Eine besondere Karpathen-Kipplaufbüchse:
Wenn eine Doppelbüchse die Königin unter den Kipplaufwaffen ist, dann ist eine Kipplaufbüchse sicher die Fürstin unter denselben. Heribert Saal ließ sich nach seinen Vorstellungen eine solche Aristokratin bauen.
Extra für die „Fürstin“ hat sich der Autor Munition von DWM mit dem legendären Original-Starkmantelgeschoss zurückgelegt. Gerade das 6,7-g-Geschoss aus der 7x57R begeistert ihn wegen der guten Wirkung auf Rehwild und Gams |
Von Heribert Saal
Feine, handwerklich hergestellte Jagdwaffen üben auf viele Jäger eine besondere Faszination aus. Davon lebt das Büchsenmacherhandwerk in Suhl wie in Ferlach. Auch ich zähle – zum Leidwesen meines Geldbeutels – zu der Kategorie Jäger, die Freude an außergewöhnlichen und edlen Jagdwaffen haben.
Mich fesselt an diesen Gewehren die funktionelle Symbiose aus Holz und Stahl, die schwungvollen Linien der Schäfte, und die, nur bei Luxuswaffen anzutreffenden hochfeinen, ja künstlerischen Gravuren. Hinzu kommt das Bewusstsein, mit einem Schaft aus seltenem Wurzelholz ein Naturprodukt in den Händen zu halten, das neben seiner Schönheit in Maserung und Farbton noch an die 500 bis 600 Jahre gewachsen ist – sozusagen eine Antiquität aus der felsigen Bergwelt Anatoliens.
Dann ist da noch der Stahl, geschmolzen bei Temperaturen von weit über 1 000 Grad Celsius, mit geheimnisvollen Zusätzen versehen, deren Rezepturen nur die jeweiligen Herstellerfirmen kennen und streng geheim halten, um zum Schluss als Endprodukt einen zähharten Laufstahl entstehen zu lassen, dessen Büchsenlauf viele tausend Schuss aushält und der die Kugel präzise ins Ziel bringt.
Leichtigkeit und Eleganz
Dazu kommt die Stahlbasküle, das Herzstück eines jeden Gewehres, rotglühend und mit tonnenschweren Hämmern im Gesenk geschmiedet, um später dann als hochfeste Basis für Lauf und System dem Ganzen Halt zu geben. All dies macht den besonderen Reiz handwerklich gefertigter Waffen aus. In jedem Gewehr steckt die Handschrift und die Seele vieler Meister, die bei der Entstehung mitgewirkt haben. Eine solch einzigartige Jagdwaffe in den Händen zu halten, erweckt Gefühle und Eindrücke, die schwer zu beschreiben sind.
Durch eine Drilling-Veredlung (siehe WuH 26/1999) hatte ich die Brüder Hendrik und Marko Frühauf aus Schleusingen-Rappelsdorf bei Suhl kennen gelernt. Zu beiden nahm ich nun erneut Kontakt auf. Hendrik, trotz seiner jungen Jahre schon Graveurmeister, macht durch hochstehende Gravuren auf sich aufmerksam. Seine Arbeiten bestechen durch ihre Leichtigkeit und Eleganz und besitzen in Ausführung und Darstellung einen ganz eigenen, unverwechselbaren Charakter.
Einzigartige technische Besonderheiten
Sein jüngerer Bruder Marko, ebenfalls schon Büchsenmachermeister und Absolvent der renommierten Berufsfachschule für Büchsenmacher in Suhl, hat ebenfalls den Schritt in die Selbstständigkeit getan und träumt davon, dem alten Suhler Namen neuen Glanz durch die Anfertigung exquisiter, nicht alltäglicher Jagdgewehre zu verleihen. Das Besondere und Außergewöhnliche bei Marko Frühauf ist, das er ein fast in Vergessenheit geratenes Waffensystem verwendet – das Eckholdt-System, in Suhl erdacht und gebaut. Er bevorzugt es für Kipplaufwaffen aller Art.
Das einige Jahre vor dem ersten Weltkrieg von Emil Eckholdt erdachte System weist gleich mehrere technische Besonderheiten auf, die auch heute noch einzigartig sind, und die sich Eckholdt damals durch ein Reichspatent und sogar Auslandspatente schützen ließ.
Die technischen Unterschiede des eckholdt’schen Systems zu anderen Systemen sind vielgestaltig: Es fängt an bei der Anordnung des Spannmechanismus, der sich im Gegensatz zu allen anderen bekannten Systemen in der Mitte der Basküle befindet, was eine sehr schlanke und vor allem abgerundete äußere Form ermöglicht. Das Schloss wird nicht wie üblich mit dem Abkippen des Laufes gespannt, sondern durch das Schließen der Waffe. Das geht, dank einer Kniegelenk-Konstruktion spielend leicht, so dass der Unkundige überhaupt nicht merkt, dass sich mit der Aufwärtsbewegung des Laufes gleichzeitig auch die Feder im Schloss spannt. Eine „Eckholdt“ geht wegen des fehlenden Federdrucks beim Öffnen so leicht auf, wie man es sonst nur von erstklassigen englischen Flinten mit Self-Opener kennt. Dementsprechend schnell kann nachgeladen werden.
Dadurch, dass der Spannmechanismus in der Mitte der Basküle liegt, bleiben die Bande – das sind die äußeren Teile der Basküle links und rechts neben den Aussparungen für die Laufhaken – massiv. Und genau wegen dieser massiven Bauart kann, ohne Festigkeitsverlust, die Basküle insgesamt schmaler gehalten werden. So ist der Bau besonders eleganter Waffen mit unten abgerundeter Baskülenforn möglich, ähnlich der von Hahnwaffen. Und trotz der so nobel wirkenden Zierlichkeit des Systems ist die Festigkeit und Belastbarkeit des Verschlusses immer noch deutlich höher als bei anderen Systemarten, eben weil alles sehr massiv ist und nicht ausgestochen wird.
Der Abzug, beziehungsweise der Abzugmechanismus des Eckholdt-Schlosses entspricht dem des kerner’schen Ansonschlosses. Auch hier liegt die Abzugsstange oben, also weit weg vom Drehpunkt des Schlagstücks. Der Abzug kann dadurch weich und mit geringem Abzugsgewicht eingestellt werden und löst trocken aus. Diese überaus wünschenswerte Abzug-Charakteristik ist ja ansonsten eine Domäne der Seitenschlosse.
Der technische Aufwand, der bei der Anfertigung eines Eckholdt-Systems betrieben werden muss, ist allerdings, nicht zuletzt wegen des mittig angeordneten Spannmechanismus, deutlich höher als bei anderen Systemen und bedarf meisterlicher Handarbeit. Und genau dies dürfte auch der Hauptgrund gewesen sein, warum das Eckholdt-System im Zeitalter der immer teurer werdenden menschlichen Arbeitskraft in der Versenkung verschwand. Trotzdem, ich wollte ungeachtet des erklecklichen Gestehungspreises ein solch feines „Gewehrchen“ haben.
Robuste und Widerstandsfähige Befestigungsart
Nachdem der Entschluss feststand, eine Büchse mit Eckholdt-System bauen zu lassen, kam der schönste Teil des Geschäfts: Nämlich das Festlegen der Details. Welches Kaliber ist das richtige? Welcher Laufstahl soll es sein? Vielleicht ein Achtkantlauf, aber mit 60, 63,5 oder 65 Zentimeter Länge? Dann die Frage der Schaftform und der Abschlüsse: Büffelhorn oder Old English, Tropfnase am Vorderschaft oder lieber ganz schlicht, welche Fischhaut und wie fein, welche Gravuren, welches Zielfernrohr und, und, und… Es waren die Geburtswehen meiner Kipplaufbüchse.
Für mich war zum Beispiel klar, dass nur ein Stahlglas als Zielfernrohr in Frage kam. Nur mit Stahl ist eine Montage mit gelöteten Halbringen machbar. Zwar eine aufwändige, aber höchst elegante Befestigungsart, die zudem den Vorteil hat, äußerst robust und widerstandsfähig zu sein. Die Hochgebirgsjäger in aller Welt wissen schon, warum sie auch heute noch, und trotz des etwas höheren Gewichts, Stahlgläser auf ihren Büchsen bevorzugen. Ein Anstoßen am Fels lässt sich eben nicht immer vermeiden, und Stahl ist Stahl. Auch kann das Zielglas sehr niedrig auf den Lauf montiert werden und ermöglicht so ein Anschlagen und Zielen fast wie über eine offene Visierung.
Als eine der sichersten Sicherung gilt die Abzugstangen-Sicherung
Die Suche nach einem Stahlglas, das gleichzeitig meine Ansprüche an Formschönheit und optischer Spitzenleistung erfüllte, war ziemlich zeitaufwändig. Hinzu kam, dass ich gerne das von mir entwickelte Absehen „2 Universal-Nacht“ (siehe WuH 26, 1995) in diesem Zielfernrohr haben wollte. Bei dem renommierten deutschen Hersteller Schmidt & Bender in Biebertal wurde ich fündig und stieß auf offene Ohren. Schmidt & Bender hat als einziger deutscher Hersteller bei den festvergrößernden Zielfernrohren sowohl Stahl- als auch Leichtmetall-Modelle im Sortiment, aus dem mir ein überaus schlankes, formschönes 4×36 besonders ins Auge stach und zum Wunschglas für meine Büchse wurde. Und da Hans Bender – selbst Jäger – auch die mechanische Sonderanfertigung des Absehens „2 UN“ ganz unproblematisch möglich machte, bekam das Zielfernrohr „mein“ Absehen.
Während des Baus und der Entstehung meiner Kipplaufbüchse hatte ich des öfteren Kontakt zu beiden Frühaufs und bekam dadurch hautnah manche der technischen Schwierigkeiten mit, die durch meine Vorstellungen und Wünsche ausgelöst wurden. Ganz augenfällig war das bei der von mir favorisierten Sicherung. Als eine der sichersten Sicherungen gilt ja die Abzugstangen-Sicherung. Also wollte ich, das meine Büchse eine solche Sicherung bekommt. Was ich nicht bedacht hatte – man ist ja Laie – ist, dass die Welle dieser Sicherung aus Stabilitätsgründen beiderseits in Metall gelagert sein muss. Das geht aber nur, wenn die Waffe Seitenbleche hat. Seitenbleche waren ursprünglich nicht vorgesehen, nun aber wollte ich sie. Doch sie verteuerten nicht nur das Gewehr, es ergab sich darüber hinaus durch die Verringerung der Wandstärke im Bereich des Schafthalses beziehungsweise des Pistolengriffs ein Stabilitätsproblem.
Erst nachdem sich Marko durch einen am Schaftrohling vorgenommenen Sägeschnitt Gewissheit über den Faserverlauf des Holzes verschafft hatte, stimmte er den Seitenplatten zu. Ist nämlich das Wurzelholz an dieser hoch belasteten Stelle zu wirr oder der Faserverlauf schräg, besteht die Gefahr, dass beim Schuss der Rückstoß den Schaft an dieser Stelle brechen lässt.
Schritt für Schritt nahm meine Karpathenbüchse Gestalt an. Trotzdem ging mir alles zu langsam. Die zusätzlichen Seitenbleche – über die Hendrik Frühauf als Graveur natürlich recht glücklich war – erinnerten mich zugleich daran, dass ich mir langsam Gedanken machen musste, was an Verzierungen und Darstellungen auf die Waffe sollte. Eins war von Anfang an klar: Keinesfalls sollte die Büchse mit Gravuren überladen werden. In vielen Gesprächen mit Hendrik kam ich zu dem Entschluss, ihm völlig freie Hand zu lassen. Einzig auf dem Pistolengriffkäppchen wünschte ich mir eine Gams – eine Wildart, die mich wegen ihrer Härte sehr fasziniert.
Endlich, fast zwei Jahre nach Auftragserteilung, kam der große Tag. Das Telefon klingelte, am anderen Ende war Marko Frühauf – „Die Waffe ist fertig“. Wie hatte ich auf diese Mitteilung gewartet. Die Spannung stieg ins Unermessliche und freudige Erwartung machte sich breit. Schnell wurde das Treffen verabredet.
Ich wusste zwar durch die vielen telefonischen Kontakte zu den Frühaufs, wie die einzelnen Waffenteile aussahen. Auch hatte ich Fotos von den jeweiligen Teilen. Aber in meiner Vorstellung setzte sich das Bild des Gewehres aus dem zusammen, was bisher an mündlicher Beschreibung und in meiner Phantasie entstanden war. Zusammengebaut und komplett hatte ich die Waffe noch nie gesehen. Und Fotos gab es nicht. Wie würde sie wohl aussehen, meine geheimnisvolle, unbekannte Geliebte?
Erst muss gegessen werden
Nach fünfstündiger Fahrt dann endlich Ankunft in der Alten Dorfstraße 16. Der Duft von gebratener Thüringer Rostbratwurst stieg mir bereits beim Aussteigen in die Nase – eine willkommene Begrüßung der beiden Brüder. Diese herzliche Gastfreundschaft prägt die Beziehung zur Waffe ebenso, wie die – späteren – Erlebnisse auf der Jagd mit ihr. Sie sind mit ein Teil der Entstehungsgeschichte.
Nun wollte ich aber meine Kipplauf-Fürstin so schnell wie möglich sehen und in meinen Händen halten. Doch listigerweise ließen mich die beiden Brüder, unter Hinweis auf das fertige Essen, zappeln. Zuerst müsse gegessen werden.
Kontrollschießen am Schießstand
Dann endlich kam der große Moment. Marko ging in seine Büchsenmacherwerkstatt, kam zurück – und hielt in seinen Händen eine wirklich atemberaubende Schönheit. Sofort ins Auge stach der bernsteinfarbene, formvollendete Schaft, das Holz gezeichnet mit einer hinreißend schwarz gestromten und gewölkten Maserung, dann der vornehm elegante Achtkantlauf, tiefschwarz und matt schimmernd die Streichbrünierung, das Zielfrenrohr genau in dem gleichen Brünierton (leicht mit Glasperlen gestrahlt). Dazu eine scharfe, feingeschnittene Fischhaut am Pistolengriff und Vorderschaft, dieser wiederum versehen mit einer gelungenen Tropfnase – alles, alles war noch weit schöner, als ich es mir im Kopf vorgestellt hatte. Und die Gravur – einfach Klasse. In Renaissance-Laub eingefügte Fabelgestalten – Geister, Dämonen und Tatzelwurm – gerade passend für eine Karpathen-Büchse. Graf Dracula und alle Waldkobolde hätten ihre Freude daran. Als Auflockerung und liebliches Element da und dort eingestreute Edelrosen, wunderschön modelliert, und auf dem Pistolengriffkäppchen ein Gamshaupt in Vollendung. Eine Gravur feinster Art, lebendig, interessant und in der gesamten Darstellung einmalig. Ich war überwältigt und mochte das Gewehr gar nicht mehr aus der Hand legen.
Am nächsten Tag sollte es zum Kontrollschießen auf den Schießstand gehen. Dabei zeigte sich eine Eigenschaft der Büchse, mit der ich nicht gerechnet hatte, die aber, lauftechnisch bedingt, zu erwarten war: Lauf und Laufschiene sind aus einem Stück. Und genau diese massive Laufschiene verhindert das gleichmäßige Ausdehnen des Laufes nach allen Seiten. Der warmgeschossene Lauf verbiegt sich, unten mehr als oben. Bei den ersten drei Schuss gab es zwar keine Reaktion – sie lagen dicht beieinander. Doch der vierte kletterte minimal, aber immerhin, der fünfte dann schon deutlicher. Insgesamt ließ sich der Streukreis bei fünf Schuss aber mit einem Fünfmarkstück abdecken. In der jagdlichen Praxis kann man damit leben – und auch eine Fürstin ist eben nicht immer vollkommen. Dafür schoss die Kipplaufbüchse sowohl das 6,7-Starkmantel- (DWM) wie auch das 10-Gramm-Starkmantelgeschoss mit überragender Präzision.
Es war klar, dass ich in den ersten Tagen nach der „Inbesitznahme“ bei Reviergängen nur diese Waffe führte. Und nach nur drei Tagen unseres nunmehr gemeinsamen Weges passierte es: Ich konnte einen kranken Jährling sauber mit der Karpathenbüchse erlegen. Erleichtert und dankbar, dass ich das Stück mit gutem Schuss erlösen konnte, hat nun meine „eckholdtsche Frühauf“ ihre erste jagdliche Tat vollbracht. Und ich hoffe, es werden noch viele weitere folgen.