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Ohne Falle keine Chance

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FOTO: SVEN-ERIK ARNDT

STRATEGIEN DER MARDERHUND-BEJAGUNG
Auf leisen Branten breitet sich der Räuber in der Republik aus. Ob seine Überlebensstrategie den Fuchs zurückdrängt, fragen sich die Wissenschaftler. Wie der Marderhund zu bejagen ist – vor dieser Aufgabe stehen die Praktiker. WILD UND HUND recherchierte bei Berufsjägern in Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg, den Hochburgen des Eroberers.

Markus Wörmann
Sauen sollten stecken, vielleicht ein Fuchs. Wenn wir Glück hätten, sitzt die eine oder andere Ente auf dem Wasser. Ich bin mit einer kleinen Jagdgesellschaft Mitte der 90er Jahre in Mecklenburg- Vorpommern unterweges. Hier, zwischen den monotonen Agrarschlägen in Eigenjagdgröße sind die tiefer gelegenen Wassertümpel mit ihren Schilfsäumen die letzten Refugien für das Wild. Wo sonst soll es stecken? Drahthaare werden geschnallt, sie kennen das Spiel und drücken sich unter Wind rechts und links durch die Deckung. Ein hochgemachtes Reh sucht auf der anderen Seite sein Heil in der
Flucht. Es bleibt unbeschossen. Einer der Hunde schlägt an, nur ganz kurz. Ich höre ein kurzes Klagen – fast wie ein Hase – nur heller, klirrender. Der DD-Rüde hat den Marderhund inzwischen abgetan und trägt diesen seinem Führer zu. „So sieht also ein Marderhund aus“, denke ich bei mir. Aber selbst in Mecklenburg-Vorpommern sind Mitte der 1990er Jahre die Enok-Vorkommen noch überschaubar, die Streckenzahlen gering. Im Jagdjahr 1995/96 meldet das Ostseeland 154 erlegte Exemplare, in der folgenden Saison bereits 311. Dies ist kein Vergleich mit der heutigen Situation: Im letzten Bericht der Obersten Jagdbehörde aus Schwerin wird die neue Rekordstrecke von 11 717  Marderhunden angegeben. Dies bedeutet einen Zuwachs von zirka 7 500 Prozent – Tendenz steigend. Ebenso sieht es beim südlichen Nachbarn Brandenburg aus. Von 218 gestreckten Enoks 1995/96 stieg die Zahl auf nun mehr 6 118 in 2003/04 – ein ebenso
deutliches Plus von zirka 2 700 Prozent. Was den Börsianer vielleicht freuen würde, stellt die Jäger in den beiden neuen Bundesländern vor gewaltige Probleme. Denn der Wildhund (Nyctereutes procyonoides) kann zwischen sechs und zwölf Welpen bekommen. Nicht zuletzt deshalb gehen die Behörden in Brandenburg davon aus, dass die Besätze des Marderhundes ebenso rasant steigen wie die Strecke. Von einer Regulierung im Sinne einer Reduzierung durch die Jagd kann also keine Rede sein. Man schöpft gerade einmal die Hälfte des jährlichen Zuwachses ab.

Doch grau ist alle Theorie. Wie ist dem nacht- und dämmerungsaktiven Räuber nun jagdlich beizukommen? Ich reise Anfang Oktober 2004 in das Land der tausend Seen und treffe mich mit Wulf Rahmlow, dem Landesgruppenvorsitzenden des Vereins Jagdteckel. Gemeinsam fahren wir an den nördlichen Rand des Müritz-Nationalparks. Dort sind wir zu Besuch bei Rahmlows Freund, ebenfalls Teckelführer und Berufsjäger auf über 1 000 Hektar Eigenjagd. Seinen Namen möchte er nicht so gerne preisgeben, denn sein Arbeitgeber, ein großer Saatgutvermehrer, legt Wert auf Diskretion. Das hält uns natürlich nicht davon ab, den Profi nach seiner Enok-Bejagungsstrategie zu fragen. Als erstes macht
der Mecklenburger deutlich, dass allein durch Abschüsse die Zahl der Marderhunde kaum in den Griff zu bekommen sei. „Das sind Zufälle, wenn man beim Ansitz auf Rehwild den einen oder anderen Enok mitnehmen kann“, erklärt er und lädt uns ein, seine Taktik im Revier zu bestaunen. Kunstbaue, Betonrohrfallen und Rasenfallen sind seine Favoriten bei der Bejagung sämtlicher Prädatoren. Dazu muss man wissen, dass in Mecklenburg-Vorpommern als einzigem Bundesland sowohl Fuchs und Marderhund aber auch der Dachs
ganzjährig bejagt werden dürfen – unter Beachtung der Elterntierregelung gemäß Bundesjagdgesetz. Dasselbe gilt auch für Steinmarder, Waschbär und Mink. Einzig Iltis (1.8. bis 28.2.) sowie Baummarder und Hermelin (16.10. bis 28.2.) haben eine feste
Jagdzeit. Dieser Umstand ermöglicht dem Berufsjäger sowohl den Einsatz von unversehrt
lebend fangenden Fallen, als auch solche, die sofort töten, wie die Rasenfalle während der Herbst- und Wintersaison.

FOTOS: HELMUT PIEPER, BURKHARD WINSMANN-STEINS, JAROSLAV VOGELTANZ, MARKUS WÖRMANN, JOACHIIM JENRICH, GRAFIKEN: DAGMAR SIEGEL

Der Teckelkollege wäre aber kaum ein Profi, wenn er den Einsatz der Fanggeräte und Baue nicht optimieren würde. Denn ein über 1 000 Hektar großes Revier flächendeckend mit solchen Einrichtungen zu versorgen und diese täglich zu kontrollieren, übersteigt auch die Zeit eines Berufsjägers. Ziel war es, die bis zu 15 Fallen morgens unter einer Stunde zu überprüfen. „Das funktioniert nur mit Fanganzeigern“, erklärt er. Mit dem Fernglas kann der Mecklenburger erkennen, ob seine Eigenkonstruktionen in der Nacht „zugeschlagen“
haben. Diskret ragt dazu ein farbiger Stab aus einer Hecke zwischen den großen Ackerflächen oder dem vermeintlichen Reisighaufen an der Kieferndickung. Genau an einer solchen Stelle halten wir, laufen auf eine verblendete Rasenfalle zu. Darunter liegt ein Marderhund-Rüde, wohl augenblicklich verendet unter dem schweren Gewicht. „Wichtig ist, dass das Raubwild von vorne in die Falle geht“, erklärt mir der Berufsjäger. Die Seiten der Falle sind entsprechend abgeschirmt. Unter der Kiefernnadelstreu sind Steinplatten zu erahnen. Sie sind der notwendige Widerpart, wenn die Falle zuschlägt. Ansonsten könnte es passieren, dass sich der Wildkörper in den sandigen Boden eindrückt und damit die tödliche Wirkung der Rasenfalle abfedert. Mit dieser Konstruktion hat der Fallensteller
weder bei Fuchs noch Marderhund Fehlfänge zu verzeichnen. „Es kann zwar schon mal sein, dass nichts drin ist“, meint er. „Dann waren aber meist Neugierige am Werk, die über den Sicherheitsdraht gestolpert sind.“ Der ist rund um die Stelle gespannt und mit dem Auslöser verbunden. Wir machen uns zu Fuß auf zur nächsten Falle, einer Betonrohrfalle. Die Teckelhündin läuft in freudiger Erwartung voraus. Schließlich könnte etwas drin sein,
was man hinterher beuteln darf. Jetzt, wo ich dem kleinen Hund nachschaue, wird deutlich, was der Mecklenburger in seinem Revier betreibt: Vernetzung! Alle seine Fallen und auch Kunstbaue sind mit einem geräumten Pfad verbunden. Ein kilometerlanger „Fallensteig“
zieht sich so entlang der Felder durch das Revier. Der Grundgedanke ist so einfach, wie nachvollziehbar: „Wenn der Fuchs aus dem Wald kommt, schnürt er meist durch die Ackerfurche“, erklärt der Raubwildjäger. Zum einen habe er dort mehr Deckung, weil er
gegenüber dem Feld tiefer läuft. Zum anderen ist die Furche zunächst frei von Aufwuchs, wie Gras und Getreide. Fuchs und Marderhund lieben es, „trockenen Fußes“ Beute zu machen, soweit dies möglich ist. Um den Räubern dieses Gefühl zu vermitteln, zieht der Berufsjäger mit Aufbruch eine Schleppe zur nächsten Falle. Dabei ist es unnötig, über das komplette Wegenetz eine Duftspur zu legen. Irgendwann trifft der Fuchs oder Marderhund auf einen der Pfade, schnürt die bequeme Furche entlang und stößt auf Wittrung, die ihn in die Falle lockt. Die Kunstbaue des Mecklenburger Reviers sind ebenfalls an dieses Wegenetz angeschlossen. Dort ist der Marderhund im Herbst und Winter aber nicht ganz so häufig anzutreffen wie Reineke. Eine Vermutung, warum das so ist, liegt nahe: Der Enok
hält – ähnlich wie der Dachs – eine Winterruhe. Dazu bieten sich die sandigen Naturbaue
vermutlich mehr an, als die steinigen Kellergewölbe. Ob dem kleinen Räuber im Naturbau mit einem firmen Erdhund beizukommen sei, bejahen beide Teckelführer. Das Problem sei nur, dass in der Gegend auch der Dachs immer wieder anzutreffen ist. Die Gefahr, dass Grimbart dem Teckel unter Tage schwere Verletzungen beibringt, sei einfach zu groß. Zwar könne man im sandigen Boden relativ schnell einschlagen, genauso schnell könnten die
Röhren aber auch einstürzen. „Wenn man ein solches Wegenetz aus Fallen und Kunstbauen
betreiben kann, ist die Jagd am Naturbau nicht unbedingt nötig“, meint der Teckelführer.

Wie die Baujagd auf den Marderhund aussieht, davon kann Sascha Klären berichten.
Der gebürtige Niedersachse ist im dritten Lehrjahr zum Revierjäger. Sein derzeitiger
Ausbilder leitet ein 3 000 Hektar großes Revier in Brandenburg, zwischen Fürstenwalde und Frankfurt an der Oder. Der 29-Jährige führt neben seinem Kleinen Münsterländer einen Rauhaarteckel zur Bodenjagd. In dem Revier gibt es etwa 40 natürliche Baue, keine künstlichen Einrichtungen. Aus eigener Erfahrung weiß der angehende Berufsjäger: „Füchse springen schlecht, Marderhunde nie!“ Der Enok würde sich immer in die letzte Röhre drücken, dem Teckel so lange ausweichen, bis er quasi mit dem Rücken an der Wand
steht. In dem Kies-Sand-Gemisch des Oder-Spree-Kreises ließe sich aber noch einschlagen,
oft seien die Baue nicht tiefer als einen Meter, erklärt der gelernte Zimmermann. Die gängige Meinung, dass Enok meist zu zweit anzutreffen ist, kann Sascha Klären als feste Regel nicht bestätigen. Genauso gut seien einzelne Exemplare im Bau. Aus Erfahrung weiß er aber, dass der Marderhund nie eigene Baue gräbt, sondern sich in die vorhandenen Wohnungen von Reineke einnistet. Ob dies zu einem Verdrängungswettbewerb unter den Populationen führt, lässt sich nicht sicher sagen. Eines kann Sascha Klären der jährlichen
Strecke des Reviers entnehmen: Fuchs, Marderhund und auch Waschbär wurden im Verhältnis von je einem Drittel dort erlegt. In absoluten Zahlen sind das etwa 50 Exemplare jeder Art pro Jahr. Was also den Anteil an der Raubwildstrecke betrifft, ist
Enok Reineke schon dicht auf der Spur. Die Bodenjagd macht aber nur einen Teil der Jahresstrecke im Revier aus. Fuchs, Marderhund und Waschbär werden dort ebenso gut vom Ansitz erlegt. Speziell an Maiskirrungen des Schwarzwildes sollte man auf Enok immer gefasst sein, erklärt der 29-Jährige. Maische und Apfeltrester nimmt der Wildhund ebenso gern auf, weshalb er auch immer wieder unter reifen Obstbäumen anzutreffen ist. Der Revier-Azubi glaubt auch, dass der Marderhund neben Fuchs und Waschbär eine nicht zu
unterschätzende Gefahr für das Niederwild, insbesondere für die Bodenbrüter, darstellt. In diese Richtung gehen auch die Befürchtungen des Ministeriums für Ländliche Entwicklung, Umwelt und Verbraucherschutz des Landes Brandenburg. In seinem Bericht zum Jagdjahr 2003/04 ziert der Einwanderer bereits das Titelbild. In diesem Punkt hat Enok also nicht nur den Fuchs verdrängt. Zu Fragen der ökologischen Bedeutung einer expansiven Verbreitung von Marderhund und Waschbär in einer Kulturlandschaft sieht das Ministerium
in Potsdam „dringenden Klärungsbedarf“. Wie genau diese Klärung aussehen soll, konnte gegenüber WILD UND HUND nicht erläutert werden. Es laufe zwar immer noch ein Projekt der Diplom-Biologin Astrid Sutor (WuH 18/2003, S. 32), wodurch die Aktivitäten des Enoks per Telemetrie verfolgt würden, Rückschlüsse auf sein Fraßverhalten ließe diese Untersuchung aber nicht zu.

In Revieren mit Marderhundbesatz werden Lebendfallen an Bedeutung gewinnen, um die Ausbreitung in Grenzen zu halten
Totschlagfallen (im Bild eine erlaubte Rasenfalle) dürfen im Hinblick auf die rasante Vermehrung des Marderhundes nicht verteufelt werden, denn sie sind ein Teil der waidgerechten Jagd

Für alle Raubwildarten hält das Brandenburger Ministerium eine Besatzregulierung für notwendig. Sie stelle „einen bedeutenden Schwerpunkt in der jagdlichen Praxis dar und sei zugleich angewandter Naturschutz“, heißt es im Jahresbericht. Dabei müsse der Einsatz von Fallen, insbesondere Lebendfallen, unbedingt verstärkt werden. Untersuchungen wie im brandenburgischen Lehr- und Versuchsrevier Groß Kreutz (Potsdam-Mittelmark) zeigten sehr deutlich, dass zwei Drittel der Raubwildstrecke gefangen worden sei. Ein Beispiel liefert dazu der Müritz-Nationalpark in Mecklenburg-Vorpommern. Dort dürfen aufgrund der eingeschränkten Jagdausübung keine Fallen aufgestellt werden. Eine Besatzregulierung des Marderhundes erfolgt ausschließlich vom Einzelansitz. Dadurch konnten im Jagdjahr 2004/05 insgesamt 32 Enoks erlegt werden – auf 32 200 Hektar! Das Schutzgebiet an der Müritz, dem größten See Norddeutschlands mit 11 700 Hektarn, ist geprägt durch Kiefernwälder, ausgedehnte Moore und weiteren 100 Seen, die größer als ein Hektar sind. Ein scheinbar idealer Lebensraum für den Marderhund. Hartmut Kaczensky ist zuständig für die Jagd im Nationalpark. Er bezeichnet die Situation des Maderhundes als „nicht Besorgnis erregend“. Auf Nachfrage muss er allerdings einräumen, dass auch die Nationalparkverwaltung über keine genauen Zahlen verfüge, wie groß der Besatz des Enoks sei. Stellt sich die Frage, wie der nachtaktive Räuber in seine Schranken verwiesen werden kann? Ein derartiger Opportunist, der aufgrund seines Nahrungsspektrums und Reproduktionsrate seines Gleichen in unserer Kulturlandschaft sucht, ist selbst in Mecklenburg-Vorpommern, wo eine Vielzahl von Jagdmöglichkeiten und Fallentypen zur Verfügung stehen, kaum in den Griff zu bekommen. Wie sollen erst Jäger verfahren, denen keine oder nur eine eingeschränkte Fangjagd zur Verfügung steht? Der Marderhund wirft mehr Fragen auf, als er uns Antworten geben kann. Eine Befürchtung scheint sich aber zu zerschlagen: Enok wird Reineke kaum verdrängen, vielleicht ein wenig einschränken. Dies bedeutet im Gegenzug aber auch, dass sich der Raubwilddruck in den Gebieten, in denen der Fuchs lebt und der Marderhund zuwandert oder ausdehnt, weiter erhöht.

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