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Lippenstift am Mauspfeifchen

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Frischer Wind im Revier. Und von einem Jäger, der von jagenden Frauen und ihrem Auftreten so seine eigenen Vorstellungen hat.

 

Wenn sie so jagt, wie sie Auto fährt, dann werde ich Hochsitzabsäger. Machen Damen den Jagdschein und wollen im Revier aktiv werden, dann ist dies immer öfter für die betroffenen Männer Anlass zu besonders eindringlicher Auseinandersetzung mit geschlechtsspezifischen Verhaltensweisen. Ein Prüfstein für die oft beschworene Toleranz und seelische Belastbarkeit der Waidmänner. Aber frauenfeindliche Äußerungen sind in Jägerkreisen heute eine wirkliche Ausnahme. Einfühlsam, zuvorkommend und mit rauem Charme reagiert der Jäger des ausklingenden zweiten Jahrtausends auf Damen im grünen Rock: Jeder eine perfekte Mischung aus Johannes Heesters, Hermann Löns und Götz George.

Flache Witze und derbe Sprüche gehören der Vergangenheit an. Es wird heute als ungehörig empfunden, in Gegenwart von jagenden Frauen auf den neuen Schminkkoffer aus echt Loden („geräuscharm“) von Meindl hinzuweisen, vor Jagdbeginn den Damen zu erklären, dass keine Gefangenen gemacht werden dürfen oder anlässlich einer Gesellschaftsjagd mit Damen demonstrativ in schusssicheren Panzerwesten zu erscheinen.

Lädt eine Jägerin ihre Büchse durch und rührt damit in der Luft herum wie ein Tambourmajor mit seinem Paradestab, dann wissen wir, dass dies Anschlagübungen auf flüchtiges Wild sind. Der militärisch ausgebildete Mitjäger begibt sich dann diskret hinter einen schlagreifen Waldbaum, alle anderen beten lautlos.

Jagende Frauen sind die Perlen des Reviers. Deshalb gilt es längst als flegelhaft und grob unwaidmännisch, wie Schulbuben heimlich hinter ihrem Rücken aus gegebenem Anlass mit anerkennender Miene mit den Händen wölbende Bewegungen in Brusthöhe zu vollführen, weit entfernt gehende Jagdfreunde lautstark nach dem Unterschied zwischen einem Rasenmäher und einem Minirock zu fragen oder alte, abgeschmackte Verse zum Vortrag zu bringen wie: „Der Fuchs, der ranzt im Januar, der Jägersmann das ganze Jahr.“

Jägerinnen sind kultiviert und zartfühlend. In vielen Revieren, in denen es vorher noch zuging wie zu Zeiten der Försterpatrone, haben jagende Damen Stil, Geschmack und Niveau gebracht. Nach dem Motto „Vertrunken Korn und Gebräu“ sind die das vorangegangene Waidwerk bislang krönenden harten Rachenputzer eleganten Getränken gewichen: In vierschrötigen Hütten wird dem Jagdgast immer häufiger ein kühl perlender Prosecco gereicht, und rotnasige Treiber kauen heute kenntnisreich einen leichten Pinot Grigio, statt sich Flaschenbier in den Hals zu stürzen.

Und anstatt zum einundvierzigsten Mal zu erzählen, wie der Keiler aus Rischmeyers Fichten den hohen Jagdgast aus der Bundeshauptstadt fast um sein Gemächte gebracht hat, spricht man nunmehr doch häufiger über die nächste documenta, die neue Putensteak-Blitzdiät oder das wedische Atmen als begleitende Therapie zur Schwangerschaftsgymnastik.

Schon von weitem erkennt der nahende Jagdgast an blütenweißen Wolkenstores in den Kanzelfenstern, dass er ein Revier betritt, das von zarter Damenhand vom Niveau des Höhlenmenschen auf das einer zivilisierten Gesellschaft veredelt wurde. Salzteigfiguren, die fröhlich von den Leitersprossen baumeln, ein Batik-Schal lässig um die Salzlecke geschlungen, Lippenstift am Mauspfeifchen und Duftspender am Luderplatz sind die filigranen Accessoires des weiblichen Waidwerks.

Frauen drängen in die Reviere. Die Böcke schrecken fröhlich, die Füchse bellen vergnügt und die Sauen grunzen vor Lust und Lebensfreude. Denn auch das Wild weiß: Die Frauen kommen; es geht aufwärts im Revier.

 

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