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Füchse mit Familiensinn?

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Nichtreproduzierende Fähen:
Sind Füchse außerhalb der Ranzzeit überwiegend Einzelgänger? Erkenntnisse zum Sozialverhalten der Rotröcke aus urbanen Lebensräumen, vor allem aus Großstädten mit hoher Fuchsdichte, zeigen, dass Reineke durchaus auch in Gruppen oder Familiensippen leben kann. Ob oder in welchem Maße dies auch auf die Populationen der freien Landschaft zutrifft, zeigt der folgende Beitrag.

 

Von Andreas David

Füchse leben in Territorien – so sagt es die wildbiologische Lehre. Doch während man noch vor nicht allzu langer Zeit ganz sicher davon ausging, dass ein jeder Rüde und eine jede Fähe ein solches Territorium für sich beansprucht – zumindest zur Ranz und in der Aufzuchtzeit des Gehecks –, wissen wir heute, dass dies von der Dichte der Füchse selbst (Individuen pro Flächeneinheit), dem Fraßangebot und anderen Lebensraumfaktoren abhängig ist. Längst ist darüber hinaus bekannt, dass sich eine unbekannt hohe Zahl der Rüden an der Welpenaufzucht beteiligt, und dass auch so genannte Fuchsfamilien ein gemeinsames Territorium besetzen können – zumindest unter bestimmten Umweltbedingungen. Das damalige Bild des Fuchses vom notorischen Einzelgänger ist also neueren Erkenntnissen gewichen, auch wenn diese trotz anderslautender Meinungen nicht überall zutreffen – doch dazu später.

Eine fast unglaubliche Zahl

Die oben genannten Faktoren entscheiden also auch über die jeweilige Fortpflanzungsrate beziehungsweise die durchschnittliche Zahl der Jungfüchse pro Geheck. Der Fuchsdichte selbst und dem Nahrungsangebot fallen dabei unzweifelhaft die Hauptrollen zu. Die Zahl der Gehecke wiederum wird von der Zahl der unter den gegebenen Umweltbedingungen reproduzierenden Fähen limitiert, wodurch mittelbar auch die durchschnittliche Stärke der Gehecke bestimmt wird.

Aus Sicht der allgemeinen Tierökologie ist die Zahl der reproduzierenden Individuen einer Art grundsätzlich abhängig vom Zustand der jeweiligen Population und der gegebenen Lebensraumkapazität. Während in wachsenden Populationen zumindest fast alle weiblichen Tiere an der Fortpflanzung beteiligt sind, sinkt ihre Zahl mit zunehmendem Sättigungsgrad der Lebensraumkapazität. Diese allgemeingültige Regel wird auch beim Fuchs durch Erkenntnisse aus Teilen Europas und den USA, wo entweder ein entsprechend hoher Jagddruck oder die Tollwut mehr oder minder fortlaufend in die Population eingreifen und die Fuchsdichte limitieren, erneut untermauert. In solchen Regionen reproduzieren mindestens zwischen 80 und 90 Prozent aller Fähen oder mehr.

In manchen englischen Städten dagegen, die die wohl weltweit höchsten Fuchsdichten aufweisen, schwankt die Zahl der an der Fortpflanzung direkt beteiligten Fähen um nur etwa 25 Prozent (Labhard 1990). So leben in London vorsichtigen Schätzungen zufolge mittlerweile etwa 40 000 Füchse (s. WuH 1/2004). Ein Team von zwölf Jägern erlegt dort durchschnittlich 200 Füchse pro Woche! „Greater London“ hat eine Fläche von etwa 1 596 Quadratkilometern. Vorsichtig geschätzt leben in der Hauptstadt Großbritanniens und ihrer Peripherie also etwa 25 Füchse pro Quadratkilometer beziehungsweise pro 100 Hektar. Eine fast unglaubliche Zahl.

Hohe Fuchsdichte in englischen Städten

In welchen Strukturen die Füchse dort und in anderen Städten Englands leben, erfuhr ich gegen Ende der 80er Jahre quasi aus erster Hand. Dr. Patrick Doncaster besuchte mich im Nationalpark Berchtesgaden, um mich einige Tage bei meinen Beobachtungsgängen und weiteren Erhebungen zum Steinwild zu begleiten. Die Bergziegen hatten sein Interesse geweckt. Pat war ein guter Freund einer Kollegin von der Uni Braunschweig, die damals an einer Untersuchung über Kleinsäuger ebenfalls im Nationalpark Berchtesgaden arbeitete. Und – Pat Doncaster war Mitglied der international bekannten Arbeitsgruppe von Professor David Macdonald, die das Verhalten der Füchse in urbanen Lebensräumen in und um Oxford per Telemetrie und intensiver Direktbeobachtung erforschte („Oxford Foxlot“).

Erstmals hörte ich damals von den hohen Fuchsdichten in englischen Städten und vom hierarchischen Gruppenleben der dortigen Füchse. Unter anderem fand Macdonalds Forscherteam heraus, dass sich innerhalb dieser Familiengruppen nicht reproduzierende Fähen an der Aufzucht ihrer jüngeren Geschwister der Folgejahre sehr intensiv beteiligen können, bis hin zur Adoption. Was etwas später unter anderen durch v. Schantz und seine Beobachtungen in Schweden bestätigt wurde.

Pat schilderte mir zum Beispiel, wie zwei einjährige Fähen die Pflege ihrer jüngeren Geschwister übernahmen, als ihre gemeinsame Mutter als Alpha-Fähe durch einen Kampf mit einem unbekannten Gegner vorübergehend schwerverletzt ausfiel und vieles mehr. Allen Interessierten sei an dieser Stelle das Buch von David Macdonald „Running with the Fox“ empfohlen (ISBN 0-04-440199-X).

Der Straßenverkehr greift in hohem Maße in die Sozialstrukturen ein

Zwar hatte ich damals in Vorlesungen zur Soziobiologie schon von den so genannten „Helfern“ oder „Helfersystemen“ (s. Kasten) gehört beziehungsweise gelesen und diese selbst bei Blesshühnern beobachtet, dass diese Mechanismen jedoch auch beim Fuchs vorkommen, war mir bis dato unbekannt. Doch bemerkte schon Pat Doncaster beim abendlichen Weißbier damals zutreffenderweise, dass London und Oxford eben nicht überall seien, und das dortige Sozialverhalten der Füchse in mehr oder minder festen Familienverbänden nicht auf andere Lebensräume vorbehaltlos übertragbar ist.

Recht hat er. Denn derartige Fuchsdichten und Familien- oder Sippenstrukturen dürften selbst in „guten“ Fuchsrevieren in unserem Land, trotz örtlicher Nichtbejagung und einem insgesamt (sehr) guten Fraßangebot, zumindest langfristig und in offener Landschaft kaum oder nur in Ausnahmefällen zu erreichen sein. Allein die nichtjagdlichen Verluste zum Beispiel durch den Straßenverkehr sprechen dagegen. In Baden-Württemberg werden besipielsweise zurzeit jährlich mehr als 4 500 Füchse als Verkehrsopfer gemeldet. Hinzu kommt eine unbekannt hohe Dunkelziffer für nicht gefundene oder nicht gemeldete Unfallopfer. Allein der Straßenverkehr greift also in hohem Maße in die jeweiligen Sozialstrukturen ein (Pegel 2004).

Zahlreiche Untersuchungen zeigen, dass Kleinsäuger, vor allem aber Nager, im Beutespektrum des Fuchses in der freien Landschaft, stets in den ersten Rängen zu finden sind. In welchem Maße die Zahl und Erreichbarkeit von Kleinsäugern die Reproduktion des Fuchses unter bestimmten Umweltbedingungen beeinflussen kann, zeigen Beispiele aus den Waldgebieten Nordschwedens (Englund 1970, Macdonald 1987). Selbst in so genannten Mäusejahren reproduzierten dort 54 Prozent der einjährigen und 13 Prozent der mehrjährigen Fähen nicht. Die durchschnittliche Welpenzahl pro Geheck lag bei 5,4 für die einjährigen und 6,3 für die mehrjährigen Fähen. In mäusearmen Jahren hingegen beteiligten sich gar 95 Prozent der einjährigen und 67 Prozent der mehrjährigen Fähen nicht an der Reproduktion. Die durchschnittlich überlebende Welpenzahl sank auf 0,8 Welpen pro Geheck.

Doch sind auch diese Zahlen nicht auf deutsche oder mitteleuropäische Fuchslebensräume reproduzierbar. Denn einerseits ist die gesamte, für den Fuchs als Fraß verfüg- und nutzbare Biomasse, zum Beispiel in den Wäldern Nordschwedens, per se ungleich geringer als in den Kulturlandschaften unseres Landes, und andererseits sorgen die hiesigen milden Winter aus der Fuchs-Perspektive nicht oder kaum für eine populationslimitierende Ressourcen-Verknappung. Vor dem Hintergrund permanenter und relativ hoher Verluste durch Jagd und andere Faktoren (Straßenverkehr, Krankheiten usw.) befinden sich die hiesigen Fuchspopulationen deshalb offenbar permanent in einer populationsdynamischen „Wachstumsphase“, ohne auch nur annähernd eine Sättigung der Lebensraumkapazität zu erreichen. Denn bei der in den vergangenen Jahren vergleichsweise trotzdem sehr hohen Fuchsdichte in Deutschland müsste demzufolge sonst ein mehr oder weniger hoher Prozentsatz der Fähen theoretisch nicht an der Fortpflanzung teilgenommen haben beziehungsweise teilnehmen.

Durchschnittlich etwa fünf Welfen pro Fähe

Doch abgesehen von der Tatsache, dass die in Deutschland zu dieser Fragestellung nur äußerst spärlich vorhandenen Untersuchungsreihen nicht repräsentativ sind (Strecken, Fallwild), ist ein hoher Anteil nicht reproduzierender Fähen in den hiesigen Fuchspopulationen und diesbezüglich aktuell laufenden Freiland-Untersuchungen weder erkennbar, noch zu erwarten.

Das Gegenteil dürfte zumindest in weiten Teilen Deutschlands zutreffen: Die Fuchsbesätze reproduzieren vielerorts an ihrer genetisch fixierten Obergrenze von durchschnittlich etwa fünf Welpen pro Fähe. Auf Rügen zum Beispiel werden aktuell Geheckstärken von durchschnittlich 5,5 Welpen erreicht. Diese Zahlen wiederum belegen die Annahme, dass die Grenze der Lebensraumkapazität, trotz zuvor unbekannt hoher Fuchsdichten, in unserem Land offenbar in den allermeisten Regionen längst noch nicht erreicht ist.

Eine der dringlichsten Aufgaben der Jagd in Deutschland

Doch sollten diese Ergebnisse wiederum nicht zum Anlass genommen werden, anzunehmen, dass die heimischen Lebensgemeinschaften noch mehr Füchse „vertragen“ könnten, ohne dabei selbst „Schäden“ davonzutragen. Das Gegenteil ist aber der Fall. Denn solche Schäden werden aus Sicht des Artenschutzes bereits jetzt schon in einem Rückgang der Arten und Veränderungen in der Zahl der Individuen pro Art sowie durch Verschiebungen im Gesamtartenspektrum sichtbar.

Beispiele dafür sind die eindeutigen und bedenklichen Beobachtungen aus etlichen Wiesenbrüter- und Küstenvogelschutzgebieten sowie aus Revieren oder Revierkomplexen mit ehemals hervorragenden Niederwildbesätzen. In den genannten Schutzgebieten sind in der Regel bodenbrütende Arten betroffen, deren regionaler oder bundesweiter Erhalt unmittelbar an stark begrenzt vorhandene Restlebensräume gebunden ist, die zumindest in ausreichender Größe und Anzahl mit großer Wahrscheinlichkeit nicht wiederhergestellt beziehungsweise neu geschaffen werden können. Nach wie vor bleibt also die Reduktion der Fuchsbesätze und weiterer opportunistischer Beutegreifer aus Sicht des Artenschutzes eine der dringlichsten Aufgaben der Jagd in Deutschland.

Abschließend zum Titelthema des vorliegenden Heftes „Jungfüchse“ sei an ein Zitat des Eberswalder Raubwildexperten Dr. Jürgen Goretzki erinnert: „Die Erlegung und der Fang von Fuchswelpen am Wurfbau sind wichtige Voraussetzungen für die notwendige deutliche Verringerung des Fuchsbesatzes, die uns allein mit dem Fang und dem Abschuss in der Zeit der Balgreife ganz sicher nicht gelingen wird!“

Mit durchschnittlich etwa fünf Welpen pro Fähe reproduzieren die Fuchsbesätze in Deutschland vielerorts an ihrer genetisch fixierten Obergrenze

 

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