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Ein Bodyguard für den Schweißhund?

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Ein wendiger, vierläufiger „Satelliten-Gehilfe“ mit Jagdverstand kann für einen schweren Schweißhund unter Umständen eine große Hilfe sein. Aber beileibe nicht unter allen Umständen, nicht auf jeder Nachsuche.

 

Der Überläufer fixiert den Schweißhund und wird ihn im nächsten Moment annehmen

Von Seeben Arjes

Es war ein Vorderlaufschuss, das war aus dem Fährtenbild zu sehen, und der kranke Frischling war bei der Rotte geblieben. Am Rande einer Dickung wollte „Juno“, die Schweißhündin, geschnallt werden. Dort vor uns musste die Rotte stecken. Als ich dem Hund die Halsung über den Kopf zog, hatte ich – wie immer in solchen Fällen – ein recht beklemmendes Gefühl. Ich wusste, Juno würde den kranken Frischling finden, aber mir war auch bewusst, dass keine Bache ihren bedrängten Frischling einfach im Stich lässt.

Die Hetze war kurz. Als aus dichtem Farn Standlaut klang, sagte der mitgehende Schütze: „Den haben wir.“. Aber es kam anders. Noch bevor wir auf Fangschussweite an die Sau heran waren, verstummte Junos Laut. Sie klagte kurz und gepresst, dann war es beängstigend still. Es dauerte eine Weile, bis wir den Hund über seinen Peilsender geortet hatten.

Die Tierärztin stellte später fest: Hautrisse, Blutergüsse und Quetschung der Bauchorgane. Die Bache war wie erwartet ihrem Frischling in der Not zu Hilfe gekommen. Juno brauchte Wochen, bis sie wieder arbeiten konnte. Es war das dritte Mal, dass die relativ schwere Hündin geschlagen wurde. Das sind Momente, in denen ein Schweißhundführer darüber nachdenkt, wie er seinen wertvollen vierläufigen Kameraden bei der Arbeit an wehrhaftem Wild besser schützen kann.

Mir kamen dabei bekannte Schweißhundführer in den Sinn, die an Sauen erfolgreich mit einem zusätzlichen, schnellen und leichteren Hund als Bodyguard arbeiteten. Wilhelm Puchmüller führte zum Beispiel neben seinem berühmten Hannoveraner „Hallo vom Hessenwald“ einen weißgefleckten Foxterrier, der das Nachsuchengespann als freilaufender Satellit begleitete. Der Kleine war oft zur rechten Zeit zur Stelle, um den großen Hund zu unterstützen.

Oder Herbert Bansen, Altmeister der Schweißhundführung. Der Rüdemeister führte bei Nachsuchen auf Sauen einen Terrier als „Kampfhund“ mit. Allerdings nicht frei, sondern an seinem Koppel angebunden. Dieser „Kleine“ wurde immer erst am Wundkessel geschnallt und erledigte das Hetzen und Stellen allein, weil Bansen es leid war, seinen schweren Schweißhund immer wieder „flicken“ zu lassen.

$(zwititel:Maja’s erster prägender Wildkontakt)
Puchmüller und Bansen waren mit dieser Art von Nachsuchenpraxis sehr zufrieden. Dennoch gab Puchmüller sie aus zuchtpolitischen Überlegungen auf und führt jetzt seine Schweißhunde wieder solo. Andere verzeichneten auf diesem Gebiet Fehlversuche. Der Deutsche Jagdterrier eines anderen Schweißhundführers zeigte sich überpassioniert, schoss meistens blind übers Ziel hinaus, hetzte an falschem Wild und kam nach dem Schnallen meistens über das Tierheim wieder nach Hause.

Nach meinen eigenen Vorstellungen suchte ich einen kleinen, schnellen und wendigen Hund mit kontrollierter Schärfe und Jagdverstand. Er sollte sich mit der Schweißhündin auch am Stück vertragen und sich als freilaufender Satellit möglichst nicht verselbständigen, das heißt, eine ausgeprägte Meutebindung haben.

Nach langem Abwegen boten sich Border- und Jack Russel-Terrier an. Der J. R. verfügt zwar über die für unsere Zwecke geeignetere Farbe, konnte sich aber im Familienrat gegen das sympathisch-freche Bordergesicht einfach nicht durchsetzen.

So holten wir uns aus einem „jagdlichen Zwinger“ den Borderwelpen „Maja“ im Alter von sieben Wochen und schmuggelten ihn meiner Schweißhündin „Juno vom Lützelsoon“ unter, die zu der Zeit eigene, gleichalte Welpen aufzog. Für den Zwerg war es eine harte Schule, sich unter sieben schwergewichtigen Raufbolden zu behaupten. Das gelang immer besser, je mehr die Kleine merkte, dass der Verstand nur selten bei der Masse ist.

Als die Schweißhundwelpen später abgegeben wurden, blieb der Borderwelpe übrig, und vermittelte der Hündin so das Gefühl, einer ihrer Welpen sei bei ihr geblieben. Sie glaubt es scheinbar bis heute; denn beide Hunde haben dauerhaft ein konfliktfreies Verhältnis in einer unangefochtenen Rangordnung. Bei Nachsuchen aller Art ließ ich von Anfang an den Borderwelpen frei mitlaufen, ohne mich im Verlauf der Arbeit um ihn zu kümmern. Dabei hatte er viel Gelegenheit, alle Wildarten kennenzulernen.

Natürlich rechnete ich damit, dass er anfangs auch gesundes Wild quer durchs Revier hetzen würde. Aber ich setzte darauf, dass ein Hund ebenso klug sein müsse, wie ein Fuchs. Ich habe nämlich noch nie einen Fuchs gesehen, der einen gesunden Hasen hetzt. Ich denke, die Füchse lassen das, weil sie erkannt haben, dass sie sich dabei nur „blamieren“ können.

Zu Kontakt mit wehrhaftem Wild kam Maja schneller als gewollt. Schon vor ihrer ersten Nachsuche stöberte sie beim Pilzesuchen in einem Fichtenanflughorst zufällig einen Überläuferkeiler auf. Der flüchtete zunächst ein kurzes Stück, drehte dann aber um und trullerte den Welpen mit dem Wurf vor sich her, bis ich endlich zu Hilfe kommen konnte. Vielleicht war das für Maja ein prägendes Erlebnis der richtigen Art. Denn einerseits sind seither Sauen für sie „Feind“ Nr. 1, andererseits sind ihr aber auch die Kräfteverhältnisse in dieser Beziehung dauerhaft und deutlich klar geworden.

$(zwititel:Bodyguard in der Nachsuchenpraxis)
Maja ist inzwischen drei Jahre alt und hat viele Nachsuchen auf alle Hochwildarten mitgemacht. Sie läuft nach wie vor frei mit und begleitet ihre „Mutter“ Juno, die natürlich in klassischer Manier am Schweißriemen geführt wird, im Umkreis von etwa 100 Metern. Den Schweißhund stört die Anwesenheit und des oft hektisch umher rennenden Terriers nicht in seiner Konzentration bei der Riemenarbeit.

Juno wirft nur auf, wenn der Kleine plötzlich vor uns laut wird. Sie weiß aus Erfahrung, dass damit oft das Finale der Nachsuche eingeläutet wird. Im angestrebten Normalfall läuft eine Nachsuche mit Beteiligung des Bodyguards so ab: Die Schweißhündin liegt wie gewohnt neben dem Anschuss, während ich diesen untersuche. Auf den Terrier achten wir nicht, der stöbert schon frei in der Nähe. Er nimmt von sich aus die Wundfährte nicht auf, dafür fehlen ihm Ruhe und Konzentration. Wenn Juno dann die Fährte arbeitet, ist Maja meist stöbernd nahe vor uns, wobei sie die grobe Richtung vermutlich doch aus der Witterung der Wundfährte erkennt.

Kommt ihr gesundes Wild in die Nase, hetzt sie es an, aber nicht weit. Sie hat längst begriffen, dass gesundes Wild keine Investition lohnt und dass die interessantere Musik nur in der Nähe des Schweißhundes spielt. Die kranke Sau im Wundkessel findet Maja bei dieser Art Suche, bevor der Schweißhund und sein Führer heran sind. Das Stück hat den herannahenden Menschen und großen Hund meistens noch nicht bemerkt, wenn plötzlich der Giftzwerg neben ihm am Kessel steht und es heftig verbellt. Wir profitieren dabei von dem frappierenden Überrumpelungseffekt, den diese Situation mit sich bringt; denn meistens wird die Sau vor dem kleinen Hund nicht flüchtig, sondern stellt sich gleich im Kessel.

Ich lasse mir etwas Zeit, damit das Stück sich ganz auf den einen Gegner, den es nicht wirklich ernst nimmt, einstellt. Unter Wind kann man dann die Sau, die sich ohne Panik voll auf den flink vor ihr herumtanzenden Hund konzentriert, in Ruhe angehen. Schwarzwild macht zwar gelegentlich einen halbherzigen Ausfall gegen den Hund, hat aber kaum eine Chance, den wieselflinken Border zu erwischen. Der Fangschuss ist leicht, weil die Sau abgelenkt ist und der Hund meist genügend Abstand hat.

$(zwititel:Nachteile und Risiken eines Bodyguards)
So ideal läuft es aber nicht immer ab. Gelegentlich muss der Schweißhund zugeschnallt werden. Das geschieht immer dann, wenn sich ein Stück dem kleinen Hund nicht stellen will, und er es allein durch Fassen nicht halten kann. Das kommt besonders bei schwachem Rot- und Damwild vor. Kälber und Schmaltiere haben nicht genug Selbstvertrauen, um sich einem Hund zu stellen. Sie flüchten, so schnell sie können, und müssen festgehalten oder niedergezogen werden.

Dafür reichen aber acht Kilogramm Border nicht aus. Für den knapp 40 Kilogramm schweren Schweißhund ist das hingegen kein Problem. Komme ich dann zu der Stelle, an der der Hetzlaut abbrach, ist in den meisten Fällen wegen der beiden Hunde kein Fangschuss mehr möglich. Dann muss die Nachsuche schnell mit der kalten Waffe beendet werden.

Der gleichzeitige Einsatz zweier Hunde birgt auch für diese Risiken anderer Art, wie folgendes Beispiel zeigt: An einem Sommermorgen arbeiteten wir in vorgenannter, bewährter Weise die Wundfährte eines Überläufers in einem Getreidefeld. Nun sind erfahrungsgemäß alle Sauen, die bei Nacht beschossen werden, Überläufer. Jedenfalls solange, bis man sie gefunden hat. In diesem Fall war gleich zu erkennen, dass es sich um eine recht „erwachsene“ Fährte handelte. Programmgemäß gab es plötzlich etwa 80 Meter vor uns giftigen Standlaut des Borders, der sich aber langsam entfernte.

Deshalb schnallte ich den Schweißhund dazu. Dessen Laut ging gleich in Hetzlaut über, entfernte sich schnell und brach dann ab. Etwas ratlos standen wir da und bemerkten erst jetzt, dass der Terrier immer noch an gleicher Stelle Laut gab. Ich vermutete, dass er wohl nur den leeren Kessel verbellte, ging aber doch langsam auf die Stelle zu. Dort sah ich zu meinem Erstaunen die starke Sau vor dem Hund stehen. Zweifellos war es die nachgesuchte, kranke Bache. Ich zögerte mit dem Fangschuss; denn ich habe es mir zur Gewohnheit gemacht, mir Bachen, die kleine Frischlinge führen, vor dem Fangschuss genau anzusehen. Manchmal rechtfertigt ein kleiner Kratzer in der Schwarte nicht, den Frischlingen die säugende Mutter zu nehmen.

Diese Bache aber hatte zweifelsfrei einen zerschmetterten Hinterlauf. Schon wegen der zwangsläufig zu erwartenden Infektion durch Schmeißfliegen hatte sie keine Chance zu überleben. Der Fangschuss war recht einfach; denn die Sau stand merkwürdig still. Als der Border wieder einmal weit genug entfernt war, schoss ich der etwa 70-Kilogramm-Bache mit der 8×57 Vollmantel aufs Blatt. Als sie umfiel, stockte mir der Atem, denn mit ihr sackte – jetzt erst sichtbar – mein Schweißhund, der sich auf der anderen Seite der Sau in der Schwarte festgebissen hatte, zu Boden. Obwohl das Vollmantelprojektil den Wildkörper durchschlagen hatte, war Juno auf wundersame Weise unverletzt geblieben. Mir saß der blanke Schreck in den Gliedern.

Erst im Nachhinein wurde mir klar, wie sich alles abgespielt hatte: Der Terrier hatte programmgemäß die kranke Bache gefunden, die mit ihren Frischlingen im Wundkessel saß. Die Frischlinge wurden flüchtig, während die Bache sich stellte. Der Schweißhund hatte versehentlich zuerst die Frischlinge verfolgt, dann aber seinen Irrtum erkannt und war zurückgekommen. Von mir unbemerkt hielt sie die Sau an der mir abgewandten Seite fest, die sich, inzwischen schwerkrank, nicht mehr zur Wehr setzte.

Wenn beide Hunde eine wehrhafte Sau stellen, verkehrt sich der Bodyguard-Effekt ins Gegenteil. Sie stacheln sich gegenseitig an und bedrängen das Stück härter und näher, als wenn jeder auf sich allein gestellt wäre. Dabei entsteht erst recht die Gefahr, verletzt zu werden. Dennoch: Seitdem meine Schweißhündin von einem Bodyguard begleitet wird, ist sie nicht mehr ernsthaft geschlagen worden.

Ich bin mit dieser „Technik“ der Nachsuche zufrieden. Sie bringt uns manchmal verblüffend schnell und einfach zum Erfolg. Häufig sind auch andere Jäger beeindruckt und wollen die Methode kopieren. Ich rate aus folgenden Gründen ab:

Erstens ist es ein seltener Glücksfall, einen Hund zu finden, der sich als freier Bodyguard uneingeschränkt eignet. Für diesen Zweck muss er unbedingt Lautjäger sein, Verstand und kontrollierte Schärfe haben, darf aber nicht zu weiter Solojagd neigen. Mit den meisten Hunden – gleich welcher Rasse – funktioniert das nicht. Und man kann ja nicht so lange Welpen „ausprobieren“, bis man endlich den Geeigneten gefunden hat.

Schwerwiegender ein zweites Argument: Man kann nicht beeinflussen, den während der Nachsuche unkontrolliert freilaufenden Begleithund von der Verfolgung kranken Wildes abzuhalten. Er nimmt nämlich dann die Verfolgung auf, wenn er gefunden hat und zwar ohne Rücksicht auf nahe Straßen oder Autobahnen. Dort kann es durch das Wild oder den Hund zu schweren Unfällen kommen.

Weder die Rechtslage, noch der Jagderfolg oder der Tierschutz rechtfertigen das Risiko solch folgenschwerer Verkehrsunfälle. Und auch für den Hund selbst ist die Gefahr groß, im Straßenverkehr ums Leben zu kommen. Meistens erwischt es den Hund und nicht das verfolgte Wild, weil dieses die Fahrbahn ohne Verzug überfällt. Der Hund hingegen muss sich auf dem Asphalt mit der Nase meist neu orientieren, bögelt und hält sich so wesentlich länger im Gefahrenbereich auf.

Wenn glückliche Zufälle zusammenkommen, kann der Einsatz eines vierläufigen Bodyguards die Nachsuchenarbeit mit schweren Schweißhunden erheblich erleichtern. Er kann ihnen mehr Sicherheit und schnelleren Erfolg bringen. Untaugliche Versuche hingegen können leicht das Gegenteil bewirken.

 

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