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RABENVOGELBEJAGUNG AM NIEDERRHEIN

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Krähen auf 12 Uhr
Wer erfolgreich Rabenkrähen jagen will, muss sich schon einiges einfallen lassen, um der extrem scheuen und lernfähigen Vögel habhaft zu werden. Wer den Dreh jedoch einmal raus hat, kann richtig Strecke machen. Ein paar Jäger aus Hünxe und Umgebung wissen, wie die Krähen „ticken“.

Krähen auf 12 Uhr

Christian Schätze
In der Nähe eines Bauernhofes klappern Autotüren. Kurz darauf laufen vier schwer beladene Gestalten eilig zu einem großen Misthaufen, machen sich dort an irgendetwas zu schaffen und marschieren anschließend flott zum nahen Maisfeld hinüber. Nun ist nur noch das Rascheln der Maisblätter zu hören – dann ist Ruhe. Es ist Ende August, Tau liegt auf den Wiesen und den angrenzenden Pferdekoppeln, auf denen ein paar Trakehnerstuten mit ihren Fohlen friedlich grasen. All das kann man mehr erahnen als sehen, denn es ist erst
kurz nach fünf und noch stockdunkel.

„Viel später hätten wir nicht kommen dürfen“, sagt eine der Gestalten, die es sich inzwischen in der zweiten Maisreihe auf ihrem Sitzstock bequem gemacht hat. Auch die anderen drei Krähenjäger warten gespannt im Feld auf den nahenden Morgen. Sie zupfen sich noch einmal ihre Gesichtsmasken zurecht, ziehen Comouflage- Handschuhe an und packen sich reichlich Patronen in die Jackentaschen. Totenstille. Fünf Augenpaare starren gebannt in Richtung Westen. Schon beginnt es zu dämmern. „Achtung! Sie kommen. Auf 12 Uhr. Erst schießen, wenn sie über dem Haufen sind“, flüstert Jagdleiter Bernd Meyer. Tatsächlich – am Horizont lösen sich schwarze Punkte aus dem Grau der schwindenden Nacht. Ein Blick durchs Fernglas bestätigt es – Rabenkrähen. Nicht eine, nicht zwei oder
drei, sondern zehn Schwarze kommen mit schwerfälligen Schwingenschlägen langsam
näher. Als es so aussieht, als würden sie eine andere Flugroute einschlagen und dem Misthaufen keine Beachtung schenken, entdecken die Aaskrähen ihn und die 13 darauf wahllos platzierten Lockkrähen dann doch. Die Neugierde hat über die Vorsicht gesiegt – im Sinkflug kommt der Schwarm herangesegelt. Als sie über den Lockvögeln kreisen, fallen mehrere Schüsse. Drei Krähen zeichnen und fallen wie Steine zu Boden. Bumm – da kommt auch Nummer vier herunter. Der Rest des Trupps fliegt aufgeregt schimpfend weiter.

„So muss es laufen“, sagt der Computerfachmann und nickt zufrieden, während er zwei neue Patronen in seine 12er Bockflinte gleiten lässt. „Kaliber 12/70, 3 Millimeter, 36 Gramm – eine gute Krähenmedizin“, erklärt der begeisterte Flintenschütze. „2,5 oder 2,7 Millimeter-Schrote sind aber auch okay.“ Optimal sei eine Selbstladeflinte im Kaliber 12/76, wie sie sein Nachbar führt. „Wegen der stärkeren Patronen und der Vorlage bis 52
Gramm“, erklärt er. „Viel hilft viel – vor allem bei der Krähenjagd“, so seine Zusammenfassung. Auch die anderen Jagdkumpanen haben diese Erfahrung gemacht
und stopfen 36-Gramm-Patronen in die Lager – ohne dabei den Horizont aus den Augen zu lassen. Da kommen bereits die nächsten Vögel. „Fünf auf elf Uhr; drei auf zwölf Uhr; vier
auf drei Uhr“ – Krähen über Krähen. Alle steuern zielstrebig den Misthaufen an.

Doch als die Räuber schon fast auf Schrotschuss-Entfernung heran sind, bleiben sie für einen Augenblick in der Luft stehen, rudern wild mit den Schwingen, krächzen lautstark und drehen mit hastigem Flügelschlag ab. Noch lange sind ihre schimpfenden Rufe zu hören. „Mist!“, flucht der 36-Jährige leise. „Irgendetwas stimmt da nicht. Vielleicht liegt eine der geschossenen Krähen auf dem Rücken“, ruft ihm sein Nachbar zu. Meyer sichert die Flinte. Ein letzter vorsichtiger Blick aus der zweiten Maisreihe. Die Luft ist rein. Schon eilt er zum 15 Meter entfernten Misthaufen. Tatsächlich – eine Rabenkrähen liegt dort auf dem Rücken. Ein Warnsignal für alle Artgenossen, wie es alarmierender kaum sein kann.
Etwas weiter rechts zeigt eine andere ihr Bauchgefieder. Der äußere Flügelmann nimmt sich ihrer an.

Am Himmel tauchen wie aus dem Nichts zwei Rabenkrähen auf. „Achtung!
Krähen auf elf Uhr“, ruft eine warnende Stimme aus dem Mais. Für die beiden Waidmänner
ist es jedoch zu spät – sie können unmöglich ihre Stände erreichen, ohne von den aufmerksamen Vögeln erkannt zu werden. Kurzerhand huschen sie hinter ein paar Silageballen und machen sich dort ganz klein. Nur ihre verschleierten Köpfe und die Mündungen ihrer Flinten ragen ein Stück über die Ballen heraus. Als die Krähen auf etwa 25 Meter heran sind und gerade einfallen wollen, beschießen die beiden das Duo. Die erste der beiden Jungkrähen fällt als rotierender Federball zu Boden. Die andere zeichnet und versucht schwerkrank zu entkommen. Der Nachschuss eines „Maisjägers“ holt auch sie
vom Himmel. „Puhh, nochmal gut gegangen“, sagt Meyer erleichtert und freut sich, dass beide Krähen gestreckt wurden. Nun dienen auch sie als Lockvögel.

Wieder im Maisfeld verschwunden, geht es Schlag auf Schlag. Krähen kommen, Schüsse fallen – die Strecke wächst und wächst. Es ist erst kurz vor neun, und das Jäger-Quartett hat schon 27 Krähen erlegt. Nicht schlecht für knapp drei Stunden Jagd. Doch so richtig zufrieden ist der „Krähenmann“ Meyer, wie ihn einige Landwirte hier anerkennend nennen, mit der Strecke noch nicht. „Vor drei Wochen hatten wir hier 79 Krähen und zwei Elstern“, sagt der begeisterte Flintenschütze, dessen Herz so sehr am Niederwild hängt. „Ständig kamen Krähen, vor allem junge, und fielen ohne Argwohn wenige Meter vor unseren Ständen ein“, erinnert er sich. „Die hätte man sogar mit 2-Millimeter- Streu schießen können, denn die Schuss-entfernung betrug oft nur zehn Meter“, erinnert er sich. Der Hauptgrund für diesen
Erfolg sei jedoch gewesen, dass fünf Mann an dieser Stelle gejagt hätten. „Allein wäre
so eine Strecke unmöglich zu erreichen gewesen“, weiß der Krähenspezialist.

Der Apportierhund darf bei der Krähenjagd nicht fehlen. Diesem hier scheint die Arbeit viel Spaß zu machen

Neben der Jagdmethode fällt auch der Kleidung eine entscheidende Rolle zu. Tradition hin, Tradition her – die Rabenvogeljäger von Hünxe jagen nur in Volltarn. Realtree-Anzug, Gesichtsmaske und Handschuhe sind Pflicht, denn Hände und Gesicht dürfen nicht gesehen werden. Wer Krähen jagen will, muss unsichtbar sein. „Tauben sagt man nach, sie hätten auf jeder Feder ein Auge. Krähen haben dann sicher zwei pro Feder“, witzelt der junge
Jäger und lacht. Nach einer längeren Pause wird es wieder Schwarz am Horizont. „Achtung!
Krähen auf 12 Uhr“, ruft einer der Mitjäger von links außen. „30 oder 40 Stück“, ruft
ein anderer. Doch sie scheinen ein anderes Ziel zu haben und streichen auf 300 Meter
vorbei. „Vielleicht sind sie auf dem Weg zu dem zwei Kilometer entfernten Feld, auf
das gestern Gülle gefahren wurde“, mutmaßt Bernd Meyer. Bejagen will er sie dort
aber nicht. Das wäre sinnlos. „Vielleicht schießt man dort eine Hand voll Krähen,
der Rest wäre dann aber für die Zukunft gewarnt. Sie erhöhen die Fluchtdistanz und
lassen sich nicht mehr vernünftig bejagen“, erklärt er. Vor ein paar Jahren haben die „Krähenmänner“ auch mit ihren Match-Büchsen (Kaliber .222 Remington) auf feldernde
Krähen geschossen. „Die Strecke blieb jedoch weit hinter den Erwartungen zurück
und war nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein“, erinnert sich Meyer. Heute
bejagen die „Krähenmänner“ nur noch gemeinsam die gefiederten Vagabunden. Dass die Jäger aus Hünxe und Umgebung auf dem richtigen Weg sind, ist vor allem dem Jagdtagebuch zu entnehmen. In den vergangenen zwei Jagdjahren kamen jeweils 240 Krähen zur Strecke. In diesem Jahr sind es bereits 115. „300 Stück werden es schon werden“, ist sich Meyer sicher. „Gestern habe ich bei meiner Revierfahrt auf einem Feld 350 Krähen gezählt“, erzählt der junge Familienvater. „Dutzende saßen im angrenzenden Maisfeld und haben die Kolben der ersten beiden Zeilen komplett vernichtet“, berichtet er, und denkt an die Bauern, die sich gehörig über die riesigen Schäden erschrecken werden.
„Da muss was passieren. Es ist im Übrigen nicht wichtig, wie viel Krähen man geschossen
hat, sondern wieviele es im Revier noch gibt“, pflegt Meyer immer zu sagen.

Als die Kirchturmuhr 12 Uhr schlägt, ist die Jagd für heute vorbei. 36 Krähen und zwei Elstern liegen auf der Strecke. Plötzlich kommen noch zwei Schwarze angestrichen. Doch keiner der Waidmänner denkt auch nur daran, zu seiner Flinte zu greifen, um sie aufs Korn zu nehmen. Warum? Einmal die Deckung verlassen und von den Krähen entdeckt, wird nicht mehr geschossen, lautet eine der wichtigsten Krähenjagd-Regeln. Und alle halten sich daran. Schließlich wollen sie in zwei Wochen wieder in der Dämmerung ins Maisfeld  pirschen, die Flinten laden und ordentlich Strecke machen. Vielleicht heißt es dann wieder:
„Achtung – Krähen auf 12 Uhr!“

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