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Kaiserliches Geschenk

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Sikajagd

SIKAJAGD

Einst als Präsent an den österreichischen Kaiser ins Land gekommen, ziehen die genügsamen Hirsche aus Fernost seit 110 Jahren im südlichen Waldviertel ihre Fährten. Markus Deutsch hatte das seltene Glück, dort auf einen Brunfthirsch eingeladen zu werden.

Ein kurzes, an- und wieder abschwellendes schrilles Schreien dringt aus dem Bestand über die Wiese bis in die Kanzel. Es erinnert an das Geräusch, das Kinder in den 1980er-Jahren aus quietschbunten Plastikschläuchen herausrotierten. Ein Klang wie aus einer anderen Welt. Noch scheint der Urheber, ein Sikahirsch auf Brautschau, im Bachtal unterhalb der Fichten zu ziehen. Sie begrenzen die Weide nach Osten. Ihre Wipfel taucht die untergehende Oktobersonne in ein herrliches Orange-Rot, was den akustischen andersweltlichen Eindruck noch optisch verstärkt.
Der Brunftlaut des eingebürgerten Asiaten war zwar noch etwas entfernt, aber pünktlich: „Jetzt ist die Zeit“, raunt mir mein österreichischer Gastgeber Matthias zu. „Meist fangens kurz vor der Dämmerung zum Schreien an.“ Die Wiese, an der wir Stellung bezogen haben, ist mir vom vergangenen Frühjahr noch bestens, allerdings in etwas betrübter Erinnerung: Der gebürtige Tiroler hatte mich zum Schnepfenstrich eingeladen – ein ganz besonderes jagdliches Schmankerl, das sich ja bei uns leider nicht mehr, bei den österreichischen Nachbarn aber sehr wohl noch erleben lässt.
Das Sika-Kahlwild tritt während der Brunft wie gewöhnlich zum Äsen aus. Der suchende Hirsch drängt brunftige Stücke dann häufig zum Beschlag in eine Dickung ab.
Damals hatte ich mich neben eine alte, knorrige Eiche gestellt und sehnsüchtig auf das Verstummen des Amselschlags gewartet. Im Silberstreif der Abenddämmerung schaukelten dann die ersten Schnepfen vorbei. Das „Puitz, puitz“ gefolgt vom dumpfen „Quor“ elektrisierte mich. Da puitzte eine Schnibbe zwischen Eiche und Anpflanzung hindurch, gefolgt vom Murkerich. Die Flinte an die Wange, etwas vor den hinteren Schnepf gezogen und – rumms, rumms – zwei mal glänzend daneben geschossen. Die Vögel mit dem langen Gesicht waren zu nahe gewesen und die Garbe noch zu dicht zusammen. Auf jeden Fall segelten beide Waldbewohner, wohl lediglich etwas erschrocken von den lautstarken Störmanövern des eingeladenen Preußen, putzmunter in die Dämmerung fort und waren nicht mehr gesehen. Ein solches Waterloo will ich heute nach Möglichkeit nicht wieder erleben, zumal man ja in unseren Breiten nicht alle Tage auf Sikawaidwerken kann.

Langsam ergreift die Dämmerung Besitz vom Revier. Die von Bäumen gesäumte Wiese ist noch jungfräulich leer, da lässt uns ein giftiges Keckern aufhorchen. Matthias hatte seinen auf dem Kanzelboden abgestellten Rucksack leicht verschoben, um etwas mehr Beinfreiheit zu haben. Das hat einen in der Kanzel wohnhaften Siebenschläfer in klaustrophobische Bedrängnis getrieben. Laut zeternd macht er seinem Unmut über die raumgreifenden Störenfriede Luft und beruhigt sich erst nach einer ganzen Weile, nachdem er sich, von uns mit den Augen verfolgt, unter dem Kanzeldach eingeschoben hat.

Ein Foto bei Tageslicht verdeutlicht die Distanz vom Hochsitz zum Kugelriss (l.) und von dort Richtung Bestandsrand, wo der Hirsch verendete.

Als wir wieder nach vorn blicken, durchfährt es uns: Wie hingezaubert äsen auf der Wiese Sikatier und Kalb. Sollten die beiden vielleicht einen Hirsch im Schlepptau haben? Gespannt glasen wir immer wieder den Bestandsrand ab, aber dort ist nichts Auffälliges zu sehen. Allerdings hat ein Tier die Transportstrapazen nicht verkraftet und ist gleich in der neuen Heimat eingegangen. Auf den überlebenden sechs Individuen fußt die Population, die derzeit rund um Persenbeug auf ungefähr 5000 Hektar ihre Fährte zieht. So profitieren mittlerweile auch alle Revier anrainer wie Matthias vom einstigen kaiserlichen Präsent.

Plötzlich werfen Alttier und Kalb auf und sichern Richtung Fichten. Weiteres Kahlwild, insgesamt fünf Stück, tritt aus. Im selben Moment schmettert wieder der exotische Brunftschrei durch die zunehmende Dämmerung, nur diesmal unmittelbar vom Bestandsrand. Mit klopfendem Herzen richte ich mich vorsichtig ein. Das Sikawildäst sich in unsere Richtung ziehend an der Wiesenkante entlang. Da tritt ein Hirsch zwischen den Büschen hindurch auf die Weide aus. Gebannt starren wir ihn durch unsere Gläser an. „Ein mittelalter Achter. Der passt“, raunt Matthias mir nach einer Weile zu. Ich gehe in Anschlag. Allerdings ist der Anvisierte ganz und gar mit seinen Brunftaufgaben beschäftigt und bietet in seiner nachvollziehbaren Triebhaftigkeit keinerlei Möglichkeit für einen sauberen Schuss.

Ein anscheinend viel versprechend duftendes Tier zieht den Geweihten in den Bann und – leider – auch von der Wiese in die Büsche. Im Nu sind beide von der Bildfläche verschwunden. Ist das jetzt meine Chance gewesen? Mittlerweile ist es schon recht dunkel, und wer weiß, wohin es die Hochzeiter zieht?
Die Grübeleien sind kaum zu Ende gesponnen, als zügigen Schrittes nur rund vierzig Meter vor uns ein Tier aus dem Waldbereich austritt, in den gerade das brunftige Stück samt Hirsch gewechselt ist. Ich wage es kaum zu hoffen, aber da folgt auch schon ein Trophäenträger. Ist es derselbe wie gerade eben angesprochen? Der Blick durch Glas und Dunkelheit bestätigt die Annahme. Das Stück zieht breit zum Hochsitz. Der Zielstachel wandert auf dem Blatt mit. Ein kurzes Verhoffen, und der Schuss bricht.
Am Hut von Matthias prangt neben metallenem Schmuckwerk auch der mit einer Silberkordel gefasste, präparierte Pinsel eines Sikas.
Das Mündungsfeuer hat uns geblendet. „Und?“, flüstert mir Matthias zu. „Wie bist du abgekommen?“ „Meines Erachtens etwas hinterm Blatt. Ich hab noch gerade gesehen …“ – ein schriller Pfiff vom gegenüberliegenden Waldrand unterbricht mich jäh. Kurz darauf folgt ein zweiter. Mir wird es mulmig. Denn ich wollte gerade sagen, dass ich just noch sehen konnte, wie der Beschossene eben genau in die Richtung zur Flucht ansetzte, aus der jetzt die Warnlaute durch die Finsternis zu uns in die Kanzel schallen. Stumm sitzen wir die obligatorischen Minuten ab. Dann machen wir uns behutsam auf die Anschuss-Suche. Immer wieder richte ich mich mithilfe der Taschenlampe an der Kanzel aus, aber auf dem kurzen Grün der Wiese sind weder Schweiß noch Schnitthaar zu finden. Matthias geht zum Ende der Wiese, von wo wir die Pfiffe gehört haben. Dort ist auch nichts zu finden. Ohne mich groß zu bewegen, leuchte ich das Gras um mich herum ab. Da entdecke ich anderthalb Meter neben mir ein wenig Erde im Gras – ein Kugelriss, aber weder Haar noch Schweiß. Habe ich auf die geringe Distanz etwa unterschossen? „Da muss der Hund her“, höre ich meinen Gastgeber grummeln, und ein gewisser Zweifel an meinen Schießkünsten schwingt dabei mit. Hab ich erneut gepatzt, hier auf der Waterloo-Wiese vom Frühjahr? Auf der Fahrt runter ins Dorf gehe ich noch einmal alles in Gedanken durch und bin mir nach wie vor sicher, dass der Schuss gut saß. Aber das Jägerleben ist ja bekanntlich alle Tage neu. Die mit 14 Jahren schon betagte, aber noch recht rüstige Deutsch-Langhaar-Hündin „Euca“ weiß, was sie erwartet. Entsprechend freudig springt sie an der Weide aus dem Wagen und lässt sich die Schweißhalsung anlegen. Am Kugelriss angesetzt schlägt sie einen Bogen, um dann wie auf Schienen in die Richtung zu suchen, in die ich den Hirsch habe flüchten sehen und aus der das Pfeifen kam. Das zügige Annehmen der Fährte lässt Hoffnung glimmen. „Andererseits ist ‚Euca‘ ja auch nicht mehr die Jüngste, schon etwas schwach im Sehen und Hören und wahrscheinlich einfach froh, rauszukommen“, keimen dann wieder Bedenken in mir auf. Am Waldrand verschwindet das Licht der Kopfleuchte von Matthias.
Dann erlöst mich sein freudiges „Waidmannsheil zu deinem ersten Sika!“ Und schmunzelnd schiebt er nach: „Du bist vollkommen rehabilitiert.“ Der Hirsch war gerade mal fünf Meter in den Bestand geflüchtet und dann mit gutem Schuss hinterm Blatt aneinem Brombeerstrauch verendet. Das Warnpfeifen muss wohl von den Alttieren gekommen sein. Von dem mir gereichten Bruch breche ich einen Teil ab und gebe ihn meinem Gastgeber und Hundeführer zurück. Und mit tief empfunder Freude über die seltene Beute danke ich Matthias für dieses königliche, nein, kaiserliche Geschenk. Dann erlöst mich sein freudiges „Waidmannsheil zu deinem ersten Sika!“ Und schmunzelnd schiebt er nach: „Du bist vollkommen rehabilitiert.“ Der Hirsch war gerade mal fünf Meter in den Bestand geflüchtet und dann mit gutem Schuss hinterm Blatt an einem Brombeerstrauch verendet. Das Warnpfeifen muss wohl von den Alttieren gekommen sein. Von dem mir gereichten Bruch breche ich einen Teil ab und gebe ih meinem Gastgeber und Hundeführer zurück. Und mit tief empfunder Freude über die seltene Beute danke ich Matthias für dieses königliche, nein, kaiserliche Geschenk.

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