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Langer Anlauf, kurzer Schluss

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So, einen Sikahirsch wollen Sie bei uns schießen“, meinte der freund-liche Pensionswirt am Möhnesee, nachdem ich auffallendes Interesse an seinen im Frühstücksraum aufgehängten Trophäen gezeigt hatte. „Also, für den da“, wies er mit dem Daumen auf seinen besten, „hab’ ich dreißig Ansitze gebraucht und zwar genau dort, wo Sie hingehen.“ Für meine Hoffnungen bedeuteten diese Worte einen Schlag unter die Gürtellinie. Ganze fünf Ansitzeinheiten erlaubte mir nämlich mein Terminkalender mit der Option, das Gleiche am Wochenende darauf zu wiederholen. Knochentrocken und brütend heiß hatte sich der Michaelistag (29. September) präsentiert. Ideales Ausflugswetter also, das mit Sicherheit die Leute aus dem Dortmunder Bereich in Heerscharen in das beliebte Naherholungsgebiet Arnsberger Waldlotsen würde. Die Woche zwischen dem 1. und dem 8. Oktober wiederum wurde mir von Kai-Uwe Kühl, einem der beiden Geschäftsführer von K&K Premium Jagd als besonders aussichtsreich genannt. Zu Beginn der Hochbrunft habe er sich sechs Hirsche der Klasse I exklusiv für seine Kunden reservieren lassen, und der Termin biete zudem die Gewähr, dass in den gebuchten „Refugien“ vorher kein Schuss gefallen sei. Demzufolge würde kein Jagddruck aufgebaut werden und – nicht unwichtig – alle in Frage kommenden Trophäenträger noch leben.

„Keine Bange, da gibt es soviel Wild, dass Sie mit etwas Glück ihren Hirsch am ersten Tag kriegen sollten. Außerdem sind sie der erste Jagdgast“, wusste er bei unserem ersten Kontakt im März 2006 Öl auf meine Terminprobleme zu träufeln. Aber auch, dass die Nachfrage groß und das Kontingent knapp sei. Mit einem Mal hing mein Sikahimmel voller Geigen. Im Arnsberger Wald auf diesen urigen Hirsch jagen zu können, war nämlich einer meiner heißesten Wünsche. In der Vergangenheit scheiterten alle in Richtung des deutschen Sika-Dorados vorsichtig ausgestreckten Fühler am Hinweis auf die extrem lange Warteliste. Aber jetzt hatte sich die Chance eröffnet und wollte ergriffen werden. Dass dies nicht zu Schnäppchenpreisen oder Last-Minute-Konditionen machbar ist, versteht sich von selbst. Ich habe noch gut das langgezogene „Iiiiiiiiiiiiieh“ in den Ohren, mit dem ein Hirsch im Bestand oberhalb der Waldwiese in einem tschechischen Sikarevier die Stille zerriss und für Abwechslung im monotonen Einerlei anblickloser Ansitze sorgte. Die erwirkte Jagdverlängerung schröpfte letztlich jedoch nur mein Portemonnaie. Ich sehe noch den dunklen Klumpen im ersten Morgengrauen vor mir, auf den wir praktisch aufgelaufen waren, verfluche die Unvorsichtigkeit meines Pirschführers, mit der dieser die einzige gute Chance meines dritten Jagdtrips vergeigt und die drei Hirsche im Hang zum pfeifenden Abspringen veranlasst hatte. Ebenso wenig möchte ich die beiden Ausflüge auf den legendären Truppenübungsplatz bei Karlsbad verschweigen, bei denen ich zwar jede Menge Hirsche pfeifen gehört, jedoch keinen gesehen hatte. Was musste auch ausgerechnet im entscheidenden Moment der Ruf in der Faust meines Berufsjägers streiken und so verhindern, dass der bereits zustehende Hirsch die entscheidenden Schritte machte. Es waren in diesem wildreichen Revier jedoch in erster Linie logistische Gründe (ein Jeep für sechs Pirschführer) und somit fehlende Mobilität, um die Möglichkeiten dieses wahrhaft riesigen Terrains auch nur annähend auszuschöpfen. Man muss wissen, dass Sikas in Tschechien sehr verbreitet sind und wegen ihrer Neigung zum Schälen zum Problemwild erklärt wurden. Der permanente Jagddruck wiederum macht die Cerviden recht heimlich und erschwert den Jagderfolg. Gute Trophäenträger jedenfalls sind in freier Wildbahn nicht mehr üppig gesät. Darauf nimmt freilich die Preispolitik keine Rücksicht: Wer also in Tschechien offiziell einen reifen Sika erbeuten will, tut gut daran, sich auf mancherlei Unwägbarkeiten einzustellen.

Nach kurzer Fahrt auf kurvenreicher Straße durch herrliche Mischbestände treffe ich etwas vor der vereinbarten Zeit am Forsthaus Neuhaus im Arnsberger Wald ein. Pünktlich um drei Uhr hält auf dem Parkplatz ein Jeep. Ihm entsteigen der Leiter des Forstamtes Arnsberger Wald, Forstoberrat Peter Bergen, sowie der Revierleiter, Forstamtsrat Joachim Kromnacker. Nach herzlicher Begrüßung, Fragen nach verfügbarer Zeit, Wildvorkommen, Brunftbetrieb und trophäenmäßigen Vorstellungen beginnt die Einweisung mit einem Video. Wie bestellt treten dort auf der zartgrünen Wildwiese Hirsche aller Altersklassen aus. Keine Frage, im direkten
Vergleich bereitet das Ansprechen selbst dem Laien keine Mühe. Doch bleibt dem Betrachter nicht verborgen, dass bereits mittelalte Hirsche mit starken Trägern und massigen Körpern blenden, und auch das Geweih nur sehr bedingt als Ansprechhilfe taugt. „Wenn er so alleine vor dir im Bestand steht, ist der Sika schwerer als andere Hirsche anzusprechen“, weiß Kromnacker aus Erfahrung. Der über sechzigjährige Beamte kennt den Arnsberger Wald wie seine Westentasche und natürlich auch sein Wild. Dreißig Jahre Dienst vor Ort haben ihn
zu einer Institution in Sachen Sika gemacht. Die zweite Phase des Jagens auf eigene Faust sieht die Einweisung in ausgesuchte Abteilungen mit besten Brunftplätzen vor. Dort darf ich mich bis zum Erfolg solange und sooft bewegen, wie ich will. Liegt der Hirsch, besteht die Möglichkeit, abseits der Kernzone auf Spießer und Kahlwild zu waidwerken. Unterwegs höre ich aus berufenem Munde, dass neben Rot- und Schwarzwildrund 1 000 Stück Sikawild im Arnsberger Wald ihre Fährte ziehen, von denen jährlich ein Viertel geschossen wird. Darunte sind im Schnitt 15 Geweihte der Klasse I (8 Jahre und älter) sowie 15 der Klasse II (2–7 Jahre). Die Wilddichte wiederum wird mit 6 bis 7 Stück auf 100 Hektar beziffert. Desgleichen gäbe es Probleme mit Schälschäden, insbesondere Sommerschäle an Laubholz. Rehe dagegen kommen weniger als anderswo vor, weil Sika ähnliche Ansprüche an den Lebensraum stellen und das Rehwild verdrängen.
Nahe einer sumpfigen Niederung parkt der Beamte den Wagen. „Dort oben sind zwei wirklich gute Brunftplätze. Hier habe ich in den letzten Tagen mehrmals einen wohl achtjährigen Hirsch mit kürzeren, aber knuffigen Stangen gesehen. Das ist der Platzhirsch. Den würde ich an Ihrer Stelle schießen“, flüstert er und pirscht auf sauber geharktem Pfad los. Für die ersten zweihundert Meter braucht mein Führer eine halbe Stunde. Baum für Baum, Busch für Busch und Mulde für Mulde sucht er sorgsam mit dem Glas ab, bevor er wieder einen Schritt macht. Eine Reihe von frischen Brunftkuhlen sowie Schlagstellen verraten, dass wir uns im Wohnzimmer des Hirsches bewegen: „Und ein Pfiff von Hirsch oder Kahlwild, dann war’s das“, warnt mich der Profi. An einer Kanzel angekommen, erklimmt er unendlich langs am die Sprossen, prüft den Wind und winkt ab. „Hier würde ich morgens hingehen“, lese ich von seinen Lippen ab. Im Schutze eines Walles arbeiten wir uns sodann hangwärts bis zu einer nagelneuen Kanzel auf einem Plateau. Vor uns ein Schlag mit Binsen, rechts ein lückiger Eichhain. Kromnacker sondiert mit dem Glas aufmerksam das Terrain und winkt mich heran. Oben angekommen, beziehe ich so leise wie möglich meinen Platz und richte mich auf einen langen Ansitz ein. Ein Blick auf die Uhr. Es ist 16.30 Uhr, und die Sonne steht entsprechend hoch. Doch lieber eine Stunde zu früh als eine Sekunde zu spät. Soeben bin ich im Begriff, mich hinzusetzen und meine mobile Anschlaghilfe auszuziehen, als mich Kromnacker anstupst: „Da vorne steht der Hirsch.“ Mit bloßem Auge erkenne ich durch die Büsche zunächst einmal nichts. Doch das Fernglas filtert einen schwarzen Wildkörper mit Geweih aus den dunkelgrünen Binsen heraus. Um ihn frei zu kriegen, muss ich erst einmal nach links rutschen.
Im Auffahren zische ich dem Führer zu: „Ist er alt genug?“ – „Ja, schnell, sonst zieht er weg“, drängt dieser. Da der Hirsch bis über die Rumpfmitte in den Binsen steht, suche ich den Haltepunkt so tief wie möglich und lasse fliegen. Im Knall der R93 ist das Zielfernrohr leer. Nur ein Tier flüchtet in den Bestand. Weil der Hirsch so schlagartig zu Boden. Wie überall in den Hochwildrevieren funktionieren auch im Arnsberger Wald die Buschtrommeln. Und so finden sich nach Einbruch der Dunkelheit eine Reihe von Sikajägern ein, die den Hirsch durchweg für älter angesprochen hätten und ihm aufgrund der massigen Figur auch ein Wildbretgewicht von 60 Kilo zubilligen wollen. Tatsächlich brachte er aber 48 Kilo auf die Waage. Angesichts der Tatsache, dass das Gute gerade vor der Haustür liegt und neben anderen Vorzügen kurze Wege, deutsche Organisation und Verständigung in der Muttersprache birgt, relativieren sich auch die „First-Class“-Preise. Bilanziert wird nämlich unterm Strich, und da sieht es auf der Habenseite doch erfreulich aus.
Die Nacht wird lang. Als ich in der ersten Morgenstunde in meiner Pension eintreffe, brennt noch Licht. Am Stammtisch sitzen der Wirt und die letzten Gäste. Was ich ihm erzähle, vermag er kaum zu glauben. Aber die Fakten sind einige Runden wert. Kurzerhand ziehe ich danach den Traum in den Federn der Morgenpirsch auf eigene Faust vor und versuche zur Vormittagszeit, gegen Mittag und am Abend, einen „Küchensika“ zu erbeuten. Doch trotz frischer Losung und zahlreicher Fährten sehe ich nicht ein Haar vom getupfen Kahlwild. Mehr Erfolg warden Premium-Gästen beschieden, die nach mir, also zur idealen Zeit, eintrafen. Sie bekamen, nachdem Regen für Abkühlung gesorgt hatte, auf eigene Faust nicht nur ihre Hirsche zum Teil in Top-Qualität, sondern hatten auch Waidmannsheil auf Sika- und Rotkahlwild. Der Abschuss des meinen mit 40cm kostete übrigens 800 Euro. In der Pauschale wäre sogar ein Hirsch bis zu 50 cm Stangenlänge drin gewesen. Einer mit 59cm hätte 1100 gekostet und bei einem über 60 cm (in der Regel Goldmedaille) wären 1 500 Euro angefallen; Organisation und Nebenkosten (bei mir ca. 1300 Euro) nicht eingerechnet. Nach den vorangegangenen Pleiten, Pech und Pannen bereitete demnach diese perfekt organisierte Jagd im Arnsberger Wald das reinste Vergnügen. Kein billiges, aber ein preiswertes allemal.

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