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“ …Mantel für ein hübsches Weib“

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MARDERJAGD:
Das Ausneuen und Ausklopfen des Steinmarders war noch vor einigen Jahrzehnten ein wichtiger Teil der Winterjagd. Das bescheidene Waidwerk versprach einen wertvollen Balg. Doch heute ist Rauchwerk nichts mehr wert und die Jagd auf die Weißkehlchen aus der Mode gekommen. Wie spannend sie dennoch sein kann, erzählt Heiner Sindel.

 

Von Heiner Sindel

Seit die Sauen im Revier sind, ist alles anders geworden. Früher gehörte die Nacht dem Wild, und wenn am Tag der Schnee wenigstens zwei Zentimeter dick auf Scheunen, Ställen, Feldern und Holzhaufen lag, wurden Marder gespürt und gejagt. Heute springt die Jägerei beim kleinsten Krümmelchen Schnee nach den Sauen, und jede Mondnacht wird am tonnenweise ausgebrachten Mais verhockt. Ich hab ihn noch nie gemocht, den Futtertrog. Das Heranfüttern von Enten, Rehen, Füchsen und Sauen.

Mag ja Sinn machen, Jagen zu erleichtern, aber schön empfind ich es nicht. Ein Kleeacker ist zwar auch eine Art Kirrung, aber der passt zumindest in die Landschaft und gehört irgendwie dazu, wirkt nicht so aufgesetzt, so verzweifelt Beute erzwingend.

Zugegeben, Sauen sind auch eine Bereicherung im Revier, wenn sich Schaden und Nutzen einigermaßen die Waage halten. Aber Sauen brauchen viel Zeit. Im Sommer beim Ansitz, beim Einebnen der Wiesen, beim Nachsäen des Maises. Und im Winter, genauer am kurzen Wintertag, verdrängt das Kreisen um Dickungen die Zeit zum Spüren um Stall und Scheune, Holzstoß und Reisighaufen.

Herrliches und anspruchsvolles Winterwaidwerk

Das ist verständlich, denn immense Wildschäden und die Hoffnung auf ausgleichende Beute zwingen die meisten Jäger zur Änderung ihrer Jagdstrategie. Die Gewichtung jagdlicher Arbeit hat sich dadurch in vielen Revieren verschoben. Was gilt den meisten Jägern schon ein Fuchs- oder ein Marderbalg? Zu was die Müh um derart geringe Beute?

Dabei war und ist die Marderjagd ein herrliches und anspruchsvolles Winterwaidwerk. Wieviel Genugtuung und Erlegerstolz bringt ein feiner, weicher Marderbalg!

Wegwerftonnen organisieren Jägerpräsidenten inzwischen zur Entsorgung von wertlos empfundenen Pelzträgern. Das ist kein guter Weg und wird in einer jagdfernen (oft auch naturfernen) Öffentlichkeit kaum die jagdliche Zukunft sichern.

Jagen und Verwerten muss einer der wichtigsten Grundsätze jagdlicher Arbeit sein. Und dazu gehört winterliches Beutemachen, das Abbalgen der Marder und des Fuchses und selbstverständlich auch die Suche nach einem Markt für diese Produkte aus Feld, Dorf und Wald. Dass es geht, zeigt die Initiative unserer Jägervereinigung „Heimisches Pelzwerk – die natürlichste Sache der Welt“. Wir haben dafür breite Unterstützung bekommen. Dem Bund Naturschutz war es recht, auf Gewerbeschauen im Landkreis präsentierten wir das Kürschnerhandwerk neben dem Landesbund für Vogelschutz und dem Landschaftspflegeverband. Kurz: gediegene jagdliche Arbeit ist gesellschaftsfähig. Selbstverständlich ist das eigene jagdliche Tun immer wieder zu hinterfragen, und die Schattenseiten der Fallenjagd und unbeherrschtes und/oder ungekonntes Schießen dürfen nicht beschönigt oder als irgendwelche Notwendigkeit dargestellt werden. Beutemachen im Sinn von verwerteter Beute wird von der Mehrheit unserer Bevölkerung akzeptiert. Aber glaubwürdig muss jagdliche Ernte sein.

Den Fluchtweg abschneiden

Und weil dem so ist, jagen wir auch heute noch den Marder mit der Flinte in Scheunen, Ställen, Holz-, Stein- und Reisighaufen, manchmal im Kunstbau, im Durchlass, in hohlen Bäumen, Bretterhaufen, Müllkippen, Starenkobeln, Garagen und noch viel unwahrscheinlicheren Verstecken.

Einmal – gut zwanzig Jahre werden es her sein – stöberten wir den Marder unter dem Fehlboden eines bäuerlichen Schlafgemaches heraus. Es war ein sehr bejahrtes Anwesen, und die beiden übriggebliebenen Bauersleute hatten ein dem Hof ähnliches Alter. Marder spüren die Harmlosigkeit ihrer Umgebung wohl und nutzen als Kulturfolger den reich gedeckten Tisch von Ratten und Mäusen, Speiseresten und Spatzenbrut.

Deshalb konnte ich damals bereits im ersten Spurschnee Anfang Dezember an einem trüben Wintertag den Marder festmachen.

Fuchsmeister Höck, mit diesem Titel wurde einer unserer besten Hasentreiber nach dem tausendsten mit seinen Hunden erbeuteten Fuchs geadelt, begann am frühen Nachmittag unter dem ans Haus angebauten Scheunengiebel zu suchen.

Der Marder liegt in aller Regel im Stroh, selten im Heu und meistens, weil am ruhigsten, ganz oben unter dem Dach. Dort schneiden wir ihm – wenn möglich – im Halbdämmer der Dachbalken den Fluchtweg ab und erbeuten einen Großteil der Weißkehligen bereits in der Scheune.

Damals aber steckte der Marder nicht unter dem Giebel und nicht im Gerümpel unten auf der Tenne.

Fuchsmeister Höck – mit bürgerlichem Namen Hecken Fritz – hatte aber nebst seinen Hunden die feinste Nase für jegliches Wild und entdeckte Kraft seines Spürsinnes ein Loch im mulmgefüllten Fehlboden unter der bäuerlichen Schlafkammer.

Keine Regel ohne Ausnahme

Für seinen Waldi langte die Höhe der übernagelten Balken aus. Der Hund schliefte ein, gab sofort Laut und – ein wenig Glück gehört auch dazu – der Marder sprang vom Giebelbrett in die weißglitzernde Freiheit des Bauerngartens und wurde vom vorsichtshalber draußen postierten Jäger Schorsch erlegt.

Gut gegangen. Aus Fehlböden, diesen früher sehr häufigen Zwischenböden der Stockwerke sind Marder nur sehr schwer herauszubekommen. Wenn man den genaueren Schlupfwinkel kennt, wenn der Hund den Marder exakt anzeigt, dann helfen ein paar kräftige Beilschläge.

Ansonsten aber jagen wir ruhig und setzen das vielzitierte Klopfen nur ein, wenn wir den genauen Ruheplatz oder, wenn sich der Marder umgestellt hat, den Fluchtort kennen. Keine Regel ohne Ausnahme! Unser Fuchsmeister lag trotz Spurschnee krank darnieder. Wir brauchten Ersatz und holten uns einen Dackel nebst Herrn in unweiter Nachbarschaft. Der Hund hatte einen guten Namen, der Herr nicht minder, und so gingen wir an einem eiskalten Januarnachmittag auf zwei eingespürte Marder. Beide steckten in großen, weitläufigen Anwesen. Die Arbeit war nicht leicht, und wir stellten uns auf mehrstündiges Ausharren ein.

In der üblichen Reihenfolge begann die Jagd unter dem Giebel. Ich begeleitete das ortsfremde Gespann über Luken, Leitern und über schwankende Bretterböden unter dem First. Zuerst den Dackel auf die Achsel, dann nachgereicht zum bereits ein Stockwerk höher wartenden Herrn, kurzer Hinweis auf mögliche Löcher im Boden. Taschenlampe an, der Hund erklomm den Strohberg, rutsche ab, wurde wieder hinaufgeworfen, schaute sich ein wenig ratlos um und fing an zu bellen. Er lief zehn Schritt im raschelnden Stroh, bellte wieder und bellte bis keine drei Minuten nach dem Beginn der Aktion im Hof ein Schuss fiel. Der Marder war gesprungen.

Im nächsten ebenfalls großen Gehöft das gleiche Spiel. Herr und Hund wurden mit unserer Hilfe unters Dach verfrachtet. Der Hund schlug infernalisch an und nach kaum fünf Minuten sprang der Marder.

Eine Marderburg – fast uneinnehmbar

Normalerweise schlieft der Hund in den großen Scheunen die Sparren entlang, plagt sich zwischen Stroh und Ziegeln, findet den Marder, verbellt, wird zwei Meter tief im Stroh wieder herausgegraben, neu angesetzt, manchmal nach oben unter dem Dach, manchmal ein Stockwerk tiefer und endlich, nach meist mühseliger Arbeit, kommt der Marder den wartenden Jägern vor die Flinte. Wir klopfen also den Marder niemals heraus, es sei denn, er hat sich in ein unzugängliches Versteck verklüftet und wir wissen seinen Fluchtort ganz genau. Eine verschalte Bretterwand zum Beispiel. Bei diesem „Hecken-Fritz-Ersatz-Gespann“ war halt alles anders. Kein Schliefen, kein Suchen – nur gewaltiges Bellen. Das ganze erinnerte ein wenig an die Trompeten von Jericho. Immerhin hatten wir unsere zwei Marder.

Wir hatten einmal einen Förster mit seinem Terrier zu Gast. Vor fünfzehn Jahren war eine Saujagd für uns noch etwas sehr besonderes. Der Förster hatte uns in den Steigerwald eingeladen, und als Gegeneinladung baten wir zu Marderjagd. Der Terrier – obwohl am Marder unerfahren – passte sich dem staubigen Arbeitsfeld prima an, fand auch zügig den Weißkehligen, jagte ihn ein Stockwerk tiefer, wo sich der Marder erneut verklüftete. Nachdem der Hund wieder an den Räuber kam und diesen mit Hilfe seines ihn aus dem Stroh grabenden Herrn auch wieder in Bewegung brachte, flüchtete dieser nicht ins Freie zu den wartenden Flinten, sondern erklomm wieder den höchsten Stock der Scheune. Hund aus dem Strohstock ausgegraben, die Leiter wieder hoch getragen, angesetzt, Marder gefunden, hinuntergejagt und wieder verloren. Gleiches Spiel. Hund hinuntergetragen, Marder gefunden, wieder hinaufgejagt. Nach dem dritten Stockwerkwechsel flüchtete der Marder endlich über das Flachdach eines Anbaues in den kahlen Obstgarten und wurde erlegt.

Ähnlich schwierig und damit fast schon normal erging es uns im selben Jahr an einem Neujahrsmorgen. Ich hatte früh am Tag bei sehr wenig Neuschnee drei Marder gespürt. Einer davon war leicht zu haben. Er steckte in einer mittelgroßen Scheune, in welcher nur unter dem Dach Stroh lagerte. Der untere Gebäudeteil war frei. Nur in der Tenne standen ein paar alte Geräte. Die anderen beiden Marder steckten in gut gefüllten Scheunen und würden nach gemachter Erfahrung einige Zeit beanspruchen.

Wir beginnen immer zuerst mit der vermeintlich sicheren Beute. Ein kurzer Winternachmittag will eingeteilt sein. Wenn beim ersten Gehöft bereits zwei Stunden vergehen, bleibt wenig Zeit für weitere Unternehmen.

Also setzten wir den Fuchsmeister nebst Hund in der kleinen zuerst erwähnten Feldscheune an und hatten nach einer Viertelstunde den ersten Balg. Am Kehlbalken sicherte der Marder, vom Hund im Stroh laut bedrängt, auf die Scheunentenne herunter und bekam die feinen Schrote auf den hellen Kehlfleck. Aber dann ging es zur Riesenscheune von Bauer Unger als zweites Jagen. Hoch und endlos lang zog sich der Bau am Hofstatt. Überall konnte der Marder liegen. Viel Stroh lagerte unterm Dach und ebenerdig stapelte der Brennholzvorrat für mindestens sieben Jahre. Wenn der Marder dort steckte, standen unsere Chancen schlecht. Die einzige Möglichkeit war, wenn Weißkehlchen oben ruhte, ihn über einen kleinen Anbau ins Freie zu jagen. So kam aus strategischen Gründen ein lauter „Abwehrer“ über das Brennholz und Waldi, der Dackel, nebst Herrn und mir kletterten unters Dach. Zwei-mannshohes Stroh, jahrelang festgedrückt, ungenutzt, spinnweben- und staubüberhangen: Eine Marderburg – fast uneinnehmbar.

Viel Freude an Wärme und Winterjagd

Der Hund ist immer Optimist. Er ließ sich hinaufwerfen auf den dunkelgrauen Berg der Halme und suchte und suchte, gab Laut, grub im hintersten Giebelwinkel abwärts und erwartete unsere Hilfe. Wir kamen, gruben nach, schoben Büschel um Büschel nach oben, waren eingekeilt unter Strohbergen, hörten den Hund, nahmen den Laut als Ziel, als Weg, husteten, schwitzten, schneuzten schwarzen, staubigen Rotz und kamen nach eineinhalb vergrabenen Stunden mitsamt Hund an den Marder. Aber der sprang nicht – genauer, er konnte durchs Mauerwerk nicht springen, sondern suchte sein Heil in der Flucht nach oben. Dem Hund am Fang vorbei, mir über die Achsel, der ich kopfüber seinem Versteck am nächsten war, dem Fuchsmeister ans Schienbein und irgendwo fand der schlanke Wildkörper im lockeren über uns beiseite geräumten Stroh ein Loch und jagte in Panik hinaus ins Freie – wollte weg, nur weg, dachte nimmer an den sicheren Platz im Brennholz und lief Friedrich, dem Meister der Flinte, genau in die Schrote.

Winterbeute, recht mühselig, bei bescheidenem Wert, erjagt. Es braucht viele Stunden, bis ein Mantel daraus wird. Ein flauschiger, schöner Umhang, vielleicht für ein hübsches Weib. Es kann trotzdem Sinn machen, sich zu plagen und viele Jahre Freude an der Wärme und den Bildern bodenständiger Winterjagd zu haben.

Die Marderburg – Zwischen Strohhaufen, Dachbalken, Holzhaufen, Ziegeln und Brettern gibt es viele schwer erreichbare Verstecke

 

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