemand was gesehen. Kurz darauf bleibt Roland stehen und betrachtet einen Strauch mit Beeren. Einige der Früchte liegen auf dem Boden, und Roland grübelt einen Moment. „Das könnte ein Bär gewesen sein“, sagt der Schwede nachdenklich. „Vögel pflücken die Beeren anders“. Einige Schritte weiter findet er dann tatsächlich Bärenlosung und zeigt sie mir. Angespannt nimmt er die Büchse von der Schulter und lädt durch. „Björn, wie der Bär auf schwedisch heißt, ist in der letzten Zeit auch bei uns immer häufiger geworden“, erklärt Roland. Doch der Schwede ist nicht besonders scharf auf eine Begegnung mit Meister Petz. „Ich weiß nicht, ob ich noch den Mumm habe, einen Bären direkt anzugehen und ihn zu erlegen“, sagt er. Für viele seiner Jagdfreunde wäre das eine große Sache, doch Roland meint, er sei älter geworden, und dann ändern sich manche Sachen ein wenig. „Früher war ich regelrecht krank vor Jagdfieber. Ich musste immer raus, alleine oder mit den Hunden, zu jeder Jahreszeit. Es gab nichts Wichtigeres für mich“, erzählt er mit einem Schmunzeln im Gesicht. Doch dann lernte er seine Frau kennen, sie bekamen fünf Kinder, und der Bauernhof hatte Vorrang.
Roland scheint über diese Entwicklung gar nicht so unglücklich zu sein. „Jetzt packt mich das Jagdfieber eigentlich nur noch so richtig zur Elchsaison im Herbst, danach werde ich wieder ruhiger“, erklärt er mir. Vom Bären ist weit und breit nichts zu sehen, und auch die über Funk benachrichtigten Jäger hatten das Raubwild nicht in Anblick. Dafür schlägt nun der Elchhund an, und wir folgen dem Signal aus dem Empfänger. Der Hund hat einen Elch gestellt, die Laute kommen eindeutig immer aus der selben Richtung. Das Stakkato des Standlauts wird immer heftiger. Dem Laut nach bedrängt „Pyspa“ den Elch, weicht dann wieder etwas aus, umkreist ihn, während das große Wild hin und wieder einen Ausfallschritt in Richtung Hund macht. So schnell wie möglich nähern wir uns dem Laut. Aber bevor wir nah genug heran sind, fällt ein Schuss. Auf einer großen Freifläche treffen wir auf den Schützen und Rolands Hündin. Peder Anderson hat ein Schmaltier erlegt und berichtet voller Freude, wie alles vor sich ging. Nun kommt der arbeitsreiche Teil der gemeinsamen Jagd. An Ort und Stelle bricht Roland das Stück mit geübten Handgriffen auf. Peder informiert die anderen per Funk über die Erlegung. Einige Zeit später fährt wie aus dem Nichts ein geländegängiges Quad mit Anhänger vor und andere Jäger treffen ein. Mit einer Winde wird das Stück auf den Anhänger gezogen und abtransportiert.
Später an der Jagdhütte wird das Elchtier sauber zerwirkt und das Wildbret zur Kühlung aufgehängt. Das geschieht alles extrem penibel. Die Messer sind rasiermesserscharf. Jeder Schnitt sitzt, jeder passt auf, dass das Fleisch nicht verschmutzt. „Es bleibt jetzt für drei Tage hier und wird anschließend aufgeteilt“, erläutert Roland. Unter den Jägern herrscht eine gelöste Stimmung, man freut sich gemeinsam. Von Schussneid keine Spur, die Schwe-
den verstehen diese Unternehmung wirklich als Gemeinschaftsjagd. Gemeinsam sitzen wir daher noch ein wenig zusammen, Roland ist sichtlich zufrieden mit sich. Seine Hündin „Pyspa“ hat gute Arbeit geleistet, und es war ein erlebnisreicher Jagdtag.
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