von Mark G. v. Pückler
I. Die Rechtsgrundlage
„Der Abschuss des Wildes ist so zu regeln, dass die berechtigten Ansprüche der Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft auf Schutz gegen Wildschäden voll gewahrt bleiben sowie die Belange von Naturschutz und Landschaftspflege berücksichtigt werden.
Innerhalb der hierdurch gebotenen Grenzen soll die Abschussregelung dazu beitragen, dass ein gesunder Wildbestand aller heimischen Tierarten in angemessener Zahl erhalten bleibt und insbesondere der Schutz von Tierarten gesichert ist, deren Bestand bedroht erscheint.“ § 21 Abs. 1 BJG
„Bei der Abschussplanung ist neben der körperlichen Verfassung des Wildes vorrangig der Zustand der Vegetation, insbesondere der Waldverjüngung, zu berücksichtigen.“ Art. 32 Abs. 1 Satz 2 Bay JG
II. Der Sachverhalt
Der Rehwildabschuss eines im Kreis Oberallgäu gelegenen Jagdbezirkes wurde von der Unteren Jagdbehörde verdoppelt: In den Jahren 1989 bis 1991 betrug die Abschusshöhe 100 Stück pro Jagdjahr, für die Jahre 1992 bis 1994 wurde der Abschuss auf jährlich 200 Stück erhöht.
Begründung dieser enormen Erhöhung: Nach dem Forstlichen Gutachten sei die Naturverjüngung mit den im Gebirgswald notwendigen Mischbaumarten nicht gewährleistet. Außerhalb der Weiserflächen sei eine schlagartige Verschlechterung des Vegetationszustandes festzustellen.
Nach erfolglosem Widerspruch erhob der Pächter Klage beim Verwaltungsgericht. Die Erfüllung dieser Abschusszahl sei unmöglich und würde zur Vernichtung des Rehwildbestandes führen, begründete er seine Klage. Nach einem von ihm in Auftrag gegebenen Gutachten betrage der Bestand nur 140 Stück.
Auch der Jagdberater der Unteren Jagdbehörde sei zu dem Ergebnis gelangt, dass ein Abschuss von nur 350 Stück in drei Jagdjahren sachgerecht sei.
III. Das Urteil
Das Gericht gab dem Pächter im wesentlichen recht; es stellte fest, dass der dreijährige Abschussplan rechtswidrig war, da mehr als 390 Stück Rehwild (dreimal 130) festgesetzt wurden.
Nach den maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen habe der Schutz der Vegetation vor überhöhten Wildschäden Vorrang gegenüber einem hohen Wildbestand, so die Urteilsbegründung.
Dies ergebe sich daraus, dass die berechtigten Ansprüche der Forstwirtschaft „voll gewahrt“ bleiben müssten und die Erhaltung des Wildbestandes nur „innerhalb der dadurch gebotenen Grenzen“ Ziel der Bejagung sei. Die Waldverjüngung sei „vorrangig“ zu berücksichtigen.
Dieser Vorrang der waldbaulichen vor den jagdlichen Interessen liege vor allem an der überragenden Bedeutung des Waldes für das Klima, den Wasserhaushalt, die Sauerstoffproduktion und die biologische Vielfalt sowie in der bodensichernden Funktion des Waldes. Deshalb müsse insbesondere die standortgemäße Waldverjüngung gewährleistet sein.
Ausgangspunkt und Grundlage jeglicher Abschussplanung sei daher das Forstliche Gutachten über den Zustand der Vegetation und die Waldverjüngung. Der darin getroffenen Empfehlung des Forstamtes für die Abschusshöhe komme bei der Abschussplanung eine besondere Bedeutung zu.
Die Festlegung der Abschusshöhe liege aber nicht im Ermessen der Unteren Jagdbehörde; vielmehr habe diese den Abschuss anhand der konkreten Revierverhältnisse unter Abwägung der gesamten Zielvorgaben festzulegen.
Hierbei habe die Behörde, weil sich die Abschusszahl nicht mathematisch genau errechnen lasse, eine „gewisse Bandbreite von Entscheidungsmöglichkeiten“; deshalb beschränke sich die Überprüfung der Abschusshöhe durch das Gericht darauf, ob diese sich noch in einem „vertretbaren Zahlenrahmen“ befinde.
Diesen vertretbaren Zahlenrahmen habe die Untere Jagdbehörde hier mit der Verdoppelung des Abschusses „offensichtlich verfehlt“; denn die Abschussregelung diene neben den waldbaulichen Belangen auch der Erfüllung des Hegezieles, nämlich der Erhaltung eines den landschaftlichen und landeskulturellen Verhältnissen angepassten artenreichen und gesunden Wildbestandes in angemessener Zahl sowie die Pflege und Sicherung seiner Lebensgrundlagen.
Aus dem vom Gericht erhobenen Gutachten ergebe sich zwar, dass die Verbissbelastung von Tanne und Buche Folge eines zu hohen Rehwildbestandes sei. Außer bei Fichten sei so gut wie keine Verjüngung gesichert.
Andererseits sei aber eine Verdopplung des Abschusses nicht erforderlich. Ob künftig eine Erhöhung des Abschusses um 100 Prozent notwendig sei, sei zwar nicht auszuschließen; im Zweifelsfalle müsse aber in mehreren angemessenen, am tatsächlichen Verbiss orientierten Schritten die gesetzlich geforderte Rehwilddichte hergestellt werden, damit die rehwildspezifischen Hegeziele nicht gefährdet würden.
Nach dem vom Gericht erhobenen Gutachten sei unter Abwägung der Erfordernisse des Waldbaues und des Gebots der Wilderhaltung ein Abschuss von 130 Stück pro Jagdjahr angemessen und auch erforderlich. Bayerischer VGH, Urteil vom 19.5.1998 – 19 B 95. 3738 –
IV. Anmerkungen
Ziel des Abschusses ist es, die Belange von Wald und Wild miteinander in Einklang zu bringen. Dabei hat eine ordnungsgemäße Forstwirtschaft wegen der besonderen Bedeutung des Waldes Vorrang vor einem hohen Wildbestand.
Grundsätzlich muss die standortgemäße Waldverjüngung ohne Flächenschutz gewährleistet sein.
Andererseits muss innerhalb dieser Grenzen aber auch ein gesunder und artenreicher Wildbestand in angemessener Zahl erhalten werden. Je mehr sich die Abschusshöhe einer Bestandsvernichtung nähert, desto stärker wird daher der Widerstand des sich aus der Hegepflicht ergebenden Wilderhaltungsgebot; denn nach den Zielen der Hege darf keine standortgemäße Wildart im Revier vernichtet werden.
Problematisch sind vor allem die Fälle, in denen die Wildschäden zwar untragbar sind, sie aber nicht auf einem überhöhten Wildbestand beruhen, sondern auf anderen Ursachen (beispielsweise Beunruhigungen und Störungen oder fehlende Verbissgehölze und Äsungsflächen).
In diesen Fällen sind, soweit möglich, zunächst diese anderen Ursachen zu beseitigen, ehe der Wildbestand weiter dezimiert wird.
V. Ergebnis
- Wegen der besonderen Bedeutung des Waldes für die gesamte Umwelt haben die Belange der ordnungsgemäßen Forstwirtschaft Vorrang vor einem hohen Wildbestand. Vor allem die standortgemäße Waldverjüngung muss gewährleistet sein.
- Innerhalb der hierdurch vorgegebenen Grenzen soll die Abschusshöhe auch dazu beitragen, dass ein gesunder und artenreicher Wildbestand in angemessener Zahl erhalten bleibt.
- Die Höhe des Abschusses orientiert sich daher in erster Linie am Ergebnis des Forstlichen Gutachtens. Dieses muss korrekt erhoben sein, insbesondere darf es nicht von falschen Tatsachen ausgehen.
- Die Festlegung der Abschusshöhe liegt nicht im Ermessen der Unteren Jagdbehörde. Vielmehr hat diese den Abschuss unter Abwägung der sich gegenüberstehenden Belange von Wald und Wild festzusetzen.
- Der Abschussplan ist ein Verwaltungsakt. Er kann daher in vollem Umfange vor Gericht angefochten werden. Beruht er auf falschen Voraussetzungen oder wurden die sich gegenüberstehenden Belange überhaupt nicht oder nicht zutreffend bewertet und miteinander abgewogen, so ist er aufzuheben.
In der Regel wird hierzu ein Gegengutachten zum Forstlichen Gutachten notwendig sein.
- Bei einer so starken Erhöhung des Abschusses wie der Verdopplung, muss die Erhöhung im Zweifel schrittweise an die zutreffende Abschusshöhe angepasst werden.
- Siehe ergänzend: WuH 8/1998, S. 54; 7/1998, S. 48; 6/1998, S. 58; 22/1994, S. 53 und 9/1994, S. 41.