AUS DEM WILD UND HUND-TESTREVIER
Wer bei der Gehecksuche nachlässig oder zu spät dran ist, muss mit den Folgen leben. Wir bekamen an zwei Bauen einen Eindruck davon, wie schwerwiegend sie sein können.
Peter Schmitt
Ganz vorsichtig lupfe ich meinen rechten Oberschenkel etwas an. Langsam kommt wieder Gefühl in die Gliedmaße, und in meinem Fuß scheint ein ganzes Ameisenvolk zum Leben zu erwachen. Die Kante der dünnen Metallleiste eines alten Anhängeraufbaus, auf der ich wie ein Huhn auf der Stange erhöht sitze, drückte mir schon nach wenigen Minuten die Beine ab. Zusätzlich zur unangenehmen Position kommt ein ekelhaft süßlicher Kadavergeruch, der mich umweht. Ein knappes Dutzend halb verwester Hühner liegt mehr oder weniger versteckt und angeschnitten um mich herum verteilt. Eine Henne befindet sich, fast unangetastet, aber von etlichen Fliegen umschwärmt, nur fünf Meter vor mir entfernt am Rande eines Brennholzlagerplatzes.
Wenige Stunden zuvor hatte mich ein ortsansässiger Landwirt, dessen Hof etwas abseits vom Dorf liegt, angerufen: „Ich hab Probleme mit einem Fuchs. Kannst du da was machen?“ Vor Ort zeigte sich das Ausmaß der Bescherung. Am helllichten Tag hatte die Fähe – so viel war Mitte Juni klar – innerhalb weniger Minuten den Hühnerstall geplündert. Lediglich zwei Hennen überlebten den Überfall. Die Menge an tierischem Raubgut hätte wohl ausgereicht, um zehn Jungfüchse viele Tage zu ernähren. Doch so lag das Federvieh mehr oder weniger zerzaust in der Gegend herum. Für ihren Nachwuchs schafft eine Fähe eben alles heran, was sie findet, ob es notwendig ist oder nicht.
Bei einem Kontrollgang über den Hof fand der Landwirt zudem die Überreste von mehreren Kitzen. „Überall lagen die Teile verstreut. Es waren zwei Köpfe. Aber von den Läufen her müssen es drei Kitze gewesen sein“, schildert der Jagdgenosse seine Funde. Die Überreste hat der besorgte Familienvater bereits eingegraben: „Wenn das meine kleinen Töchter gesehen hätten …“
Nach kurzem Rundgang über das durch Hecken nach außen hin abgeschirmte Gehöft war klar, dass sich das Geheck unter dem Brennholz befinden musste. Unglücklicherweise hatte der Bauer aber just an diesem Tag direkt daneben Erdarbeiten angefangen. Also musste sofort gehandelt werden, denn gegebenenfalls würde die Fuchsfamilie über Nacht umziehen und sich ein neues Versteck suchen.
Im Augenwinkel sehe ich eine Bewegung. Ein Jungfuchs schiebt sich etwa 15 Meter vor mir unter einem der Holzstapel hervor und streckt sich ausgiebig. Als auch nach längerer Wartezeit kein Geschwister auftaucht und sich der erstaunlich starke Jüngling in die angrenzende Hecke verabschieden will, bannen ihn die Schrote an den Platz.
Trotz des kleinen Erfolgs hadere ich mit mir. Der Plan war eigentlich, zuerst die Größe des Gehecks festzustellen und es dann komplett zu entnehmen. Aber was wäre gewesen, hätte ich den Halbstarken ziehen lassen?
Im letzten Licht erscheint am Rand der Hecke ein zweiter Jungfuchs. Er war tatsächlich schon längere Zeit allein unterwegs gewesen und wollte nun zum Bau zurück. Auch ihn erfassen die Schrote. Die Dunkelheit zwingt mich, die Aktion abzubrechen. Weitere Ansitze und Wildkameras zeigen später, dass nach dieser Nacht keine Füchse mehr am Brennholzstapel auftauchen.
Ortswechsel: Bei der Kitzsuche vor der Mahd einer großen Heuwiese entdeckt eine Helferin die Reste eines halbstarken Hasen. Als im Umkreis zudem abgebissene Federn von verschiedenen Vögeln sowie Körperteile eines Elsternnestlings auftauchen, habe ich weniger die Kitze als die Verursacher der Funde im Sinn. Direkt nachdem wir fertig sind, wird die Wiese gemäht.
Am späten Abend sitze ich an Ort und Stelle. Im allerletzten Büchsenlicht sehe ich drei starke Jungfüchse aus dem noch hohen Bewuchs schnüren, der um ein Silo stehen geblieben ist. Ich kann ihnen nur hinterherschauen, wie sie ihre bis dato sichere Unterkunft verlassen. An Schießen ist aufgrund der Häuser im Hintergrund nicht zu denken.
Die Fähe hatte für ihr Geheck ein altes Beton-Silo als Unterschlupf ausgesucht. Dessen Ende ist meterhoch mit altem Schutt, Zaunpfählen und Stacheldraht gefüllt. Ende April war dort kein Anzeichen für ein Geheck zu finden. Später kümmerte sich keiner mehr darum – auf Kosten des Wildes. Denn bei der Kontrolle am nächsten Tag – sicher ist sicher – zeigte eine genaue Untersuchung des Heckbaues, dass auch dort Knochen von mehreren Rehen verstreut lagen. Darunter mehrere Kitzläufe.
Die Funde zeigen, wer seinem Niederwild und den Bodenbrütern helfen möchte, muss frühestmöglich in die Jungfuchspopulation eingreifen. Denn jeder verpasste Tag ist einer mehr, an dem die Fähe hungrige Mäuler stopfen muss.