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Hieb- und stichfest

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Hirschfänger: Geschichte & Neuanfang. Rostfänger, verstaubtes Relikt oder schmuckes Beiwerk, das nur noch zum Jägerschlag taugt. Ist der Hirschfänger reif für die Mottenkiste? Claudia Elbing und Michael Schmid blicken zurück und stellen einen neuen Hirschfänger von Messermacher Jockl Greiß vor.

 

Von oben: Hirschfänger aus Meßkirch mit Hohlkehle und „Muschel“ (um 1850), moderner Greiß-Hirschfänger aus Damast, kleiner Hirschfänger aus Hermentingen an der Lauchert (um 1875)

Von Claudia Elbing und Michael Schmid

Dunkel klingt das Geläut der Bracke aus der verschneiten Dickung. Der Rüde hat gefunden und bedrängt die schwarzen Gesellen. Mit giftigem „Jiff, Jaff“ schlagen zwei Terrier bei. In den bürstendichten Fichten geht es rund, und nach wenigen Minuten fallen in schneller Folge an der Süd- und Westseite des Treibens sechs Schüsse. Die Hunde haben die Rotte gesprengt. Hoffentlich liegt der kranke Überläufer, die eigentliche Ursache der nachmittäglichen Treibjagd. Fehlanzeige, aus der Dickung hämmert Standlaut.

Gegen den Wind gehen wir mit dem Führer der Brandlbracke den Bail an. Die laufkranke Sau wird von den drei Hunden gedeckt und unablässig attackiert. Lässt der eine vorne aus, fassen die anderen von hinten. Keine Chance für einen sicheren und vor allem die Hunde nicht gefährdenden Fangschuss. Für den erfahrenen Rüdemann Routine. Er geht den voll beschäftigten Hosenflicker von hinten an, greift in die wild gesträubten Federn und fängt ihn mit einem gekonnten Stoß seines zum Hirschfänger umgearbeiteten Bajonetts ab.

“Lunte gerochen“

Szenenwechsel, zurück ins 16. Jahrhundert. Auch hier greift ein Jäger, umwölkt von Schwarzpulverdampf, zur blanken Wehr, um den von den Packern zu Boden gezogenen, waidwund geschossenen Hirsch zu erlösen. Büchse und Hirschfänger – die Ära der „langen Messer“ ist eng verwoben mit dem Siegeszug der Feuerwaffen. Aus den zischenden, qualmenden Luntenschloß-Ungetümen des Spätmittelalters wurden die deutlich verbesserten Radschlossbüchsen der Renaissance entwickelt. Hatte vorher das Wild im wahrsten Sinne des Wortes „Lunte gerochen“, ermöglichte der relativ leise und „geruchsneutrale“ Zündmechanismus erstmals den jagdlichen Einsatz von „Pulver und Blei“. Die Rad- und später die Steinschlossbüchsen lösten zunehmend Armbrust, Jagdschwert, Schweinsdegen und im Verlauf des 18. Jahrhunderts auch die Saufeder ab.

Infolge dieser Entwicklung entstand ein neuer Waffentypus, der zum Begleiter des mit der Büchse ausgerüsteten Jägers wurde – der Hirschfänger. Eine kurze, wenig hinderliche Seitenwaffe, die sowohl Elemente von Messer, Dolch, Degen und Schwert vereinte: Eine gerade Klinge für Stich, Schnitt und Hieb, Rückenschliff im Ort (Klingenrücken an der Spitze), Kreuz- oder Bügelgefäß (Griff mit Handschutz), bewegte oder gerade Parierstange, Stoßplatte und Stichblatt. Letzteres wird häufig auch als Muschel bezeichnet und hatte keine direkte Schutzfunktion. Es sollte lediglich ein in der Scheide mitgeführtes Beimesser gegen Verlust sichern. Die gut sichtbare Muschel wurde schnell zum klassischen Stilelement, da sie vielfältige Möglichkeiten der künstlerischen Gestaltung bot.

Die Ausführung der Hirschfänger richtete sich weitgehend nach den Wünschen der Auftraggeber. Breite „Schwertklingen“ sind genauso vertreten wie zierliche, verspielte Degenformen. Häufig sind ein- oder zweiseitige Hohlkehlen anzutreffen. Abweichend von der Norm wurden vereinzelt asymmetrische oder zweischneidige Klingen gefertigt. Das Repertoire des Hirschfängers reicht von der einfachen, praktischen Gebrauchs- bis hin zur prunkvoll gearbeiteten Repräsentationswaffe.

Die Ausführung gab Auskunft über Rang und Stellung des Trägers

Die Hauptaufgabe der „neuen“ Blankwaffe war das Abfangen von krankem Wild. Die damaligen Büchsen hatten einen entscheidenden Nachteil, sie mussten langwierig und umständlich nachgeladen werden. Angeschossene Hirsche und Sauen waren für Jäger und Hund eine ernst zunehmende Bedrohung, und der Hirschfänger fungierte quasi als „zweiter Schuss“ und Notnagel. Als profanes Werkzeug fand die „blanke Wehr“ beim Freischlagen von Pirschwegen und Jagdständen Verwendung.

Seine bis in unsere Zeit hineinreichende Popularität verdankt der Hirschfänger kurioser Weise einer „kalten“ Jagdart. Bei den seit Mitte des 17. Jahrhunderts an absolutistischen Fürstenhöfen abgehaltenen Parforce-Jagden avancierte das „Couteau de Chasse“ zum Kultgegenstand. Die mit Hundemeuten durchgeführte Reitjagd hatte nur ein einziges, zuvor bestätigtes Stück, meist Rot-, Dam- oder Schwarzwild zum Ziel. Das Wild wurde solange verfolgt, bis es erschöpft liegenblieb oder sich den Hunden stellte. Mit pompösen Gesten und prunkvoll in Szene gesetzt erfolgte das Abfangen des ermatteten Stückes.

Ein bereits zu Beginn bestimmter Jäger trat von hinten heran und führte mit dem Hirschfänger den Todesstoß. Handelte es sich um den Souverän oder andere herausragende Persönlichkeiten, hatte zuvor das Jagdpersonal das wehrhafte Wild zu „hessen“. Dabei wurden mit der Plaute, einem kurzen, leicht gekrümmten Jagdsäbel, die Hinterlaufsehnen durchtrennt. Die bewegungsunfähige Beute konnte nun gefahrlos abgefangen werden. Sowohl die gelernte Jägerei als auch alle beteiligten Höflinge und Fürsten trugen bei der Parforce-Jagd den Hirschfänger.

Derart verbreitet entwickelte sich die Waffe schnell zum Statussymbol der fürstlichen Jagd und zum Erkennungszeichen „professioneller Jäger“. Dies kam besonders im Brauchtum zum Ausdruck. Jägerlehrlinge erhielten ihre Lossprechung in Form des Jägerschlages mit der blanken Klinge. Auch der rituelle Brauch des „Pfundegebens“ wurde mit dem Hirschfänger durchgeführt. In den Genuss kamen sowohl Jägerinnen als auch Jäger, „die sich in weydmännischen Redensarten, oder sonst auf einem Abjagen, verbleft hatten, mit dem Weydmesser auf den Hintern: welches eine lustige Strafe bey der edlen Jägerey ist“.

Mit der zunehmenden Uniformierung des Jagd- und Forstpersonals zu Beginn des 18. Jahrhunderts wurde der Hirschfänger fester Bestandteil der Dienstkleidung. Die Ausführung gab Auskunft über Rang und Stellung des Trägers.

Standardisierter Bestandteil der militärischen Ausrüstung

In diesem Zeitraum begann auch die militärische Laufbahn der zuvor ausschließlich jagdlich genutzten Waffe. Die Fürsten und ihre Militärs hatten den Wert der Jäger als Scharfschützen und Plänkler (im Vorfeld operierende Fußtruppen) erkannt. Die ersten, um 1641 von Kurfürst Maximilian I. gemusterten, bayerischen Jägerkontingente rückten noch mit ihren privaten Pirschbüchsen und Hirschfängern ein. Als hessische Jägerkompanien im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg an die Engländer ausgeliehen wurden, war die Büchse mit gezogenem Lauf und der Hirschfänger bereits fester, standardisierter Bestandteil der militärischen Ausrüstung. Die so nach Amerika gelangten „Cuttoes“, hatten einen sichtbaren Einfluss auf die Entstehung des Bowiemessers. Eine besonders populäre Waffe war der 1778 an die preußischen Jägertruppen ausgegebene Hirschfänger mit der Klingeninschrift „vive le roi et ses chasseurs“ („Es lebe der König und seine Jäger.“).

Mit dem beginnenden 19. Jahrhundert wurde die Bewaffnung der Jägertruppen erneut verbessert. Auf der Basis umfangreicher Schießversuche hat Preußen 1809 die sehr präzise schießende „Corps“-Jägerbüchse mit einem aufpflanzbaren Hirschfänger eingeführt. Diese Art der Bewaffnung wurde im Lauf der folgenden Jahrzehnte auch von anderen Fußtruppen übernommen. Das klassische Infanteriebajonett, das in der bis 1945 bevorzugten Formgebung weitgehend einem Hirschfänger gleicht, ersetzte somit zunehmend die Kombination aus Tüllenbajonett und Infanteriesäbel. Im Laufe der Jahrhunderte wurden sowohl die zivilen als auch die militärischen Hirschfänger immer kürzer.

Endstation Rumpelkammer hieß es nach 1945

Die Länge der Waffen schwankt im 17. Jahrhundert zwischen 70- und 75 Zentimeter, im 18.- und 19. Jahrhundert werden nur noch 50 bis 55 Zentimeter gemessen. Für den Niederwildjäger wurden noch kürzere Blankwaffen entwickelt. Diese Mini-Hirschfänger sind die Vorläufer unserer heutigen Jagdmesser und Nicker. In der Blütezeit der Feuerwaffenentwicklung, zwischen 1870 und 1900, reduzierte sich die Funktion des Hirschfängers zunehmend auf die Rolle als Statussymbol. Nitropulver, Mehrlader, verbesserte Visiere und Zielfernrohre machten die Büchsen derart effizient, dass immer seltener ein Stück abgefangen werden musste.

Die Hinwendung zur Einzeljagd in Form von Pirsch und Ansitz reduzierte die Einsatzmöglichkeiten des Hirschfängers weiter. Nur noch bei Nachsuchen wurden blanke Waffen benötigt. Und auch aus diesem Metier verdrängten zwischen 1930 und 1940 die Waidblätter von Lippert und Frevert den Hirschfänger. Endstation Rumpelkammer hieß es nach 1945. Die als martialisch empfundene Seitenwaffe wurde nur noch selten oder gar nicht mehr zur Forst- und Jagduniform getragen.

Schlagen wir den Bogen ins 21. Jahrhundert. Was bewegt einen erfolgreichen Messermacher zum Griff in die Mottenkiste und zum Bau von Hirschfängern? Der passionierte Jäger und Hundeführer Jockl Greiß hat die Antwort schnell parat: „Zusätzlich zum Ansitz hat sich in den letzen 20 Jahren die laute Jagd mit dem Hund wieder etabliert.“

In den 60ern unvorstellbar, bereichern heute wieder Drück- und Treibjagden auf Schalenwild die herbst- und winterliche Jahreszeit. Sind Hunde im Einsatz, wie zum Beispiel der Brackenrüde und die beiden Terrier in der einleitenden Jagdszene, bleiben Situationen nicht aus, in denen Wild mit der blanken Waffe abgefangen werden muss. Mit unseren kurzen Jagdmessern stößt man hier sehr schnell an Grenzen. Rehwild kann man mit acht bis zehn Zentimeter langen Klingen noch problemlos abnicken oder abfangen – Schwarzwild, und darum geht es ja in erster Linie – lässt sich davon nur wenig beeindrucken. Egal ob man den Stoß von „hinter dem Blatt“ schräg nach vorne führt, oder ob man die Sau auflaufen lässt, 25 – besser noch 30 Zentimeter Klingenlänge sind da fast schon eine Lebensversicherung. Was liegt hier näher, als auf seit Jahrhunderten bewährte Blankwaffen zurückzugreifen?

Der Stahl ist die entscheidende Basis eines jeden guten Messers

Der Hirschfänger wird den geforderten Ansprüchen bestens gerecht, vielleicht sollte man ihn aber, in Anbetracht ständig zunehmender Schwarzwildbestände, in „Saufänger“ umtaufen.

In der Regel wird er auch nur durch Führer von stöbernden und jagenden Hunden und natürlich von Schweißhundführern eingesetzt. Jockl Greiß spricht aus eigener Erfahrung: „Über Mut, Geschicklichkeit, eine gute körperliche Konstitution und einen zuverlässigen Hund sollte man schon verfügen, will man einer angeschweißten Sau an die Schwarte.“

Als Vorbild für die Greiß’sche Neuauflage des Hirschfängers dienen einfache, in ihrer Schlichtheit ästhetische Gebrauchswaffen aus dem 19. Jahrhundert. Formgebung und Linienführung werden durch eigene gestalterische Elemente und praktische Erfahrungen ergänzt. Den Stahl, die entscheidende Basis eines jeden guten Messers, bezieht Jockl Greiß aus Talheim am Fuß der schwäbischen Alb. Schmiedemeister Andreas Schweikert fertigt hier in seiner Werkstatt einen harten und trotzdem zähen Schweißdamast.

Sichere und verlässliche Handhabe

Die Hirschfänger und natürlich auch andere Messertypen entstehen in der Schwarzwälder Wahlheimat von Jockl Greiß, einem Einödhof in der Nähe von Schenkenzell. Große Maschinen sucht man hier vergeblich. Mit Ausnahme eines kleinen Bandschleifers, Bohrmaschine und Härteofen ist Handarbeit angesagt. Der in Form geschmiedete Damastrohling erhält mit dem Schleifer die grobe Kontur und wird dann mit Feile und immer feiner werdendem Sandpapier modelliert. Parierstange und Knauf entstehen im selben Verfahren. Alle Stahlteile werden geätzt, dadurch tritt die damasttypische „Jahrringstruktur“ zu Tage. Speziell ausgewähltes ungarisches Hirschhorn dient als Griffmaterial. Das geperlte Horn ist äußerst hart, widerstandsfähig und garantiert eine sichere und verlässliche Handhabe.

Die Angel ist im durchbohrten Griffstück mittels Kunstharz fixiert und mit dem Knauf verschraubt. Der zusammengesetzte und bei 820 Grad gehärtete Hirschfänger wird abschließend geschärft und nachpoliert. 50 bis 60 Arbeitsstunden und erhebliche Materialkosten stecken in so einem Messer. Entsprechend gestaltet sich auch der Preis: 2.000 bis 3.000 Euro muss der Kunde für ein Unikat aus der Werkstatt von Jockl Greiß auf den Tisch blättern.

“Scharfe Sache“

„Ihr könnt den Hirschfänger wirklich strapazieren“, meinte Jockl Greiß zum Abschluss unseres Besuches. Ungläubig starrten wir auf das kunstvoll gearbeitete, lange Messer mit der filigranen Oberflächenstruktur. Also nicht in die Vitrine, sondern ins Revier, lautete die Devise. Auf über zwanzig Schalenwildnachsuchen hat uns der Hirschfänger im letzten Winter begleitet. Regen, Schnee und Dornen verkraftete er in der Scheide anstandslos.

Zum Abfangen wurde die Waffe allerdings nur einmal auf einen waidwunden Überläufer eingesetzt. Der Stoß wurde von „hinter dem Blatt“ nach vorne geführt. Die Richtung ließ sich dank perfekter Formgebung der 26 Zentimeter langen Klinge problemlos einhalten, der benötigte Kraftaufwand war gering.

Die gerade, robuste Parierstange wirkt wie der Knebel einer Saufeder und begrenzt die Eindringtiefe, zugleich schützt sie die Hand gegen Verletzungen. Sollte der Stich versehentlich am Herz vorbei gehen, ist es immer empfehlenswert, die Wunde beim Herausziehen der Klinge durch einen Schnitt nach unten und durch Drehen zu vergrößern. Der Effekt: Der Unterdruck schwindet und die Lunge fällt in sich zusammen. Die Schnittlänge und der Verzicht auf eine Fehlschärfe (= nicht angeschliffener Klingenteil) machen dabei den „Schwarzwälder Hirschfänger“ zu einer zuverlässig wirkenden „scharfen Sache“.

Gewöhnugsbedürftig ist lediglich das Gewicht der Waffe

Ansonsten zierte sich die graue Schönheit weder beim Abschlagen von Ästen noch beim Spalten von Anfeuerholz. Da die Klingenspitze etwas asymmetrisch verläuft und der Rückenschliff im Ort nur angedeutet ist, kann mit dem Greiß’schen Hirschfänger sogar aufgebrochen werden. Gewöhnugsbedürftig ist lediglich das Gewicht der Waffe: 550 Gramm oder 700 Gramm inklusive handgenähter Rindslederscheide lassen sich nicht „auf die leichte Hüfte“ nehmen. Bleibt zum Schluss die Frage, taugt ein altes Bajonett oder ein Bowiemesser nicht genau so gut zum Abfangen? Doch, mit wenigen Abstrichen erfüllen diese Blankwaffen genauso ihren Zweck. Wer jedoch über den Gebrauch hinaus mit einem künstlerisch gestalteten und handwerklich perfekt gearbeiteten Unikat liebäugelt, der sollte bei seinem nächsten Ausflug in den Schwarzwald fahren – es lohnt sich.

Kontakt und Info: Jockl Greiß,
Herrenwald 15, 77773 Schenkenzell, Tel. 0 78 36/95 55 76
(Terminabsprache erforderlich!)

Preußens Glanz und Gloria: Kaiser Wilhelm II. mit Prunkhirschfänger am gestreckten Hirsch

 

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