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Roter Oktober

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Roter Oktober

Peter Schmitt

AUS DEM WILD UND HUND-TESTREVIER Kranke Stücke verhalten sich nicht immer auffällig. Gut, wenn einem ein besonderes Merkmal auf die Sprünge hilft.

Anfang Oktober sah ich auf dem Rückweg vom Morgenansitz am Rand der langgezogenen Zungenwiese ein einzelnes Reh. Eigentlich nichts Besonderes, doch es hatte noch
nicht ein Haar verfärbt, leuchtete mir rot entgegen. „Sicherlich eine uraltes Stück“, dachte ich, rollte weiter, da ich es auf vergleichsweise kurze Entfernung nicht stören wollte. Richtig ansprechen konnte ich es nicht, da es breit stand und das Haupt nicht anhob. Einige Zeit später, am 20. Oktober, riefen mich zwei über Nacht eingegangene Fangmeldungen früh morgens ins Revier. Die entpuppten sich allerdings als Wildkatze und Maus. Da ich aber eh schon draußen war, wollte ich noch das ein oder andere Fanggerät frisch beködern. Wieder führte mich der Weg entlang der Zungenwiese. Und da stand abermals dieses Reh – immer noch knallrot.
Diesmal konnte ich es als Jährlingsgabler ansprechen.Doch neben seiner Sommerdecke machte mich seine Körperhaltung stutzig. Er stand recht buckelig da, und auch auf 150 Meter konnte ich durchs Glas schemenhaft die Rippen unter der Decke erkennen, obwohl er irgendwie rundlich-aufgedunsen wirkte. Vom Auto mit laufendem Motor nahm er keine Notiz. Generell bewegte er sich kaum.
Da ich keine geeignete Waffe dabei hatte, fuhr ich nach Hause, schnappte mir die .308, kehrte in die Nähe der Zungenwiese zurück und pirschte los, denn ich wollte mir die Sache einmal genauer betrachten. Ich sah gerade noch, wie sich das Böckchen am Rand einer Schlehenhecke niedertat. Dabei streckte es mir seine Hinteransicht entgegen. Sowohl Spiegel als auch beide Hinterläufe waren mit altem Durchfall bedeckt. Obwohl das Jährlingskontingent schon lange erfüllt war, entschied ich mich natürlich zum Abschuss. Doch dem Entschluss Taten folgen zu lassen, war gar nicht so leicht. Ich musste eine große Strecke überwinden, um an das Stück heranzukommen, einen guten Teil davon deckungslos. Würde es mich mitbekommen, wäre es mit einem
Satz im Schlehdorn verschwunden. In niedriger Gangart, gedeckt durch wenige Brennnesseln, kam ich auch auf etwa 80 Meter heran, da der Bock in die andere Richtung
sicherte. Doch das einzig mögliche Ziel war sein Haupt. Stehend freihändig auf diese Entfernung wäre das aber sehr gewagt. Ich musste noch 20 Meter näher ran. Dort
lag altes, zusammengeschobenes Heu, dass ich als Auflage hätte nutzen können.
Schon beim ersten deckungslosen Schritt bekam mich der Bock mit. Aber er machte keine Anstalten zur Flucht. Nach dem Motto „Alles oder nichts“ bewegte ich mich im Zeitlupentempo direkt auf ihn zu. Er nahm es scheinbar gelassen hin, bis ich am alten Heubüschel, auf dem ich wunderbar liegend auflegen konnte, ankam. Auch das Hinlegen und In-Anschlag-Gehen quittierte der Bock mit keinerlei Reaktion.
Apathisch äugten die Lichter des Bockes in meine Richtung. Eine wohl gezielte Kugel beendete das Leiden des jungen Bockes, der in einer erbärmlichen Konstitution war: Unaufgebrochen wog das Stück, noch völlig im Sommerhaar und übersäht mit Haarlingen, 10 Kilogramm. Die Gelenke oberhalb der Schalen waren entzündet, haarlos und angeschwollen. Hinterläufe und Spiegel waren mit alter Losung verkrustet, an manchen dieser Stellen schien die Decke wie „weggeätzt“. Der Bock lagerte in einer Durchfall-
Lache. Dass er nicht abgesprungen war, lag sicherlich nicht an meinen Pirschkünsten, sondern an seiner schlechten Verfassung. Schon im September hatten Kollegen den
Bock mit Durchfall unweit seines Erlegungsortes in Anblick gehabt. Damals aber noch in einem scheinbar guten Zustand. Sechs Wochen später hatten im die Infekte so zugesetzt, dass er am Ende war.

Spiegel, Hinterläufe und Brunftkugeln waren mit Losung verkrustet. Das Stück roch äußerst unangenehm.Die Gelenke über den Schalen waren haarlos, entzündet und angeschwollen.
Fotos: Peter Schmitt

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